Friedrich Schiller
(Xenien und Votivtafeln)

[318] [317]Einer

Grausam handelt Amor mit mir! O! spielet, ihr Musen,
Mit den Schmerzen, die er, spielend, im Busen erregt.
Manuskripte besitz ich wie kein Gelehrter noch König,
Denn mein Liebchen, sie schreibt, was ich ihr dichtete, mir.
Wie im Winter die Saat nur langsam keimet, im Frühling
Lebhaft treibet und schoßt, so war die Neigung zu dir.
Immer war mir das Feld und der Wald und der Fels und die Gärten
Nur ein Raum, und du machst sie, Geliebte, zum Ort.
[317]
Raum und Zeit, ich empfind es, sind bloße Formen des Denkens,
Da das Eckchen mit dir, Liebchen, unendlich mir scheint.
Sorge! sie steiget mit dir zu Pferde, sie steiget zu Schiffe,
Viel zudringlicher noch packet sich Amor mir auf.
Schwer zu besiegen ist schon die Neigung, gesellet sich aber
Gar die Gewohnheit zu ihr, unüberwindlich ist sie.
Welche Schrift ich zweimal, ja dreimal hintereinander
Lese? Das herzliche Blatt, das die Geliebte mir schreibt.
Wer mich entzückt, vermag mich zu täuschen. Oh! Dichter und Sänger,
Mimen! lerntet ihr doch meiner Geliebten was ab.
Alle Freude des Dichters, ein gutes Gedicht zu erschaffen,
Fühle das liebliche Kind, das ihn begeisterte, mit.
Ein Epigramm sei zu kurz, mir etwas Herzlichs zu sagen?
Wie, mein Geliebter, ist denn nicht noch viel kürzer der Kuß?
Kennst du den herrlichen Gift der unbefriedigten Liebe?
Er versengt und erquickt, zehret am Mark und erneuts.
Kennst du die herrliche Wirkung der endlich befriedigten Liebe?
Körper verbindet sie schön, wenn sie die Geister befreit.
Das ist die wahre Liebe, die immer und immer sich gleich bleibt,
Wenn man ihr alles gewährt, wenn man ihr alles versagt.
Alles wünscht ich zu haben, um mit ihr alles zu teilen,
Alles gäb ich dahin, wär sie, die Einzige, mein.
Kränken ein liebendes Herz und schweigen müssen! Geschärfter
Können die Qualen nicht sein, die Rhadamant sich ersinnt.
Warum bin ich vergänglich? o Zeus! so fragte die Schönheit.
Macht dich doch, sagte der Gott, nur das Vergängliche schön.
Und die Liebe, die Blumen, der Tau und die Jugend vernahmens,
Alle gingen sie weg, weinend, von Jupiters Thron.
Leben muß man und lieben! Es endet Leben und Liebe!
Schnittest du, Parze, doch nur beide die Fäden zugleich.

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TextGrid Repository (2012). Schiller, Friedrich. Gedichte. (Xenien und Votivtafeln). Einer. Einer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-CB72-B