Der Pomeranzenbaum und die Biene.

Ein Mährchen.


Es gab einmal einen König der seine Gemahlin und seine Kinder (er hatte deren nur zwei), sehr zärtlich liebte. Um ihnen ein Vergnügen zu machen, verordnete er einst eine Wasserfahrt, an welcher der ganze Hof Antheil nehmen sollte. Die Schiffe waren mit schönen Flaggen, welche im Winde weit umher flatterten, geziert. Ueberall auf dem Verdeck waren schöne Teppiche [62] ausgebreitet, und auf diesen lagen seidne Polster; um bequem da zu sitzen. Eine Menge Musikanten waren in kleine offne Fahrzeuge vertheilt, welche die größern umgaben, und weit umher konnte man die Töne ihrer Instrumente hören. Die Kinder waren sehr vergnügt und fröhlich und die Eltern freuten sich ihrer Kleinen Fröhlichkeit. So schön das Wetter, so heiter der Himmel war, so bemerkten doch die erfahrnen Schiffer, daß es nicht rathsam sei, sich allzuweit in die See hinein zu wagen, daß es vielmehr besser wäre, bald wieder an das Land zu gehen. Ein dumpfes Brausen im Meeresgrunde warnte sie, als ein Vorbote des Sturms, und am Himmel zogen einzelne Wölkchen herauf, die endlich sich zu einer großen Wolke vereinten. Unglücklicherweise eilte man aber mit der Rückkehr nicht so sehr, als es nöthig war; der Sturm erhob sich mit Gewalt, einige der Schiffe wurden von den andern getrennt, und tief ins Meer getrieben, und nur mit Noth entkamen die andern der Gefahr und liefen ohne Schaden in den Hafen ein. Die kleine dreijährige Prinzessin befand sich mit ihrer Oberhofmeisterin und ihrer Amme auf einem der verlornen Schiffe und der Schmerz ihrer Eltern über ihren Verlust und wahrscheinlichen Tod, war ohne Grenzen. Der Sturm trieb indessen das Fahrzeug, [63] auf welchem die Kleine war, weit, wie ins Meer hinein, und warf es endlich auf den Strand eines entfernten Landes, und mit so großer Gewalt, daß es ganz auseinander ging, und, die kleine Prinzessin ausgenommen, ertranken Alle die darauf waren. Das Kind, welches in seinem kleinen Bette schlief, ward mit diesem von den Wellen höher herauf ans Land gespült. In diesem Lande lebte ein böser Riese mit seiner eben so bösen, und eben so häßlichen Frau, die auch, wie er, von einer ungeheuren Größe war. Beide aßen gerne Menschenfleisch und ihre Kinder ahmten ihnen darin nach. Unholde, so hieß die garstige Riesin, fand die Wiege mit der Kleinen am Ufer. Aha! rief sie, grinsend vor Freude, da finde ich ja einen allerliebsten kleinen Braten, und so nahm sie das Kind mit dem Bettchen in ihre große Hand und trug es nach ihrer Höhle. Die kleinen Popanze, das waren ihre Kinder, und ihr Mann, der große Popanz, kamen ihr voll Neugierde entgegen, und der Vater hatte nicht üble Lust die kleine Rosa auf der Stelle zu verschlucken, die Kinder aber baten, sie ihnen noch ein wenig als ein Spielwerk zu lassen, und so kam sie noch mit genauer Noth, diesesmal, mit dem Leben davon. Bald gewöhnten sich die jungen Popanze so sehr mit Rosen, die sehr artig und munter war, zu [64] spielen, daß sie sie verstecken und verbargen, wenn die Eltern einmal Miene machten, sie endlich verspeisen zu wollen. So wuchs sie bis in ihr zwölftes Jahr heran, und ihr größter Kummer war der, daß sie oft sehen mußte, wie der Popanz und die Unholde mit ihren Kindern nach einem Sturme auf die armen Schiffbrüchigen, die sich noch zuweilen ans Ufer retteten, lauerten und sie dann fingen und verzehrten. So saß sie einmal am Strande und betrachtete die schäumenden Wogen, als sie etwas heran schwimmen sah. Bald