Friedrich Schlegel
Über die Unverständlichkeit

[363] Einige Gegenstände des menschlichen Nachdenkens reizen, weil es so in ihnen liegt oder in uns, zu immer tieferem Nachdenken, und je mehr wir diesem Reize folgen und uns in sie verlieren, je mehr werden sie alle zu Einem Gegenstande, den wir, je nachdem wir ihn in uns oder außer uns suchen und finden, als Natur der Dinge oder als Bestimmung des Menschen charakterisieren. Andre Gegenstände würden niemals vielleicht unsre Aufmerksamkeit erregen können, wenn wir in heiliger Abgeschiedenheit jenem Gegenstand aller Gegenstände ausschließlich und einseitig unsre Betrachtung widmeten; wenn wir nicht mit Menschen im Verkehr ständen, aus deren gegenseitiger Mitteilung sich erst solche Verhältnisse und Verhältnisbegriffe erzeugen, die sich als Gegenstände des Nachdenkens bei genauerer Reflexion immer mehr vervielfältigen und verwickeln, also auch hierin den entgegengesetzten Gang befolgen.

Was kann wohl von allem, was sich auf die Mitteilung der Ideen bezieht, anziehender sein, als die Frage, ob sie überhaupt möglich sei; und wo hätte man nähere Gelegenheit über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit dieser Sache mancherlei Versuche anzustellen, als wenn man ein Journal wie das »Athenaeum« entweder selbst schreibt, oder doch als Leser an demselben teilnimmt?

Der gesunde Menschenverstand, der sich so gern am Leitfaden der Etymologien, wenn sie sehr nahe liegen, orientieren mag, dürfte leicht auf die Vermutung geraten können, der Grund des Unverständlichen liege im Unverstand. Nun ist es ganz eigen an mir, daß ich den Unverstand durchaus nicht leiden kann, auch den Unverstand der Unverständigen, noch weniger aber den Unverstand der Verständigen. Daher hatte ich schon vor langer Zeit den Entschluß gefaßt, mich mit dem Leser in ein Gespräch über diese Materie zu versetzen, und vor seinen eignen Augen, gleichsam ihm ins Gesicht, einen andern neuen Leser nach meinem Sinne zu konstruieren, ja, wenn ich es nötig finden sollte, denselben sogar zu deduzieren. Ich meinte es ernstlich genug und nicht ohne [363] den alten Hang zum Mystizismus. Ich wollte es einmal recht genau nehmen, wollte die ganze Kette meiner Versuche durchgehn, den oft schlechten Erfolg mit rücksichtsloser Offenheit bekennen, und so den Leser zu einer gleichen Offenheit und Redlichkeit gegen sich selbst allmählich hinleiten; ich wollte beweisen, daß alle Unverständlichkeit relativ, und darstellen, wie unverständlich mir zum Beispiel Garve sei; ich wollte zeigen, daß die Worte sich selbst oft besser verstehen, als diejenigen von denen sie gebraucht werden, wollte aufmerksam darauf machen, daß es unter den philosophischen Worten, die oft in ihren Schriften wie eine Schar zu früh entsprungener Geister alles verwirren und die unsichtbare Gewalt des Weltgeistes auch an dem ausüben, der sie nicht anerkennen will, geheime Ordensverbindungen geben muß; ich wollte zeigen, daß man die reinste und gediegenste Unverständlichkeit gerade aus der Wissenschaft und aus der Kunst erhält, die ganz eigentlich aufs Verständigen und Verständlichmachen ausgehn, aus der Philosophie und Philologie; und damit das ganze Geschäft sich nicht in einem gar zu handgreiflichen Zirkel herumdrehen möchte, so hatte ich mir fest vorgenommen, dieses eine Mal wenigstens gewiß verständlich zu sein. Ich wollte auf das hindeuten was die größten Denker jeder Zeit (freilich nur sehr dunkel) geahndet haben, bis Kant die Tafel der Kategorien entdeckte und es Licht wurde im Geiste des Menschen; ich meine eine reelle Sprache, daß wir aufhören möchten mit Worten zu kramen, und schauen alles Wirkens Kraft und Samen. Die große Raserei einer solchen Kabbala, wo gelehrt werden sollte, wie des Menschen Geist sich selbst verwandeln und dadurch den wandelbaren ewig verwandelten Gegner endlich fesseln möge, ein dergleichen Mysterium durfte ich nun nicht so naiv und nackt darstellen, wie ich aus jugendlicher Unbesonnenheit die Natur der Liebe in der »Lucinde« zur ewigen Hieroglyphe dargestellt habe. Ich mußte demnach auf ein populäres Medium denken, um den heiligen, zarten, flüchtigen, luftigen, duftigen gleichsam imponderablen Gedanken chemisch zu binden. Wie sehr hätte er sonst mißverstanden werden können, da ja erst durch seinen wohlverstandnen Gebrauch allen verständlichen Mißverständnissen endlich ein Ende gemacht werden sollte? Zugleich hatte ich mit innigem Vergnügen die Progressen unsrer Nation bemerkt; und was soll ich erst von dem Zeitalter sagen? Dasselbe Zeitalter, in welchem auch wir zu leben die Ehre haben; das Zeitalter, welches, um alles mit einem Worte zu sagen, den bescheidnen aber vielsagenden Namen des kritischen Zeitalters verdient, so daß nun bald alles kritisiert sein wird, außer das Zeitalter selbst, und daß alles immer kritischer und kritischer wird, und die Künstler schon die gerechte [364] Hoffnung hegen dürfen, die Menschheit werde sich endlich in Masse erheben und lesen lernen.

