[12] 1.
»Bah! Kam, – oder ging vielmehr, in Gesellschaft eines Freundes, und gewissermaßen endossiert von einer Kompanie unserer aufgeklärten New-Yorker item Yankees, die damals gerade ihren unternehmenden Spekulationsgeist auf Texas gerichtet – mit andern Worten, ich hatte das Glück oder Unglück, wie Sie es nennen wollen, einen sogenannten Texas-Land-Scrip zu besitzen, das heißt, ein Zertifikat, ausgestellt von der Galveston-Bai- und Texas-Land-Kompanie, männiglich kund und zu wissen tuend, daß Mister Edward Morse, das ist, unsere werte Person, eine runde Summe von tausend Dollar in die Hände der Cashiers besagter Kompanie niedergelegt, für welche Niederlage er, bemeldter Edward Morse, berechtigt sein sollte, sich innerhalb des Gebietes obbesagter Galveston-Bai- und Texas-Land-Kompanie eine Strecke von nicht mehr, noch weniger denn zehntausend Acker Landes herauszulesen, sie eigentümlich in Besitz zu nehmen, sich darauf niederzulassen, kurz, alle und jede Befugnisse eines Eigentümers auszuüben oder ausüben zu lassen, bloß unter der einzigen Bedingung, daß bei der Auswahl seiner zehntausend Acker er nicht frühern Rechten oder Besitztiteln in den Weg trete.«
»Recht gut!« ermunterten ihn ein Dutzend Stimmen. »Weiter, weiter!«
»Zehntausend Acker im schönsten Lande der Erde und unter einem Himmel«, fuhr der Oberst fort, »gegen den unser maryländischer eine Hölle sein sollte, war allerdings ein viel zu lockender Köder, um nicht zu einer Zeit angebissen zu werden, wo, wie jeder sich zu erinnern wissen wird, das Anbeißen bei uns halb Mode – und ganz Epidemie war und unsere freien und erleuchteten Mitbürger ebenso zuversichtlich in den Millionen Acker von Texas als den hunderttausend Städten Ohios, Indianas, Illinois' und Michigans, den zehntausend Eisenbahnen und zwanzigtausend Banken spekulierten; ein Spekulationsfieber,[12] das erst einige Jahre darauf für die nächstkommenden zehn oder fünfzehn, wollen wir hoffen, kuriert wurde. Ich hatte, wie zu erwarten stand, angebissen und infolge dieses Anbeißens mich mit einem Freunde, der eine gleiche Anzahl Acker auf dem Papiere besaß, und einem Teil meiner Garderobe nach dem vielbelobten Lande eingeschifft; jedenfalls willens, meinen Anteil herauszuschneiden, vorläufig davon Besitz zu nehmen; gefiele mir das Land nicht, ihn zu versilbern, gefiele es mir aber, nach Maryland zurückzukehren, meine fahrende Habe, und was in solchen Fällen notwendig ist, mitzunehmen und dann alles Ernstes da meinen Herd aufzuschlagen.
Wir gingen in Baltimore an Bord des schnellsegelnden Schoners ›The Catcher‹ und kamen nach einer dreiwöchigen Fahrt glücklich in Galveston-Bai an.
Die Küsten von Galveston-Bai, in die der Rio de Brazos einmündet, sind nicht so grausenerregend zu schauen wie die Louisianas und der Mündungen des Mississippi, aber aus dem ganz einfachen Grunde, weil sie eben nicht zu schauen sind. Man sieht weder Mündung noch Land. Eine Insel dehnt sich etwa sechzig Meilen vor diesem wie eine ungeheure flachgedrückte Eidechse hin – sie wird Galveston-Insel genannt –, hat aber weder Hügel noch Tal, weder Haus noch Hof, nicht einmal einen Baum, mit Ausnahme dreier verkrüppelter Auswüchse am westlichen Ende, die aber bei der gänzlichen Flachheit des Bodens doch weit hinaus sichtbar sind. In der Tat würde ohne diese drei Zwergbäume das Auffinden der Mündung eine schwere Aufgabe sein. Die erfahrensten Seeleute geraten hier in nicht geringe Verlegenheit; denn da das Land nur linienweise aus dem Meere gleichsam herausschwillt, verschwindet es auch wieder hinter jeder noch so leichten Welle, ja das wogende Grün der Gräser ähnelt den Wellen des gleichfalls grünen Küstenwassers so täuschend, daß wirklich ein scharfes Auge dazu gehört, die einen von den andern zu unterscheiden, und wir, wie gesagt, es bloß den erwähnten Zwergbäumen zu verdanken hatten, daß wir unsern Weg