[150] Am 11ten März 1816

Sie, die sich treu dem Wankenden verbanden,
Als feindlich mir mein böser Stern erschien,
Die Einzigen, die ganz mein Herz verstanden
Und Liebe mir für Liebe gern verliehn,
Sie seh' ich jetzt hinweg zu fernen Landen
Der schönen Pflicht, dem Lohn entgegen ziehn;
Ich muß allein in diesem armen Treiben
Der kalten Welt mit glüh'ndem Herzen bleiben.
Wohl würde dort in jenem reichen Leben,
Wo, gleich dem Licht im hellen Edelstein,
Mit freyem Glanz die regen Funken schweben
Und immer neu ihr farb'ges Feuer streun,
Auch meine Kraft gereizter sich erheben
Und fröhlicher die Fantasie gedeihn.
Wo Strahlen gern an Strahlen sich entzünden,
Wohl würd' auch ich dort Gunst und Liebe finden.
[151]
Hier muß ich scheu die heil'ge Gluth verhüllen
Und dämpfen, was ein Gott mir angefacht,
Und wenn auch heiß mich tausend Flammen füllen
Und mächtig Lust und Leid in mir erwacht,
Nicht kann ich hier den Durst des Herzens stillen,
Denn keiner ist, der mit mir weint und lacht.
In eigner Brust muß ich den Frühling tragen,
Und dennoch sieht mein Blick ihn nimmer tagen.
Und ach, doch hält ein trügerisches Sehnen,
Ein langer Wahn, ein nie errung'nes Glück,
Ein ew'ger Kampf um Schmerzen nur und Thränen
Von neuem stets den Fliehenden zurück!
Für jenen Lenz, den tausend Strahlen krönen,
Begehr' ich hier nur einen holden Blick.
Ach, du nur bist's, du meine Lust, mein Leiden,
Du mein Geschick, du läßt mich nimmer scheiden.
Wie tausendfach die Wurzeln sich durchwinden,
Woraus der Baum zum Himmel sich erhebt,
So ist mein Thun, mein Denken, mein Empfinden,
Mein ganzes Seyn mit diesem Ort verwebt,
Und Berg und Thal, Quell, Wies' und Hain verkünden,
Wie ich geliebt, gelitten und gelebt.
Das Theuerste, was mir die Welt beschieden,
Es lacht und blüht, es schlummert hier im Frieden.
Wohl mag, geraubt den mütterlichen Auen,
Ein zarter Strauch im fremden Boden stehn;
Doch wird umsonst der Himmel ihn bethauen,
Umsonst der Hauch des Lenzes ihn umwehn,
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Sehnsüchtig wird die Blüthe dorthin schauen,
Wo sie zuerst das schönre Licht gesehn.
Der kurze Reiz, den Sorg' und Fleiß ihr geben,
Ist nur ein Traum, ein nachgeahmtes Leben.
So häng' auch ich an deinen sel'gen Blicken,
So bin ich fest an deinen Pfad gebannt,
Und trage stolz die Fesseln, die mich schmücken,
Und wähne süß den Schmerz von deiner Hand.
Nicht kann die Gunst der Fremden mich beglücken,
Hier weilt mein Herz, hier ist mein Vaterland.
Kein blüh'nder Kranz darf meine Locken krönen;
Mein Lorbeer wuchs, gepflegt von Gram und Thränen.
Welch Schicksal hier die Götter mir bereiten,
Ich weiß es nicht und mag es nicht erspähn.
Mir ward bestimmt, durch Dunkel fortzuschreiten,
Verschleyert nur die schöne Welt zu sehn.
Ein Licht nur glänzt, mich durch die Welt zu leiten,
Und schwindet nie, wie auch die Stürme wehn.
Mein Herz erkennt, woher sein Glanz mir schimmert,
Wohin es ruft, das hat mich nie bekümmert.
Denn wie der Stern zu jenem sel'gen Kinde
Die Weisen einst durch fernes Land geführt,
So folg' auch ich, wie auch der Pfad sich winde,
Wie auch das Ziel im Dunkel sich verliert.
Eins weiß ich doch, daß ich ein Kleinod finde,
Das selbst den Schmerz mit gold'nen Strahlen ziert,
Denn schönern Ruhm kann nie das Herz erwerben,
Als treu zu seyn im Leben und im Sterben.
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Wohl wird vielleicht nach wenig kurzen Tagen
Im langen Schlaf mir jeder Wunsch gestillt.
Gern hör' ich jetzt die dunkle Stunde schlagen,
Mein Herz ist leicht und mein Gelübd' erfüllt;
Denn was ich tief in treuer Brust getragen,
Strahlt herrlich jetzt, ein himmlisch lichtes Bild,
Und seit ich jungst den freud'gen Sieg gewonnen,
Ist halb die Nacht des Lebens mir zerronnen.
Und wie, genaht des Grabes stiller Schwelle,
Der Sterbende noch einmal froh erwacht,
Und in dem Blick ihm überird'sche Helle
Und Morgenroth auf seiner Wange lacht,
Als ob sich Erd' und Himmel schon geselle,
Und schon in Eins zerrinnen Licht und Nacht,
So scheint auch mir, daß jetzt, indem ich scheide,
Sich freundlicher mein finstres Leben kleide.
Denn jener Traum aus längstverblühten Stunden,
Als ich beglückt zu deinen Füßen saß,
Und süß getäuscht, ach, was nur ich empfunden,
In deinem Blick, in deinem Lächeln las,
Der sel'ge Traum, der mir so bittre Wunden,
So tiefe schlug, wovon ich nie genas;
Wie Blumen, die am dunkeln Abgrund sprießen,
So scheint er jetzt noch einmal mich zu grüßen.
So sah ich einst dein Bild sich mir verklären,
So hat auch einst dein Auge mir gelacht,
So freundlich einst, den Kummer zu beschwören,
Dein mildes Herz für deinen Freund gewacht.
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O laß den Wahn bis an mein Ende währen!
O wandle nicht von neuem Tag in Nacht!
Nur kurze Zeit laß mir den Himmel offen!
Bald werd' ich Nichts mehr bitten, Nichts mehr hoffen.
O sey mir mild! Jetzt bin ich ganz verlassen,
Wenn noch einmal, wie einst, dies Glück verblüht;
Kein Freundesarm kann jetzt mich rettend fassen,
Wenn mich der Sturm in seine Strudel zieht.
O sey mir mild! du kannst ja den nicht hassen,
Der gern für dich von allem Theuern schied,
Der nicht gezagt, ein ganzes reiches Leben
Für einen Wunsch, für einen Schmerz zu geben.
Wohl mag das Spiel mit nie getäuschten Pfeilen,
Der sichre Sieg ein stolzes Herz erfreun,
Doch schöner ist's, den Blutenden zu heilen
Und mächtig zwar, doch milder noch zu seyn.
Dein bin ich längst, ich kann dir nicht enteilen,
So achte denn mein Wohl und Weh auch dein.
Der nie gefragt, wie schwer sie ihn umwinden,
Laß unverhofft ihn leicht die Ketten finden.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Gedichte. Poetisches Tagebuch. Zwey Augenblicke. Am 11ten März 1816. Am 11ten März 1816. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0420-3