Herr Jobst

Schlaff hängen die Segel, die Wellen ruhn,
Kein Lufthauch regt die Gewässer;
Kein Bissen mehr in den Kasten und Truhn,
Geleert sind Tonnen und Fässer;
Nur zehn Matrosen noch leben, nur zehn,
Und wie sie ringsum die Gestorbenen sehn,
Da denken sie: Jene beneiden wir nun;
Fürwahr, sie haben es besser!
Und der Schiffsherr spricht: »Nicht Trank, noch Brot!
Bald ist auch der letzte verschmachtet;
Drum werde das Mittel in äußerster Not,
Das einzige, nicht verachtet!
Ein Opfer muß fallen, – wohlan, es sei!
Das Los mag entscheiden – bringt Zettel herbei!
Und wen es trifft, der verfalle dem Tod!
Er werde morgen geschlachtet!«
O Guter! eh du den Einfall lobst,
Was hast du ihn mehr nicht erwogen?
Die Matrosen rufen: »Habt recht, Herr Jobst!«
Kaum wird noch Beratung gepflogen.
Sie mischen die Todeslose, sie ziehn,
Und alle blicken verblüfft auf ihn:
[308]
Er selber, der Schiffsherr, fett wie ein Probst,
Das Los hat er selber gezogen.
Schon ist es die Zeit, wo die Sonne sich neigt
Zum flammenden Meeresbecken,
Und sie raunen: »Wenn sie im Osten steigt,
Dann soll uns der Dicke schmecken!«
Herr Jobst vernimmt das bedrohliche Wort;
Er sieht in den Blicken den lauernden Mord;
Er lehnt an dem Schiffsrand, starrt und schweigt
Und denkt an den Morgen mit Schrecken.
Da tritt, in der Rechten das Seherohr,
Zu ihm heran ein Matrose
Und flüstert ihm heimlich, heimlich ins Ohr:
»Ihr seid getroffen vom Lose;
Doch kann ich Euch retten, wenn Ihr mir vertraut!
Das Fernrohr nehmt in die Hand und schaut!«
Zugleich zieht er Feder und Rolle hervor
Aus der Tasche der ledernen Hose.
Herr Jobst ist nicht lässig, das Rohr zur Hand
Und spähend vors Auge zu nehmen;
Bald ruft er: »Bei Gott, ich erblicke Land!
Ist's Wahrheit oder ein Schemen?
Das Häuslein dort mit dem Gartenzaun,
Weiß angetüncht, doch die Balken braun –
O Himmel, wie ist mir das alles bekannt.
Das ist ja der Hafen von Bremen!
Durch die Thüre des Häuschens, die offen steht,
Gewahr' ich mein Weib, die Hanne;
Sie schafft an dem lodernden Herd und brät
Ein Kartoffelgericht in der Pfanne;
Ein Hammelrücken, vom Spieß durchbohrt,
Steht über dem Feuer und knistert und schmort,
[309]
Und meine Tochter, die Lise, gießt Met
Aus dem mächtigen Krug in die Kanne.«
Sodann der Matrose: »Bei Tochter und Weib
Kannst heut du noch, wenn ich befehle,
Mit Trank und mit Speise dir laben den Leib, –
Was bietest du mir? Erzähle!«
Und Jobst: »Mein Haus und mein Garten sei dein,
Führst du mich dorthin vor dem Morgenschein.«
Doch jener: »Was andres verlang' ich; verschreib,
Verschreib mir mit Blut deine Seele!«
Da ruft Herr Jobst: »Feind, bleibe mir fern,
Du grimmiger Wolf unter Schafen!
Meine Seele flüchtet zu Gott, dem Herrn;
Den Leib mag mit Tod er bestrafen!«
Und wie in Luft der Matrose zerrinnt,
Erhebt sich, von Gott gesendet, ein Wind,
Und ehe noch leuchtet der Morgenstern,
Ist das Schiff in dem traulichen Hafen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schack, Adolf Friedrich von. Gedichte. Gedichte. 3. Romanzen und Balladen. Herr Jobst. Herr Jobst. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B7C8-E