Nur ganz kürzlich wurde dieser Gedanke einer reellen Sprache mir von neuem erregt, und eine glorreiche Aussicht öffnete sich dem innern Auge. Im neunzehnten Jahrhundert, versichert uns Girtanner, im neunzehnten Jahrhundert wird man Gold machen können; und ist es nicht schon mehr als Vermutung, daß das neunzehnte Jahrhundert nun bald seinen Anfang nehmen wird? Mit löblicher Sicherheit und mit einer interessanten Erhebung sagt der würdige Mann: »Jeder Chemiker, jeder Künstler wird Gold machen: das Küchengeschirr wird von Silber, von Gold sein.« – Wie gern werden nun alle Künstler sich entschließen den kleinen unbedeutenden Überrest vom achtzehnten Jahrhundert noch zu hungern, und diese große Pflicht künftig nicht mehr mit betrübtem Herzen erfüllen; denn sie wissen, daß teils noch sie selbst in eigner Person, teils aber auch und desto gewisser ihre Nachkommen in kurzem werden Gold machen können. Daß gerade das Küchengeschirr erwähnt wird, hat zur Ursache, weil jener scharfsinnige Geist gerade das vorzüglich schön und groß an dieser Katastrophe findet, daß wir nun nicht mehr so viele verruchte Halbsäuren von gemeinen unedlen niederträchtigen Metallen wie Blei, Kupfer, Eisen und dergl. werden verschlucken dürfen. Ich sah die Sache aus einem andern Gesichtspunkte. Schon oft hatte ich die Objektivität des Goldes im stillen bewundert, ja ich darf wohl sagen angebetet. Bei den Chinesen, dachte ich, bei den Engländern, bei den Russen, auf der Insel Japan, bei den Einwohnern von Fetz und Marokko, ja sogar bei den Kosaken, Tscheremissen, Baschkiren und Mulatten, kurz überall wo es nur einige Bildung und Aufklärung gibt, ist das Silber, das Gold verständlich und durch das Gold alles übrige. Wenn nun erst jeder Künstler diese Materien in hinreichender Quantität besitzt, so darf er ja nur seine Werke in Basrelief schreiben, mit goldnen Lettern auf silbernen Tafeln. Wer würde eine so schön gedruckte Schrift, mit der groben Äußerung, sie sei unverständlich, zurückweisen wollen?

Aber alles das sind nur Hirngespinste oder Ideale: denn Girtanner ist gestorben, und ist demnach für jetzt so weit davon entfernt Gold machen zu können, daß man vielmehr mit aller Kunst nur so viel Eisen aus ihm wird machen können, als nötig wäre, sein Andenken durch eine kleine Schaumünze zu verewigen.

