Der Leerlauf eines Heroismus

Der leipziger Hochverratsprozeß hat den geistigen Zustand der deutschen Reichswehr für diejenigen enthüllt, die ihn noch nicht gekannt haben.

Den Prozeß nehmen wir nicht ernst. Das Reichsgericht hat in politischen Urteilen längst das Vertrauen aller Kenner eingebüßt – was in seinen Urteilen niedergelegt wird, ist Ressentiment und Politik, die sich der Juristerei als Form bedient. Daß Kommunisten noch niemals so behandelt worden sind wie diese drei Offiziere, sagt uns nichts Neues. »Ich habe«, sagte der Reichsanwalt, »die Angeklagten nicht kränken wollen, und ich würde es bedauern, wenn ich sie gekränkt habe.« Na, da ists noch mal gut . . .

Wichtig und aufschlußreich ist nicht die Geistesverfassung des Reichsgerichts, die bekannt, wichtig ist die Denkungsart der Reichswehr, die weniger bekannt ist.

Sie ist trostlos.

Daß Berufssoldaten berufsmäßige Gegner des Pazifismus sind, darf uns nicht wundern und ist verständlich; das ist immer so gewesen. Obgleich es ja seltsam anmutete, wenn etwa Feuerwehrleute jene bekämpften, die die Entstehung von Bränden verhüten wollten . . . diese Soldaten haben sich niemals als eine Feuerwehr gefühlt, die man im Augenblick der Gefahr ruft, sondern immer als Selbstzweck.

Ich will nicht zu jenen Majoren und Leutnants sprechen, die man deshalb nicht überzeugen kann, weil sie nicht lesen können, und, könnten sie es, nicht verstehen, was sie lesen, und verständen sie es, es falsch anwendeten. Ich spreche zu Menschen, die Ungeist mit dem Geist bekämpfen wollen.


Jeder Mensch schafft sich im Geiste eine Welt, in der er seinen Fähigkeiten nach im Mittelpunkt steht. Die wenigsten gestehen sich das ein. Beginnen wir bei uns selbst.

Pazifisten, die gut reiten können, sind Ausnahmen. In jeder pazifistischen Strömung ist – neben den besten ethischen Absichten – die Ablehnung einer Welt, in der der predigende Pazifist keine führende Rolle spielt. Es ist schon viel, wenn er in jener kriegerischen Welt mit Anstand bestehen kann. Dieser tantenhafte Zug ist im Pazifismus[275] unverkennbar; wo er sich sentimental auswirkt, ist er auf das schärfste zu bekämpfen. Denn das ist nicht Sinn und Inhalt des Pazifismus. Die militärischen Gegner bekämpfen uns; mit Verleumdungen, wie zum Beispiel in diesem Prozeß; mit Beschimpfungen, die uninteressant sind, und mit einer Spur von Recht. Sie kämpfen aber dann gegen den schlechtem und minderwertigen Teil des Pazifismus, gegen seine Karikatur, gegen das Weinerliche an ihm.

Im übrigen ist solch ein Kampf eine Frage der geistigen Kraft, und zwar nicht nur der brachialen, wie heute durchweg gelehrt wird. Der friedliebende Mensch, der seine besten Kräfte nicht auf Schlachtfeldern verwertet, baut sich eine Welt, in der er etwas gilt, und er ist leicht geneigt, diese seine Welt sittlich höher zu stellen als die aller andern.

Dieses Element muß sauber herausgeschält werden; es ist Schwäche und Lüge, hier die Augen zu schließen. Ich halte es auch für ganz berechtigt und natürlich.

Der Pazifist hat jedoch in seinem Kampf gegen den Krieg recht, weil er es ablehnt, über das Leben andrer Menschen zu verfügen. Ich fühle in keiner Hinsicht vegetarisch: es mag Situationen geben, in denen Blut zu vergießen kein Unrecht ist. Als Grundforderung aber muß aufrechterhalten werden, daß niemand das Recht hat, über das Leben seiner Mitmenschen zu verfügen, um sich selber zu erhöhen. Das aber tut der Soldat.

