[1] Einleitung.

Vorliegendes Buch beschäftigt sich an erster Stelle mit dem Aberglauben. Damit ist der Volksaberglaube gemeint, jener Aberglaube, der im eigentlichen Volke, das ist in der gediegenen seßhaften Bevölkerung des Landes, von alters her bestanden hat, dort nach Ort und Zeiten minder oder mehr gepflegt worden, teils ausgestorben ist, teils sich bis auf unsere Tage erhalten hat. Der Volksaberglaube hat mit dem sogenannten modernen Aberglauben (Tischrücken, Spiritismus usw.) nichts gemein. Während dieser als das Produkt einer raffinierten Überkultur sich darstellt, ist der Volksaberglaube mehr geschichtlicher Art, ruht auf alten Überlieferungen, ist vielfach mit nationalen Volkssitten verbunden und hat an der Treue, mit welcher diese festgehalten werden, einigen Halt und einige sittliche Bedeutung.

Wenn der Titel des Buches vom Aberglauben im Herzogtum Oldenburg spricht, so soll selbstverständlich damit nicht gesagt sein, daß außerhalb des Herzogtums abergläubisches Denken, Sprechen und Handeln nicht gefunden werde oder dort anders geartet sei. Die Menschen sind überall dieselben, ihr Trachten und Treiben ist überall die »Jagd nach dem Glücke«, überall stellen sie Fragen an das Schicksal, immer und überall bleiben Hoffnung und Furcht ihre Begleiter auf dem Lebenswege. Darum finden wir im großen und ganzen denselben Volksaberglauben im Altertum wie in der Neuzeit, in einem Gau, wie in dem andern. Aber örtliche Einwirkungen, klimatische Verhältnisse, Erziehung und Weltanschauung, Berufsarbeiten, Überlieferungen u. dergl. haben ihn früher und heute beeinflußt, hier stärker als dort, und insofern kann man von einem Aberglauben [1] im Herzogtum Oldenburg und von einem Aberglauben, sagen wir im Morgenlande, reden. Wir feiern im Herzogtum Feste, die wir mit anderen deutschen oder außerdeutschen Ländern gemein haben, und wir feiern Feste, die rein örtlicher Natur sind. So gibts im Lande Aberglauben, den man in der ganzen Welt trifft, und Aberglauben, der nur bei uns und in der Nachbarschaft gedeiht. – Unter den hervorragendsten Predigern der ersten christlichen Jahrhunderte finden wir keinen, der sich so oft und nachdrücklich wider den Aberglauben wendet, als der im Jahre 407 nach Christi Geburt gestorbene Patriarch von Konstantinopel, Johannes mit dem Beinamen Chrysostomus (Goldmund). Aus seinen hinterlassenen Schriften (Cramer, Leipzig 1748) erhalten wir Kenntnis von vielen abergläubischen Gebräuchen jener Zeit. In der 12. Homilie über den 1. Korintherbrief sagt er unter anderm: »Wird in der Ehe ein Kind geboren, so sehen wir auch da wieder den nämlichen Unsinn und viele lächerliche Zeremonien (Bräuche). Denn soll dem Kinde ein Name gegeben werden, so legt man ihm nicht den Namen eines Heiligen bei, wie es die ersten Christen getan, sondern zündet Kerzen an und gibt ihnen Namen, und nach derjenigen, die am längsten brennt, benennt man das Kind und prophezeit ihm ein lang dauerndes Leben,« . .... »Und was soll man sagen von den Amuletten (Zaubermitteln), den Schellen, die man dem Kinde an die Hände bindet und von den Purpurfäden und allem andern Unsinn, während man dem Kinde nichts anhängen sollte, als das schützende Kreuz« ... »Die Ammen und Wärterinnen nehmen Kot beim Baden und streichen ihn mit den Fingern dem Kinde auf die Stirn. Und wenn man dann fragt: Wozu denn der Kot und der Lehm? so antworten sie: das hält das böse Auge, die Zauberei und den Neid ab. Ei! seht doch die Kraft und die Macht des Kotes und Lehmes! Der jagt das ganze Heer des Teufels in die Flucht. Besitzt der Kot eine solche Kraft, warum bestreichst du selbst nicht deine Stirn damit, da du im reiferen Alter stehst, und mehr Neider hast als das Kind? Warum beschmierst du nicht den ganzen Leib mit Kot?« – In der 12. Homilie über den Epheserbrief bemängelt der Redner das abergläubische Achten auf gewisse »Zufälligkeiten«: So kann man z.B. hören: »Wie ich zum Hause hinausging, begegnete mir zuerst der und der.« »Jetzt hat mir der verfluchte Sklave beim Anziehen der Schuhe zuerst den linken gereicht.« »Ich [2] bin beim Ausgehen mit dem linken Fuß zuerst über die Schwelle geschritten.« »Kaum war ich ausgegangen, da zuckt mir das rechte Auge in die Höhe, das läßt auf Tränen schließen.« »Schreit ein Esel, kräht ein Hahn, niest jemand, kurz, ereignet sich was immer, so suchen sie alles mögliche dahinter und fühlen sich viel abhängiger als tausend Sklaven.« So weit der größte Redner der morgenländischen Kirche. Ist es nicht, als hätten wir einen Prediger unserer Zeit vor uns stehen?