Überdem haben sich die Klagen über die Unverständlichkeit so ausschließlich gegen das »Athenaeum« gerichtet, es ist so oft und so vielseitig geschehen, daß die Deduktion am besten eben da ihren Anfang wird nehmen können, wo uns eigentlich der Schuh drückt.

[365] Schon hat ein scharfsinniger Kunstrichter im »Berliner Archiv der Zeit« das »Athenaeum« gegen diese Vorwürfe freundschaftlich verteidigt, und dabei das berüchtigte Fragment von den drei Tendenzen zum Beispiel gewählt. Ein überaus glücklicher Gedanke! Gerade so muß man die Sache angreifen. Ich werde denselben Weg einschlagen, und damit der Leser umso leichter einsehen kann, daß ich das Fragment wirklich für gut halte, so mag es hier noch einmal stehen:

»Die Französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre und Goethes Meister sind die größten Tendenzen des Zeitalters. Wer an dieser Zusammenstellung Anstoß nimmt, wem keine Revolution wichtig scheinen kann, die nicht laut und materiell ist, der hat sich noch nicht auf den hohen weiten Standpunkt der Geschichte der Menschheit erhoben. Selbst in unsern dürftigen Kulturgeschichten, die meistens einer mit fortlaufendem Kommentar begleiteten Variantensammlung, wozu der klassische Text verloren ging, gleichen, spielt manches kleine Buch, von dem die lärmende Menge zu seiner Zeit nicht viel Notiz nahm, eine größere Rolle als alles, was diese trieb.«

Dieses Fragment schrieb ich in der redlichsten Absicht und fast ohne alle Ironie. Die Art, wie es mißverstanden worden, hat mich unaussprechlich überrascht, weil ich das Mißverständnis von einer ganz andern Seite erwartet hatte. Daß ich die Kunst für den Kern der Menschheit, und die Französische Revolution für eine vortreffliche Allegorie auf das System des transzendentalen Idealismus halte, ist allerdings nur eine von meinen äußerst sujektiven Ansichten. Ich habe es ja aber schon so oft und in so verschiednen Manieren zu erkennen gegeben, daß ich wohl hätte hoffen dürfen, der Leser würde sich endlich daran gewöhnt haben. Alles übrige ist nur Chiffernsprache. Wer Goethes ganzen Geist nicht auch im »Meister« finden kann, wird ihn wohl überall vergeblich suchen. Die Poesie und der Idealismus sind die Centra der deutschen Kunst und Bildung; das weiß ja ein jeder. Aber wer es weiß, kann nicht oft genug daran erinnert werden, daß er es weiß. Alle höchsten Wahrheiten jeder Art sind durchaus trivial und eben darum ist nichts notwendiger als sie immer neu, und wo möglich immer paradoxer auszudrücken, damit es nicht vergessen wird, daß sie noch da sind, und daß sie nie eigentlich ganz ausgesprochen werden können.

Bis hierher ist nun alles ohne alle Ironie, und durfte von Rechts wegen nicht mißverstanden werden; und doch ist es so sehr geschehen, daß ein bekannter Jakobiner, der Magister Dyk in Leipzig, sogar demokratische Gesinnungen darin hat finden wollen.

