[54] 23.

Graunvoll saust, durch den gellenden Forst hintobend, der Sturmwind,
Laut an Fenster und Dach schmettert des Regens Gewalt;
Sieh, wie die Fichte sich tief hinbeugt, wie sie kämpfend emporstrebt,
Horch, wie herab von den Höhn wild das Gewässer sich stürzt!
Ueber den Harzwald wälzt, wie ein finsterer Geist, sich der Wolke
Kämpfendes Spiel, und es wogt rings die beflügelte Nacht.
Kalt ist's draußen und dunkel im Hain: doch es flammt mir im Zimmer
Fröhlich die Gluth, und das Herz leuchtet im heiteren Glanz.
Lieder der Schlacht heult draußen der Sturm: doch dem friedlichen Dichter
Sendet des Liebchens Blick Lieder der Lieb' und der Lust.
Würzt sie selbst doch das Mahl mir im stillen Gemach, und bekränzt sie
Selbst doch freundlich mit Wein, wenn ich ihr winke, den Kelch,
Nippt mit dem rosigen Mund, vorkostend den Trank, und erröthend
Beut sie der Wang' und des Weins doppelte Gluthen mir dar.
[55]
Mährchen erzählen wir uns, graunhafte Gedichte der Vorzeit,
Wähnen die Nixe zu sehn, welche den Knaben geraubt,
Hören, wie laut die verzauberte Jagd in's gellende Horn stößt,
Und wie die Elf' im Hain singend den Schleier sich webt.
Süß ist's, wenn aufdämmernd die Furcht wie ein Nebelgebild' uns
Schweigend um Augen und Herz schleicht aus der Tiefe der Brust!
Näher rücken wir dann auf dem traulichen Sitz, und die Hand sucht
Schmeichelnd die Hand, und es klopft bebend am Herzen das Herz.
Leise beruhiget bald mein kosendes Wort die Verzagte,
Während im Busen mir selbst heimliches Grausen noch weilt;
Ach, dann hebt sie das Auge so klar, und mein sehnender Geist sinkt
Still in des seligen Blicks heilige Tiefen hinab.
Kinder scheinen wir dann: doch es braust aufwachend der Jüngling
Stürmischer oft, und es wehrt ernster das sittige Weib.
Blume des öden Gebirgs, wie hat die Natur in den Kelch dir
Jeglichen Reiz, den die Kunst nimmer ertheilte, gelegt!
Du nur lehrtest zuerst mich die reinere Lust, wenn der Sehnsucht
Brennender Hauch in der Zucht freundlichem Thaue sich kühlt.
Schüchterner werd' ich und friedlicher stets, je freyer dein Blick mir
Lächelt, je mehr dein Herz gläubig dem meinen vertraut.
[56]
Walte nur fort, schwarzwogende Nacht! Hier glänzt mir der Sonne
Heiterster Strahl, hier wärmt fröhlich die Flamme der Lust;
Rastlos tob', o Sturm! dein Drohn schützt sicher der Liebe
Stilles Gemach, und hält jeglichen Wanderer fern.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Gedichte. Elegieen. 23. [Graunvoll saust, durch den gellenden Forst hintobend, der Sturmwind]. 23. [Graunvoll saust, durch den gellenden Forst hintobend, der Sturmwind]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0575-C