Im Jahre 1669 berichtet der Pastor in Langförden, Gerhard Wassermann, auf eine behördliche Anfrage hin über den in seiner Gemeinde herrschenden Aberglauben: »In der Gemeinde herrscht noch viel Aberglauben. Es gibt manche, welche sich unterstehen, gewisse Gebrechen an Menschen und Vieh zu kurieren, indem sie über dieselben das Kreuzzeichen machen und dabei gewisse geheimnisvolle Worte aussprechen. Andere kommen am St. Johannistage (Johannes der Täufer, 24. Juni) auf einem freien Platze zusammen, legen zwei große Stücke Holz zusammen und reiben diese so lange, bis das Holz zu brennen anfängt. Dieses Feuer, ja selbst der Rauch, sagen sie, sei das beste Heil- und Schutzmittel gegen Viehseuchen. Skandalös und abergläubisch geberden sich Jünglinge und Mädchen, welche abends vor Neujahr und h. 3 Königen auf den Straßen sich umhertreiben, mit Stöcken an die Türen schlagen und dabei abergläubische Worte aussprechen. Sie glauben, je mehr Unfug sie treiben, desto fetter würden die Schweine.« – Hier hören wir von einem Aberglauben, der noch heute fortbesteht, von einem andern, der gänzlich verschwunden ist, und von einem dritten, der noch fortbesteht als Brauch, dessen ursprüngliche Bedeutung dem Volke aber verloren gegangen ist. Demnach können wir heute den Aberglauben unterscheiden in solchen, der noch das Regiment führt, in solchen, der unbekannt geworden und in solchen, dessen äußere Formen bestehen geblieben sind, von dem aber das Volk nicht weiß, was es mit demselben ursprünglich auf sich hatte.

