68. Wie man in inneren Entblößungen sich Gott überlassen müsse

Mel.: Wie kündlich groß ...

1.
Aus Untreu, Trägheit und Zerstreuen
Wächst falsches Kreuz und Leiden viel:
Sonst ist nur Licht und Trost das Ziel,
Wenn Seelen innre Leiden scheuen.
Ein andrer wär' gern schleunig groß,
Der setzt sich selbst wohl dürr und bloß;
Die Einfalt macht kein Kreuz noch Freuden,
Sie nimmt's und liebt nur Gott in beiden.
2.
Wenn dein Gebet dich nicht vergnüget,
Vergnüge Gott dann durch Geduld;
Verbirgt er dir auch seine Huld,
Daß Licht, Geschmack und Trost versieget,
[484]
Glaub ohne Seh'n und liebe rein,
Mit Gott zufrieden in der Pein!
Schön ist's, sich sammeln und erheben,
Schön ist's, im Kreuz gelassen leben.
3.
Will Gott dir alle Zierde nehmen,
Entblößt er dich von Kraft und Mut,
Scheinst du ohn' Tugend, ohne Gut,
Ei, lerne dich nach ihm bequemen!
Dein Gut's muß nicht die Stütze sein,
Gott ist dein Grund, dein Gut allein;
Kannst du dein Eignes dabei wagen,
Dann end't sich all dein Weh und Klagen.
4.
Ach, spricht das treugesinnte Herze,
Vielleicht hat's Untreu wo versehn,
Vielleicht ist's irgend grob geschehn,
Und ich bin selber schuld am Schmerze.
Glaub dein Vielleicht ununtersucht,
Verpfui die Sünd' und lieb die Frucht,
Durchs Pförtchen süßer Herzenskleinheit
Sink aus dir selbst in Jesu Reinheit!
5.
Ja, fährt das Herz wohl fort zu klagen,
Ich werd' versucht und stehe bloß,
Mein Elend und Gefahr ist groß.
Allein dein Umsehn, Sorgen, Zagen,
Das aus der Eigenlieb' entspringt,
[485]
Kein'n Schutz, noch Sieg, noch Rettung bringt;
Lern dich nur ruhig Gott vertrauen,
Und weder dich noch Feind anschauen!
6.
Im Tun hast du dich treu bewiesen,
Zeig nun im Leiden deine Kunst!
Du hast mit Mut und Stärke sonst
Die Feind' erlegt zu deinen Füßen,
Dein Glück, dein Fortgang schien gar groß;
Jetzt ist es Zeit, daß du so bloß
Dich alles des um Gott beraubest
Und, daß er's sei allein, recht glaubest.
7.
Zwar ja, von Sünd' und Eigenheiten,
Die schrecklich tief gedrungen ein,
Wir müssen ganz erlöset sein;
Nur kannst du nicht dies Werk bestreiten,
Dies meinen, wär' schon Greuel g'nug;
So werde denn durch Armut klug,
Dein Selbsttun ist, Gott widerstreben,
Lern dich zu Grunde ihm ergeben!
8.
Zwar ja, ohn' Heiligkeit wird keiner
Das Angesicht des Reinen sehn;
Aus dir kann nur nichts Guts entstehn,
Dein Schmücken macht vor Gott nicht reiner.
Ja, wenn du Schönheit siehst in dir,
Bist du vor Gott ein häßlich Tier;
[486]
Laß gern dein Heiligsein verschwinden,
In Gott mußt du's nur wollen finden!
9.
Warum sich immer fest gehalten,
Warum auf dies und das geschaut
Und sich nicht völlig Gott vertraut?
Laß ihn freimächtig mit dir schalten,
Laß fahren, was du hattest sonst!
Die Liebe durch geheime Kunst
Kann alles haben im Verlieren
Und, wenn sie nichts will, nichts berühren.
10.
Für wen bist du besorgt und bange,
Ist's für dein eignes Leben nicht,
Weil in dir alle Stütze bricht?
Man will 'was sein, man hält sich lange;
Wenn man sich geben soll und muß,
Kommt Unruh, Schwermut und Verdruß;
Selbstliebe fürcht't ihr Untergehen –
Sie geh' zugrund', dann ist's geschehen!
11.
Daß niemand gut als Gott alleine,
Wird leicht gesagt und schwer geglaubt;
Er nehm' es, was du dir geraubt!
Das Nichts, das Elend ist nur deine.
Was suchst, was quälst, was fürchtest du?
Stimm dieser Wahrheit gründlich zu:
Wirst du ins Nichts dich überlassen,
Bald wird Gott zärtlich dich umfassen.
[487] 12.
Verlier dein Los in seine Hände
Und unbedingt dich ihm vertrau,
Für dich nicht sorg, nach dir nicht schau,
Dann sorgt, dann liebt er ohne Ende,
Dann kriegst du Raum, dann will er sein
Dein Leben, Tun und Heil allein!
Laß, ohne für dich selbst zu denken,
Ihn mit dir machen und dich lenken!
13.
Wer so in sich und keinem Werke
Kein'n Aufenthalt noch Stütze hat,
Lebt kindlich hin auf Gottes Gnad';
In Schwachheit findet er die Stärke,
Nichts habend, ist er überreich,
Hoch oder niedrig, gilt ihm gleich,
Er will so sein, wie Gott ihn stellet,
Gott ist's allein, der ihm gefället.
14.
Herr, alles Mein werd' ganz vergessen,
Ich überlass' mich ewig dir,
Du liebest uns ja mehr als wir
Mit Liebe, die ganz unermessen;
Sobald ich mich recht gebe dran,
Dann hast du all mein Werk getan,
Ich lerne da dich lieben reine,
Mein Alles ruft: Gott ist's alleine!

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TextGrid Repository (2012). Tersteegen, Gerhard. Gedichte. Geistliches Blumengärtlein. Drittes Büchlein. 68. Wie man in inneren Entblößungen sich Gott überlassen müsse. 68. Wie man in inneren Entblößungen sich Gott überlassen müsse. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-4B90-D