Kuppelei

»Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft.« § 180 des geltenden Strafgesetzbuches. Es ist in diesem Hexenhammer von Widersinn, Paragraphenschusterei und Unmenschlichkeit der einzigartige Fall der strafbaren Beihilfe zu einer nicht strafbaren Handlung.

In den Köpfen spukt die mittelalterlich fromme Vorstellung, daß die Unzucht, worunter hier vor allem der außereheliche Beischlaf zu verstehen ist, etwas vor Gott und den Menschen Strafbares sei. Nun gibt es ja kein Delikt des außerehelichen Beischlafs mehr, niemand von den Sünderinnen steht mit bloßen Füßen an der Kirchentür, und die Welt ist böse und schlecht geworden. Wirtschaftliche Gesetze haben ihre stärkere Geltungskraft über die kirchlichen gewonnen: wer von den Männern nicht in der finanziellen Lage ist, mit fünfundzwanzig Jahren zu heiraten, denkt normaler Weise nicht daran, im Zölibat zu leben, sondern nimmt sich, wenn er nicht auf die Straße gehen will, eine Freundin (ob er mit der ständig zusammenlebt oder nicht, ist rechtlich gleichgültig). Hier hakt nun das Monstrum dieses Paragraphen ein.

Nicht jede einzelne Vermittlung der Vereinigung von zwei Menschen ist strafbar. Gefordert wird die Gewohnheitsmäßigkeit oder der Eigennutz. Bevor man über den Eingriff des Staates in so wichtige, rein private Verhältnisse urteilt, ist zu sagen, daß es für den kulturellen Stand eines Volkes wohl von Belang ist, wie es über die Lebensführung [409] seiner Frauen denkt. (Ein Mann schützt sich leichter.) Tatsache ist, daß in den großen Städten der außereheliche Verkehr die Regel ist, der dem ehelichen absolut parallel läuft. Tatsache ist, daß auf dem Lande zum mindesten der voreheliche Verkehr die Regel ist– und daß in beiden Fällen, sowohl auf dem Lande wie in der Stadt, das Volk ein untrügliches Gefühl für die beiden Arten Liebe hat, die es gibt: die ehrliche und die flattrige. Der Querschnitt, der die Ehe von der Nichtehe trennt, läuft anders. Der Gesetzgeber, blind wie immer, kümmert sich auch diesmal nicht um den Wirklichkeitsbestand, und so entstehen die albernsten Widersprüche.

Früher durften in Verfolg dieses Paragraphen die Prostituierten nicht wohnen; das ist jetzt etwas besser geworden, obgleich es die Rechtsprechung dem Kriminalwachtmeister immer noch möglich macht, eine mißliebige Wirtin ›hochgehen zu lassen‹. – Das unverheiratete Paar in den Hotels, das sich so anständig und ruhig benehmen mag, wie zwei jahrelang verheiratete Leute, ist gezwungen, sich tombakene Eheringe zu kaufen und sich als ›Ingenieur Richter und Frau‹ ins Fremdenbuch zu schreiben, sonst bekommt es schwer Quartier. Es wäre an sich nicht wichtig, ob durch einen solchen Paragraphen flanierende Liebespärchen und verkappte Prostituierte in ihrem Treiben gestört werden. Das Ganze ist aber ein unberechtigter und überflüssiger Eingriff der staatlichen Strafgewalt in das Privatleben.

Welche sittliche Wirkung hat denn dieser Paragraph? Er ändert an dem oben angegebenen Tatbestande nichts, daß die Ehe nun einmal nicht mehr der einzige Hort menschlicher Liebesvereinigung ist, er vergrößert ein wenig die Risikoprämie der Hotelwirte, und er vergrößert ins ungemessene die aufgeblasene Philiströsität und herzinnige Verlogenheit weiter Bürgerkreise nach der Melodie ›daß nicht sein kann, was nicht sein darf‹.

