William Shakespeare
Hamlet
Prinz von Dänemark
[264] Personen
Claudius, König von Dänemark
Hamlet, Sohn des vorigen und Neffe des gegenwärtigen Königs
Polonius, Oberkämmerer
Horatio, Hamlets Freund
Laertes, Sohn des Polonius
Voltimand
Cornelius
Rosenkranz
Güldenstern, Hofleute
Osrick, ein Hofmann
Ein andrer Hofmann
Ein Priester
Marcellus
Bernardo, Offiziere
Francisco, ein Soldat
Reinhold, Diener des Polonius
Ein Hauptmann
Ein Gesandter
Der Geist von Hamlets Vater
Fortinbras, Prinz von Norwegen
Gertrude, Königin von Dänemark und Hamlets Mutter
Ophelia, Tochter des Polonius
Herren und Frauen vom Hofe, Offiziere
Soldaten, Schauspieler, Totengräber
Matrosen, Boten und andres Gefolge
Die Szene ist in Helsingör
[264]Erster Aufzug
Zweite Szene
[271]
Dritte Szene
Vierte Szene
Fünfte Szene
So heiß' als einen Fremden es willkommen.
Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden,
Als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.
Doch kommt!
Hier, wie vorhin, schwört mir, so Gott euch helfe,
Wie fremd und seltsam ich mich nehmen mag,
Da mir's vielleicht in Zukunft dienlich scheint,
Ein wunderliches Wesen anzulegen:
Ihr wollet nie, wenn ihr alsdann mich seht,
Die Arme so verschlingend, noch die Köpfe
So schüttelnd, noch durch zweifelhafte Reden,
Als: »Nun, nun, wir wissen« – oder: »Wir könnten, wenn [290] wir wollten« – oder: »Ja, wenn wir reden möchten«; oder:
»Es gibt ihrer, wenn sie nur dürften« –
Und solch verstohlnes Deuten mehr, verraten,
Daß ihr von mir was wisset: dieses schwört,
So Gott in Nöten und sein Heil euch helfe!
Zweiter Aufzug
Erste Szene
Und hierauf tut er dies: – Er tut – ja was wollte ich doch sagen? Beim Sakrament, ich habe was sagen wollen. Wo brach ich ab?
Zweite Szene
Denn ich will ohne Kunst zu Werke gehn.
Toll nehmen wir ihn also; nun ist übrig,
Daß wir den Grund erspähn von dem Effekt,
Nein, richtiger, den Grund von dem Defekt;
Denn dieser Defektiv-Effekt hat Grund.
So steht's nun, und der Sache Stand ist dies.
Erwägt!
Ich hab' ne Tochter; hab' sie, weil sie mein;
Die mir aus schuldigem Gehorsam, seht,
Dies hier gegeben; schließt und ratet nun!
»An die himmlische und den Abgott meiner Seele, die liebreizende Ophelia.« –
Das ist eine schlechte Redensart, eine gemeine Redensart; »liebreizend« ist eine gemeine Redensart. Aber hört nur weiter:
»An ihren trefflichen zarten Busen diese Zeilen« usw.
Geduld nur, gnäd'ge Frau, ich meld' Euch alles.
»Zweifle an der Sonne Klarheit,
Zweifle an der Sterne Licht,
Zweifl', ob lügen kann die Wahrheit,
Nur an meiner Liebe nicht.«
»O liebe Ophelia, es gelingt mir schlecht mit dem Silbenmaße; ich besitze die Kunst nicht, meine Seufzer zu messen: aber daß ich dich bestens liebe, o Allerbeste, das glaube mir! Leb wohl!
Der Deinige auf ewig, teuerstes Fräulein, solange diese Maschine ihm zugehört,
Hamlet.«
Ja, Herr, ehrlich sein heißt, wie es in dieser Welt hergeht, ein Auserwählter unter Zehntausenden sein.
Denn wenn die Sonne Maden in einem toten Hunde ausbrütet: eine Gottheit, die Aas küßt – habt Ihr eine Tochter?
Laßt sie nicht in der Sonne gehn: Gaben sind ein Segen: aber da Eure Tochter empfangen könnte – seht Euch vor, Freund!
Wie meint Ihr das? Beiseit. Immer auf meine Tochter angespielt: Und doch kannte er mich zuerst nicht; er sagte, ich wäre ein Fischhändler. Es ist weit mit ihm gekommen, sehr weit! und wahrlich, in meiner Jugend brachte mich die Liebe auch in große Drangsale, fast so schlimm wie ihn. Ich will ihn wieder anreden. – Was leset Ihr, mein Prinz?
Verleumdungen, Herr: denn der satirische Schuft da sagt, daß alte Männer graue Bärte haben; daß ihre Gesichter runzlicht sind; daß ihnen zäher Ambra und Harz aus den Augen trieft; daß sie einen überflüssigen Mangel an Witz und daneben sehr kraftlose Lenden haben. Ob ich nun gleich von allem diesem inniglich und festiglich überzeugt bin, so halte ich es doch nicht für billig, es so zu Papier zu bringen; denn Ihr selbst, Herr, würdet so alt werden wie ich, wenn Ihr wie ein Krebs rückwärts gehen könntet.
Ja, das wäre wirklich aus der Luft. Beiseit. Wie treffend manchmal seine Antworten sind! Dies ist ein Glück, daß die Tollheit oft hat, womit es der Vernunft und dem gesunden Sinne nicht so gut gelingen könnte. Ich will ihn verlassen und sogleich darauf denken, eine Zusammenkunft zwischen ihm und meiner Tochter zu veranstalten. – Mein gnädigster Herr, ich will ehrerbietigst meinen Abschied von Euch nehmen.
Ihr könnt nichts von mir nehmen, Herr, das ich lieber fahren ließe – bis auf mein Leben, bis auf mein Leben.
Meine trefflichen guten Freunde! Was machst du, Güldenstern? Ah, Rosenkranz! Gute Bursche, wie geht's euch?
So steht der Jüngste Tag bevor; aber Eure Neuigkeit ist nicht wahr. Laßt mich euch näher befragen: worin habt ihr, meine guten Freunde, es bei Fortunen versehen, daß sie euch hieher ins Gefängnis schickt?
Ein stattliches, worin es viele Verschläge, Löcher und Kerker gibt. Dänemark ist einer der schlimmsten.
