[50] Tempelweihe

Mit offnen Augen komm' und ernstem Gange,
Fühlst du zum Dienst der Musen dich getrieben!
Frei sei dein Innerstes von fremdem Drange,
Denn höchstem Wirken gilt ein höchstes Lieben.
Den Schauer auch empfind' um Brust und Wange
Von banger Scheu, ob würdig du geblieben,
Im Augenblicke, da dich hochbegnadet
Zu ihrem Heiligthum die Dichtung ladet!
Ob du des Waldgezeltes grüne Schwelle
Betrittst, in Einsamkeit dich zu bereiten;
Ob in gestirnter Nächte Dämmrungshelle
Gedanken zu dir selbst zurück dich leiten;
Ob deiner engen Welt vertraute Zelle
Du hoffst den Tag unendlich zu erweiten;
Im Tempel fühle dich für dein Beginnen!
Er wird dir's, bist du da mit reinen Sinnen.
Still muß es in dir sein von Sorg' und Grollen,
Das irrend dir dein Besseres bethörte.
Laß draußen, die dich noch berücken wollen,
Huldvolle Bilder, die der Tag zerstörte!
Den schnell gewelkten Kranz, den blüthenvollen,
Nimm ihn vom Haupt, dem gestern er gehörte!
Tritt ein, wie einer heil'gen Pflicht verbunden,
Du weißt, was drinnen immer du gefunden!
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Dich fordert von des Heiligthumes Stufen
Der Tag zurück noch in die Bahn und Schranke,
Du bist zur Welt, und so zum Kampf berufen.
Des Bösen Saat, gebraut zum Taumeltranke,
Gedeiht auch, wo die Besten Edles schufen.
Drum läutre sich am Höchsten dein Gedanke,
Gestählt, und jedem Niedrigen enthoben,
Dich selber im Zerwürfniß zu erproben!
So ruf' ich mahnend dir, o Seel', auch heute,
Daß, was zum Werk du immer dir erkoren,
Ein weihevolles Mühen dir bedeute!
Laß draußen vor des Tempels Friedensthoren,
Was dich entfremdend quälte, dich zerstreute!
Was du gewinnst ist mehr als du verloren.
Soll dir im höchsten Sinn in Werk gelingen,
Muß höchsten Thuns Gefühl dich ganz durchdringen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Roquette, Otto. Gedichte. Gedichte. Aus der Werkstatt. Tempelweihe. Tempelweihe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9D0D-C