der Mündung zu fanden. Wir hielten uns ganz an sie, etwa zehn Meilen längs der Insel hinfahrend, bis uns ein Pilot entgegenkam, der dann die Leitung des Schoners übernahm. Doch kamen wir nicht so leicht über die Sandbänke, mehrmals streiften wir, zweimal saßen wir ganz fest, und nur mit der vereinigten Hilfe unserer dreißig, oder besser zu sagen, sechzig Hände gelangten wir endlich in die Mündung des Flusses. [13] Ich mit meinem Freunde und zwei Mitpassagieren war, nachdem wir den Schoner über die letzte gefährliche Sandbank bugsieren geholfen, im Boote vorausgegangen, auch bereits dem Lande nahe, als das Boot in der Brandung umschlug und uns sämtlich in den Wellen begrub. Glücklicherweise war das Wasser nicht mehr tief, sonst hätte uns unsere Ungeduld teuer zu stehen kommen können; so kamen wir mit einem tüchtigen Bade und einem Erbsenwasserrausche davon.«
»Feuchtet an, Oberst Morse!« unterbrach ihn hier der rotnasige Mayordomo, »feuchtet an!«
Der Oberst befolgte lächelnd den Rat und fuhr dann fort:
»Ans Land gekrochen, waren wir bereits eine geraume Weile gestanden, aber uns allen war es, als ob wir noch immer auf offener See führen. Das Land hatte so gar nichts Landähnliches. In unserm Leben hatten wir keine solche Küste gesehen. Es war aber auch keine Küste, kein Land zu sehen, wenigstens war es uns nicht möglich, die eine und das andere von der See zu unterscheiden. Einzig der Wogenschaum, der, sich an den Gräsern absetzend, in einem endlosen Streifen vor unsern Augen hinzog, deutete auf etwas wie eine Grenzscheide.
Denken Sie sich eine unübersehbare, hundert oder mehr Meilen vor Ihren Augen hinlaufende Ebene, diese Ebene ohne auch nur die mindeste Erhöhung oder Senkung mit den zartesten, feinsten Gräsern überwachsen – von jedem Hauche der Seebriese gefächelt – in Wellen rollend – durch nichts unterbrochen – weder Baum noch Hügel, Haus noch Hof –, und Sie werden sich eine schwache Vorstellung von der seltsamen Erscheinung dieses Landes bilden können.
Etwa zehn bis zwölf Meilen gegen Norden und Nordwesten tauchten freilich einige dunkle Massen auf, die, wie wir später erfuhren, Baumgruppen waren, aber unsern Augen erschienen sie als Inseln. Auch heißen diese Baumgruppen, deren es unzählige in den Präries von Texas gibt, wirklich, charakteristisch genug, Inseln, und sie gleichen ihnen auch auf ein Haar.«
»Seltsames Land das!« bemerkte spöttisch Colonel Cracker.
»Ein rückwärts hinter einer schmalen Landzunge stehendes Blockhaus, von dem die Flagge der mexikanischen Republik stolz herabwehte, überzeugte uns endlich, daß wir denn doch auf festem Lande waren«, fuhr der Erzähler, ohne den Spötter zu beachten, fort.
[14] »Dieses Blockhaus, damals das einzige Gebäude, das den Hafen von Galveston zierte oder verunzierte, hatte, wie Sie leicht denken mögen, der Bestimmungen viele. Es war Hauptzollamt, Sitz des Douanen-Direktors, des Zivil- und Militärintendanten und Kommandanten, Garnison der da stationierten Kompanie mexikanischer Truppen, Hauptquartier ihres Chefs, des Kapitäns, und schließlich Gasthof, Wein-und Rumschenke. Neben dem Zerrbilde, das den mexikanischen Adler vorstellen sollte, prangte eine Rumflasche, und die Flagge der Republik wallte schützend über Brandy, Whisky und ›Accommodation for man and beast‹ herab. Vor dem Blockhause biwakierte die gesamte Garnison, eine Kompanie, aus zwölf zwergartigen, spindelbeinigen Kerlchen bestehend, die ich mir mit meiner Reitpeitsche alle davonzujagen getraut hätte, keiner größer als unsere zwölf-oder vierzehnjährigen Buben und bei weitem nicht so stark, aber alle mit furchtbarem Backen- und Knebel-und Zwickel- und allen Arten von Bärten, auch gräulichen Runzeln. Sie hockten um ein altes Brett herum, auf dem sie so eifrig Karte spielten, daß sie sich kaum die Zeit nahmen, uns zu besehen. Doch kam ihr Chef uns freundlich aus dem Hause entgegen.