Was den ersteren Aberglauben betrifft, so sei nur an das Gesundbeten, Besprechen, bösen Blick, Vorbedeutung u. dgl. erinnert. – Was den zweiten angeht, so haben zu dessen Verschwinden verschiedene Faktoren beigetragen. Einmal hat die Aufklärung in Kirche, Schule und Presse viel getan oder ein Eingreifen Berufener infolge Unfugs, der sich mit der Zeit [3] damit verbunden hatte, ein ander Mal die Besserung der Lebensverhältnisse oder andere Umstände. Man denke z.B. an den früheren Wahn, der alle Geisteskranke für besessen erklärte, man denke an die vielen abergläubischen Heilmittel einer vergangenen Zeitperiode. Daß die Aufklärung hier mitgewirkt hat, ist klar, daß aber bei den Heilmitteln auch der Geldbeutel eine Rolle spielte, ist ebenfalls klar. Eine wirtschaftlich starke Zeit wird die Leute eher dem geschulten Arzte zuführen als eine wirtschaftlich schwache. In geldlosen Zeiten, und die liegen noch nicht lange hinter uns, mußte der Aberglaube Triumphe feiern. Sodann ist der Aberglaube dort gewichen, wo der Gegenstand, an den er klebte, fortgefallen ist. Das Johannisfeuer ist ausgetan, vielleicht deshalb, weil das Johannisfest im Norden nur mehr sporadisch (Osnabrück) gefeiert wird. In Süddeutschland bestehen noch die Feuer, dort ist auch noch der Johannistag überall gebotener Festtag. Der Flachsbau hat aufgehört und damit der Aberglaube, welcher damit verknüpft war. Wenn früher die Milch keine Butter geben wollte, hielt man sie für behext. Die Hexerei ist zurückgegangen, seitdem die Milch zur Molkerei gefahren wird. Früher gab es auf der Geest allerlei Zauber- oder Heilmittel gegen das kalte Fieber (Malaria), das sich die armen Grasmäher von Holland geholt hatten. Mit dem Aufhören der Hollandsgängerei ist das Fieber unbekannt geworden und damit der daran haftende Aberglaube. Manche Sümpfe waren oftmals wahre Spuknester. Die fortschreitende Bodenkultur hat die Tümpel und Wasserlöcher beseitigt und damit die mit denselben in Verbindung gebrachten Spukgeschichten. Man könnte noch viele Beispiele heranholen, das Gesagte wird genügen. – Was zuletzt diedritte Sorte Aberglauben angeht, so haben wir es hier mit uralten Bräuchen zu tun, an welchen das Volk festhält, obwohl es den Zweck, der dieselben ins Leben rief, nicht mehr kennt. In Kneheim, Goldenstedt, in der Marsch, in der friesischen Wede und den benachbarten hannoverschen Gebieten (Ost und West) ist es Sitte, die Nachgeburt der Pferde in die Bäume zu hängen und sie dort ihrem Schicksal zu überlassen. Frägt man die Leute nach dem warum, so heißt es, es geschehe, damit die Füllen den Kopf hoch hielten, d.h. eine gute Haltung annähmen (Kneheim, Goldenstedt, friesische Wede). Im Saterlande heißt es, Hunde, die von der Nachgeburt fräßen, würden toll. Anderswo wird dagegen [4] behauptet, Hunde, die von der Nachgeburt fräßen, griffen die Füllen an. Daß diese Gründe nicht einleuchten können, liegt auf der Hand (vgl. 144). Macht man die Leute auf ihre unsinnige Erklärung aufmerksam, dann entgegnen sie, der Brauch wäre immer herrschend gewesen in ihrem Hause oder Dorfe, ihre Eltern und Voreltern hätten ihn beobachtet und darum hielten sie es für ratsam, bei demselben zu bleiben. – Der Langfördener Pastor schreibt, wie schon bemerkt, 1669, am Abend vor Neujahr und Dreikönigen machten die jungen Leute viel Lärm im Dorf. Sie schlügen mit Stöcken an die Türen, gebrauchten dabei geheimnisvolle Worte und meinten, je größer der Lärm, desto fetter die Schweine. Daß man am Abende vor Neujahr an die Türen schlägt, alte Töpfe und Scherben gegen dieselben wirft, ist auch noch heute Sitte, aber würde man fragen, weshalb dies geschieht, dann könnte der Gefragte als Grund nur die Lust an Randalieren angeben, andere Gründe sind nicht aufzufinden. Aber warum muß das Radaumachen gerade um Neujahr und Dreikönigen besorgt werden, warum nicht auch sonst im Jahre? Die Mythologie will wissen, das Lärmmachen am Neujahrsabende gelte einem Kampfe gegen die bösen Geister, die zu Beginn des Jahres durch Schlagen, Schießen, Zertrümmern von Geschirren verscheucht werden müssen. In Langförden mochte man hiervon 1669 noch eine Ahnung haben, wenn die junge Welt von der Größe des Unfugs ein Fettwerden der Schweine abhängig machte, denn je besser die Dämonen fortgetrieben wurden, desto weniger mochte ihr fatales Wirken in den Schweineställen zu verspüren sein. Jetzt weiß man von den bösen Geistern nichts mehr, aber das Schießen, Schlagen und Werfen ist geblieben. 1 – In der Zeit von Weihnachten bis Dreikönigen herrscht noch die Sitte, daß alles, was sich dreht, unberührt stehen bleiben muß. Kein Wagen, kein Spinnrad, kein Haspel, keine Schiebkarre darf in Bewegung gesetzt werden. Wer es wagen sollte, zu fahren, zu schieben, würde ein Unglück erleben. Man erzählt sich, dieser oder jener habe den alten Brauch aufgegeben, sofort habe ein Pferd das Bein gebrochen, ein Rind sei krepiert und dgl. mehr. Frägt man auch hier die Leute, warum sie den [5] Brauch beobachten, dann hört man, wie oben, es sei das ein altes Herkommen, von den Vätern ererbt, mehr wisse man nicht. In einem Dorfe der Gemeinde Lindern hat sich nach einer Mitteilung des Pastors Dr. Wulf in Lastrup der Fall ereignet, daß ein Wagen in den Zwölften (Zeit von Weihnachten bis Dreikönigen) von seinem Standort fortgeschafft werden mußte. Der Eigentümer hat ihn aber nicht fortgerollt, sondern auseinander genommen und die einzelnen Teile an dem neuen Standort wieder zusammengesetzt. Weshalb Unglück über ihn hereingebrochen wäre, wenn er das Gefährt fortgerollt hätte, wußte er nicht. Die Mythologie erzählt uns, die heutigen Zwölften wären ein Nachklang der alten Sonnenwendefeste. In dieser Zeit vom 25. Dezember bis 6. Januar stand das Rad der Sonne still. Man hielt es für angemessen, wenn das Sonnenrad stehe, daß dann aus Ehrfurcht auch alle Räder auf Erden stille stehen müßten. Wer sich nicht daran halte, den straften die Götter. Der Landmann unserer Tage weiß von diesem Glauben seiner Vorfahren nichts mehr, aber was jene am Sonnenwendefeste taten, das hat er bis auf den heutigen Tag fortgesetzt. Übrigens hat die alte Sitte hierorts neuerdings stark nachgelassen.