Nun, so ist es keiner für euch; denn an sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu. Für mich ist es ein Gefängnis.
O Gott, ich könnte in eine Nußschale eingesperrt sein und mich für einen König von unermeßlichem Gebiete halten, wenn nur meine bösen Träume nicht wären.
Diese Träume sind in der Tat Ehrgeiz; denn das eigentliche Wesen des Ehrgeizes ist nur der Schatten eines Traumes.
Freilich, und mir scheint der Ehrgeiz von so luftiger und loser Beschaffenheit, daß er nur der Schatten eines Schattens ist.
So sind also unsre Bettler Körper, und unsre Monarchen und gespreizten Helden der Bettler Schatten. Sollen [303] wir an den Hof? Denn, mein' Seel', ich weiß nicht zu räsonieren.
Nichts dergleichen, ich will euch nicht zu meinen übrigen Dienern rechnen; denn, um wie ein ehrlicher Mann mit euch zu reden: mein Gefolge ist abscheulich. Aber um auf der ebnen Heerstraße der Freundschaft zu bleiben, was macht ihr in Helsingör?
Ich Bettler, der ich bin, sogar an Dank bin ich arm. Aber ich danke euch, und gewiß, liebe Freunde, mein Dank ist um einen Heller zu teuer. Hat man nicht nach euch geschickt? Ist es eure eigne Neigung? Ein freiwilliger Besuch? Kommt, kommt, geht ehrlich mit mir um! Wohlan? Nun, sagt doch!
Was ihr wollt – außer das Rechte. Man hat nach euch geschickt, und es liegt eine Art von Geständnis in euren Blicken, welche zu verstellen eure Bescheidenheit nicht schlau genug ist. Ich weiß, der gute König und die Königin haben nach euch geschickt.
Das muß ich von euch erfahren. Aber ich beschwöre euch bei den Rechten unsrer Schulfreundschaft, bei der Eintracht unsrer Jugend, bei der Verbindlichkeit unsrer stets bewahrten Liebe, und bei allem noch Teurerem, was euch ein besserer Redner ans Herz legen könnte: geht grade her aus gegen mich, ob man nach euch geschickt hat oder nicht.
Ich will euch sagen, warum; so wird mein Erraten eurer Entdeckung zuvorkommen, und eure Verschwiegenheit gegen den König und die Königin braucht keinen Zollbreit zu wanken. Ich habe seit kurzem – ich weiß nicht wodurch – alle meine Munterkeit eingebüßt, meine gewohnten Übungen aufgegeben; und es steht in der Tat so übel um[304] meine Gemütslage, daß die Erde, dieser treffliche Bau, mir nur ein kahles Vorgebirge scheint; seht ihr, dieser herrliche Baldachin, die Luft, dies wackre umwölbende Firmament, dies majestätische Dach mit goldnem Feuer ausgelegt: kommt es mir doch nicht anders vor, als ein fauler verpesteter Haufe von Dünsten. Welch ein Meisterwerk ist der Mensch! wie edel durch Vernunft! wie unbegrenzt an Fähigkeiten! in Gestalt und Bewegung wie bedeutend und wunderwürdig! im Handeln wie ähnlich einem Engel! im Begreifen wie ähnlich einem Gott! die Zierde der Welt! das Vorbild der Lebendigen! Und doch, was ist mir diese Quintessenz von Staube? Ich habe keine Lust am Manne- und am Weibe auch nicht, wiewohl ihr das durch euer Lächeln zu sagen scheint.
Ich dachte, wenn dem so ist, welche Fastenbewirtung die Schauspieler bei Euch finden werden. Wir holten sie unterweges ein; sie kommen her, um Euch ihre Künste anzubieten.
Der den König spielt, soll willkommen sein, seine Majestät soll Tribut von mir empfangen; der kühne Ritter soll seine Klinge und seine Tartsche brauchen; der Liebhaber soll nicht unentgeltlich seufzen; der Launige soll seine Rolle in Frieden endigen; der Narr soll den zu lachen machen, der ein kitzliges Zwerchfell hat; und das Fräulein soll ihre Gesinnung frei heraussagen, oder die Verse sollen dafür hinken. – Was für eine Gesellschaft ist es?
Wie kommt es, daß sie umherstreifen? Ein fester Aufenthalt war vorteilhafter sowohl für ihren Ruf als ihre Einnahme.
Genießen sie noch dieselbe Achtung wie damals, da ich in der Stadt war? Besucht man sie eben so sehr?
Nein, ihre Bemühungen halten den gewohnten Schritt; aber es hat sich da eine Brut von Kindern angefunden, kleine Nestlinge, die immer über das Gespräch hinausschreien, und höchst grausamlich dafür beklatscht werden. Diese sind jetzt Mode, und beschnattern die gemeinen Theater (so nennen sie's) dergestalt, daß viele, die Degen tragen, sich vor Gänsekielen fürchten und kaum wagen hinzugehn.
Wie, sind es Kinder? Wer unterhält sie? Wie werden sie besoldet? Wollen sie nicht länger bei der Kunst bleiben, als sie den Diskant singen können? Werden sie nicht nachher sagen, wenn sie zu gemeinen Schauspielern heranwachsen (wie sehr zu vermuten ist, wenn sie sich auf nichts Bessers stützen), daß ihre Komödienschreiber unrecht tun, sie gegen ihre eigne Zukunft deklamieren zu lassen?
Wahrhaftig, es hat an beiden Seiten viel zu tun gegeben, und das Volk macht sich kein Gewissen daraus, sie zum Streit aufzuhetzen. Eine Zeitlang war kein Geld mit einem Stück zu gewinnen, wenn Dichter und Schauspieler sich nicht darin mit ihren Gegnern herumzausten.
Es ist nicht sehr zu verwundern; denn mein Oheim ist König von Dänemark, und eben die, welche ihm Gesichter zogen, solange mein Vater lebte, geben zwanzig, vierzig, funfzig bis hundert Dukaten für sein Porträt in Miniatur. Wetter, es liegt hierin etwas Übernatürliches, wenn die Philosophie es nur ausfindig machen könnte.
