[97] Reisegedichte eines Kranken

Abreise

Endlich ist der Tag gekommen,
Endlich ist die Stunde da,
Die ich stets unmöglich glaubte,
Weil der Schmerz die Kraft genommen,
Weil der Wahn den Entschluß raubte,
Da ich nur mein Leiden sah.
Welcher heitre Sommertag!
Diese Häuser, diese Gassen,
Die ich nun seit vielen Wochen
Täglich sah mit Zorn und Hassen,
Sollen mir entschwinden,
Und mein Blick die sonnbeglänzten Fluren finden.
[98]
Einmal noch betracht' ich mir die alten
Häuser dort, bemerke die Gestalten
An den Fenstern drüben; wie ein Vorhang
Fällt es zu, der liebste Freund
Sitzt schon neben mir im Wagen,
Abschiedsworte, – und es jagen
Häuser, Gassen, Thore, schwindelnd mir vorüber.
Welch Entzücken! welche Wehmuth!
Bin ich's noch, der wie an Ketten
Dort in trüben Mauern saß?
Ja, der Schmerz ist mir gefolgt
Und spannt über Feld und Wald
Einen schwarzen Schleyer aus.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Gedichte. Gedichte. Dritter Teil. Reisegedichte eines Kranken. Abreise. Abreise. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-5401-E