Kapitän Cotton, früher Herausgeber der Mexican Gazette, jetzt Zivil- und Militärintendant des Hafens von Galveston, Douanen-Direktor, Hafeninspektor, auch Gast- und Schenkwirt und unser Landsmann obendrein, schien sich, zur Ehre seines gesunden Menschenverstandes sei es bemerkt, weit mehr auf seine vortrefflichen spanischen und französischen Weine, die er denn freilich zollfrei einlagerte, als auf seine vielen Ehrenstellen, deren er mehr hatte als Soldaten, einzubilden. Erbärmlichere Soldaten habe ich aber auch alle Tage meines Lebens nicht gesehen als diese ausgedorrten Zwerge; sie kamen mir ordentlich wie Kobolde oder Spukmännchen vor, die irgendein alter Zauberer hieher versetzt. Wir konnten uns an ihnen nicht sattsehen, und je länger wir sie anschauten, desto wunderlicher kamen sie uns vor, ja ordentlich unheimlich wurden sie uns, und mit ihnen das ganze Land, das uns wie eine endlose Billardtafel erschien. Es ist aber auch eine ganz eigentümliche Empfindung, nach einer dreiwöchigen Seefahrt in einen Hafen einzulaufen, der kein Hafen ist, und ein Land, das halb und halb auch kein Land ist. Noch immer schien es uns, als müßte es jeden Augenblick unter unsern Füßen wegschwellen. Unsere Mitpassagiere, deren mehrere nun gleichfalls [15] ausgestiegen, starrten geradeso verblüfft und verwirrt wie wir und eilten mit einer Hast dem Blockhause zu, die offenbar verriet, daß sie von gleicher Angst getrieben wurden. Als wir uns im Blockhause umschauten, deuchte uns die unermeßliche, unübersehbare Wiesen- und Wasserwelt ein einziges Ganzes, aus dem unser Blockhaus wie eine Felseninsel emporstarrte. Wirklich fühlten wir uns erleichtert, als wir uns wieder am Bord unsers Schoners befanden.
Die dreißig Meilen von der Mündung des Brazos hinauf nach Brazoria zu fahren, nahm uns drei volle Tage. Am ersten dieser drei Tage fuhren wir durch eine immerwährende Wiese, am zweiten rückten wir den Inseln näher; die Wiese wurde zum Parke, rechts und links tauchten in meilenweiter Entfernung die prachtvollsten Baumgruppen auf, aber keine Spur menschlichen Daseins in diesem herrlichen Parke – ein unermeßlicher Ozean von Gräsern und Inseln.
Es ergreift aber ein solcher Ozean von Gräsern und Inseln das Gemüt des Neulings noch weit mehr als der Ozean der Wässer. Wir sahen dies an unsern Reisekompagnons, Landjägern so wie wir, nur daß sie nicht überflüssig mit dem circulating medium gesegnet, auch ohne Scrips kamen; übrigens nichts weniger als empfindsame Yorick-Reisende, im Gegenteil meistens wilde Bursche, die es während der drei Wochen oft toll genug getrieben. Hier wurden sie jedoch alle ohne Ausnahme nüchtern, ja ernst und gesetzt. Die wildesten, und ein paar waren wirklich so wild-rohe Bursche, als je auf Abenteuer ausgingen, wurden stumm, ließen keine der rohen, schmutzigen und selbst gotteslästerlichen Zoten hören, die uns zur See so oft mit Ekel erfüllt. Sie betrugen sich wie Leute, die zur Kirche gehend soeben in den Tempel des Herrn eintreten. Ein feierlich solenner Ausdruck in aller Mienen. Aber wir hatten auch gewissermaßen die Vorhalle des Tempels des Herrn betreten, denn einem wahren Tempel glich die grandiose Natur um uns herum. Alles so still, feierlich und majestätisch! Wald und Flur, Wiesen und Gräser, so rein, so frisch, gerade als wären sie soeben aus der Hand des ewigen Werkmeisters hervorgegangen. Keine Spur der sündigen Menschenhand, die unbefleckte, reine Gotteswelt!