Liebe Herren, ihr seid willkommen zu Helsingör. Gebt mir eure Hände. Wohlan! Manieren und Komplimente sind [306] das Zubehör der Bewillkommnung. Laßt mich euch auf diese Weise begrüßen, damit nicht mein Benehmen gegen die Schauspieler (das, sag' ich euch, sich äußerlich gut aus nehmen muß) einem Empfang ähnlicher sähe, als der eurige. Ihr seid willkommen, aber mein Oheim- Vater und meine Tante-Mutter irren sich.
Ich bin nur toll bei Nordnordwest: wenn der Wind südlich ist, kann ich einen Kirchturm von einem Leuchtenpfahl unterscheiden.
Hört, Güldenstern! – und Ihr auch – an jedem Ohr ein Hörer: der große Säugling, den ihr da seht, ist noch nicht aus den Kinderwindeln.
Ich prophezeie, daß er kommt, um mir von den Schauspielern zu sagen. Gebt acht! – Ganz richtig, Herr, am Montag Morgen, da war es eben.
Die besten Schauspieler in der Welt, sei es für Tragödie, Komödie, Historie, Pastorale, Pastoral-Komödie, Historiko-Pastorale, Tragiko-Historie, Tragiko-Komiko-Historiko-Pastorale, für unteilbare Handlung oder fortgehendes Gedicht. Seneca kann für sie nicht zu traurig, noch Plautus zu lustig sein. Für das Aufgeschriebne und für den Stegreif haben sie ihresgleichen nicht.
Wenn Ihr mich Jephtha nennt, gnädiger Herr, so habe ich eine Tochter, die ich aus der Maßen sehr liebe.
Ei,
»Wie das Los fiel,
Nach Gottes Will«,
Und dann wißt Ihr:
»Hierauf geschah's,
Wie zu vermuten was« –
Aber Ihr könnt das im ersten Abschnitt des Weihnachtsliedes weiter nachsehn; denn seht, da kommen die Abkürzer meines Gesprächs.
Seid willkommen, ihr Herren! willkommen alle! – Ich freue mich, dich wohl zu sehn. – Willkommen, meine guten Freunde! – Ach, alter Freund, wie ist dein Gesicht betroddelt, seit ich dich zuletzt sah! Du wirst doch hoffentlich nicht in den Bart murmeln? – Ei, meine schöne junge Dame! Bei unsrer Frauen, Fräulein, Ihr seid dem Himmel um die Höhe eines Absatzes näher gerückt, seit ich Euch zuletzt sah. Gebe Gott, daß Eure Stimme nicht wie ein abgenutztes Goldstück den hellen Klang verloren haben mag! – Willkommen alle, ihr Herrn! Wir wollen frisch daran, wie französische Falkeniere auf alles losfliegen, was uns vorkommt. Gleich etwas vorgestellt! Laßt uns eine Probe eurer Kunst sehen. Wohlan! eine pathetische Rede!
Ich hörte dich einmal eine Rede vortragen – aber sie ist niemals aufgeführt, oder wenn es geschah, nicht mehr als einmal; denn ich erinnre mich, das Stück gefiel dem goßen Haufen nicht, es war Kaviar für das Volk. Aber es war, wie ich es nahm, und andre, deren Urteil in solchen Dingen den Rang über dem meinigen behauptete, ein vortreffliches Stück: in seinen Szenen wohlgeordnet und mit ebenso viel Bescheidenheit als Verstand abgefaßt. Ich erinnre mich, daß jemand sagte, es sei kein Salz und Pfeffer in den Zeilen, um den Sinn zu würzen, und kein Sinn in dem Ausdrucke, der an dem Verfasser Ziererei verraten könnte, sondern er nannte es eine schlichte Manier, so gesund als angenehm, und ungleich mehr schön als geschmückt. Eine Rede darin liebte ich vorzüglich: es war des Äneas Erzählung an Dido; besonders da herum, wo er von der Ermordung Priams spricht. Wenn Ihr sie im Gedächtnisse habt, so fangt bei dieser Zeile an: – Laßt sehn, laßt sehn –
»Der rauhe Pyrrhus, gleich Hyrkaniens Leu'n« –
nein, ich irre mich; aber es fängt mit »Pyrrhus« an.
»Der rauhe Pyrrhus, er, des düstre Waffen,
Schwarz wie sein Vorsatz, glichen jener Nacht,
Wo er sich barg im unglückschwangern Roß,
Hat jetzt die furchtbare Gestalt beschmiert
Mit grauserer Heraldik: rote Farbe
Ist er von Haupt zu Fuß; scheußlich geschmückt
Mit Blut der Väter, Mütter, Töchter, Söhne,
Gedörrt und klebend durch der Straßen Glut,
Die grausames, verfluchtes Licht verleihn
Zu ihres Herrn Mord. Heiß von Zorn und Feuer,
Bestrichen mit verdicktem Blut, mit Augen,
Karfunkeln gleichend, sucht der höllische Pyrrhus
Altvater Priamus« –
Fahrt nun so fort!
Er soll mit Eurem Barte zum Balbier. – Ich bitte dich, weiter! Er mag gern eine Posse oder eine Zotengeschichte, sonst schläft er. Sprich weiter, komm auf Hekuba!
Es ist gut, du sollst mir das Übrige nächstens hersagen. – Lieber Herr, wollt Ihr für die Bewirtung der Schauspieler sorgen? Hört Ihr, laßt sie gut behandeln, denn sie sind der Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeitalters. Es wäre Euch besser, nach dem Tode eine schlechte Grabschrift zu haben, als üble Nachrede von ihnen, solange Ihr lebt.
Potz Wetter, Mann, viel besser! Behandelt jeden Menschen nach seinem Verdienst, und wer ist vor Schlägen sicher? Behandelt sie nach Eurer eignen Ehre und Würdigkeit: je weniger sie verdienen, desto mehr Verdienst hat Eure Güte. Nehmt sie mit!
Folgt ihm, meine Freunde: morgen soll ein Stück aufgeführt werden. – Höre, alter Freund, könnt ihr die Ermordung Gonzagos spielen?
Gebt uns das morgen abend! Ihr könntet im Notfall eine Rede von ein Dutzend Zeilen auswendig lernen, die ich abfassen und einrücken möchte? Nicht wahr?
Dritter Aufzug
Erste Szene
Ja freilich: denn die Macht der Schönheit wird eher die Tugend in eine Kupplerin verwandeln, als die Kraft der Tugend die Schönheit sich ähnlich machen kann. Dies war ehedem paradox, aber nun bestätigt es die Zeit. Ich liebte, Euch einst.
