[13] Zweyter Gesang

Kaum drang der Sonnen-Glantz in Gottscheds Schlaff-Gemach,
Als aussen Schwabe schon mit dem Bedienten sprach;
Der kleine Patriot, des Meisters liebster Jünger,
In deutscher Prose flinck, im reimen nicht geringer;
Zum übersetzen schnell, zum tadeln aufgelegt;
In dem Philippis-Geist sich noch heroisch regt.
Kein muthiger Pigmä ist Schwaben zu vergleichen,
Wenn für der Waffen Blitz die Kranche schüchtern weichen;
Er gieng weit kecker noch im Zimmer auf und ab,
Eh der Professor kam und ihm Gehöre gab.
Es ruhete dißmahl sein Meister viel zu lange,
Jedoch ein muntrer Kopff weiß nichts vom Müßiggange;
Auch er verfertigte, bey der Gelegenheit,
Den stoltzen Leber-Reim auf Gottscheds Schläfrigkeit:
Die Leber ist vom Hecht und nicht von einem Hummer:
Der Erde Phöbus wacht, der meine liegt im Schlummer.
Er fuhr schon weiter fort, die Leber ist vom Hecht – –,
Doch stöhrt ihn Amarant 1 von des Bathylls Geschlecht;
Ein Dichter aus der Zeit, die noch ein Wortspiel schätzte;
Ein Täntzer, 2 dessen Tantz die Weiber sonst ergötzte.
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Der redliche Corvin trat in das Vorgemach,
Ihm aber folgete der Drucker Breitkopff nach.
Was muß doch, sprach Corvin: der Herr Professor wollen?
Und das wir dreye nur, sprach Breitkopff, wissen sollen?
Ein ieder rieth; allein, ob es errathen war,
War durch des Schicksahls Schluß noch keinem offenbahr.
Doch endlich mußte sich die Ungeduld verliehren:
Der Diener öffnete die beyden Stuben-Thüren.
Nicht einer wollte hier der allerletzte seyn,
Sie drangen alle drey zugleich ins Zimmer ein.
Hier saß das grosse Paar, Victoria gelassen,
Als könnte sie den Schimpff sich nicht zu Hertzen fassen;
Nur Gottsched schob für Zorn die Feder-Mütze krumm,
Er fing zu reden an, die andern blieben stumm.
Kurtz: Er erzehlete die Neuberische Sache,
Und fragte zum Beschluß: Ihr Freunde, welche Rache?
Ihr Musen machet mir den Beyfall doch bekannt,
Den seine Rede-Kunst in diesen Hertzen fand?
Sie nahmen alle Theil an den Beleidigungen;
Und schriehn: verwegnes Weib! dir ists noch nicht gelungen.
Corvin erboßte sich und schrieb im Geiste schon
Der Neuberin zum Trotz, ein Schau-Spiels-Lexicon; 3
Er bath um bouts rimès, und sprach: ich will es wagen,
Und sie noch diese Nacht an Zotens Thorweg schlagen.
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Doch dieser Vorschlag starb, als er gebohren ward:
Dergleichen Rache schien Victorien zu hart;
Drum dachte Breitkopff noch den besten Rath zu geben,
Und ruffte bürgerlich: Mein bißgen Witz soll leben!
Man klage diese Frau bey den Gerichten an,
Damit sie schwöhren muß, ob sies zum Schimpf gethan.
Ein schlauer Advocat wird ihr schon Kosten machen,
Mit Schaden wird sie klug und wer wehrt uns zu lachen?
Allein, auch dieses war der Thorheit allzu nah;
Und Gottsched, ob er schon des Mannes Eifer sah,
Verwarf doch seinen Rath, und wartete was Schwabe,
Der kleine Fabius, annoch zu rathen habe.
Der, dessen träger Witz und langsamer Verstand
Nie sonder grosse Müh das was er suchte fand,
Stand auf, bückt, räuspert sich, schwieg noch beträchtlich stille;
Doch endlich brach er loß: Dein Winck Herr ist mein Wille.
»Wer kömmt Magnifice, dir wohl an Einsicht bey?
Doch deine Gütigkeit giebt mir ein Urtheil frey.
Die That der Neuberin erschreckt die Biedermänner,
Befremdet ungemein der reinen Sprache Kenner.
Durch mich den Secretar, spricht die Gesellschafft aus:
Verjagt die Ketzerin! Zerstöhrt ihr Schau-Spiel-Hauß!
Selbst gantz Germanien erstaunt bey dieser Sache;
Die deutsche Sprache schreiht nebst dem Geschmack um Rache;
Und ausserdem so bricht der Undanck allenfalls
Der frechen Neuberin den schon verwirckten Halß.
Wohlan, laß deinen Kiel von ihren Fehlern schreiben;
Dein Fluch wird gantz gewiß an dieser Frau bekleiben:
Ein Urtheil wurtzelt ein, und gilt bey aller Welt,
Das Breitkopff gründlich druckt und Gottsched zierlich fällt.
Schreib! grosser Dichter, schreib! die stoltze Frau zu stürzen;
Du hast ja Stoff genung, Satyren anzuwürtzen.
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Dein Ausspruch, dem die Welt bißher ihr Lob geglaubt,
Besitzt allein die Macht, daß er es wieder raubt.
Was ist ihr Glück? dein Thon; du kanst ihn förmlich drücken,
Und wieder, wenn du wilst, in einen Klumpen rücken;
Drum strafe, weil du kanst, erniedrige das Weib:
Was Schwabe rathen kan, ist weiter nichts als: schreib!
Der Rath erhielt so gleich die Stimmen aller Viere;
Doch Gottsched fühlte sich zu trocken zur Satyre;
Drum trug er Schwaben auf, mit Hülffe des Corvin,
Sich für Victorien, statt seiner, zu bemühn.
Seit dem wir, sprach der Mann, in schweren Aemtern sitzen,
Nebst unsrer Professur, der Stadt, als Rector, nützen,
Schreibt unser Kiel nicht mehr, so fertig als er schrieb,
Wenn ihn ein Nahmens-Fest, und ein Geburths-Tag trieb.
Zudem, so halten wir nicht viel vom Selbsterfinden; 4
Die Kräntze, die wir uns als Uebersetzer winden,
Sind Lorbern ohne Müh. Die Welt gedenckt an mich,
Denn meine Schriften ziert auch noch mein Kupferstich.
Ihr Freunde, Gottsched lebt in vielen Bücher-Bänden,
Kan die Unsterblichkeit mir wohl ein Fall entwenden?
Der gröste Bücher-Schatz hebt meinen Nahmen auf,
Und Goetten 5 selber schreibt schon meinen Lebens-Lauff.«
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Und also war diß Werck, für Schwabens Ruhm, beschieden?
O nein, Victoria war nicht damit zufrieden.
Sie fuhr gantz hitzig auf: Werd ich so schlecht geliebt,
Daß der Professor sich auch nicht die Mühe giebt?
Und was entschuldigt ihn? hält ihn die Furcht zurücke?
Wie? oder fehlet es ihm etwan am Geschicke?
»Wohlan, ihm war ein Kuß zur Danckbarkeit bestimmt;
Solls Schwabe seyn, der ihn von meinen Lippen nimmt?
Du darffst, Victoria, nicht an die Rache dencken:
Dein Liebster scheut sich selbst, die Neuberin zu kräncken.«
Für Angst fiel dem Corvin, der neue Huth in Staub;
Selbst Breitkopff zitterte, für Furcht, wie Aspenlaub;
Und Schwabe sah verwirrt, wie seine Deutschlands-Klage,
Die den Eugen beweint, den Helden unsrer Tage.
Doch Gottscheds Mund gieng auf, drum fiel das Schrecken hin;
»Ich, sprach er, züchtige nun selbst die Neuberin.
Nur Dint und Feder her! Ihr Freunde, biß auf morgen!
Für eingefeuchtt Papier wird schon mein Breitkopff sorgen.«
Kaum hatt er dieß gesagt, so saß er schon und schrieb,
Und von den dreyen war nur Schwabe, welcher blieb.
Wer Gottscheds Art nicht kennt, der muß ihn gar nicht kennen:
Von seinem Kiel ist nie die Fruchtbarkeit zu trennen;
Die Feder ist von ihm mechanisch abgerichtt:
Offt schreibt sie von sich selbst, er aber dencket nicht.
Und hieran hat sich offt die Tadelsucht gerieben,
Doch Gottsched hat nicht Schuld; Er hat nie schlecht geschrieben.
Was kann der Mann dafür, wenn sich sein Kiel verirrt,
Und er, wie Phaeton, des Zügels müde wird?
Kurtz, seine Fertigkeit, blieb jetzt auch nicht zurücke, 6
Er schrieb den Bogen voll in einem Augenblicke,
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Und las ihn Schwaben vor, der darum bey ihm blieb,
Damit er lernete, wie schnell sein Meister schrieb.
Es war die Stachel-Schrifft prosaisch aufgesetzet;
Recht Wortreich, was Catull an den Suffen geschätzet;
Er gab nun öffentlich der armen Neuberinn
Gedächtniß-Fehler schuld; Brodneid 7 und Eigensinn.
Sie ward so klein gemacht, als sie kaum groß gewesen,
Und dieß bekam die Welt im schönsten Druck zu lesen.
Selbst Breitkopff setzte sie in eigener Person,
Und, als Verleger, nahm er auch kein Drucker-Lohn.
So war der Neuberin ihr Unglück zubereitet;
Ihr Zeiten merckt es euch, was Gottscheds Zorn bedeutet.