Aberglaube bedeutet eigentlich falscher Glaube. Das erste Element des Wortes »aber« ist dasselbe wie in mhd. aberlist = Unklugheit, frühmhd. Abergunst = Mißgunst, Abername = Spottname, Aberwille = Widerwille. Vgl. auch Aberwitz aus mhd. aberwitze, abewitze = Unverstand aus mhd. abe = ab, wie mhd. abegunst = Mißgunst. (Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache.) Das Volk nennt den Aberglauben »Biglove«, es versteht darunter einen Glauben, der nicht dem Christenglauben, wie ihn Kirche, Haus und Schule lehren, zuwider ist, sondern neben demselben herläuft. Zweifellos soll mit dieser Benennung eine gewisse Berechtigung des Volksaberglaubens dargetan werden. Wenigstens will der gewöhnliche Mann nichts Verkehrtes in demselben sehen, verteidigt ihn, wo er kann, und wenn er sich in gewissen Kreisen über denselben ausschweigt, so rührt dies daher, weil er das Streiten scheut oder fürchtet, ausgelacht, verspottet zu werden. Dies Schweigen ist auch der Grund, daß viele der Meinung sind, der Volksaberglaube habe zuletzt doch einer bessern Einsicht Platz gemacht und sei endgültig begraben. Man beobachte die Menschen, wenn sie unter sich sind und sich nicht von fremden Ohren belauscht wähnen, und man wird noch [6] auf viele stoßen, die den Aberglauben theoretisch und praktisch üben, oder die ihn theoretisch verurteilen, aber praktisch üben. Daß am Montage z.B. eine wichtige Arbeit mit Widerwillen begonnen wird, kann man wiederholt wahrnehmen. Ich kenne in nächster Nähe eine Bauerschaft, die man beileibe nicht als rückständig verurteilen darf, wo aber kein Landwirt in der Erntezeit am Montage mit dem Roggenmähen den Anfang macht. Sind die Schnitter nicht vor dem Montag zu haben, so werden am Samstage vorher einige Streifen abgemäht, damit man sagen kann, am Samstag habe die Arbeit begonnen. Anderswo, bei Oldenburg herum, hält man darauf, am Freitage mit dem Schneiden zu beginnen. Wählt man einen anderen Tag, dann kommt die Frucht schlecht zu Hause oder wird im Fach durch Mäusefraß vernichtet. In den protestantischen Landesteilen wird als Hochzeitstag der Freitag bevorzugt, in den katholischen Landesteilen der Dienstag und Donnerstag. In einem Falle hält man den Freitag für einen Glückstag, in andern für einen Unglückstag. Es mögen auch praktische Gründe für die Wahl dieser Tage sprechen, aber sie sind nicht entscheidend.