Ihr hättet mir nicht glauben sollen: denn Tugend kann sich unserm alten Stamm nicht so einimpfen, daß wir nicht einen Geschmack von ihm behalten sollten. Ich liebte Euch nicht.
Geh in ein Kloster! Warum wolltest du Sünder zur Welt bringen? Ich bin selbst leidlich tugendhaft; dennoch könnt' ich mich solcher Dinge anklagen, daß es besser wäre, meine [317] Mutter hätte mich nicht geboren. Ich bin sehr stolz, rachsüchtig, ehrgeizig; mir stehn mehr Vergehungen zu Dienst, als ich Gedanken habe sie zu hegen, Einbildungskraft ihnen Gestalt zu geben, oder Zeit sie auszuführen. Wozu sollen solche Gesellen wie ich zwischen Himmel und Erde herumkriechen? Wir sind ausgemachte Schurken, alle: trau' keinem von uns! Geh deines Wegs zum Kloster! Wo ist Euer Vater?
Laßt die Tür hinter ihm abschließen, damit er den Narren nirgends anders spielt als in seinem eignen Hause! Leb wohl!
Wenn du heiratest, so gebe ich dir diesen Fluch zur Aussteuer: sei so keusch wie Eis, so rein wie Schnee, du wirst der Verleumdung nicht entgehn. Geh in ein Kloster! Leb wohl! Oder willst du durchaus heiraten, nimm einen Narren; denn gescheite Männer wissen allzugut, was ihr für Ungeheuer aus ihnen macht. In ein Kloster! geh! und das schleunig! Leb wohl!
Ich weiß auch von euren Malereien Bescheid, recht gut. Gott hat euch ein Gesicht gegeben, und ihr macht euch ein andres; ihr schlendert, ihr trippelt und ihr lispelt, und gebt Gottes Kreaturen verhunzte Namen, und stellt euch aus Leichtfertigkeit unwissend. Geht mir! nichts weiter davon! es hat mich toll gemacht. Ich sage, wir wollen nichts mehr von Heiraten wissen: wer schon verheiratet ist, alle außer einem, soll das Leben behalten; die übrigen sollen bleiben, wie sie sind. In ein Kloster! geh! Hamlet ab.
Zweite Szene
Seid so gut und haltet die Rede, wie ich sie Euch vorsagte, leicht von der Zunge weg; aber wenn Ihr den Mund so voll nehmt, wie viele unsrer Schauspieler, so möchte ich meine Verse eben so gern von dem Ausrufer hören. Sägt auch nicht zu viel mit den Händen durch die Luft, so – sondern behandelt alles gelinde! Denn mitten in dem Strom, Sturm und, wie ich sagen mag, Wirbelwind Eurer Leidenschaft müßt Ihr Euch eine Mäßigung zu eigen machen, die ihr Geschmeidigkeit gibt. Oh, es ärgert mich in der Seele, wenn solch ein handfester haarbuschiger Geselle eine Leidenschaft in Fetzen, in rechte Lumpen zerreißt, um den Gründlingen im Parterre in die Ohren zu donnern, die meistens von nichts wissen, als verworrnen stummen Pantomimen und Lärm. Ich möchte solch einen Kerl für sein Bramarbasieren prügeln lassen; es übertyrannt den Tyrannen. Ich bitte Euch, vermeidet das!
Seid auch nicht allzuzahm, sondern laßt Euer eignes Urteil Euren Meister sein: paßt die Gebärde dem Wort, das Wort der Gebärde an; wobei Ihr sonderlich darauf achten müßt, niemals die Bescheidenheit der Natur zu überschreiten. Denn alles, was so übertrieben wird, ist dem Vorhaben des Schauspieles entgegen, dessen Zweck sowohl anfangs als jetzt war und ist, der Natur gleichsam den Spiegel vorzuhalten: der Tugend ihre eignen Züge, der Schmach ihr eignes Bild, und dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen. Wird dies nun übertrieben oder zu schwach vorgestellt, so kann es zwar den Unwissenden zum Lachen bringen, aber den Einsichtsvollen muß es verdrießen; und der Tadel von einem solchen muß in Eurer Schätzung ein ganzes Schauspielhaus voll von andern überwiegen. Oh, es gibt Schauspieler, die ich habe spielen sehn und von andern preisen hören, und das höchlich, die,[320] gelinde zu sprechen, weder den Ton noch den Gang von Christen, Heiden oder Menschen hatten, und so stolzierten und blökten, daß ich glaubte, irgendein Handlanger der Natur hätte Menschen gemacht, und sie wären ihm nicht geraten; so abscheulich ahmten sie die Menschheit nach.
Oh, stellt es ganz und gar ab! Und die bei euch den Narren spielen, laßt sie nicht mehr sagen, als in ihrer Rolle steht: denn es gibt ihrer, die selbst lachen, um einen Haufen alberne Zuschauer zum Lachen zu bringen, wenn auch zu derselben Zeit irgendein notwendiger Punkt des Stückes zu erwägen ist. Das ist schändlich, und beweist einen jämmerlichen Ehrgeiz an dem Narren, der es tut. Geht, macht Euch fertig!
Vortrefflich, mein' Treu': von dem Chamäleons-Gericht. Ich esse Luft, ich werde mit Versprechungen gestopft: man kann Kapaunen nicht besser mästen.
Meine auch nicht mehr. Zu Polonius. Ihr spieltet einmal auf der Universität, Herr? Sagtet Ihr nicht so?
Oh, ich reiße Possen wie kein andrer. Was kann ein Mensch Beßres tun als lustig sein? Denn seht nur, wie fröhlich meine Mutter aussieht, und doch starb mein Vater vor noch nicht zwei Stunden.
So lange schon? Ei, so mag der Teufel schwarz gehn: ich will einen Zobelpelz tragen. O Himmel! Vor zwei Monaten gestorben und noch nicht vergessen! So ist Hoffnung [323] da, daß das Andenken eines großen Mannes sein Leben ein halbes Jahr überleben kann. Aber, bei unsrer lieben Frauen! Kirchen muß er stiften, sonst denkt man nicht an ihn: es geht ihm wie dem Steckenpferde, dessen Grabschrift ist:
»Denn oh! denn oh!