Fußnoten

1 (Amarant) Unter diesem Nahmen hat Herr Corvinus seine Gedichte heraus gegeben.

2 (Ein Täntzer) Herr Corvinus ist seinem eigenen Gedächtniß nach der beste Täntzer, und Lomberspieler in seiner Jugend gewesen. Er pfleget dieses öffters in Gesellschafft ohne Ruhm zu melden.

3 (Ein Schauspiels-Lexicon) Das Frauen-Zimmer-Leixcon des Herrn Corvinus zeiget uns in dem Reiche der Möglichkeiten auch ein Schauspiels-Lexicon von seiner Arbeit. Unmaßgeblich wäre, wenn er mit dem Männer- und hermaphroditen-Lexicon fertig seyn wird, wohl am besten der Welt vor allen dingen ein Lexicons-Lexicon zu liefern.

4 (Selbst erfinden) Herr Gottsched hat den Mangel seiner Erfindungs-Krafft längst selbst eingeräumet. Siehe seine Vorrede zu dem sterbenden Cato 1732. am Ende, wo er ausdrücklich sagt. »Ich erkenne es also nunmehr selbst, wiewohl zu spät, daß ich lieber einen blossen Uebersetzer abgeben, als mich selbst gewisser massen zu einem – – – Poeten hätte aufwerffen sollen.«

5 (Goetten) Siehe desselben ietztlebendes Gelehrtes Europa.

6 (Blieb ietzt auch nicht zurücke) Denn in hora saepe ducentos, ut magnum, versus dictabat, stans pede in uno.

7 (Brodneid) In der Vorrede zum zweyten Theile der deutschen Schau-Bühne sagt Herr Gottsched: »Daran hat allerdings der bisherige Eigensinn unserer Comödianten Schuld gehabt: Die theils besorgt: Sie würden dadurch den alleinigen Besitz der Stücke verliehren, wenn sich auch andere Banden das gedruckte zu Nutze machen könnten; theils aber auch besorget, es möchten die Zuschauer gar zu klug daraus werden, und so wohl die Gedächtniß-Fehler der Comödianten als ihre vorsetzlichen Verstimmelungen der Stücke daraus wahrnehmen lernen.« Siehe ferner die Vorrede zum Ersten Theile dieser Schau-Bühne. Seite 12.

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TextGrid Repository (2012). Rost, Johann Christoph. Gedichte. Das Vorspiel. Zweyter Gesang. Zweyter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9E72-F