Es gab eine Zeit, wo alles, was etwas gelten wollte, gegen den Aberglauben eiferte. Das war die Zeit der Aufklärerei zu Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts. In Schulen und Kirchen und wo sonst von Unterricht und Belehrung die Rede war, hatte man nichts Eiligeres zu tun, als auszurotten und vergaß über dem Ausrotten das Pflanzen. Der Aufschwung, den das patriotische Leben nach den Freiheitskriegen nahm, sollte auch dem Aberglauben zugute kommen. Die Dichter waren die ersten, welche sich des verfolgten Aberglaubens annahmen und von manchem behaupteten, daß er doch wenigstens poetisch wäre und ein Recht auf Dasein habe. Das ganze schöne Reich der Märchenwelt ist ja ein Reich des Aberglaubens, und wer nur z.B. die schönen Haus- und Kindermärchen der Gebrüder Grimm lesen und sich an ihnen freuen will, muß seine Portion Aberglauben haben. Das soll heißen, er muß poetisch glauben an Hexen und Nixen, an das Gespräch der Tiere und Bäume, an verzauberte Schlösser und verwünschte Prinzessinnen, an Meilenstiefel und gefeiete Schwerter und wie die Dinge alle heißen, die alle nicht wahr und doch so schön sind. Dem Dichter macht jetzt niemand mehr den Aberglauben zum Vorwurf.

Im Grunde ist der Volksaberglaube wie er sich durch den Tag kundgibt, eine ungefährliche Sache, ja nicht blos ungefährlich, [7] er ist unter Umständen sogar nützlich; manches ist ergötzlich, spaßig, anderes gilt endlich für Aberglauben und ist doch nur ein alter, guter, sinniger Gebrauch. Wenn ich dem Kinde sage: »Das Messer leg nicht mit der scharfen Klinge in die Höhe, es tut die lieben Englein weh,« wie im Volksboten 1853, S. 193, treffend ausgeführt wird, so ist das Aberglaube, hat aber seinen Nutzen, und vernünftige Pädagogen werden nichts dagegen einzuwenden haben. Wenn ich dem Knaben sage: »Geh nicht zu nah ans Wasser, die Nixe zieht dich nein« oder die Mutter droht den Kindern: Geht nicht an die Erbsen, die »Erftenmoder«, oder: Geht nicht in das Roggenfeld, die »Roggenmoder« faßt euch, so ist das wiederum Aberglaube, aber wirkt er schädigend auf die Erziehung? Dann ist es auch schädlich, wenn man die Kinder bei dem Glauben läßt, der Weihnachtsmann oder das Christkind habe zu Weihnachten die Gaben gebracht. Der Satz: Heb deine Fäuste nicht gegen den Vater auf; wer seine Eltern schlägt, dem wächst die Hand aus dem Grabe heraus, predigt er Aberglauben, und wenn er ihn predigte, ist er ohne sittliche Kraft? Wenn es heißt: Wer die Butter zuerst anschneidet, bekommt in 7 Jahren keine Frau, so liegt darin die Mahnung an die junge Welt, den älteren Leuten den Vortritt zu lassen. Wenn es früher hieß, als noch der Flachsbau und das Spinnen hierorts in Würden stand, wer am Sonntag spinne, dem würden von unsichtbarer Hand die Fäden zerschnitten, so lag diesem Aberglauben die Mahnung zu Grunde: Gedenke, daß du den Sabbat heiligest. In den »Zwölften« soll man die Obstbäume mit einem Strohband umwickeln, rät der Aberglaube, dann tragen sie gut. Wer der Mahnung folgt, wird auch sonst um seine Bäume Sorge tragen. – Daß der Aberglaube auch dazu beiträgt, daß der Humor nicht untergeht in unserer öden Welt, kann man sehen, wenn die junge Welt sich in der Neujahrsnacht am Bleifigurengießen belustigt, oder wenn das Volk seine Freude hat, wenn es den Jäger mißvergnügt sein Heim aufsuchen sieht, weil ihm beim Ausgange ein altes Weib über den Weg gelaufen ist, oder wenn es heißt, daß man Unglück hat, wenn einem das Butterbrot aus der Hand und auf die geschmierte Seite fällt.