Vergessen ist das Steckenpferd.«
Wir werden es von diesem Gesellen erfahren: Die Schauspieler können nichts geheim halten, sie werden alles ausplaudern.
Ja, oder irgendeine Vorstellung, die Ihr ihm vorstellen wollt. Schämt Euch nur nicht, ihm vorzustellen, so wird er sich nicht schämen, Euch zu sagen, was es bedeutet.
Die Mausefalle. Und wie das? Metaphorisch. Das Stück ist die Vorstellung eines in Vienna geschehnen Mordes. Gonzago ist der Name des Herzogs, seine Gemahlin Baptista; Ihr werdet gleich sehen, es ist ein spitzbübischer Handel. Aber was tut's? Eure Majestät und uns, die wir ein freies Gewissen haben, trifft es nicht. Der Aussätzige mag sich jucken, unsre Haut ist gesund.
Oh, ich wollte zwischen Euch und Eurem Liebsten Dolmetscher sein, wenn ich die Marionetten nur tanzen sähe.
Er vergiftet ihn im Garten um sein Reich. Sein Name ist Gonzago: die Geschichte ist vorhanden, und in auserlesenem Italienisch geschrieben. Ihr werdet gleich sehn, wie der Mörder die Liebe von Gonzagos Gemahlin gewinnt.
Ei, der Gesunde hüpft und lacht,
Dem Wunden ist's vergällt;
Der eine schläft, der andre wacht,
Das ist der Lauf der Welt.
Sollte nicht dies und ein Wald von Federbüschen (wenn meine sonstige Anwartschaft in die Pilze geht) nebst ein paar gepufften Rosen auf meinen gekerbten Schuhen mir zu einem Platz in einer Schauspielergesellschaft verhelfen?
Ihr solltet doch mehr gesunden Verstand beweisen und dies dem Arzte melden; denn wenn ich ihm eine Reinigung zumutete, das würde ihm vielleicht noch mehr Galle machen.
Nein, bester Herr, diese Höflichkeit ist nicht von der rechten Art. Beliebt es Euch, mir eine gesunde Antwort zu geben, so will ich den Befehl Eurer Mutter ausrichten; wo nicht, so verzeiht, ich gehe wieder, und damit ist mein Geschäft zu Ende.
Euch eine gesunde Antwort geben. Mein Verstand ist krank. Aber, Herr, solche Antwort, als ich geben kann, ist zu Eurem Befehl; oder vielmehr, wie Ihr sagt, zu meiner [329] Mutter Befehl; drum nichts weiter, sondern zur Sache: Meine Mutter, sagt Ihr –
O wundervoller Sohn, über den seine Mutter so erstaunen kann! Kommt kein Nachsatz, der dieser mütterlichen Verwunderung auf dem Fuße folgt? Laßt hören!
Wir wollen gehorchen, und wäre sie zehnmal unsre Mutter. Habt Ihr noch sonst was mit mir zu schaffen?
Bester Herr, was ist die Ursache Eures Übels! Gewiß, Ihr tretet Eurer eignen Freiheit in den Weg, wenn Ihr Eurem Freunde Euren Kummer verheimlicht.
Oh, die Flöten! Laßt mich eine sehn! – Um Euch insbesondre zu sprechen Nimmt Güldenstern bei seit. Weswegen geht Ihr um mich herum, um meine Witterung zu bekommen, als wolltet Ihr mich in ein Netz treiben?
Es ist so leicht wie lügen. Regiert diese Windlöcher mit Euren Fingern und der Klappe, gebt der Flöte mit [330] Eurem Munde Odem, und sie wird die beredteste Musik sprechen. Seht Ihr, dies sind die Griffe.
Aber die habe ich eben nicht in meiner Gewalt, um irgendeine Harmonie hervorzubringen; ich besitze die Kunst nicht.
Nun, seht Ihr, welch ein nichtswürdiges Ding Ihr aus mir macht? Ihr wollt auf mir spielen; (Ihr wollt tun, als kenntet Ihr meine Griffe;) Ihr wollt in das Herz meines Geheimnisses dringen; Ihr wollt mich von meiner tiefsten Note bis zum Gipfel meiner Stimme hinauf prüfen: und in dem kleinen Instrument hier ist viel Musik, eine vortreffliche Stimme, dennoch könnt Ihr es nicht zum Sprechen bringen. Wetter! denkt Ihr, daß ich leichter zu spielen bin als eine Flöte? Nennt mich was für ein Instrument Ihr wollt, Ihr könnt mich zwar verstimmen, aber nicht auf mir spielen.
Nun, so will ich zu meiner Mutter kommen, im Augenblick. – Sie närren mich, daß mir die Geduld beinah' reißt. Ich komme im Augenblick.
Dritte Szene
Vierte Szene
Vierter Aufzug
Erste Szene
Zweite Szene
Daß ich euer Geheimnis bewahren kann, und meines nicht. Überdies, sich von einem Schwamme fragen zu lassen! Was für eine Antwort soll der Sohn eines Königs darauf geben?
Ja, Herr, der des Königs Miene, seine Gunstbezeugungen und Befehle einsaugt. Aber solche Beamte tun dem Könige den besten Dienst am Ende. Er hält sie wie ein Affe den Bissen im Winkel seines Kinnbackens; zuerst in den Mund gesteckt, um zuletzt verschlungen zu werden. Wenn er braucht, was Ihr aufgesammelt habt, so darf er Euch nur drücken, so seid Ihr, Schwamm, wieder trocken.
Dritte Szene
Nicht wo er speist, sondern wo er gespeist wird. Eine gewisse Reichsversammlung von politischen Würmern hat sich eben an ihn gemacht. So 'n Wurm ist Euch der einzige Kaiser, was die Tafel betrifft. Wir mästen alle andere Kreaturen, um uns zu mästen; und uns selbst mästen wir für Maden. Der fette König und der magre Bettler sind [346] nur verschiedne Gerichte; zwei Schüsseln, aber für eine Tafel: das ist das Ende vom Liede.
Jemand könnte mit dem Wurm fischen, der von einem König gegessen hat, und von dem Fisch essen, der den Wurm verzehrte.
Im Himmel. Schickt hin, um zuzusehn: Wenn Euer Bote ihn da nicht findet, so sucht ihn selbst an dem andern Orte! Aber wahrhaftig, wo Ihr ihn nicht binnen dieses Monats findet, so werdet Ihr ihn wittern, wann Ihr die Treppe zur Galerie hinaufgeht!