Fünfzehn Meilen oberhalb der Mündung des Rio Brazos fuhren wir in den ersten Wald ein. Sycamores, später Pecans wölbten sich [16] zu beiden Seiten über den Fluß herüber, und, den Genuß zu erhöhen, erschienen auch ein Rudel Hirsche und eine starke Flucht von Welschhühnern; beide aber bereits ziemlich scheu brachen, kaum daß sie uns erblickten, auch aus. Der Boden des Landes war jedoch, wie Sie leicht ermessen können, unser Hauptaugenmerk. An der Küste hatten wir ihn leicht sandig gefunden, mit einer sehr dünnen Kruste fruchtbarer Dammerde, aber ohne alle Anzeichen von Sumpf oder Schlamm; weiter hinauf wurde die Schicht der fruchtbaren Dammerde dicker, sie lagerte von einem bis vier, acht, zwölf, endlich fünfzehn, und bei Brazoria zwanzig Fuß über der Sand- und Lehmunterlage. Noch hatten wir nichts, was einem Hügel oder Steine ähnelte, gesehen, und in der Tat dürfte es schwer werden, hundert Meilen weit und breit einen Stein, auch nur so groß wie ein Taubenei, zu entdecken. Dafür fehlte es jedoch nicht an Holz, um Häuser zu bauen und Einfriedigungen zu stellen, und dies beruhigte uns wieder. Unsere Hoffnungen wuchsen mit jeder Meile.«
»Das muß das Land sein, wo die Hufnägel, zur Erde geworfen, über Nacht zu Hufeisen werden«, bemerkte lachend Oberst Cracker.
Der Oberst fuhr fort:
»In Brazoria angekommen, erlitten sie jedoch wieder einen harten Stoß.
Brazoria, etwa dreißig Meilen oberhalb der Einmündung des Rio Brazos in die Bai, war zur Zeit unserer Ankunft, das heißt im Jahre achtzehnhundertzweiunddreißig, eine bedeutende Stadt – für Texas nämlich, indem sie über dreißig Häuser, darunter drei backsteinerne, drei Frame- oder Fach-, die andern Blockhäuser, enthielt, alle zum Sprechen amerikanisch, auch die Gassen ganz in unserer beliebten Manier schnurgerade und in rechten Winkeln sich durchschneidend, das Ganze bloß mit der einzigen Unbequemlichkeit, daß es zur Flut- und Frühlingszeit unter Wasser gesetzt wurde. Dieses Ungemach wurde jedoch von den guten Brazorianern bei der unerschöpflichen Fruchtbarkeit des Bodens nur wenig beachtet. Obwohl noch in den ersten Tagen des Märzmonats, fanden wir doch bereits frische Kartoffeln oder vielmehr Pataten, denn der Boden von Texas hat das Eigentümliche, daß er gepflanzte Kartoffeln bei der ersten Ernte halb, bei der zweiten aber ganz süß, also als Pataten, wiedergibt; ferner grüne Bohnen, Erbsen und die deliziösesten Artischoken, die je einen Feinschmeckergaumen entzückten. Etwas aber fanden wir, das [17] mir und meinem Freunde weniger gefiel, und dies war die Entdeckung, daß unsere Scrips sich nicht ganz als die Sicherheitsanker erwiesen, die unsere Lebensarche im Texashafen festzuhalten versprachen. Wir hörten Zweifel, die nach der Ankunft William Austins, des Sohnes des Obersten Austin, zur fatalen Gewißheit wurden. Er gab uns die Akten des mexikanischen Kongresses zu lesen, die uns nur zu klar überzeugten, daß unsere Scrips nicht mehr wert waren als jedes andere beschriebene Papier.«
Die Zuhörer wurden immer aufmerksamer. Der Oberst fuhr fort:
»Der Kongreß von Mexiko hatte nämlich im Jahre 1824 zur Aufmunterung fremder Einwanderer und als Norm der verschiedenen, von den einzelnen Staaten zu erlassenden Gesetze einen Akt passiert, dessen Tendenz dahin ging, die Einwanderung vorzüglich in Texas zu begünstigen. Dem Kolonisationsplane zufolge waren Kontraktoren oder, wie sie in der Landessprache genannt wurden, Empressarios engagiert worden, die sich verbindlich machen mußten, binnen einer gewissen Zeit eine gewisse Anzahl von Ausländern auf ihre Kosten und ohne dem Staate im geringsten zur Last zu fallen, ins Land zu importieren. Wann importiert, hatte sich die Regierung anheischig gemacht, diesen Eingewanderten zu je hundert Familien fünf Quadratstunden Landes anzuweisen und hierüber die Besitztitel auszustellen, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß diese Einwanderer Bekenner der sogenannten alleinseligmachenden katholischen Kirche seien, weshalb auch die Ländereien erst angewiesen sowie die Besitztitel ausgestellt werden sollten, nachdem sie sich über dieses ihr alleinseligmachendes Glaubensbekenntnis hinreichend ausgewiesen haben würden. Für ihre Mühe sollten die Empressarios, wie sie genannt wurden, die aber eigentlich Brokers oder Makler waren, mit besondern Ländereischenkungen bedacht werden.