trugen es die Fluthen auf den Strand und sie lief hinzu, da sie sahe, daß es ein Leichnam war. Sie zog ihn, obschon mit vieler Mühe und Anstrengung, ins Trockne herauf; in den brennenden Schein der Sonne, und durch ihre Strahlen erwärmt, erwachte der Scheintodte, der noch nicht lange im Wasser gelegen war. Rosa war voll Freude über seine Wiederbelebung, und voll Angst, daß nicht jemand von der Popanzischen Familie dazu käme, ehe sie ihn in Sicherheit gebracht hatte. Sie führte ihn zu einer verborgenen Höhle und brachte ihm heimlich Früchte, Fische und Krebse. Der Gerettete war nur wenige Jahre älter als Rosa. Obgleich sie, seitdem sie hier war, ihre Muttersprache nicht wieder hatte sprechen hören, so war ihr doch noch eine [65] dunkle Erinnerung derselben geblieben, und sie begriff sie bald, und konnte sich nach einigen Monaten schon wieder deutlich und verständlich in derselben ausdrücken. Sie zeigte ihrem neuen Freunde ihr kleines Bette, ihre Kleider und andere Kleinigkeiten, die sich einst bei ihr befanden, und mit Entzücken entdeckten beide, daß sie Geschwister waren. Der Prinz konnte sich noch deutlich erinnern, wie der entsetzliche Sturm sein kleines Schwesterchen mit ihrem Schiffe fortriß, und malte ihr den Schmerz der armen Eltern, über ihren Verlust, so deutlich aus, daß Rosa fast in Thränen zerfloß. Beide beschlossen nun, sobald als möglich zu entwischen und in ihre entfernte Heimath zu eilen.

Nach der gewöhnlichen Art der jungen Prinzen, sich, ehe sie selbst zur Regierung gelangen, in der Welt umzusehen, um durch Reisen und Erfahrungen klüger und weiser zu werden, war auch Rosens Bruder zu Schiffe gegangen, als der Sturm allen Unternehmungen ein Ziel setzte und ihn das Schicksal seiner Schwester theilen ließ. Rosa hatte die Bemerkung gemacht, daß ein kleines weißes Stäbchen, welches sich in der Höhle Popanzens befand, sehr wunderbare Kräfte besaß, und ihre erste Sorge war nun die, sich desselben zu bemächtigen. Es gelang ihr, und als am Abend sich Alle niederlegten [66] um zu schlafen, warf sie eine Bohne in die heisse Asche auf dem Heerde, berührte sie mit dem Stabe und sprach: »Im Namen der Fee Trusco gebiete ich dir für mich zu antworten, bis du verbrennt bist.« Dann führte sie ein Kameel, das sich in der andern Höhle befand, heraus, setzte sich mit ihrem Bruder darauf, und muthig traten beide nun ihre Reise an. Nach einer Weile erwachte die Unholdin. Rosens Platz war leer, und sie rief sie laut. Die Bohne antwortete: »ich komme sogleich.« – Nach einer Stunde vermißte sie sie abermals und schrie noch lauter als vorher. Etwas matter entgegnete die Bohne sie werde gleich da seyn. Abermals und schon als der Morgen dämmerte, erwachte die Riesin und schrie, daß die andern davon aus dem Schlafe auffuhren, nach Rosen; aber die Bohne war verbrannt und konnte nicht mehr antworten. Fort waren Rosa, der Stab und das Kameel. Wüthend schrie Popanz: meine Meilenstiefel her! Er zog sie an und mit jedem Schritte legte er eine Meile zurück. Es konnte nicht fehlen, daß er auf die Fliehenden stieß, da er nicht gerade aus, sondern nach allen Richtungen sie verfolgte. Rosa gewahrte ihn noch zum Glück bei Zeiten. Sie verwandelte das Kameel in einen See, ihren Bruder in einen Rachen, und sich in ein steinaltes Mütterchen [67] in demselben. He! alte Hexe! schrie Popanz, hast du nicht ein junges Mädchen auf einem Kameel gesehen? – O ja, gnädiger Herr, entgegnete sie, aber sie nahm den Weg dort zur Linken. Popanz