Die Waisenkinder

Zwanzig grobe Strohhüte gehen
Zwei und zwei wie Militär.
Zwanzig schwarze Pelerinchen wehen,
Als wenn's zum Begräbnis wär.

[350]
Magre Lehrerin voraus,
Hinten magre zweite,
Eine dritte an der Seite,
Also zieht aus engem Haus
Eine Schlange in die Weite.
Hilfe! Mideid! Und Beschwerde!
Zwanzig arme Waisenkinder,
Streng getrieben, eine Herde
Junger Rinder –.
Weil mich meine Mutter knufft,
Und um Stärkres zu vermeiden,
Sag ich: »Ja, man läßt sie weiden
In der frischen, freien Luft.«
»Weiden? – Dummheit! Siehst du nicht,
Was hier vorgeht, roher Bengel!
Junge Blumen brauchen Licht,
Wärme, Erde, Wurzel, Stengel –.«
[351]
»Manche brauchen Mist, Mama,
Weil sie anderes vermissen,
Und der ist – wer kann es wissen –
Hier vielleicht sehr reichlich da.«
Meine Mutter ruckt, – schluckt:
»Treibt mit diesen Engeln Spott!
Und mich will er nicht verstehen.
Warte, dir wird's schlimm ergehen!
Und das wünsch ich dir. Bei Gott.«
Meine Mutter dreht
Rücken zu und geht.
Und nun sauf ich wo, wo keine
Rinder, Blumen, Engel sind,
Bin für mich oder für meine
Mutter Naseweisenkind.

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TextGrid Repository (2012). Ringelnatz, Joachim. Gedichte. Allerdings. Die Waisenkinder. Die Waisenkinder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9518-0