Etwas andres freilich ist noch in dem Fragment, welches allerdings mißverstanden werden konnte. Es liegt in dem Wort Tendenzen, und da fängt nun auch schon die Ironie an. Es kann dieses nemlich so verstanden [366] werden, als hielte ich die Wissenschaftslehre zum Beispiel auch nur für eine Tendenz, für einen vorläufigen Versuch wie Kants »Kritik der reinen Vernunft«, den ich selbst etwa besser auszuführen und endlich zu beendigen gesonnen sei, oder als wollte ich, um es in der Kunstsprache, welche für diese Vorstellungsart die gewöhnliche und auch die schicklichste ist, zu sagen, mich auf Fichtes Schultern stellen, wie dieser auf Reinholds Schultern, Reinhold auf Kants Schultern, dieser auf Leibnizens Schultern steht, und so ins Unendliche fort bis zur ursprünglichen Schulter. – Ich wußte das recht gut, aber ich dachte, ich wollte es doch einmal versuchen, ob mir wohl jemand einen solchen schlechten Gedanken andichten werde. Niemand scheint es bemerkt zu haben. Warum soll ich Mißverständnisse darbieten, wenn niemand sie ergreifen will? Ich lasse demnach die Ironie fahren und erkläre gerade heraus, das Wort bedeute in dem Dialekt der »Fragmente«, alles sei nur noch Tendenz, das Zeitalter sei das Zeitalter der Tendenzen. Ob ich nun der Meinung sei, alle diese Tendenzen würden durch mich selbst in Richtigkeit und zum Beschluß gebracht werden, oder vielleicht durch meinen Bruder oder durch Tieck, oder durch sonst einen von unsrer Faktion, oder erst durch einen Sohn von uns, durch einen Enkel, einen Urenkel, einen Enkel im siebenundzwanzigsten Gliede, oder erst am jüngsten Tage, oder niemals; das bleibt der Weisheit des Lesers, für welche diese Frage recht eigentlich gehört, anheim gestellt.

Goethe und Fichte, das bleibt die leichteste und schicklichste Formel für allen Anstoß, den das »Athenaeum« gegeben, und für alles Unverständnis, welches das »Athenaeum« erregt hat. Das Beste dürfte wohl auch hier sein, es immer ärger zu machen; wenn das Ärgernis die größte Höhe erreicht hat, so reißt es und verschwindet, und kann das Verstehen dann sogleich seinen Anfang nehmen. Noch sind wir nicht weit genug mit dem Anstoßgeben gekommen: aber was nicht ist kann noch werden. Ja auch jene Namen werden noch mehr als einmal wieder genannt werden müssen, und nur noch heute hat mein Bruder ein Sonett gemacht, welches ich mich nicht enthalten kann, dem Leser mitzuteilen, wegen der reizenden Wortspiele, die er (der Leser) fast noch mehr liebt als die Ironie:


Bewundert nur die feingeschnitzten Götzen,
Und laßt als Meister, Führer, Freund uns Goethen:
Euch wird nach seines Geistes Morgenröten
Apollos goldner Tag nicht mit ergötzen.
Der lockt kein frisches Grün aus dürren Klötzen,
Man haut sie um, wo Feurung ist vonnöten.
Einst wird die Nachwelt all die Unpoeten
Korrekt versteinert sehn zu ganzen Flötzen.
[367]
Die Goethen nicht erkennen, sind nur Goten,
Die Blöden blendet jede neue Blüte,
Und, Tote selbst, begraben sie die Toten.
Uns sandte, Goethe, dich der Götter Güte,
Befreundet mit der Welt durch solchen Boten,
Göttlich von Namen, Blick, Gestalt, Gemüte.

Ein großer Teil von der Unverständlichkeit des »Athenaeums« liegt unstreitig in der Ironie, die sich mehr oder minder überall darin äußert. Ich fange auch hier mit einem Texte an aus den Fragmenten im »Lyceum«:


»Die sokratische Ironie ist die einzige durchaus unwillkürliche und durchaus besonnene Verstellung. Es ist gleich unmöglich sie zu erkünsteln und sie zu verraten. Wer sie nicht hat, dem bleibt sie auch nach dem offensten Geständnis ein Rätsel. Sie soll niemand täuschen, als die, welche sie für Täuschung halten, und entweder ihre Freude haben an der herrlichen Schalkheit, alle Welt zum besten zu haben, oder böse werden, wenn sie ahnden, sie wären auch wohl mit gemeint. In ihr soll alles Scherz und alles Ernst sein, alles treuherzig offen und alles tief versteckt. Sie entspringt aus der Vereinigung von Lebenskunstsinn und wissenschaftlichem Geist, aus dem Zusammentreffen vollendeter Naturphilosophie und vollendeter Kunstphilosophie. Sie enthält und erregt ein Gefühl von dem unauflöslichen Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten, der Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mitteilung. Sie ist die freieste aller Lizenzen, denn durch sie setzt man sich über sich selbst weg; und doch auch die gesetzlichste, denn sie ist unbedingt notwendig. Es ist ein sehr gutes Zeichen, wenn die harmonisch Platten gar nicht wissen, wie sie diese stete Selbstparodie zu nehmen haben, den Scherz gerade für Ernst und den Ernst für Scherz halten.«


