242. Die Leichenpredigt.

In Hohnstedt ist in früheren Zeiten einmal ein gottloser Mann Superintendent gewesen, von dem noch viele Sagen in Umlauf sind. Er war so schlecht und schlimm, daß sich kein Mensch lange mit ihm vertragen konnte. Das ganze Pfarrland bebaute er selbst, weil er den Bauern den Verdienst nicht gönnte, den sie gehabt haben würden, wenn er es ihnen in Pacht gegeben hätte. Mit der Gemeinde lag er beständig in Streit und zwang sie auch ihm eine große Scheune und Stallungen zu bauen, die er zu seiner Feldwirthschaft nöthig hätte. Aus dem Kirchenvermögen ließ er auf dem Kirchhofe ein großes Haus bauen, worin seine Tagelöhner wohnten, weil kein Mensch im Dorfe dieselben unter Dach und Fach nehmen wollte. Knechte und Mägde konnte er nie lange behalten, immer gingen sie vor der Zeit aus dem Dienste. Niemals konnten sie ihm Arbeit genug thun, oder sie aßen ihm zu viel, oder er wollte den bedungenen Lohn nicht zahlen. Auch soll er seine Mägde verführt haben, und was der argen Dinge mehr sind, die von ihm erzählt werden. Als er nun endlich gestorben war und begraben werden sollte, wurde der Sarg, wie es früher Sitte war, mit der Leiche vor den Altar getragen, damit hier die Leichenrede gehalten würde. Ein Prediger aus der Inspection bestieg die Kanzel und fing die Leichenrede so an: »Hier ruht der Gerechte, der Fromme, der so unschuldig üble Nachrede hat erdulden müssen.« Das sagte er dreimal, [235] dann machte er den Verstorbenen so engelrein, als wenn er die Frömmigkeit selbst gewesen wäre und »in seinem Leben keinem Küchlein etwas zu Leide gethan hätte.« Mittlerweile kam ein großer schwarzer Hund, legte sich auf den Sarg und streckte die glühende, feuerrothe Zunge armslang aus dem Rachen. Als der Pastor das sah, erschrak er so gewaltig, daß er schnell Amen sprach, von der Kanzel herunterstieg und in Ohnmacht fiel. Sobald er von der Kanzel heruntergestiegen war, war auch der Hund verschwunden. Anfangs wollte keiner von den Leuten den Sarg anrühren, zuletzt aber setzten sie ihn in der Kirche bei. Der Pastor, welcher die lügenhafte Leichenrede gehalten hatte, legte sich, als er nach Hause kam, krank zu Bette und starb.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. Märchen und Sagen. Niedersächsische Sagen und Märchen. A. Sagen. 242. Die Leichenpredigt. 242. Die Leichenpredigt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BD14-E