[Wan morgen röth: die nacht ertödt]

[219]
Wan morgen röth: die nacht ertödt,
Mit ihren gülden stralen,
Wach ich zu Gott: zu meinem Gott:
Ruff ihm zun offtermahlen.
Ich wach zu Gott: zu dir mein Gott,
Mein augen zu dir kehre;
Vnd ruff dan frey: mitt mattem schrey:
Mich dürst nach dir so sehre.
Ich wein zu dir: Seufftz mit begier
O liebster meines hertzen!
Mein trewer Gott: ist mir kein spott,
Die lieb mich setzt in schmertzen.
Bin matt vnd müd: fast ohn geblüt,
All kräfften seind erlegen:
Die gantze nacht: hab vil gewacht,
Mag kaum die zung bewegen.
Mein hertz von mir: weicht gar zu dir,
O Gott mein trost alleine!
Seufftz also viel: ohn maß vnd zil,
O weh der schwären peine!
Mit starckem brand: ist dir bekandt,
Bin ich so gar befangen.
O süsses band: laß ab zu handt,
Sonst tödt mich groß verlangen.
[220]
Drumb Gott nur eyl: dann deine pfeil
Mich bringen sonst vmbs leben.
Ich sterbe schier: das glaube mir,
Groß lieb hat mich vmbgeben.
Wan ich nit bald: bey dir erhalt,
Das ich mag dein geniessen,
Wird also stracks: wie weiches wachs
Mein hertz in mir zerfließen.
Mit warem mund: auß hertzen grund
Sprich ich mit trewen worten,
Ohn ruh vnd rast: bin ich in last
An allen end vnd orthen.
Ich wohne steth: in wüsten öd,
Da meint ich ruh zu finden:
Nun ist kein land: so vnbekandt,
Da nicht die lieb kom hinden.
Wann ich vermein: weit weg zu sein,
Gefreyt für ihren pfeilen,
Da rüst sie sich: verfolget mich,
Vnd wärens tausent meilen.
O Gott vnd Herr: nichts ist so fehr,
Da sie nit möge kommen.
Kein rast noch ruh: nun finden thu;
Lieb hat mich vbernommen.
Wann dein begirt: mein hertz regiert,
Für leyd kann ich nit sprechen.
Für süsser noth: für süssem todt
Mein hertz mögt mir zerbrechen.
Süß ist der Schmertz: gesund das hertz,
Für frewd ich muß ermatten.
Ja kranck das hertz: herb ist der schmertz;
Bey Sonnen-schein ist schatten.
[221]
Bald dise stund: bin ich verwund
Vnd sinck für todt darnieder:
Bald selbe stund: bin ich gesund,
Steh auff, vnd lebe wider.
O wunder tunst: O kühle brunst,
Wer wolt es ie vermeinen?
Das brenn vnd kühl: als ich nun fühl,
Die Lieb das marck in beinen?
Die lieb ist fewr: O abentheur!
Ist wasser auch imgleichen.
Bringt hertzen-leid: bringt hertzen-freid,
Muß eins dem andern weichen.
Offt manigfalt: bin ich mißstallt,
Werd vmb vnd vmb getrieben.
Hett nie gedacht: an solche macht,
Als ich fing an zu lieben.
All mein gemüth: all mein geblüt
Thut mir für frewden wallen:
So nur allein: O Gott, mir dein
Gedächtnuß ein kompt fallen.
Dein süsser Nam: dein edler Stamm
Verwund mir mein gemüte,
Dein angesicht: dein augenlicht
Entzünd mir mein geblüte.
Wan ich zu nacht: von dir betracht,
Mit lieb vnd last beladen,
Mein augen beyd: für frewd vnd leyd,
In lauter zähren baden.
O starcke lieb: O Hertzen Dieb,
Was wilt mit mir viel pochen?
Kann wider dich: doch nichtes ich,
Mein Seel hastu durchstochen.
[222]
Nimb vollends hin: all meine Sinn,
Nimb alles weg zur stunden.
Bin lauter dein: vnd gar nit mein,
Geb mich gantz vberwunden.
Ach, ach, wie geh: wird mir so weh,
Kein verß ich mehr kan dichten.
Die sprach besteht: vnd krafft vergeht;
Begird mich hin will richten.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Spee, Friedrich. Gedichte. Geistliche Lieder aus dem Güldenen Tugendbuch. [Wan morgen röth: die nacht ertödt]. [Wan morgen röth: die nacht ertödt]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1270-D