setzte ihr nach, die Reisenden nahmen unterdessen ihre Gestalt wieder an und gaben dem Kameel die seinige, dann eilten sie zur Rechten weiter. Sie waren sehr auf ihrer Hut, und so entdeckten sie auch in der Ferne den zurückkehrenden Popanz. Schnell war der Prinz zu einer so ungeheuer großen Säule, daß der Riese nicht hinauf langen konnte, und so, vor seinem Apetit sicher, stand Rosa als Zwerg auf der Spitze der Säule; das Kameel war in einen Stein umgewandelt. Sie versicherte auf die Fragen, sie betreffend, mit großer Zuversicht, das junge Mädchen mit dem Kameele sei zur Linken fortgeritten, und Popanz kehrte wieder um; da er aber nichts fand, ward er verdrüßlich und kehrte nach seiner Höhle zurück. Die Frau Unholdin nahm es sehr übel auf, daß er so leer zurückkehrte. Augenblicklich zog sie die Meilenstiefel an und begab sich auf die Reise. – Wir sind verloren! rief Rosa, wenn sie nur den geringsten Argwohn hat, und eilig ward der Prinz zur Biene, die Prinzessin ward ein Pomeranzenbaum und das Kameel ein Strauch. Die Riesin ging getäuscht vorüber, [68] aber unglücklicherweise nahm ein Vorübergehender das Stäbchen in Gebüsche wahr und ging damit fort. Wie betrübt waren nun die Beiden! So mußte sie nun zeitlebens ein Baum und eine Biene bleiben. Wie ließ sich jemals eine Entzauberung hoffen? Viele bewunderten den herrlichen Baum und wollten Blüthen davon brechen, das gab aber die Biene nicht zu, sondern stach die kühnen Räuber herzhaft, daß sie ihren Vorsatz nicht ausführen konnten. Die Biene verliert beim Stechen ihren Stachel und findet so ihren Tod, bei dieser verzauberten war es aber, wie es sich versteht, anders, das Stechen schadete nur dem Gestochenen. Bald verbreitete sich das Gerücht von dem so wunderbar beschützten, schönen Baume weit umher aus, und eine benachbarte Prinzessin, der es auch zu Ohren kam, beschloß, sich von der Wahrheit zu überzeugen, und, um vor den Stichen der Biene in Sicherheit zu seyn, hüllte sie und die sie begleiteten sich in lederne Kappen und Larven ein, und verwahrten die Hände in die Handschuh. Vergebens strebte der arme Prinz seine Schwester zu schützen, muthwillig brach die Prinzessin einen kleinen Ast voll Blüthen vom Baum, aber, o Wunder! helles rothes Blut floß aus der Wunde. Wie bereuete nun die erschrockne Prinzessin ihren Raub, denn jetzt war es [69] ihr offenbar, daß ein Zauberer im Spiele war. Sie ließ sogleich eine Menge Feen zu sich bitten, und bat sie dringend eine Entzauberung zu bewirken. Zum Glücke war die Fee Trusco unter den Geladenen, und da sie in ihrem Namen verwandelt waren, konnte sie den Verzauberten sogleich ihre wahre Gestalt wieder geben. Voll freudigen Entzücken warfen sie sich der guten Fee zu Füßen und weilten dann noch einige Tage im Pallaste der liebenswürdigen Prinzessin. Rosa hatte zwar in dem Ast ihren kleinen Finger verlohren, doch heilte die Erretterin sie durch ihre Macht sogleich und brachte dann die Geschwister in ihren, mit Schwänen bespannten, goldenen Wagen durch die Luft zu ihren Eltern, die vor Freuden ausser sich waren. Die Unterthanen freuten sich auch ihren geliebten Prinzen wieder zu haben und mit ihm die kleine liebenswürdige Prinzessin.

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TextGrid Repository (2012). Stahl, Karoline. Märchen. Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. Der Pomeranzenbaum und die Biene. Der Pomeranzenbaum und die Biene. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1674-9