Nachher

Wir saßen auf der Wolke und ließen etwas baumeln, was man als Beine ausgeben konnte – lange.

»Er hat einen neuen Meteorstein gemacht«, sagte er. »Sie können sich diesen Stolz nicht vorstellen, diese Schöpferfreude! Diese Gehobenheit! ›So aus dem Nichts . . . ‹ waren Seine Worte. ›Und jetzt: ein Stein!‹ Als ob es das erste Mal wäre! Wie lange hat Er dieses Metier nun schon? Können Sie das verstehen?« – »Er ist naiv«, sagte ich. »Wer etwas schafft, muß daran glauben. Er schöpft freilich mit der Kelle aus einem Riesenbottich, nach einiger Zeit fällt das Geschöpfte, das Geschaffene wieder zurück . . . Aber Er hat Freude an Sachen. Ich begreife diese Freude schon. Haben Sie sie nie empfunden?« Er horchte angestrengt von mir fort: offenbar auf Ätherwellen, deren Klang noch [141] niemand erlöst hat; pfeifend, wie die Kobolde heulten sie dahin, durchaus bereit, zur ›Neunten Symphonie‹ zu werden, wenn es ihnen einer befahl, unglücklich ob ihrer ungebärdigen Freiheit. Sie verklangen. »Haben Sie niemals Freude an Sachen empfunden?« sagte ich. Er wandte sich mir zu. »Ich? Nie!« sagte er. »Doch«, sagte ich. »So:

Alle Männer haben sie an sich, diese Freude. Wenn wir eine Seifenhülse leer gewaschen hatten, waren wir stolz darauf wie auf ein gutes Werk. Diese mit dem Weltall einverstandene Miene, wenn einer die leere Schachtel fortwarf: in Ordnung. Sauber. Gut aufgebraucht. Eine neue. Waren Sie kein Pedant? Die letzte Feder verbraucht, eine Flasche Haarwasser zu Ende gespritzt, ein kleines Pappblatt mit Kragenknöpfen abgelegt – welche Gehobenheit! Es ist etwas geschehn! winzig kraucht eine minime Eitelkeit vom Magen zum Hirn empor: ich war tätig. Das gleiche befriedigende Gefühl, wie wenn in der Schule eine Rechenaufgabe mit Null aufging. Saldo. Bilanz. Fertig. Wir waren uns in diesem Augenblick so einig mit dem All.«

»Ich war ein Pedant«, sagte er. »Das ist wahr. Ich habe die Sachen geliebt, weil sie so schön geduldig waren, so still; wenn man es geschickt anfing, beherrschte man sie vollkommen. Zeitweise regierten sie uneingeschränkt; das war, wenn man nichts andres vorhatte; wenn keine Geldnot war, keine ungeduldige Frau, kein fressender Schmerz, keiner über die Ehe; über die eigne Gefühllosigkeit beim Tode eines Freundes, welchen Ärger man sehr schön als Ergriffenheit ausgeben konnte – wenn alles still war . . . Aber manchmal –«

»Manchmal –?« sagte ich. »Manchmal«, sagte er, »hatten wir gar keine Sachen, Vergessen die Krawatten, nicht beachtet die Schuhleisten, unangesehen die Aschbecher, übergangen die Türschwellen – es war nichts mehr da. Da sind wir dann einem Ziele zugestürmt.« – »Wie bitte?« sagte ich. »Einem Ziele zugestürmt«, sagte er, »Ich bin länger hier oben als Sie – ich weiß, daß wir nicht mehr wollen. Manchmal wollte ich, noch wollen zu können. Sehen Sie, darum liebten wir die Sachen: sie wollten nicht, sie taten nicht mit, stumm ruhten sie am Strom unseres Willens; und vorüberströmte der Fluß der Energien, das Leben brandete an den Ufern der Hosenstrecker, vorbei, wo einsame Kleiderbügel ragten . . . An ihnen konnte man die Geschwindigkeit des eignen Strudels ermessen. Und sie ließen sich beherrschen –« Nun raste eine Flottille erkälteter Pfiffe über uns dahin; es ächzte in der Materie, akustischer Urschlamm tobte über uns hinweg, bereit, den nächsten Empfänger zu zertrümmern . . . »Hören Sie das . . . « sagte er. »Ich kann das nicht hören«, sagte ich. »Ohren ordnen – dies müßte man ungeordnet aufsaugen, Menschen sind mit der Ordnung verbundene Wesen. Woher also«, sagte ich, »der Stolz, wenn etwas so Dummes fertig gemacht war wie der Schlußverbrauch einer Seifenschachtel?«

[142] »Weil Männer«, sagte er, »wenn sie etwas taugen, Jungen sind; Schüler sind sie, Musterschüler oder Mittelschüler oder bewußt schlechte Schüler, auf alle Fälle unsagbar eitel auf die gute oder schlechte Leistung. Wenn auf dem Schreibtisch kein Schnitzelchen Papier mehr liegt; wenn alles abgeblasen ist; wenn das Bett in kantiger Weiße strahlt, die Badewanne trocken blitzt, die Lampen sanft brennen –: es gibt keinen Mann, der dann nicht wie der König der Sahara durch sein kleines Reich schritte, Wüstenkönig ist der Löwe – und dieser ist sogar noch stolz auf die Leistung der andern. Wer kann ganz und gar ermessen, wie unsagbar simpel wertvolle Männer sind –!« – »Ich weiß nur«, sagte ich, »wer es nicht weiß. Wer sie für dumm und unschlau hält, für unlistig, also für belächelnswert – wer also auch anders, ganz anders zu den Sachen steht; wer die Sachen wirklich besitzt, eigentumsgierig, oberflächlich, abstrakter, happigabweisend . . . wer sie hätschelt oder herumstößt, aber nicht liebevoll-väterlich zu ihnen sein kann; wer einseitiger Besitzer ist, nichts kommt von den Sachen zurück – wer die Sachen hat, ohne sie je zu haben.« – »Wer?« sagte er.

Leise ließ ich mich von der Wolke fallen, sacht glitt ich dahin, durch ungebärdig flackernde Töne, durch Schwingungen, die noch nicht wußten, ob sie Ton oder Licht werden sollten; ich entschwand ihm, ohne zu antworten, vielleicht hätte ihn die Antwort gekränkt, und ich behandelte ihn zart. Zart wie eine Frau.


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. Nachher (1925-1928). Wir saßen auf der Wolke und ließen etwas baumeln. Wir saßen auf der Wolke und ließen etwas baumeln. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-5CDA-4