Der Staatshaushalt

Das Gehalt eines Lokomotivführers ist nicht groß – der Staat vertröstet den Mann mit der ›Pension‹, die ihm seinen Lebensabend schon versüßen werde. Diese Pension ist meist gering.

Wohlhabende Männer aber, die als Minister ein Gastspiel in der Politik geben, das sich hinterher meist als recht rentabel erweist, bekommen folgende Pensionen:

Dr. Georg Michaelis, jener Reichskanzler, der im Jahre 1917 seine vollendete Unfähigkeit erwies: 27600 Mark jährlich.

Dr. Wilhelm Cuno, der als Beamter die Entschädigungsverhandlungen mit den großen Schiffahrtsgesellschaften zu führen hatte und der dann – wie der Zufall spielt! – der Direktor einer solchen Gesellschaft wurde; als Reichskanzler für die Inflation deshalb nicht verantwortlich, weil man ihn für nichts verantwortlich machen kann: etwa 19000 Mark.

Gottlieb von Jagow; ganz recht, jener, der die Neugierigen warnte und später einen Hochverratsversuch machte: etwa 24000 Mark;

[296] Dr. Lewald, ein früherer Staatssekretär von großen, hierorts nicht bekannten Verdiensten: etwa 17000 Mark;

von Tirpitz; der Alte im Barte; der Mann, der den Reichstag jahrelang hintergangen hat, um den Bau einer Flotte durchzudrücken, die im Kriege nichts genützt und nichts geschafft hat – also überflüssig gewesen ist: rund 25000 Mark. (Ihrem lieben Tirpitz: die dankbare Republik.)

Nun darf man bei Betrachtung solcher Ziffern nicht vergessen:

Dieser Staat, der solche wahnwitzigen Summen – über 23 Millionen – jährlich auszahlt, ist schwer verschuldet; stand bereits einmal vor dem Nichts, belastet seine arbeitenden Steuerzahler schwer, um diese da zu mästen.

Freilich: auch diese Pensionisten arbeiten fleißig. Ein großer Teil dieser Männer ist noch recht rüstig; hat gut bezahlte Stellungen in der Industrie, die sich niemals mit ihnen befaßte, hätten sie nicht den Titel – so daß also die frühere Staatsstellung sich schon auf diesem Wege bezahlt macht: die Republik zahlt immer weiter. Sie zahlt:

den früheren deutschen Kriegsministern nach ihrer verderblichen und dem Lande schädlichen Tätigkeit noch heute pro Mann und Nase: 25000 Mark;

sie zahlt Herrn Gustav Bauer: 11000 Mark;

sie zahlt Herrn Hermes (Mosel): 11000 Mark;

sie zahlt Herrn Emminger, der die deutschen Schwurgerichte vernichtet hat: 19000 Mark;

sie zahlt – sie zahlt – sie zahlt – und sie wird immer weiter zahlen, weil sich die Bezahlten ihre Gesetze selber machen; weil die Arbeiter und die Angestellten nicht wissen, was mit ihnen getrieben wird, und weil der Staat im Leben der Heutigen das darstellt, was die Religion im Leben der Urgroßeltern gewesen ist: eine dunkle, mysteriöse, aber auf alle Fälle anzubetende Sache.


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1929. Der Staatshaushalt. Der Staatshaushalt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-616E-2