Was dem Aberglauben von jeher soviel Feindschaft eingetragen, ist der Glaube an seine große Gemeingefährlichkeit. Es ist sicher, daß der Aberglaube der Menschheit schon viel Schaden an der Ehre, Gesundheit und Vermögen zugefügt hat, [8] man denke an den früheren Hexenwahn, aber was noch besteht, ist nicht so schädlich, als der moderne Aberglaube, der in den Klassen sich breit macht, welche sich auf ihre Bildung und Gesittung etwas zu gute tun und auf den Bauernaberglauben verächtlich herabblicken. Immerhin sucht auch noch der Volksaberglaube täglich seine Opfer; z.B. ein Überrest des alten Hexenwahns, der Glaube, daß gewisse Leute dem Vieh oder Kindern durch bösen Blick oder sonst Unheil zufügen können und auch wirklich zufügen, spukt noch stark im Volke und wird von heute auf morgen nicht verschwinden. Viel Leid hat dieser Glaube schon verursacht und verursacht es noch täglich. Es ist deshalb ganz verkehrt, wenn Leute, die im Volke stehen und im Volke wirken müssen, sich um den Volksaberglauben nicht kümmern, sondern sich stellen, als wäre derselbe nicht vorhanden oder gehe sie nichts an. Wer im Volke zu wirken hat, muß sich auch um dessen Aberglauben kümmern, er lernt dann die Denk- und Handlungsweise seiner Mitmenschen besser verstehen, kann unter Umständen aufklärend handeln und Schäden abwenden oder mildern. Dabei hüte man sich aber vor einem falschen Optimismus. Wer den Kampf mit dem schädlichen Aberglauben aufnimmt und glaubt, über kurz oder lang alles abergläubische Wesen bannen zu können, wird vor Überraschungen nicht bewahrt bleiben. Die allgemeine natürliche Neigung zum Aberglauben ist einmal da, wie zu Anfang dieses Aufsatzes bemerkt wurde, und wird sich nicht ausrotten lassen. Man muß mit ihr rechnen. Ein übriges tut die Gewinnsucht, welche die Schwächen der Menschheit ausbeutet und somit zur Erhaltung bezw. Ausbreitung abergläubischen Unfugs beiträgt.