Die Fundierung der im leipziger Prozeß geäußerten Ansichten war mehr als kümmerlich. Man braucht keine Literatur zu zitieren; unsereiner riecht ja, woher Meinungen stammen. Diese stammen durchweg aus dem Gefühl. Deshalb brauchten sie noch nicht schlecht zu sein. Sie sind aber leer und schlecht. Denn:

Wenn man die jungen Leutnants und die bedächtigem ältern Offiziere beklopft, so wird sich immer wieder finden, daß sie Deutschland, ihre Mitbürger und die gesamte Welt für einen Exerzierplatz, für ein Manöverfeld und für ein zukünftiges Schlachtfeld ansehen, auf dem sie das entfalten können, was sie ihre besten Fähigkeiten nennen. Dort sind sie ganz Mann, nur dort, dort erst. Es ist für diesen Heroismus, der bei vielen zweifellos echt und mannhaft vorhanden ist, bezeichnend, daß er niemals nach dem Zweck des soldatischen Getriebes fragt. Der Kampf wird gekämpft; ist er einmal begonnen, muß er durchgehalten werden – aber worum das Ganze geht, wofür, für wen, zu wessen Nutzen: danach fragen sie nicht. In Heinz Pols Roman ›Entweder – oder‹ findet sich eine herrliche Stelle; es ist jene, wo ein junger Graf, der im Baltikum mitgekämpft hat, sich den Marx kauft. »Er wollte doch einmal sehen, was er da eigentlich bekämpfte.« Das ist es. Der Kampf ist primär – erst nachher wird er rationalisiert.

Das führt leicht dazu, den Kampf überhaupt zu wollen, und also: [276] ihn hervorzurufen und sich Feinde zu machen, damit man selber Soldat sein kann. Der Soldat braucht einen Feind. Sonst wäre er nicht.

Gewinnen also diese Offiziere Einfluß auf die Politik des Landes – und sie haben einen bereits sehr wesentlichen, einen, der viel größer ist als gemeinhin angenommen wird – dann liegt es sehr nahe, daß sie, um der Betätigung ihres Handwerks willen, den Kampf selbst da provozieren, wo man ihn vermeiden kann.

Was die jungen Herren vor Gericht ausgesagt haben, verdient keine Widerlegung; wo nichts ist, hat der Polemiker sein Recht verloren. Es war das typische Ressentiment soldatischer Haltung, ein Kasinogespräch, das jeder, der im Kriege gewesen ist, im Schlaf aufzeichnen kann. Es war und ist die Ablehnung der geistigen Welt, der Friedenswelt überhaupt, weil es in ihr für diesen Menschenschlag langweilig ist, zu leben. Man kann von keinem Schauspieler verlangen, daß er eine Gesellschaftsordnung bejaht, in der etwa die Theater verboten und ausgeschaltet sind. Der Schauspieler will spielen. Der Soldat will Krieg führen.

Nun ist der Militär nicht vom Himmel heruntergefallen. Er ist nichts als eine überall vorkommende Art des Menschengeschlechts, in Deutschland durch Geschichte und Tradition nur übermäßig gezüchtet, weil einem gewissen Typus des Deutschen in vielem entgegenkommend.

Am Soldaten ist – ohne Wertung betrachtet –: Kraft; Jugend; Mut, der angewendet sein will; Überschuß, der sich austoben will; Rauflust; Freude am Gehorchen und Freude am Befehlen; Freude an der Arbeit in frischer Luft; Freude an Farben und am Apparat – alles das und noch viel mehr. Gemischt ist das beim modernen Soldaten mit dem Typus des büromäßigen ›Organisators‹, des Mannes, der kommandieren und andre arbeiten lassen will; mit dem Techniker, der seinen Spaß an modernen Maschinen hat, die er auf Kommando seinerseits kommandiert . . . diesen Leuten ist es nicht wichtig, wer in einem Streit England – Deutschland recht hat, das bewegt sie überhaupt nicht. Es bewegt sie, eine Division zu verladen und einen Tank zu bedienen. Sport.

In dieser Betätigung ist viel Gutes und Legitimes. Statt nun aber solche vorhandenen Kräfte auszunutzen, drängt sie die heutige Gesellschaftsordnung zurück; in dem kapitalistischen Büro-Getriebe können so beschaffene junge Menschen nichts mit sich und ihren Kräften anfangen, und nun schaffen sie sich das, was sie brauchen.

Denn das Militär mit allem seinem Drum und Dran ist nicht nur ein Bedürfnis der Allgemeinheit. Es ist vor allem eines der Beteiligten.

So, wie der Halb-Intellektuelle, der ›nicht weiß, was er werden soll‹ in das Beamtentum oder in die Industrie tritt und sich dort einen ›Laden aufbaut‹, der vorher nicht dagewesen ist, einen, den der Mann braucht, um überhaupt zu sein –: so schafft sich der Soldat in allen Ländern [277] erstens die nötigen geistigen Voraussetzungen für seine Existenz in Form von Feinden, Gefahren und einem ins Wahnwitzige gesteigerten Nationalismus und zweitens in einem Apparat, in dem er regieren, arbeiten, seine Kräfte entfalten – in dem er sein kann. Diese geronnene Institution von zur Gewalttätigkeit neigenden und kraftvollen Menschen sind die Heere; diese Apparate werden benutzt, mißbraucht und gebraucht von der jeweils herrschenden Ordnung: zur Unterdrückung des Klassenfeindes, also hier der Arbeiter, zur Ablenkung der Geschäftigkeit nach außen und so fort. Der Soldat sieht das meist gar nicht. Er ist.

