122. Die weiße Jungfrau bei Vardeilsen.

Bei Vardeilsen hütete eines Tages ein Mann die Pferde. Gerade im Mittage, zwischen 11 und 12 Uhr, kommt eine weiße [94] Jungfrau auf ihn zu. Erst ließ er sie näher kommen; als er aber bemerkte, wie blaß sie war und daß sie dem Tode ähnlicher sah, als dem Leben, erfaßte ihn, wiewohl sie ihn mit freundlichem Gesichte anblickte, eine große Furcht, und er lief weg. Indem er fortlief, that die Jungfrau einen so entsetzlichen »weinenden Schrei«, daß er unwillkürlich stehen blieb und sich umschaute; ja er faßte sich nun ein Herz und ging auf sie zu. Da sprach die Jungfrau weinend zu ihm, »durch seinen ersten Zurückgang habe er sie noch hundert Jahre im Zauber gehalten«; wäre er stehn geblieben, so hätte er sie retten und erlösen können. Doch könne er sie noch erlösen und sie hätte an ihn eine Bitte: er solle eine Eichel (en eckerspîr) pflanzen und, wenn diese aufginge, das Bäumchen sorgfältig warten; wenn er alt geworden wäre und dieß nicht mehr könne, es seinen Nachkommen zur heiligen Pflicht machen. Wenn dann die Eiche so groß geworden wäre, daß eine Wiege davon gemacht werden könne, so könne das Kind, welches in der Wiege groß gewiegt wäre, sie erlösen. Diese Eiche steht in Peckmanns Garten in Vardeilsen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. Märchen und Sagen. Niedersächsische Sagen und Märchen. A. Sagen. 122. Die weiße Jungfrau bei Vardeilsen. 122. Die weiße Jungfrau bei Vardeilsen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B93D-9