Meine Mutter: Vater und Mutter sind Mann und Weib; Mann und Weib sind ein Fleisch: also meine Mutter. Kommt, nach England! Ab.
Vierte Szene
Fünfte Szene
Gottes Lohn! recht gut! Sie sagen, die Eule war eines Bäckers Tochter. Ach, Herr! wir wissen wohl, was wir [351] sind, aber nicht, was wir werden können. Gott segne Euch die Mahlzeit!
Ich hoffe, alles wird gut gehn. Wir müssen geduldig sein: aber ich kann nicht umhin zu weinen, wenn ich denke, daß sie ihn in den kalten Boden gelegt haben. Mein Bruder soll davon wissen, und so dank' ich Euch für Euren guten Rat. Kommt, meine Kutsche! Gute Nacht, Damen! gute Nacht, süße Damen! gute Nacht! gute Nacht! Ab.
Ihr müßt singen: »'nunter, hinunter! und ruft Ihr ihn 'nunter.« Oh, wie das Rad dazu klingt! Es ist der falsche Verwalter, der seines Herrn Tochter stahl.
Das ist Vergißmeinnicht, das ist zum Andenken: ich bitte Euch, liebes Herz, gedenkt meiner! und da ist Rosmarin, das ist für die Treue.
Da ist Fenchel für Euch und Aglei – da ist Raute für Euch, und hier ist welche für mich. – Ihr könnt Eure Raute mit einem Abzeichen tragen. – Da ist Maßlieb –, ich wollte Euch ein paar Veilchen geben, aber sie welkten alle, da mein Vater starb. – Sie sagen, er nahm ein gutes Ende. –
Sechste Szene
Das wird er, Herr, so es ihm gefällt. Hier ist [357] ein Brief für Euch, Herr; er kommt von dem Gesandten, der nach England reisen sollte, wenn Euer Name anders Horatio ist; wie man mich versichert.
»Horatio, wenn du dies durchgesehn haben wirst, verschaffe diesen Leuten Zutritt beim Könige: sie haben Briefe für ihn. Wir waren noch nicht zwei Tage auf der See gewesen, als ein starkgerüsteter Korsar Jagd auf uns machte: da wir uns im Segeln zu langsam fanden, legten wir eine notgedrungne Tapferkeit an, und während des Handgemenges enterte ich; in dem Augenblick machten sie sich von unserm Schiffe los, und so ward ich allein ihr Gefangner. Sie haben mich wie barmherzige Diebe behandelt, aber sie wußten wohl, was sie taten; ich muß einen guten Streich für sie tun. Sorge, daß der König die Briefe bekommt, die ich sende, und begib dich zu mir in solcher Eile, als du den Tod fliehen würdest. Ich habe dir Worte ins Ohr zu sagen, die dich stumm machen werden, doch sind sie viel zu leicht für das Gewicht der Sache. Diese guten Leute werden dich hinbringen, wo ich bin. Rosenkranz und Güldenstern setzen ihre Reise nach England fort: über sie hab' ich dir viel zu sagen. Lebe wohl!
Ewig der Deinige Hamlet.«
Siebente Szene
Liest. »Großmächtigster! Wisset, daß ich nackt an Euer Reich ausgesetzt bin. Morgen werde ich um Erlaubnis bitten, vor Euer königliches Auge zu treten, und dann werde ich, wenn ich Euch erst um Vergünstigung dazu ersucht, die Veranlassung meiner plötzlichen und wunderbaren Rückkehr berichten.
Hamlet.«
Fünfter Aufzug
Erste Szene
Ich sage dir, sie soll's, mach' also flugs ihr Grab: Der Totenbeschauer hat über sie gesessen, und christlich Begräbnis erkannt.
Es muß aber se offendendo geschehen, es kann nicht anders sein. Denn dies ist der Punkt: wenn ich mich wissentlich ertränke, so beweist es eine Handlung, und eine Handlung hat drei Stücke: sie besteht in Handeln, Tun und Verrichten: Ergel hat sie sich wissentlich ertränkt.
Erlaubt mir! Hier steht das Wasser: gut; hier steht der Mensch: gut. Wenn der Mensch zu diesem Wasser geht und sich selbst ertränkt, so bleibt's dabei, er mag wollen oder nicht, daß er hingeht. Merkt Euch das! Aber wenn das Wasser zu ihm kommt und ihn ertränkt, so ertränkt er sich nicht selbst. Ergel, wer an seinem eignen Tode nicht schuld ist, verkürzt sein eignes Leben nicht.
Wollt Ihr die Wahrheit wissen? Wenn's kein Fräulein gewesen wäre, so wäre sie auch nicht auf geweihtem Boden begraben.
Ja, da haben wir's. Und es ist doch ein Jammer, daß die großen Leute in dieser Welt mehr Aufmunterung haben, sich zu hängen und zu ersäufen, als ihre Christenbrüder. Komm, den Spaten her! Es gibt keine so alten Edelleute als Gärtner, Grabenmacher und Totengräber: sie pflanzen Adams Profession fort.
Was? bist ein Heide? Wie legst du die Schrift aus? Die Schrift sagt: Adam grub. Konnte er ohne Arme graben? Ich will dir noch eine andre Frage vorlegen: wenn du mir nicht gehörig antwortest, so bekenne –
Dein Witz gefällt mir, meiner Treu. Der Galgen tut gut: aber wie tut er gut? Er tut gut an denen, die übel tun. Nun tust du übel zu sagen, daß der Galgen stärker gebaut ist als die Kirche: also würde der Galgen an dir gut tun. Noch 'mal dran! frisch!
Zerbrich dir den Kopf nicht weiter darum, der dumme Esel geht doch nicht schneller, wie du ihn [366] auch prügeln magst; und wenn dir jemand das nächste Mal die Frage tut, antworte: der Totengräber. Die Häuser, die er baut, währen bis zum Jüngsten Tage. Geh, mach' dich ins Wirtshaus, und hole mir einen Schoppen Brantewein!
Der Schädel hatte einmal eine Zunge und konnte singen: wie ihn der Schuft auf den Boden schleudert, als wär' es der Kinnbacken Kains, der den ersten Mord beging! Dies mochte der Kopf eines Politikers sein, den dieser Esel nun überlistet; eines, der Gott den Herrn hintergehn wollte: nicht wahr?
