Notgedrungener Prolog

zu einer Aufführung des »Peter Squentz« von Gryphius

Der Pickelhering tritt auf

Hier mach ich euch mein Kompliment!
Der Pickelhering bin ich genennt.
War einst bei deutscher Nation
Eine wohlansehnliche Person;
Hatt mich in Schlössern und auf Gassen
Nicht Schimpf noch Sprung verdrießen lassen
Und mit manch ungefügem Stoß
Mein' sauren Ruhm gezogen groß.
Doch, Undank ist der Welt ihr Lohn!
Seit war ich lang vergessen schon;
Verschlief nun in der Rumpelkammer
All Lebensnot und Erdenjammer;
Da haben sie mich über Nacht
Plötzlich wieder ans Licht gebracht.
Wollen ein alt brav Stück tragieren,
Drin meine Kunst noch tut florieren,
Ein Stück, darinnen sich von zwei
Nationen zeiget die Poesei!
Ein Engländer Shakespeare hat es ersonnen
– Hab sonst just nichts von ihm vernommen –,
Dann aber hat es Herr Gryphius,
Der gelahrte Poete und Syndikus,
In rechten Schick und Schlag gebracht
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Und den deutschen Witz hineingemacht.
Da hört ihr, wie ein ernster Mann
Auch einmal feste spaßen kann.
Doch, Lieber, sag mir, wenn's gefällt
– Ich war so lang schon außen der Welt –,
Herr Professor Gottsched ist doch nicht zugegen? –
Ich gehe demselben gern aus den Wegen;
Es ist ein gar gewaltsamer Mann
Und hat mir übel Leids getan;
Meinen guten Vetter Hans Wursten hat er
Zu Leipzig gejaget vom Theater,
Weil er zu kräftiglich tät spaßen.
Hätte ja mit sich handeln lassen!
Wir – haben unsre Kurzweil auch;
Doch, Lieber, alles nach Fug und Brauch!
Denn sonders vor dem Frauenzimmer
Muß man subtile reden immer;
Sie zeuchen das Sacktuch sonst vors Gesicht,
Und da schauen sie die Komödia nicht.
Dies aber wär schad überaus;
Denn es ist ein ganzer Blumenstrauß!
Tulipanen und Rosmarin,
Auch Kaiserkronen sind darin;
Die Vergißmeinnichte, so es zieren,
Werden euch sanft das Herze rühren;
Mitunter ist dann auch etwan
Ein deutscher Kohl dazugetan;
Und sollt eine Saudistel drinnen sein,
Das wollt ihr mildiglich verzeihn!
Und nun, Lieber, hab guten Mut,
Und merke, was sich zutragen tut!
Denke: Ein Maul ist kein Rachen,
Eine Kröt ist kein Drachen,
Ein Fingerlein ist kein Maß –
Aber ein Spaß ist alleweil ein Spaß!
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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Storm, Theodor. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1885). Erstes Buch. Notgedrungener Prolog. Notgedrungener Prolog. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1C22-4