Dieser Heroismus läuft leer. Es ist das Heldentum an und für sich, also gar keines. Der vage Begriff ›Vaterland‹ ist eine mythische Formel, und gegen nichts wehren sich diese Männer so wie gegen eine gedankliche Auflösung ihrer pseudo-religiösen Formeln, und sie wissen sehr gut: warum. Es wäre das Ende. Das blanke Nichts träte zutage.

Nicht, daß die zugrunde liegenden Kräfte auflösbar sind in: Freude an der Zerstörung; Freude des Männchens, vor dem Weibchen zu paradieren: nicht das ist das zu Verneinende. Zu verneinen ist lediglich die Art, wie diese einmal vorhandenen leerlaufenden Kräfte eingesetzt und mißbraucht werden.

Von dieser Denkungsart der Reichswehr ist grundsätzlich das zu unterscheiden, was die jungen Nationalisten predigen. Die sind emsig bemüht, einem vorhandenen Grundgefühl neue und geistige Formen zu leihen – aber nicht aus Achtung vor dem Geist, dessen sie meist keinen Hauch verspürt haben, sondern um auch auf diesem Gebiet ihren Mann zu stehen. Wieviel Unsicherheit ist darin –! Was Ernst Jünger dartut, der inzwischen ein tüchtiger Kriegsberichterstatter geworden ist, emsig, betriebsam und hopphopp, ist geistig dünn, unterernährt und um so mehr von gestern, als es sich von morgen zu sein gibt. Immerhin ist es bedeutend lyrischer als die kalte Grundanschauung der ewigen Offiziere, die nichts sind als das. Jünger versucht sich in einem Mystizismus, dessen Wolken mit einer Handbewegung zu verscheuchen sind; dahinter grinst das blanke Nichts, die sture Grundanschauung, Kampf an sich sei etwas Bejahenswertes. Was die jungen Leute aus den heute ›Bünde‹ genannten Vereinen sagen, ist nicht viel anders. Man sei ein für alle Mal – gegen rechts oder links – mißtrauisch, wenn jemand den Angriff auf einen Standpunkt mit dem Geschrei ›Gotteslästerung‹ erwidert. Dann ist da etwas faul.

In beiden Lagern, bei der Reichswehr und den nationalen Bünden, herrscht derselbe Leerlauf des Heroismus. Sie sind voneinander verschieden und noch geschieden; möglich, daß sie eines Tages zusammengehen – bei diesem Bündnis werden sie sich gegenseitig belauern und den Augenblick abpassen, wo einer den andern betrügen kann . . . die jungen Nationalen sind denen in der Reichswehr zu literarisch, denn wer ein Buch gelesen hat, ist ein Bücherwurm . . .

[278] Unterdes schaffen sich die ewigen Militärs munter, was sie brauchen. Einen ›Luftschutz‹, einen ›Wasserschutz‹, einen ›Eisenbahnschutz‹ und was der Mensch nötig hat, wenn er sonst keine gescheite Beschäftigung weiß. Dergleichen sind Hilfskonstruktionen für die Entfaltung ihres Wesens.

Es ist aber ein bißchen viel verlangt, daß die Gesellschaft für die Erhöhung der innern Sekretion einer kleinen Gruppe Menschen zahlen soll. Gewiß, es wird dem Zahler allerhand geboten: Manöver, Kriegsreklamen aller Art, Uniformen, Musik, Fotos mit Kanonen . . . Etwas überzahlt, wie mir scheint.

Leer ist das alles, ganz leer. Und tritt auf mit dem ganzen Aplomb des Muskelmenschen, der über den Gehirnmenschen zunächst immer im Vorteil ist. Gegner hat das zur Zeit nicht viel. Die Bürger . . . du großer Gott. Sie sind dem General von Seeckt rührend aufgesessen, weil der die Klugheit besaß, nicht zu sprechen – es gibt nicht nur undurchschaubare Genies, es gibt auch etwas andres. Und ein Bücher revidierender General ist eine Kuriosität; wäre der Mann kein Berufsoffizier, kein Mensch kümmerte sich um seine Ansichten oder um diese leeren Aufsätze.

Mars ist blind und hat keinen Kopf. Er hat nur einen Helm.

Und ihr spiegelt euch in diesem Helm. Wie hat es 1914 so weit kommen können? Wie war das möglich? Es war möglich durch eine raffinierte und gewitzte Vorarbeit; durch ein tagtägliches Trommelfeuer von Kriegsvorbereitung, durch die Marktschreierei eines leerlaufenden Heroismus.


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1930. Der Leerlauf eines Heroismus. Der Leerlauf eines Heroismus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-59C1-0