Von dieser sauberen Bedingung nun hatten uns unsere New-Yorker Galveston-Bai- und Texas-Land- Kompagnons und ehrsam wohlgebornen Yankees wohlweislich kein Wort gesagt, uns unsere zehntausend Acker in fee simple verkaufend, als ihnen von der mexikanischen Regierung bloß unter der einzigen Bedingung zur Disposition überlassen, das Land binnen Jahresfrist mit Auswanderern zu besetzen. So lauteten ihre mündlichen und schriftlichen Versicherungen, so lauteten auch die Scrips, und wir, diesen trauend, waren so auf die wilde Länderjagd ausgezogen. Klar war sonach, daß wir mit [18] unseren Scrips geprellt waren, ebenso klar, daß die mexikanische fromm-katholische Regierung mit uns ketzerisch verdammten Yankees nichts zu tun haben wollte. Aber zugleich ging aus dieser doppelten Klarheit eine dritte nicht weniger deutlich hervor, diese nämlich, daß diese fromme katholische mexikanische Regierung uns oder vielmehr unserer Union einen Streich zu spielen gedachte, einen Streich, der langsam, aber gefährlich wirken konnte, den jeder wahre Amerikaner nach Kräften von seinem Lande der Union abzuwenden nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet war.«
»Bravo, Oberst!« riefen die einen, »gesprochen wie ein wahrer Amerikaner!« die andern.
»Offenbar«, fuhr dieser fort, »hatte die Regierung von Mexiko bei ihrem Kolonisationsplane von Texas weiter aussehende Pläne, die nicht aus mexikanischen, sondern gefährlichern Köpfen entsprungen waren – es steckten römische Glatzköpfe dahinter. Texas sollte nicht bloß eine Art Außenwerk für das politische Unionsgebäude der Staaten Mexikos, es sollte gegen die ketzerische Union ein Vorwerk, mit seiner Mischlingsbevölkerung für die katholische Religion überhaupt eine Art fliegenden Korps werden, das nötigenfalls offensiv gegen uns auftreten und Verwirrung in unsere friedlich-religiösen Zustände bringen sollte. Die römische Kurie hatte sich damals sehr merkbar viel mit uns und unserer Union zu schaffen gemacht. Die Tätigkeit ihrer Emissaire und Priester war außerordentlich, ihre frommen Machinationen und Intrigen allenthalben zu spüren. Auf mehreren Punkten im Norden, selbst im Staate New York hatten sich Klöster und Seminare erhoben, und das so schnell und offenbar mit so gewaltigen Mitteln, als Befremden und Staunen erregte. Niemand wußte, woher diese Geldmittel kamen. Das amerikanische Volk, mit dem sichern Takte, der es stets leitet, brannte diese Treibhäuser der krassesten geistigen Knechtschaft zwar weg, aber obwohl das Ungeziefer uns nun im Norden in Ruhe ließ, wurde es dafür im Süden desto lästiger. In Louisiana, in den südwestlichen Staaten war es allenthalben sichtbar, und es blieb kein Zweifel übrig, daß Texas in dem kombinierten Plane eine Rolle zu spielen bestimmt war. Zwar kümmerten uns eigentlich diese schwarzen Kombinationen nur wenig, aber unsere neuen Texasfreunde, worunter einige sehr hellsehende Männer, hatten viel von diesem Priestergeschmeiße auszustehen gehabt und sie verfehlten nicht, uns die Sache aus einem [19] Gesichtspunkte darzustellen, der bald ebenso unsern Stolz als Patriotismus aufstachelte. Durften wir als Bürger der freisten, der erleuchtetsten, der größten herrschenden Nation Amerikas zugeben, daß eine nachbarliche Regierung, die uns eigentlich ihre Existenz verdankte und die ein paar unserer Bataillone wieder stürzen konnten, uns Gesetze diktiere, vorschreibe, was wir zu glauben und nicht zu glauben? Mußten wir nicht alles aufbieten, diesen knechtenden Gesetzen, durch eine heimtückisch fremde Politik hervorgerufen, entgegenzuarbeiten, den Streich, der uns gespielt worden, auf die Häupter derer, von denen er ausgegangen, zurückfallen zu machen? Die Frage hatte nur eine Antwort, und diese Antwort gegeben, war auch unser Entschluß gefaßt. Wir wollten bleiben – quand même. Jetzt waren wir ordentlich froh, daß unsere vielerwähnte löbliche Galveston-Bai- und Texas-Land-Kompanie uns den Possen mit den Scrips gespielt, ja wir entschuldigten sie, wohl begreifend, daß sie eben bei dieser ihrer Schelmerei einen uns und unserem Lande wohlgemeinten second thought, eine arrière pensée im Hintergrunde bargen. Hätte sich nämlich die gute Kompanie als Empressarios der mexikanischen Regierung angekündigt mit