Ein Betrunkener in der Wilhelmstraße

– »Prost Neuahr! Prost Neuahr! . . . ze frieh. Da, wo meine Armbanduhr wah, is jetzt ne Beule – aber is ze frieh . . . 'ck wer doch woll hier noch langjehn kenn! Hö. Ick als Republikaner kann mir besaufen, wo ick will. Wie hat Adolf imma jesacht? ›Det kann ick! Dafor bin ick Mutta!‹ – Iebahaupt – mein Mann is Waschfrau, un ick bin Soldat. Da kommt 'n Mann. Wat is det fiern Mann –? Tach, Mann.

Der antwort nischt. Prost Neuahr! Ick wer ma nehm 'm herjehn. Kann a ma nich vabietn, der. Den sein Jesicht kommt mir so bekannt vor.. den muß ick doch schon mah . . . der sieht aus . . . det is doch – Justa –!

Prost Neuahr, Justav! Nischt. Ick wern ma bejleiten, det ihn nischt zustoßt, den hohen Herrn. Dürf ick Ihnen eine Ssijarre anbietn, Herr Ecksellentz? Der sacht nischt. Ick ha ja auch ja keene Ssijarre – aba valleicht jibt er mir eene. Nee. Wenn et Sie nich steert – Prost Neuahr! Prost Neuahr – wenn et Sie nich steert, denn kenn wir ja 'n bißchen üba Polletik redn, wa –? Ja, wat ick sahrn wollte:

Justav, du mußt nich mit die Fauste. Erschtens hast du jahkeene. Du hast sone kleene, dicke, mollige Hand – is ja janz scheen – aba: ball se nich, Justav Jeballt is et nischt. Du bistn Koofmann – die annern[7] sind et ooch – ick wer da sahrn: ihr mißt nich imma so dhun, als ob ihr – ihr seid et ja jahnich! Prost Neuahr! Is noch nich so weit! Ihr jeht vor, da driehm! Seh mah – wat die Engländer sind, det sinn ruhige Leute, die ham schon viel in ihm Lehm jekloppt – aba uffn Tisch – nee, det kenn die nich. Na, und bei die Franzosen kommste da jahnich mit durch! Justav, wenn de Briang hättst in Mahrn kucken kenn, weeste, wat der sich jedacht hat, wie du bist rot anjelaufen –? Er hat jedacht: I, sieh mal an, hat er jedacht, nu kommt der ooch schon! Det ham doch frieha bloß die Jenerale jemacht! Und denn hat a ne Ssijarette jeroocht, und wat du jesacht hast, det is in Rauch aufjejangn . . . Prost Neuahr!

Ja, nu ham die alle jeschriehm, det du hast einen forzüchlichen Eindruck jemacht. Ick wer da sahrn – Eindruck haste jemacht – weißte auf wen –?

Auf die Deutschen, Justav. All son Zimt macht imma bloß Eindruck bei uns ze Hause, un denn denken nachher die Leite, da denken die denn: die Welt is bewecht worn. Justav, hör zu: erschtens sind die Zeitungen nich die Welt, und die deutschen schon jahnich, un ick wer da sahrn: Du mußt nich imma na hintn kuckn, ob se da Beifall brülln oder dir den Stuhl untern Jesicht wechziehn – du mußt na vorne kucken! Denn seh mah:

Du sosst ja nich die Deutschen übazeujn – du sosst die annern übazeujn. Det deine eijenen Leite Bravo schrein, det wissen wir. Aba du mußt machen, det die annern Bravo schrein – un det is nemlich schwerer, werk dir mah sahrn . . . ville schwerer is det! Abadet ham se bei uns nich raues. Die treten imma vor ihm eijenen Lokalanzeijer auf, und den Jejner ham se inzwischen vajessen. Du hast se ja nich schlecht jejehm – se ham sich bloß nischt davon jenomm. Prost Neuahr! Mensch, du mußt die Belange nich so hoch halten – man sieht se auch so – Das janze Vataland – aps – wenn et dir recht is, denn jehn wa da mal hinter die Säule da austreten . . . Wißte nich? Na – denn mißn wa det vatahrn . . . Ja, wat hast du bloß mit die Polen –?