Oder eines Hofmannes, der sagen konnte: »Guten Morgen, geliebtester Prinz! Wie geht's, bester Prinz?« Dies mochte der gnädige Herr der und der sein, der des gnädigen Herrn des und des Pferd lobte, wenn er es gern zum Geschenk gehabt hätte: nicht wahr?
Ja ja, und nun Junker Wurms; eingefallen und mit [367] einem Totengräberspaten um die Kinnbacken geschlagen. Das ist mir eine schöne Verwandlung, wenn wir nur die Kunst besäßen, sie zu sehen. Haben diese Knochen nicht mehr zu unterhalten gekostet, als daß man Kegel mit ihnen spielt? Meine tun mir weh, wenn ich dran denke.
Da ist wieder einer: warum könnte das nicht der Schädel eines Rechtsgelehrten sein? Wo sind nun seine Klauseln, seine Praktiken, seine Fälle und seine Kniffe? Warum leidet er nun, daß dieser grobe Flegel ihn mit einer schmutzigen Schaufel um den Hirnkasten schlägt, und droht nicht, ihn wegen Tätlichkeiten zu belangen? Hum! Dieser Geselle war vielleicht zu seiner Zeit ein großer Käufer von Ländereien, mit seinen Hypotheken, seinen Grundzinsen, seinen Kaufbriefen, seinen Gewährsmännern, seinen gerichtlichen Auflassungen. Werden ihm seine Gewährsmänner nichts mehr von seinen erkauften Gütern gewähren, als die Länge und Breite von ein paar Kontrakten? Sogar die Übertragungsurkunden seiner Ländereien können kaum in diesem Kasten liegen: und soll der Eigentümer selbst nicht mehr Raum haben? He?
Schafe und Kälber sind es, die darin ihre Sicherheit suchen. Ich will diesen Burschen anreden. – Wessen Grab ist das, heda?
Du lügst darin, weil du darin bist und sagst, daß es deines ist. Es ist aber für die Toten, nicht für die Lebendigen: also lügst du.
Wie keck der Bursch ist! Wir müssen nach der Schnur sprechen, oder er sticht uns mit Silben zu Tode. Wahrhaftig Horatio, ich habe seit diesen drei Jahren darauf geachtet: das Zeitalter wird so spitzfindig, daß der Bauer dem Hofmann auf die Fersen tritt. – Wie lange bist du schon Totengräber?
Von allen Tagen im Jahre kam ich just den Tag dazu, da unser voriger König Hamlet den Fortinbras Uberwand.
Wißt Ihr das nicht? Das weiß jeder Narr. Es war denselben Tag, wo der junge Hamlet geboren ward, der nun toll geworden und nach England geschickt ist.
Nu, weil er toll war. Er soll seinen Verstand da wieder kriegen; und wenn er ihn nicht wieder kriegt, so tut's da nicht viel.
Freilich, dänischer Grund und Boden. Ich bin hier seit dreißig Jahren Totengräber gewesen, in jungen und alten Tagen.
Mein' Treu', wenn er nicht schon vor dem Tode verfault ist (wie wir denn heutzutage viele lustsieche Leichen haben, die kaum bis zum Hineinlegen halten), so dauert er Euch ein acht bis neun Jahr aus; ein Lohgerber neun Jahre.
Ei, Herr, sein Gewerbe gerbt ihm das Fell so, daß er eine lange Zeit das Wasser abhält, und das Wasser richtet so 'ne Blitzleiche verteufelt zu Grunde. Hier ist ein Schädel, der Euch dreiundzwanzig Jahre in der Erde gelegen hat.
Das Wetter über den unklugen Schalk! Er goß mir einmal eine Flasche Rheinwein über den Kopf. Dieser Schädel da war Yoricks Schädel, des Königs Spaßmacher.
Ach, armer Yorick! – Ich kannte ihn, Horatio: ein Bursche von unendlichem Humor, voll von den herrlichsten Einfällen. Er hat mich tausendmal auf dem Rücken getragen, und jetzt, wie schaudert meiner Einbildungskraft davor! mir wird ganz übel. Hier hingen diese Lippen, die ich geküßt habe, ich weiß nicht wie oft. Wo sind nun deine Schwänke? deine Sprünge? deine Lieder, deine Blitze von Lustigkeit, wobei die ganze Tafel in Lachen ausbrach? Ist jetzt keiner da, der sich über dein eignes Grinsen aufhielte? Alles weggeschrumpft? Nun begib dich in die Kammer der [370] gnädigen Frau, und sage ihr, wenn sie auch einen Finger dick auflegt: so 'n Gesicht muß sie endlich bekommen; mach' sie damit zu lachen! – Sei so gut, Horatio, sage mir dies eine!
Zu was für schnöden Bestimmungen wir kommen, Horatio! Warum sollte die Einbildungskraft nicht den edlen Staub Alexanders verfolgen können, bis sie ihn findet, wo er ein Spundloch verstopft?
Nein, wahrhaftig, im geringsten nicht. Man könnte ihm bescheiden genug dahin folgen, und sich immer von der Wahrscheinlichkeit führen lassen. Zum Beispiel so: Alexander starb, Alexander ward begraben, Alexander verwandelte sich in Staub; der Staub ist Erde; aus Erde machen wir Lehm: und warum sollte man nicht mit dem Lehm, worein er verwandelt ward, ein Bierfaß stopfen können?
Der große Cäsar, tot und Lehm geworden,
Verstopft ein Loch wohl vor dem rauhen Norden.
O daß die Erde, der die Welt gebebt,
Vor Wind und Wetter eine Wand verklebt!
Doch still! doch still! Beiseit! Hier kommt der König!
Zweite Szene
Um so besser ist für dein Heil gesorgt, denn es ist ein Laster, ihn zu kennen. Er besitzt viel und fruchtbares Land: wenn ein Tier Fürst der Tiere ist, so wird seine Krippe neben des Königs Gedeck stehn. Er ist eine Elster, aber, wie ich dir sage, mit weitläuftigen Besitzungen von Kot gesegnet.
Geliebtester Prinz, wenn Eure Hoheit Muße hätte, so wünschte ich Euch etwas von seiner Majestät mitzuteilen.