Ein andres von jenen Fragmenten empfiehlt sich noch mehr durch seine Kürze:


»Ironie ist die Form des Paradoxen. Paradox ist alles was zugleich gut und groß ist.«


Muß nicht jeder Leser, welcher an die Fragmente im »Athenaeum« gewöhnt ist, alles dieses äußerst leicht ja trivial finden? Und doch schien es damals manchem unverständlich, weil es noch eher neu war. Denn erst seitdem ist die Ironie an die Tagesordnung gekommen, nachdem in der Morgendämmerung des neuen Jahrhunderts diese Menge großer und kleiner Ironien jeder Art aufgeschossen ist, so daß ich bald werde sagen können, wie Boufflers von den verschiedenen Gattungen des menschlichen Herzens:


J'ai vu des coeurs de toutes formes,
Grands, petits, minces, gros, mediocres, énormes.

[368] Um die Übersicht vom ganzen System der Ironie zu erleichtern, wollen wir einige der vorzüglichsten Arten anführen. Die erste und vornehmste von allen ist die grobe Ironie; findet sich am meisten in der wirklichen Natur der Dinge und ist einer ihrer allgemein verbreitetsten Stoffe; in der Geschichte der Menschheit ist sie recht eigentlich zu Hause. Dann kommt die feine oder die delikate Ironie; dann die extrafeine; in dieser Manier arbeitet Skaramuz, wenn er sich freundlich und ernsthaft mit jemand zu besprechen scheint, indem er nur den Augenblick erwartet, wo er wird mit einer guten Art einen Tritt in den Hintern geben können. Diese Sorte wird auch wohl bei Dichtern gefunden, wie ebenfalls die redliche Ironie, welche am reinsten und ursprünglichsten in alten Gärten angebracht ist, wo wunderbar liebliche Grotten den gefühlvollen Freund der Natur in ihren kühlen Schoß locken, um ihn dann von allen Seiten mit Wasser reichlich zu besprützen und ihm so die Zartheit zu vertreiben. Ferner die dramatische Ironie, wenn der Dichter drei Akte geschrieben hat, dann wider Vermuten ein andrer Mensch wird, und nun die beiden letzten Akte schreiben muß. Die doppelte Ironie, wenn zwei Linien von Ironie parallel nebeneinander laufen ohne sich zu stören, eine fürs Parterre, die andre für die Logen, wobei noch kleine Funken in die Coulissen fahren können. Endlich die Ironie der Ironie. Im allgemeinen ist das wohl die gründlichste Ironie der Ironie, daß man sie doch eben auch überdrüssig wird, wenn sie uns überall und immer wieder geboten wird. Was wir aber hier zunächst unter Ironie der Ironie verstanden wissen wollen, das entsteht auf mehr als einem Wege. Wenn man ohne Ironie von der Ironie redet, wie es soeben der Fall war; wenn man mit Ironie von einer Ironie redet, ohne zu merken, daß man sich zu eben der Zeit in einer andren viel auffallenderen Ironie befindet; wenn man nicht wieder aus der Ironie herauskommen kann, wie es in diesem Versuch über die Unverständlichkeit zu sein scheint; wenn die Ironie Manier wird, und so den Dichter gleichsam wieder ironiert; wenn man Ironie zu einem überflüssigen Taschenbuche versprochen hat, ohne seinen Vorrat vorher zu überschlagen und nun wider Willen Ironie machen muß, wie ein Schauspielkünstler der Leibschmerzen hat; wenn die Ironie wild wird, und sich gar nicht mehr regieren läßt.

