Normannenvermächtnis

Der König winkt – es reihen im Kreis,
Die Knechte sich ehrfurchtsvoll;
Sie tragen hinweg auf der Sänfte den Greis,
Den Strand ihn entlang, wo um Klippen von Eis
Erdröhnt der Wogen Geroll.
Ihm folgte von hundert Rossen ein Zug,
Der Krone, Scepter und Thron
Und die Schätze, die er erbeutet, trug;
Beim Vater ging und zur Erde schlug
Voll Trauer die Augen der Sohn.
Und als sie kamen zum tosenden Fjord,
Wo geankert das Heerschiff lag
Und die Wellen hoch aufpeitschte der Nord,
Neu winkte der König: »Das ist der Ort,
Und heute ist es der Tag.
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Alt ward ich; die Sehnen sind mir erschlafft;
Der Knochen Mark ist verdorrt;
Nicht kann ich mehr schaffen, wie sonst ich geschafft;
Nicht blitzt, geschleudert mit alter Kraft,
Mein Beil in der Schlacht hinfort.
Und sollt' ich nun, statt zu schlürfen den Hauch
Der eisigen Meeresluft,
Im dumpfen Gemach ersticken am Rauch?
Auf dem Holzstoß lieber nach Nordmannsbrauch
Erwähl' ich die lodernde Gruft.
Mit mir verzehre die Flammenglut
All meine Habe zugleich!
Mein Rolf, nicht lass' ich dir Thron noch Gut,
Dir nur meinen Ruhm und die schäumende Flut;
Sie sei dein Königreich!
Nichts fruchtet dem Sohn ein Schatz, am Herd
Von Vater und Ahnen ererbt;
Für den Thron nur, den er erkämpft mit dem Schwert,
Nur für den Purpur wird er geehrt,
Den in Feindesblut er gefärbt.
Dein Reich ist weit, ist weit wie die Welt;
Schau hin! Was wählst du, mein Rolf?
Das Klippengestad', wo das Kriegshorn gellt
Und der Nordschein flammend die Wogen erhellt?
Im Süden den blauenden Golf?
Dort leuchten goldene Früchte am Strand
Und Schlösser aus Gärten hervor;
Nur gewagt! und der lieblichen Herrin Hand,
Du wirst sie gewinnen mit Schloß und Land,
Wenn du schreitest als Sieger durchs Thor.
[290]
Einst stritt auch ich dort im Kampfgewühl,
Mir trieften die Locken von Blut;
Doch die Nacht dann hab' ich auf duftendem Pfühl
Im Myrtenhaine bei Saitenspiel
An weichem Busen geruht.
Genug, genug! so lange das her!
Laß lichten die Anker, mein Sohn!
Dir winkt das Leben auf brausendem Meer,
Und mir – wer sagt, das Sterben sei schwer? –
Laßt, Knechte, den Holzstoß lohn!«
Der König ruft es; zu lodern beginnt
Der mächtige Scheiterstoß;
Er stürzt in die Flammen: »Leb wohl, mein Kind!«
Und Rolf, die Segel breitend im Wind,
Schifft fort durch das Wellengetos.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schack, Adolf Friedrich von. Gedichte. Gedichte. 3. Romanzen und Balladen. Normannenvermächtnis. Normannenvermächtnis. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B5B5-A