Ich will es mit aller Aufmerksamkeit empfangen, Herr. Eure Mütze an ihre Stelle: sie ist für den Kopf.
Außerordentlich, gnädiger Herr, es ist sehr schwül – auf gewisse Weise – ich kann nicht sagen wie. Gnädiger Herr, Seine Majestät befahl mir, Euch wissen zu lassen, daß er eine große Wette auf Euren Kopf angestellt hat. Die Sache ist folgende, Herr: –
Erlaubt mir, wertester Prinz, zu meiner eignen Bequemlichkeit. Vor kurzem, Herr, ist Laertes hier an den Hof gekommen: auf meine Ehre, ein vollkommner Kavalier, von den vortrefflichsten Auszeichnungen, von einer sehr gefälligen Unterhaltung und glänzendem Äußern. In der Tat, um mit Sinn von ihm zu sprechen, er ist die Musterkarte [377] der feinen Lebensart, denn Ihr werdet in ihm den Inbegriff aller Gaben finden, die ein Kavalier nur wünschen kann zu sehn.
Seine Erörterung, Herr, leidet keinen Verlust in Eurem Munde, ob ich gleich weiß, daß es die Rechenkunst des Gedächtnisses irre machen würde, ein vollständiges Verzeichnis seiner Eigenschaften aufzustellen. Und doch würde es nur aus dem Groben sein, in Rücksicht seines behenden Fluges. Aber im heiligsten Ernste der Lobpreisung, ich halte ihn für einen Geist von großem Umfange, und seine innere Begabung so köstlich und selten, daß, um uns wahrhaft über ihn auszudrücken, nur sein Spiegel seinesgleichen ist, und wer sonst seiner Spur nachgehn will, sein Schatten, nichts weiter.
Ich wollte, Ihr wüßtet es, Herr, ob es mich gleich, bei meiner Ehre! noch nicht sehr empfehlen würde. – Nun wohl, Herr?
Ich darf mich dessen nicht rühmen, um mich nicht mit ihm an Vollkommenheit zu vergleichen: einen andern Mann aus dem Grunde kennen, hieße sich selbst kennen.
Ich meine, Herr, was die Führung der Waffen betrifft; nach der Beimessung, die man ihm erteilt, ist er darin ohnegleichen.
Der König, Herr, hat mit ihm sechs Barberhengste gewettet; wogegen er, wie ich höre, sechs französische Degen samt Zubehör, als Gürtel, Gehenke und so weiter, verpfändet hat. Drei von den Gestellen sind in der Tat dem Auge sehr gefällig, den Gefäßen sehr angemessen, unendlich zierliche Gestelle, und von sehr geschmackvoller Erfindung.
Der Ausdruck würde schicklicher für die Sache sein, wenn wir eine Kanone an der Seite führen könnten; bis dahin laßt es immer Gehenke bleiben. Aber weiter: sechs Barberhengste gegen sechs französische Degen, ihr Zubehör, und drei geschmackvoll erfundne Gestelle: das ist eine französische Wette gegen eine dänische. Weswegen haben sie dies verpfändet, wie Ihr's nennt?
Der König, Herr, hat gewettet, daß Laertes in zwölf Stößen von beiden Seiten nicht über drei vor Euch voraushaben soll; er hat auf zwölf gegen neun gewettet; und es würde sogleich zum Versuch kommen, wenn Eure Hoheit zu der Erwiderung geneigt wäre.
Ich will hier im Saale auf und ab gehn; wenn es Seiner Majestät gefällt, es ist jetzt bei mir die Stunde, frische Luft zu schöpfen. Laßt die Rapiere bringen; hat Laertes Lust, und bleibt der König bei seinem Vorsatze, so will ich für ihn gewinnen, wenn ich kann; wo nicht, so werde ich nichts als die Schande und die überzähligen Stöße davontragen.
Der Eurige. Er tut wohl daran, sie selbst zu empfehlen: es möchte ihm sonst kein Mund zu Gebote stehn.
Er machte Umstände mit seiner Mutter Brust, eh' er daran sog. Auf diese Art hat er, und viele andre von demselben Schlage, in die das schale Zeitalter verliebt ist, nur den Ton der Mode und den äußerlichen Schein der Unterhaltung erhascht: eine Art von aufbrausender Mischung, die sie durch die blödesten und gesichtetsten Urteile mitten hindurch führt; aber man treibe sie nur zu näherer Prüfung, und die Blasen platzen.
Gnädiger Herr, Seine Majestät hat sich Euch durch den jungen Osrick empfehlen lassen, der ihm meldet, daß Ihr ihn im Saale erwarten wollt. Er schickt mich, um zu fragen: ob Eure Lust, mit Laertes zu fechten, fortdauert oder ob Ihr längern Aufschub dazu verlangt.
Ich bleibe meinen Vorsätzen treu, sie richten sich nach des Königs Wunsche. Wenn es ihm gelegen ist, bin ich bereit, jetzt oder zu jeder an dern Zeit; vorausgesetzt, daß ich so gut imstande bin wie jetzt.
Ich denke nicht: seit er nach Frankreich ging, bin ich in beständiger Übung geblieben; ich werde bei der ungleichen Wette gewinnen. Aber du kannst dir nicht vorstellen, wie übel es mir hier ums Herz ist. Doch es tut nichts.
Es ist nur Torheit; aber es ist eine Art von schlimmer Ahndung, die vielleicht ein Weib ängstigen würde.
Wenn Eurem Gemüt irgend etwas widersteht, so gehorcht ihm: ich will ihrer Hieherkunft zuvorkommen, und sagen, daß Ihr nicht aufgelegt seid.
Nicht im geringsten. Ich trotze allen Vorbedeutungen: es waltet eine besondere Vorsehung über den Fall eines Sperlings. Geschieht es jetzt, so geschieht es nicht in Zukunft; geschieht es nicht in Zukunft, so geschieht es jetzt; geschieht es jetzt nicht, so geschieht es doch einmal in Zukunft. In Bereitschaft sein ist alles. Da kein Mensch weiß, was er verläßt, was kommt darauf an, frühzeitig zu verlassen? Mag's sein!
- Rechtsinhaber*in
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- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2012). Shakespeare, William. Tragödien. Hamlet. Prinz von Dänemark. Hamlet. Prinz von Dänemark. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0CC2-A