Von großem Werte ist das Studium des Volksaberglaubens für die Mythologie. Ein sorgfältiges Durchforschen des Aberglaubens, der Sagen, der alten Gebräuche und Volkssitten hat die deutsche Mythologie erst möglich gemacht, und jede weitere Forschung auf diesem Gebiete bietet Gewähr für eine Bestätigung, Berichtigung und Bereicherung bislang gewonnener Kenntnisse. Heidnische Vorstellungen und Begriffe nahmen hier und dort den Charakter der Volkssitte an und wurden in dieser Gestalt aus dem Heidentum in das Christentum herübergenommen. Der »Zwölften« ist bereits gedacht, wir erinnern überdies an die Johannisfeier, Sylvestertreibereien, Peterbult, Osterfeuer, Nikolausgebäck. Wer da weiß, welch zähe Lebenskraft der Volkssitte auf allen Gebieten des Lebens eigen ist, [9] darf sich nicht wundern, wenn das Christentum mit solchen Bräuchen sich abfinden mußte. Entweder beließ es das Volk bei denselben in der Erwartung, mit dem allmählichen Verschwinden des Heidentums werde auch die heidnische Sitte verschwinden, oder es suchte den alten Bräuchen eine christliche Bedeutung unterzulegen. Man findet denn auch, wie schon bei den Zwölften und anderen Gebräuchen bemerkt wurde, daß der ursprüngliche Sinn noch bestehender Volkssitten durchgängig nicht mehr verstanden wird. In vielen Fällen wird auch kaum noch von einer wirklich abergläubischen Absicht bei derartigen Erscheinungen des Volkslebens die Rede sein können. Man sehe das bezüglich der Zwölften und Neujahrsfeier in Langförden Gesagte.

Vorliegendes Buch führt die Überschrift »Aberglaube und Sagen.« Sagen haben mancherlei Beziehungen zum Aberglauben. Der Aberglaube stellt feste Sätze oder Behauptungen auf, und die Sage berichtet von Begebenheiten, in welchen diese Sätze ihre Erfüllung gefunden haben, in die Wirklichkeit übertragen sind. Der Aberglaube läßt z.B. einen wichtigen Bau nur gelingen, wenn ein Mensch in das Fundament gemauert ist, und die Sage verkündet, diese oder jene Kirche, dieses oder jenes Schloß, dieser Deich habe nicht eher stehen oder halten wollen, bis ein unschuldiges Kind mit eingemauert und im Deich sei vergraben worden. Der Aberglaube hält daran fest, daß böse Menschen nach ihrem Tode wiedergehen müssen, und die Sage weiß zu erzählen, wie in Feld und Wald, auf Straßen oder in Häusern ein Mörder Meineidiger, Geizhalz, Wucherer als Spuk die Gegend unsicher macht. Der Aderglaube will, daß über Glocken, die nicht geweiht oder getauft sind, der Teufel die Herrschaft habe, die Sage bezeichnet die Stellen (Tümpel, Sümpfe), in welchen der Teufel Glocken, die er aus den Türmen gerissen, versenkt hat. Anderseits gibt es Sagen, die eine Beziehung zum Aberglauben vermissen lassen, aber uns fast wie Aberglaube anmuten. Bleiben wir bei den Glocken stehen, so herrschte früher der Glaube, der Klang einer Glocke sei um so reiner oder heller oder schöner, je mehr Gold und Silber der Glockenspeise beigemischt werde. Daraus entwickelte sich an Orten, die über ein gutes Geläute verfügten, die Sage, beim Gusse desselben wären vornehme Fräulein vom nahen Schlosse gekommen und hätten ihr sämtliches Geschmeide in die flüssige Glut geworfen. Der Historiker lauscht gern den Sagen, die [10] im Volke gehen; ihnen liegt oft ein wahrer Kern zugrunde, und so dienen sie dazu, den Forscher auf die richtige Fährte zu bringen.

Den Schluß des Buches bilden Märchen und Schwänke. Die Märchen stehen nicht auf dem Boden der Wirklichkeit, machen auf Glauben keinen Anspruch, sind Phantasiegebilde wie der Aberglaube, bilden somit einen passenden Anhang an diesen. Schwänke sind teils Phantasiegebilde, teils dem wirklichen Leben entnommen, im letzteren Falle hat aber die Dichtung sie mit soviel Beiwerk versehen, daß man nicht mehr weiß, wo die Wahrheit anfängt und wo sie aufhört.

Fußnoten

1 In der Marsch wird der Unfug, der anderswo zu Neujahr besteht, auch in der Pfingstnacht geübt, dürfte aber eine Ausnahme bilden und erst später aufgekommen sein.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. Sagen. Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg. Erster Band. Einleitung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2673-E