keiner andern Vollmacht, als die ihnen die oberwähnte Kongreßakte gegeben, kein amerikanischer Neger, viel weniger Bürger hätte sich beifallen lassen, Texas auch nur mit einem Fuße zu betreten; denn welchem vernünftigen Menschen könnte es einfallen, katholisch zu werden, sich unter ein Joch zu beugen, das Geist und Leib gleich fesselt, gleich tötet? Das wohl einsehend, drückten unsere New Yorker just ihr Gewissen, wie wir zu sagen pflegen, ein bißchen flach dahin, daß sie uns auf die texasischen Acker, auf die sie übrigens ebensoviel Recht hatten als der fromme Papst mit seiner Kardinalskompanie auf die weiland mexikanischen peruvianischen Königreiche – ihre Anweisungen gaben, wohl wissend, daß, einmal im Lande, wir nicht so leicht wieder herauszubringen, unsere Besitztitel schon rechtskräftig zu machen wissen würden. Diese echt yankeeische Politik, die uns bloß mit einem leichten Gewissensrucke zu unerschöpflich reichen Ackern, Uncle Sam aber zu ein paar neuen Gliedern seiner sechsundzwanzig-, damals noch vierundzwanziggliedrigen Familie verhelfen sollte, versöhnte uns nicht nur mit unserer einigermaßen spitzbübischen Galveston-Bai- und Texas-Land-Kompanie, sie ließ uns auch in der Aussicht auf kommende Abenteuer unsere tausend Dollar leicht verschmerzen. Wir gaben unsere zweimalzehntausend [20] Acker um so weniger verloren, als unsere neuen Freunde, alle Landsleute, uns lachend versicherten, daß sie ja auch nicht katholisch geworden und, beiläufig gesagt, geradesoviel Lust verspürten, Katholiken als Neger zu werden, sich auch darüber kein graues Haar wachsen ließen, und daß Tausende unserer Landsleute auf diese Weise bereits von unsern Boston-, New York-, Philadelphia-, Baltimore- und New-Orleaner Texas-Land-Kompanien ins Land spediert, auch da ihren Herd aufgeschlagen, ohne sich je davon träumen zu lassen, ihre Sünden Ohren, die sie nichts angingen, zuzuraunen. Käme Zeit, käme Rat – wir hätten nichts Besseres zu tun, als Mustangs zu kaufen, deren die schönsten für Spottpreise zu haben wären, uns im Lande umzusehen und das Weitere dem lieben Gott und dem freien, souveränen Volke – die letzteren Worte waren natürlich leise gesprochen – zu überlassen.
Es war wohl das Klügste, was wir tun konnten; so kauften wir uns also vor allem Mustangs.
Diese Mustangs sind kleine, in der Regel nicht über dreizehn Hand hohe Pferde, die, von den Spaniern eingeführt, sich während ihrer dreihundertjährigen Oberherrschaft ins Unzählbare vermehrt, in Herden von Tausenden durch die Präries von Texas, vorzüglich aber von Cohahuila streifen. In Texas beginnen sie jedoch bereits weniger zahlreich zu werden. Man fängt sie mit dem sogenannten Lasso, dessen Gebrauch, obwohl bekannt, ich doch näher beschreiben will, da ich, häufig Augenzeuge solcher Jagden, ihn vielleicht deutlicher zu versinnlichen vermag.
Der Lasso ist ein zwanzig bis dreißig Fuß langer und aus fingerbreiten Rindshautschnitten gedrehter, biegsamer Riemen, von dem ein Ende am Sattelknopfe befestigt, das andere aber mit der Schlinge vom Lassojäger in der Hand gehalten wird. Sowie dieser einen Trupp wilder Pferde aufstöbert, sucht er ihm mit seinen Gefährten vor allem den Wind abzugewinnen, dann aber sich ihm möglichst zu nähern. Selten oder nie entwischen die Tiere den geübten Jägern, die, wenn sie dreißig bis zwanzig Fuß nahe gekommen, demjenigen, das sie sich zur Beute ersehen, mit unfehlbarer Hand die Schlinge über den Kopf werfen. Die Schlinge geworfen, wirft der Reiter zugleich sein Pferd herum, die dem Tiere über den Kopf geworfene Schlinge schnürt diesem plötzlich die Kehle zusammen, und der im nächsten Augenblick darauf erfolgende äußerst heftige Riß des in [21] entgegengesetzter Richtung fortschießenden Reiters betäubt das atemlose Pferd so gänzlich, daß es, auch nicht des mindesten Widerstandes fähig, wie ein Klotz rücklings geworfen fällt und regungslos, beinahe leblos da liegt – nicht selten getötet oder hart beschädigt, jedenfalls mit einer Warnung, die es den Lasso sein ganzes Leben hindurch nicht vergessen läßt. Ein auf diese Weise eingefangenes Tier sieht diesen nie, ohne zusammenzuschrecken; es zittert bei seinem Anblicke an allen Gliedern, und die wildesten werden durch das bloße Umlegen schafzahm.