Welche Götter werden uns von allen diesen Ironien erretten können? das einzige wäre, wenn sich eine Ironie fände, welche die Eigenschaft hätte, alle jene großen und kleinen Ironien zu verschlucken und zu verschlingen, daß nichts mehr davon zu sehen wäre, und ich muß gestehen, daß ich eben dazu in der meinigen eine merkliche Disposition fühle. Aber auch das würde nur auf kurze Zeit helfen können. Ich fürchte, wenn ich [369] anders, was das Schicksal in Winken zu sagen scheint, richtig verstehe, es würde bald eine neue Generation von kleinen Ironien entstehn: denn wahrlich die Gestirne deuten auf fantastisch. Und gesetzt es blieb auch während eines langen Zeitraums alles ruhig, so wäre doch nicht zu trauen. Mit der Ironie ist durchaus nicht zu scherzen. Sie kann unglaublich lange nachwirken. Einige der absichtlichsten Künstler der vorigen Zeit habe ich in Verdacht, daß sie noch Jahrhunderte nach ihrem Tode mit ihren gläubigsten Verehrern und Anhängern Ironie treiben. Shakespeare hat so unendlich viele Tiefen, Tücken, und Absichten; sollte er nicht auch die Absicht gehabt haben, verfängliche Schlingen in seine Werke für die geistreichsten Künstler der Nachwelt zu verbergen, um sie zu täuschen, daß sie ehe sie sichs versehen, glauben müssen, sie seien auch ungefähr so wie Shakespeare? Gewiß, er dürfte auch wohl in dieser Rücksicht weit absichtlicher sein als man vermutet.

Ich habe es schon indirekt eingestehen müssen, daß das »Athenaeum« unverständlich sei, und weil es mitten im Feuer der Ironie geschehen ist, darf ich es schwerlich zurücknehmen, denn sonst müßte ich ja diese selbst verletzen.

Aber ist denn die Unverständlichkeit etwas so durchaus Verwerfliches und Schlechtes? – Mich dünkt das Heil der Familien und der Nationen beruhet auf ihr; wenn mich nicht alles trügt, Staaten und Systeme, die künstlichsten Werke der Menschen, oft so künstlich, daß man die Weisheit des Schöpfers nicht genug darin bewundern kann. Eine unglaublich kleine Portion ist zureichend, wenn sie nur unverbrüchlich treu und rein bewahrt wird, und kein frevelnder Verstand es wagen darf, sich der heiligen Grenze zu nähern. Ja das Köstlichste was der Mensch hat, die innere Zufriedenheit selbst hängt, wie jeder leicht wissen kann, irgendwo zuletzt an einem solchen Punkte, der im Dunkeln gelassen werden muß, dafür aber auch das Ganze trägt und hält, und diese Kraft in demselben Augenblicke verlieren würde, wo man ihn in Verstand auflösen wollte. Wahrlich, es würde euch bange werden, wenn die ganze Welt, wie ihr es fodert, einmal im Ernst durchaus verständlich würde. Und ist sie selbst diese unendliche Welt nicht durch den Verstand aus der Unverständlichkeit oder dem Chaos gebildet?


Ein andrer Trostgrund gegen die anerkannte Unverständlichkeit des »Athenaeums« liegt schon in der Anerkennung selbst, weil uns eben diese auch belehrte, das Übel werde vorübergehend sein. Die neue Zeit kündigt sich an als eine schnellfüßige, sohlenbeflügelte; die Morgenröte hat Siebenmeilenstiefel angezogen. – Lange hat es gewetterleuchtet am [370] Horizont der Poesie; in eine mächtige Wolke war alle Gewitterkraft des Himmels zusammengedrängt; jetzt donnerte sie mächtig, jetzt schien sie sich zu verziehen und blitzte nur aus der Ferne, um bald desto schrecklicher wiederzukehren: bald aber wird nicht mehr von einem einzelnen Gewitter die Rede sein, sondern es wird der ganze Himmel in einer Flamme brennen und dann werden euch alle eure kleinen Blitzableiter nicht mehr helfen. Dann nimmt das neunzehnte Jahrhundert in der Tat seinen Anfang, und dann wird auch jenes kleine Rätsel von der Unverständlichkeit des »Athenaeums« gelöst sein. Welche Katastrophe! Dann wird es Leser geben die lesen können. Im neunzehnten Jahrhundert wird jeder die »Fragmente« mit vielem Behagen und Vergnügen in den Verdauungsstunden genießen können, und auch zu den härtesten unverdaulichsten keinen Nußknacker bedürfen. Im neunzehnten Jahrhundert wird jeder Mensch, jeder Leser die »Lucinde« unschuldig, die »Genoveva« protestantisch und die didaktischen »Elegien« von A.W. Schlegel fast gar zu leicht und durchsichtig finden. Es wird sich auch hier bewähren was ich in prophetischem Geiste in den ersten »Fragmenten« als Maxime aufgestellt habe:


»Eine klassische Schrift muß nie ganz verstanden werden können. Aber die welche gebildet sind und sich bilden, müssen immer mehr draus lernen wollen.«


Die große Scheidung des Verstandes und des Unverstandes wird immer allgemeiner, heftiger und klarer werden. Noch viel verborgne Unverständlichkeit wird ausbrechen müssen. Aber auch der Verstand wird seine Allmacht zeigen; er der das Gemüt zum Charakter, das Talent zum Genie adelt, das Gefühl und die Anschauung zur Kunst läutert; er selbst wird verstanden werden, und man wird es endlich einsehen und eingestehen müssen, daß jeder das Höchste erwerben kann und daß die Menschheit bis jetzt weder boshaft noch dumm, sondern nur ungeschickt und neu war. Ich tue mir Einhalt um die Verehrung der höchsten Gottheit nicht vor der Zeit zu entweihen. Aber die großen Grundsätze, die Gesinnungen, worauf es dabei ankommt, dürfen ohne Entweihung mitgeteilt werden; und ich habe versucht das Wesentliche davon auszudrücken, indem ich mich an einen ebenso tiefsinnigen als liebenswürdigen Vers des Dichters anschloß, in derjenigen Form der Dichtung, welche die Spanier Glosse nennen; und es bleibt nun nichts zu wünschen übrig, als daß einer unsrer vortrefflichen Komponisten die meinige würdig finden mag, ihr eine musikalische Begleitung zu geben. Schöneres gibt es nichts auf der Erde, als wenn Poesie und Musik in holder Eintracht zur Veredlung der Menschheit wirken.


[371]
Eines schickt sich nicht für alle,
Sehe jeder wie er's treibe,
Sehe jeder wo er bleibe,
Und wer steht daß er nicht falle.
Dieser weiß sich sehr bescheiden
Jener bläst die Backen voll;
Dieser ist im Ernste toll,
Jener muß ihn noch beneiden.
Alle Narrheit kann ich leiden,
Ob sie genialisch knalle,
Oder blumenlieblich walle;
Denn ich werd' es nie vergessen,
Was des Meisters Kraft ermessen:
Eines schickt sich nicht für alle.
Um das Feuer zu ernähren,
Sind viel zarte Geister nötig,
Die zu allem Dienst erbötig,
Um die Heiden zu bekehren.
Mag der Lärm sich nun vermehren,
Suche jeder wen er reibe,
Wisse jeder was er schreibe,
Und wenn schrecklich alle Dummen
Aus den dunkeln Löchern brummen,
Sehe jeder wie er's treibe.
Ein'ge haben wir entzündet,
Die nun schon alleine flammen;
Doch die Menge hält zusammen,
Viel Gesindel treu verbündet.
Wer den Unverstand ergründet,
Hält sich alle gern vom Leibe,
Die geboren sind vom Weibe.
Ist der Bienenschwarm erregt,
Den das neu'ste Wort bewegt,
Sehe jeder wo er bleibe.
Mögen sie geläufig schwatzen,
Was sie dennoch nie begreifen.
Manche müssen irre schweifen,
Viele Künstler werden platzen.
Jeden Sommer fliegen Spatzen,
Freuen sich am eignen Schalle:
Reizte dies dir je die Galle?
Laß sie alle selig spielen,
Sorge du nur gut zu zielen,
Und wer steht daß er nicht falle.
[372]

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Ästhetische und politische Schriften. Über die Unverständlichkeit. Über die Unverständlichkeit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D79E-E