Die Fälle der schweren Kuppelei, in denen jemand mit hinterlistigen Kunstgriffen arbeitet, um Frauen für andere gefügig zu machen, oder Familienangehörige oder das eigene Mündel und zu unterrichtende Kinder an den Mann oder an die Frau bringt, gehört natürlich nicht hierher, ebensowenig wie der Mädchenhandel (dessen Bedeutung für Deutschland wohl etwas überschätzt wird). Nicht die Fleischeslust und die Unsittlichkeit treiben die Mädchen dem Moloch in die Arme, meine Herren Pastoren, sondern, neben der seelischen Anlage, das Milieu, die Erziehung und, diese bestimmend, als ausschlaggebender Faktor: die Wirtschaft.

Entsittlichend kann auch der Lunapark wirken, ohne daß ihn ein Staatsanwalt belangt. Und immer wieder frappant ist die vollkommene Verständnislosigkeit der deutschen Gesetzgeber diesen Sexualparagraphen gegenüber, die sich nun einmal nicht mit dem Vorschlaghammer auseinanderschlagen lassen. Die Begründung zum Vorentwurf des [410] neuen deutschen Strafgesetzbuches aus dem Jahre 1909 erzählt vom Kuppeleiparagraphen, daß er die Prostitution und andere Fälle umfaßt und sagt dann: »Es ist mit Recht betont, daß in dem jetzt bestehenden Zwiespalt der einzig berechtigte Kern aller Angriffe gegen den Kuppeleitatbestand liegt.« Nein. Der einzig berechtigte Kern der Angriffe liegt in der Überflüssigkeit des § 180, der nichts nützt, nichts bessert und nur minderwertigen, beamteten oder freien Individuen die Möglichkeit an die Hand gibt, zu erpressen, Unannehmlichkeiten zu bereiten und der ohnehin überlasteten Rechtsprechungsmaschine neue Nahrung zuführt. Hat ihm die gerade noch gefehlt?

Der Verführer einer Zwanzigjährigen bleibt nach geltendem Recht straflos, auch wenn das Mädchen durch den ersten Fall vom Elternhaus auf den Straßenstrich gejagt wird. Der Arbeitgeber, der seinen Angestellten so wenig Lohn zahlt, daß sie in das Schlafzimmer der Familie neben die erwachsene Tochter einen Schlafburschen legen müssen, bleibt ein ehrenwerter Mann. Die Mutter, die sich um die Erziehung ihres Mädchens so wenig kümmert, daß es mit neunzehn Jahren das Tanzen und was dazu gehört aus dem ff versteht, gerät mit dem Strafgesetz nicht in Konflikt. Hier erkennt jeder sofort, daß solchen Dingen mit dem Paragraphen schwer oder gar nicht beizukommen ist. Also was soll die Strafbarkeit der einfachen Kuppelei, die ja im Vergleich zu diesen schwerwiegenden Fällen eine Lappalie ist, und die vor allen Dingen die Menschen, die von der sozialen Not getrieben werden, in schwere Konflikte bringt? So wie der Gesetzgeber empfindet eben heute niemand mehr, der sich der Kuppelei ›schuldig‹ macht. Das sind doch Romanvorstellungen: in einer engen Gasse steht ein nasenhöckriges Weib und winkt mit krummer Hand verstohlen dem feinen Bürgermädchen, das da vorüberraschelt, zu heimlicher Lust . . . Krempel. Der Angestellte, der nicht heiraten kann, geht mit seiner Freundin auf seine Bude, und Zehntausende von Wirtinnen der großen Stadt kümmern sich nicht darum, wenn die beiden sich sonst anständig benehmen. Alle Welt ist einverstanden. Nur das Auge des Gesetzes, das sonst so häufig schläft, wacht.

Man wird sich bei den Strafrechtsreformen der nächsten Jahre entschließen müssen, diese biblische Weltanschauung aus einem für alle geltenden Vorschriftsbuche, wie es das Strafgesetzbuch ist, auszuschalten. Die Welt ist keine Kirche und kein katholisches Jungfernstift. Neben vielem andern Wahnsinn verdient der § 180 des deutschen Strafgesetzbuches, ausgemerzt zu werden. Er ist überholt.


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1920. Kuppelei. Kuppelei. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6283-8