241. Die wunderbare Schrift.

In althannöverscher Zeit, ehe die Franzosen hierher ins Land kamen, hießen die Soldaten zu Pferde nicht Cavalleristen, sondern Reiter. Diese Reiter wurden, wenn nicht gerade die Exercirzeit war, einzeln auf die Dörfer gelegt. Da lag denn so ein Reiter bisweilen ein ganzes Vierteljahr in einem Orte; auf diese Weise wurde er mit den Leuten so bekannt, als ob er ins Haus gehörte. Hatte er sein Pferd und seine Kleidungsstücke gereinigt, so that er für seinen Wirth alle Arbeit, die es gerade zu thun gab. Ein solcher Reiter lag nun auch einmal in Edemissen. Dieser hatte sich das Trinken und Spielen sehr stark angewöhnt, [233] und wenn er dann viel verspielt und vertrunken hatte, fing er so schrecklich an zu fluchen und sich zu verwünschen, daß es einem durch Mark und Bein ging. Kam ihm das Trinken und Spielen in den Kopf, so ritt er zu seinen Kameraden, und dann wurde oft zwei, drei Tage hinter einander gespielt und gezecht. Kam er nun wieder nach Hause und war nüchtern geworden, so wünschte und fluchte er alle Teufel aus der Hölle, und war so unzufrieden mit sich, daß er sich wohl selbst wegen seines schlechten Lebenswandels hätte zerreißen mögen. Dann hielt er sich einige Tage ganz gut, bereute recht aufrichtig, was er gethan hatte, und nahm sich auch fest vor es nicht wieder zu thun. Sobald er aber wieder mit seinen Kameraden ins Gespräch kam, so waren auch alle guten Vorsätze wieder vergessen und das alte Leben ging von neuem an. So hatte er es nun lange Zeit getrieben und war immer gut davon gekommen, so daß er niemals Schaden genommen hatte, wenn er auch noch so betrunken mit seinem Pferde, oft erst nach Mitternacht, zu Hause gekommen war. Als er nun einst wieder einige Tage durchschwärmt hatte und Abends ganz langsam nach Hause ritt, sprang unterwegs ein Wild hastig auf. Das Pferd erschrak davor und sprang auf die Seite; da er nun betrunken und seiner nicht recht mächtig war, so verlor er das Gleichgewicht und bekam den Kopf unten, während die Füße in den Steigbügeln hängen blieben. Das Pferd aber lief bis nach Edemissen, wo es vor dem Stalle des Wirthes, bei dem der Reiter im Quartiere lag, still stand. Die Leute im Hause wachten von dem Geräusche auf, gingen hinaus und fanden das Pferd vor dem Stalle und den Reiter mit den Füßen in den Bügeln hängend; der Kopf war ganz zerschlagen und sah von Schmutz und Blut entsetzlich aus. Sie rieben und wuschen an ihm herum, aber er war todt und blieb todt. Als er nun begraben war, da sprach der eine noch mehr als der andere: Dieses Menschen Seele hat doch gewis der Teufel in der Mache (in der mâkige) und peinigt sie nun, denn wie oft hat der sich nicht dem Teufel verschworen und verflucht; wenn der selig gestorben und selig geworden ist, so werden auch alle Schelme und Spitzbuben selig. Während dieses Gerede noch so umgeht, fängt auf des Reiters Grabe eine Blume an zu wachsen, die wird immer größer und blüht zuletzt auf. Es war eine wunderschöne weiße Lilie, mit so herrlichen großen Blättern, wie [234] sich wohl noch nie eine gefunden hat, und in der Blume stand ein große goldene Schrift. Als die Leute das sahen, konnte keiner klug daraus werden. Da riefen sie denn einen Pastor herbei, der aber auch die Schrift nicht ausdeuten konnte. Noch mehrere Gelehrte kamen dazu, aber sie alle konnten nicht angeben, was das heißen sollte. Zuletzt sagten die Leute, sie wollten einen katholischen Pfaffen holen, ob der die Schrift wohl verstände. Als diesem die Schrift gezeigt war, konnte er sie Anfangs auch nicht erklären, nach und nach aber lernte er sie lesen. Da hat es dann geheißen: »Zwischen Himmel, Erde und Steigbügel gedachte ich an Gott, bekehrte mich und bin selig geworden.«

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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. Märchen und Sagen. Niedersächsische Sagen und Märchen. A. Sagen. 241. Die wunderbare Schrift. 241. Die wunderbare Schrift. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BB41-B