Justav, wahn se valleicht nett zu die Pollackn jewesen, untern Kaiser? Von wejen – – Jeschundn ham se se und auf se rumjekloppt und schtatt daß ihr jesacht hapt: nu fängt sich hier mal wat Neues an, da habt ihr munter weiterjemacht. Nu wundert ihr euch! Seh mah, in Warschau . . . Justav, ick muß mah janz schnell ehm – ick heer ein Brünnlein rauschern – Ick komme jleich nach . . . lauf nich wech! Dunner – jetzt muß ick mir im Laufen zukneppen, ick bin doch nich Nurmi – da bin ick wieda.

Wat ick sahrn wollte: es is reine, als ob die Polen wern für eich der neue Erbfeind. Kaum, daß eena sacht: Poln – denn fangen se schon alle an zu schrein, un die Reichswehr sieht man ehm schnell nach die Kanon – da fiehlt ihr eich, wa? Wißte se herrliche Zeiten entjejenfiehrn, [8] ja? Do, ssiss komisch: int Jeschefte un in Amt un ze Hause, da ham se nich viel zu melln – aba wenn so eena so recht kräftige Wochte finnt, denn jlaum se alle, se sinn Bismarck perseenlich. Ick wah neulich dabei, wie mein Schwahra, der is Zwischenmeister bei Lewin un Rosenthal, un da hat der seine Mantels abjeliefert, un da hat der olle Lewin deine Rede vorjelesen, in Bühro, mitn Kneifer uff die Neese und denn hat a jesacht: ›Et wücht wieda mit Deutschland!‹ hat er jesacht. Haps. Da hab ick jesacht: Jewiß doch, Herr Lewin – es is ja schon mal jeworn! Da ham se ma rausjeschmissn. Prost Neuahr! Prost Neuahr! Heer bloß mah, wie die brilln! Die Leite ham keene Bildung nich! Mensch, Justav, wat ham dir die Poln jetan? Wejn den Korrigidor –? Justav, mach mir donischt vor – hier, uff de Willemstraße kann icks dir ja sahm:

Wer denkt denn schon an den dämlichen Korridor, wenn ihr nich imma mecht son Jeschrei davon machen? Natierlich is a vakehrt – weil janz Europa vakehrt is! Aba meinste, det wird bessa, wenn ihr nehmt den Pollackn den Korridor wieda wech? Denn jeht doch allens wieda von vorne los; det janze Mallöhr und det Jeschrei un ›Zujang zum Meere‹ – du wirst es sehn – un ick weeß jahnich, was du hast; Flaschenbier vajeht, aba Schönheit be –

Jahnich hack den Herrn belesticht! In keine Weise! Prost Neuahr, Herr Wachtmeesta! Frahrn Sie doch den Herrn. Herr Wachtmeesta, ob ick ihm . . . Wissen Sie denn überhaupt, wer das ist –? Na, das is ja unahört! Justav! Sach selba! Justav! Herr Minista! Herr Staatsminista! Eia Ecksselentz! – – Wat sacht der –?

Er is et jahnich –?

Bumm – jetzt hack meine janze Weisheit ann Falschen vazappt! Da jeht er hin. Aba mächtich ähnlich sieht an. Sie! Von wejn Minister: Sie, Männecken! Varraten Se nich, wat ick Ihn jesacht habe – det sin Staatsjeheimnisse sind det! Staats – schupsen ma doch nich, Herr Wachtmeesta – Staats – Staats . . . Prost Neuahr! Wo is meine Papiermitze? Herr Wachtmeesta, ohne Papiermitze is keen Neujahr – wa? Ick bin aus Bealin; wenn ick mir ma amuhsiere, denn muß man det heern, sost amuhsierck ma nich! Staatsjeheimnisse sind det – Besoffen? Wer is hier besoffen? Mir is bloß 'n bisken komisch – ick muß irjend wat jejessen ham –!

Prost Neuahr –! Prost Neu – Wat is –? Zu spät –? Nu is wieda zu spät. Herr Wachtmeesta, wir sinn inne Willemstraße: da komm se imma entweder ze frieh oda zu spät! Prost Neuahr –! Fröhliche Finxten! Auf Wiedersehn –!«


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1929. Ein Betrunkener in der Wilhelmstraße. Ein Betrunkener in der Wilhelmstraße. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-62A9-3