Ist das Tier gefangen, so wird es auf eine nicht minder brutale Weise gezähmt. Es werden ihm die Augen verbunden, das furchtbare, pfundschwere Gebiß in den Mund gelegt, und dann wird es vom Reiter – die nicht minder furchtbaren, sechs Zoll langen Sporen an den Füßen – bestiegen und zum stärksten Galopp angetrieben. Versucht es sich zu bäumen, so ist ein einziger, und zwar gar nicht starker Riß dieses Martergebisses hinreichend, dem Tiere den Mund in Fetzen zu zerreißen, das Blut in Strömen fließen zu machen. Ich habe mit diesem barbarischen Gebisse Zähne wie Zündhölzer zerbrechen gesehen. Das Tier wimmert, stöhnt vor Angst und Schmerzen, und so wimmernd, stöhnend wird es ein oder mehrere Male auf das schärfste geritten, bis es auf dem Punkte ist, zusammenzubrechen. Dann erst wird ihm eine Viertelstunde Zeit zum Ausschnaufen gegeben, worauf man es wieder dieselbe Strecke zurücksprengt. Sinkt oder bricht es während dem Ritte zusammen, so wird es als untauglich fortgejagt oder niedergestoßen, im entgegengesetzten Falle aber mit einem glühenden Eisen gezeichnet und dann auf die Prärie entlassen. Von nun an hat das Einfangen keine besonderen Schwierigkeiten mehr; die Wildheit des Pferdes ist gänzlich gebrochen, aber dafür eine Heimtücke, eine Bosheit eingekehrt, von der man sich unmöglich eine Vorstellung machen kann. Es sind diese Mustangs gewiß die boshaftesten, falschesten Tiere unter all den Pferderassen, die es auf dem Erdenrunde gibt, stets nur darauf ausgehend, ihrem Herrn einen Streich zu spielen. Gleich nachdem ich das meinige übernommen, war ich nahe daran, ein teures Lehrgeld zu geben. Im Begriff, eine Exkursion nach Bolivar zu unternehmen, sollten wir über den Brazos setzen. Der Vorletzte, der das Boot bestieg, zog ich meinen Mustang sorglos am Zügel nach und war soeben im Begriff, in das Boot einzusteigen, als ein plötzlicher Ruck und der Zuruf: [22] Mind your beast 1! mich seitwärts springen machte. Ein Glück, daß ich mich nicht erst umsah, sonst hätte es mir leicht das Leben kosten können. Mein Mustang war nämlich plötzlich zurückgesprungen, hatte sich ebenso plötzlich gebäumt und mit einer solchen Wut und Kraft auf mich niedergeworfen, daß seine Hufen die Bretter des Bootes durchbrachen. In meinem Leben hatte ich nichts so Wütendes gesehen wie dieses Tier. Es fletschte die Zähne, die Augen sprühten ein satanisches Feuer, einen wahrhaft tödlichen Haß – sein Gewieher glich dem Lachen des höllischen Feindes. Ich stand entsetzt. Der Lasso, den mein Nachfolger ganz ruhig dem Tiere über den Kopf warf, machte es wieder im nächsten Augenblicke so fromm-unschuldig dareinschauen, daß wir alle laut auflachten, obwohl ich – sonst nichts weniger als ein Pferdefeind – starke Versuchung spürte, es auf der Stelle niederzuschießen.
Mit diesem Tiere nun und begleitet von meinem Freunde unternahm ich mehrere Ausflüge nach Bolivar, Marion, Columbia, Anahuac, Städtchen von drei, sechs, zehn bis zwanzig Häusern. Auch Pflanzungen besuchten wir, anfangs solche, an die wir empfohlen waren, später jede, die uns in den Wurf kam. Soeben waren wir auf einer dieser Pflanzungen. Sie lag einige Meilen seitwärts von der Straße, die von Harrisburg nach San Felippe de Austin führt, und gehörte einem Mister Neal.
