[343] §. 5. Die bergentrückten Götter und Helden.
In den Höhlen der Berge wohnten die ersten Menschen, dort bestatteten sie auch die Toden zur Ruhe des Grabes. Darum liegen die Stammväter der Völker, ihre Helden und Fürsten der Urzeit, im Berge begraben. Zur letzten Ruhestätte gingen sie »in den Berg« ein.
Jedes der einzelner Germanischen Völker leitet seinen Ursprung von einem Ahnherrn, zugleich Fürst und Held, der selber wieder einen Gott zum Vater hat, als dessen Inkarnation erscheint. Den ältesten Germanen aber wohnten selbst die Götter in den Bergen, erst später auf deren Gipfel.
Läßt daher ein Germanischer Volksstamm seinen Begründer im Berge begraben seyn, so lag eine Vermischung des Stammvaters, der selber göttlicher Abkunft, mit dem Gotte, der gleichfalls darin thronte, ganz nahe.
Alle Germanen stammen nach Tacitus von Mannus, dem Sohne Tuisko's, dem Sohne der Erde; es müssen daher auch alle Ahnherrn der einzelnen Stämme in letzter Reihe von dem nämlichen Gotte ausgehen, den wir vorerst in Wodan erkennen. Von ihm leiten sich alle germanischen Fürstengeschlechter ab. Treten andere Namen an die Stelle, so ist es eben Uebertragung, Verjüngung der Mythe.
In dem Namen des Deutschen Kaisers, sey es der Franke, Sachse oder Schwabe, fällt aber jedes [344] deutschen Stammes Gott wie Held zusammen. Dieser Name ist Inbegriff alles Glanzes und Ruhmes, aller Grösse und Macht, und noch träumt das Volk von ihm, bey dem alle Fürsten Europas zu Lehen gingen. Darum ist auch der Kaiser nicht gestorben, erschläft nur. Ja er darf nicht sterben, denn sein Volk kann seiner nicht entbehren. Es wird eine Zeit kommen, wo des bedrängten Volkes letzter Nothruf an das Ohr des Schläfers schlägt, daß er aufwache aus dem Schlafe und sein Volk zum Siege führe, um jene glanzvollen Tage der Vergangenheit wieder zu bringen. Hinter dem Kaiser steht aber Wodan, der Schlachtengott, mit seinen Helden, den Einherjar. Darum sagt auch der Spruch des Volkes: »Der alte Gott verläßt den Deutschen nicht.« Das würde allerdings zu grosser Hoffnung berechtigen, so nicht der leidige Nachsatz wäre: »wenn es ihn nicht hungert, so dürstet es ihn doch.« Damit geht die Hoffnung wieder zu Grabe. Zwar lautet auch eine wundersame Sage aus Türschenreut, vielmehr Wondreb, daß der Kaiser kommen werde in weissem Kleide, weissen Haaren und mit einem hölzernen Beine, somit alt und krüppelhaft. Doch würde dieses nichts verschlagen, wenn er nur seine jungen kräftigen Deutschen zum Siege führt.
Zum Streite aufbewahrt, schlafen also die Fürsten und Helden der Völker im Junern der Berge, ja die Götter, und wenn es Zeit ist zum Kampfe, der dem Volke den Untergang droht, so erwachen sie und stehen den Ihrigen siegend zur Seite mit den Mannen, welche seither gleich ihnen den langen Schlaf geschlafen.
[345] Jeder eigene Stamm hat nun seinen Berg, sein Schlachtfeld. Für die Oberpfalz ist jener vorzugsweise das Fichtelgebirg, dieses am kalten Baum. Wäre der Oberpfälzer altbayerischen Blutes, so würde der Zug des Herzens nach dem Untersberge und dem Walserfelde führen. Auch scheidet er sich von dem Altbayer durch den sibyllinischen Spruch: »Die Oberpfalz wird am längsten stehen, doch wird es ihr am härtesten gehen;« oder: »sie wird am längsten stehen, aber durch eigenes Verschulden zu Grunde gehen.«