Die Tür

Mein Postamt hat zwei Türen, zwei kleine, braune Türen. Wenn du eine Weile vor diesem Postamt stehst, so siehst du folgendes: Viele Leute gehen auf die linke Tür zu, rütteln an ihr, geben sie mißmutig auf und schlurchen durch die andere. Eine ist immer zu.

Warum?

Weil, spricht der Weise, der Beamte, der morgens die Türen aufschließen darf, wenigstens einmal in seinem Leben ›regieren‹ muß. Weil er dem Publikum seinen Willen aufzwingen muß. Weil das Amt zeigen muß, daß es auch noch auf der Welt ist. Weil das Postamt nicht dazu da ist, damit wir unsere Briefe und Postanweisungen aufgeben, sondern damit die Beamten regieren können. So hat es den Anschein.

Nun geh einmal zu dem höchst entgegenkommenden Geheimrat in der Leipziger Straße und sage ihm das. Er wird freundlich lächeln, dir eine Zigarre anbieten – doch! manchmal tun Geheimräte das! – und wird dir lächelnd auseinandersetzen, daß das mit der Tür doch nur eine kleine Äußerlichkeit sei, nicht der Rede wert, aber wenn du wolltest, so würde er natürlich den Vorsteher anweisen . . . Da lächelst du auch und sagst, das habest du natürlich gar nicht gewollt. Aber, sagst du, eine Äußerlichkeit sei es gerade nicht. Und weil dich der freundliche Geheimrat so fragend ansieht, da stehst du auf und sagst ihm etwa dieses:

»Herr Geheimrat! Ihre ganze Beamtenschaft ist zum großen Teil, soweit sie nicht durch diese böse Zeit korrumpiert ist, von erstaunlichem Pflichtbewußtsein und tut ihren schweren Dienst bei ziemlich kümmerlicher Bezahlung. Aber, Herr Geheimrat, sie ist falsch erzogen. Sie ist preußisch erzogen. Gehen Sie einmal, ohne sich zu legitimieren, in ein Anmeldebüro der Polizei, gehen Sie auf Ihre Postämter, gehen Sie in die staatlichen Dienststellen – bei kommunalen ists manchmal etwas besser – und hören und staunen Sie, wie Deutsche von Deutschen behandelt werden. Wie der Beamte in fast allen Fällen nur ›regiert‹, was so viel bedeutet wie ›Schwierigkeiten machen‹ – wie er in fast allen Fällen die kümmerlichen Interessen seines kleinen Ressorts viel hoher wertet als das, was die Leute von ihm wollen, als das, wozu er eigentlich da ist. Er muß regieren. Er muß, auch wenn er genau weiß, wie zu helfen ist, Leute erst nach Hause schicken, er muß die Dienstvorschriften so genau auslegen, daß kein Haar[454] ungekrümmt bleibt – er muß – schließlich – die zweite Tür zuriegeln, eben – nun, weil er doch etwas zu sagen hat und das den Leuten zeigen muß. Verstehen Sie das, Herr Geheimrat?«

Und der Geheimrat lächelt und sagt etwas von Übereifer der unteren Beamten und räuspert sich, allwas bedeuten soll, daß du nun gehen darfst, und du verabschiedest dich. Und willst zur Tür hinaus. Und da sagt der Geheimrat: »Nicht zu dieser, Herr Wrobel! Diese Tür dürfen nur Beamte benutzen!«

Moral: Solange Preußen sich einbildet, seine Laster wären seine Tugenden, so lange wird es wohl auf der Welt nicht recht mitspielen können.


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1920. Die Tür. Die Tür. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-625A-6