Mister Neal war erst drei Jahre im Lande und hatte sich in dieser Zeit ausschließend mit der Viehzucht beschäftigt, in Texas einer der angenehmsten, einträglichsten und bequemsten Berufe, dem der erste Gentleman, ohne sich zu vergeben, folgen darf. Seine Herden mochten zwischen sieben- und achthundert Stück Rinder und fünfzig bis sechzig Pferde zählen, alle Mustangs. Die Pflanzung war wie beinahe alle, die wir bisher gesehen, noch im Werden; das Haus, in jenem Hinterwäldler Stile angelegt, der in unserm Südwesten so gang und gäbe, war geräumig und selbst bequem, von rohen Baumstämmen aufgeführt. Es lag am Saume einer Insel- oder Baumgruppe mitten zwischen zwei kolossalen Sycamores, die es vor Sonne und Wind schützten. Im Vordergrunde floß die endlose Prärie mit ihren wogenden Gräsern und Blumen in die unabsehbare Ferne hin, im Hintergrunde erhob sich die hehre Majestät eines Texasischen Urwaldes, [23] über und über mit Weinreben durchwunden, die hundert und mehr Fuß an den Bäumen hinaufrankend ihre Ausläufer so über die ganze Insel hingesendet hatten. Diese Inseln nun sind einer der reizendsten Züge in dem Texasischen Landschaftsgemälde und so unendlich mannigfaltig in ihren Formen und der Pracht ihrer Baumschläge, daß man jahrelang im Lande sein und doch immer neue Schönheiten an ihnen auffinden wird. Sie erscheinen zirkelförmig, in Parallelogrammen, als Sexagone, Oktagone, wieder wie Schlangen aufgerollt; die raffinierteste Parkkunst müßte verzweifeln, diese unendlich mannigfaltig reizenden Formen zu erreichen. Des Morgens oder Abends, wenn umwoben von leichten blauseidenen Dunstsäumen und durchzittert von den ersten oder letzten Strahlen der Sonne, gewähren sie einen Anblick, der auch das unpoetischste Gemüt in Verzückung bringen könnte.
Ein nicht minder idyllischer Zug dieses gesegneten Landes ist auch die bequeme, anspruchslose Gastlichkeit seiner Bewohner. Selbst da, wo wir keine Empfehlungen brachten – und ich verstehe nicht schriftliche, sondern auch bloß mündliche Empfehlungen oder Grüße – traten wir bald ganz unbefangen in die Häuser und wurden ebenso unbefangen, ganz als alte Bekannte, empfangen. Dies fand ich so durchgängig Regel auf allen Pflanzungen, die von Southerners, Südländern, besessen waren, daß mir während meines ganzen mehrjährigen Aufenthaltes und Wirkens auch keine einzige Ausnahme auffiel. Wo sie mir auffiel, das heißt, wo ich für die Bewirtung zahlen mußte, waren die Ansiedler aus den Mittelstaaten oder Neu-England. Merkwürdig ist auch der Umstand, daß alle Gast- und Boarding- oder Kosthäuser ausschließlich von Yankees oder Bürgern aus den Mittelstaaten gehalten werden. Der Abkömmling des ritterlichen Virginiens oder der beiden Karolinas ist auch da zu stolz, sich seine Gastfreundschaft bezahlen zu lassen.
Unser Wirt war ein fröhlicher Kentuckier und machte seinem Geburtsstaate in jeder Hinsicht Ehre. Unsere Aufnahme war die herzlichste, die es geben konnte. Wir hatten dafür nichts zu entrichten als die Neuigkeiten, die wir von Hause mitbrachten. Aber Sie können sich auch schwerlich einen Begriff von der Gier, der Ängstlichkeit machen, mit der unsere Landsleute in der Fremde Berichte von Hause anhören. Die Spannung ist wirklich fieberisch, und nicht bloß bei Männern, auch bei Frauen und Kindern. Wer sich von dieser wirklich [24] fieberischen Anhänglichkeit unserer Bürger an ihr Vaterland einen Begriff geben will, sollte in der Tat nach Texas oder irgendeinem fremden Lande auswandern und mit da angesiedelten Landsleuten zusammentreffen. Wir waren nachmittags angekommen, und die Morgensonne des folgenden Tages traf uns noch am Erzählen und Debattieren – die ganze Familie um uns herum. Kaum daß wir einige Stunden geschlafen, wurden wir von unsern lieben Wirtsleuten bereits wieder aufgeweckt. Einige zwanzig bis dreißig Rinder sollten eingefangen und nach New Orleans auf den Markt versandt werden. Die Art Jagd, die bei einem solchen Einfangen stattfindet, ist immer interessant, selten gefährlich. Wir ließen uns die freundliche Einladung, wie Sie wohl denken mögen, nicht zweimal sagen, sprangen auf, kleideten uns an, frühstückten und bestiegen dann unsere Mustangs.«
War es die frisch-lebendige Weise oder der eigentümliche, für amerikanische Ohren so ganz berechnete Zuschnitt der Darstellung, die ganze Gesellschaft hatte sich nun um den Erzähler herum versammelt.
Er hielt einen Augenblick inne, und fuhr dann fort.
Fußnoten
1 Achtung auf Ihr Tier.