An Vienna

Warum jammerst du so, du Königin über den Städten?
Warum bist du so bleich? Warum flattert dein Haar
Ausgelöst dir um den Nacken? Warum geißelst mit Seufzern
Du die Lüfte um dich? All deines Schmuckes beraubt
Irrst du am Ufer der Donau, mehrest mit Thränen die Welle?
Hohe Klagerin, sprich: Warum jammerst du so?

Vienna.

Joseph neiget sein Haupt; drum rinnen mir blutige Thränen
Ueber die Backen herab. Joseph neiget sein Haupt,
Völkervater war Er – ein Gottnachahmender Herrscher.
Darum klag' ich so sehr. Müde der schallenden Lust
Wünsch' ich nur Gräbergeheul, nur Todtengewimmer zu hören.
Darum zerriß ich mein Kleid, streute mir Asche ins Haar.
An Vienna.

Joseph neiget sein Haupt? – Ich klage, du hohe Vienna,
Ach, ich klage mit dir um den erhabenen Mann!
Seiner Größe gigantischer Schatten fiel auch ins Ausland,
Groß und hoch war sein Geist, tief und menschlich sein Herz.
Welcher Beherrscher der Erde glich dem göttlichen Cäsar?
Darum gieß' ich, wie du, blutige Zähren herab.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. Gedichte. Gedichte. Politisches und Zeitgeschichtliches. Auf Oestreich und das deutsche Kaiserthum. An Vienna. An Vienna. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0374-F