Viel zu fein!
Ein Millionär trat einst ein Pekinesen-Hündchen. Und entschuldigte sich beim Besitzer. Da rief der Mann: »Was! Sie wollen ein Millionär sein und rufen nicht; ›Bringen Sie mir noch ein Hündchen‹!«
Es ist schon ein bißchen besser geworden, aber der Film und mancher Romanautor, sie könnens nicht lassen: es ist bei ihnen alles viel zu fein.
Die gnädigen Frauen nehmen ihre Schokolade in einer spitzenüberrieselten Liebesgondel, die Tassen sind innen mit Seide ausgeschlagen, das Stubenmädchen ist so schön wie . . . (nach Belieben auszufüllen); [95] vorn stehen Diener, hinten stehen Diener, und in der Mitte stehn Silberdiener; Rechtsanwälte gehen in Paquinmodellen auf den Ball und Halbweltdamen nur im Frack ins Bett . . . oder habe ich das verwechselt – kurz: es ist alles so fein, daß man sich ordentlich nach einer richtigen Schmalzenstulle sehnt. Warum ist es so fein –?
Der Wunschtraum – ich weiß schon.
Ja, mit dem Wunschtraum . . . Habt ihr eigentlich in eurer Bekanntschaft viele Leute, die heute noch so töricht, so dumm und so kindlich sind, daß sie auf so etwas hereinfallen – daß sie so etwas wollen? Und man soll die andern Menschen, die um uns herumleben, nun ja nicht für dümmer halten – dergleichen hat sich schon oft bitter gerächt. Der Wunschtraum . . . Was sind denn das für Träume, die uns die Filmdirektoren und die Romanschreiber da vorträumen?
Das sind verjährte Wunschträume.
Das sind Ideale in den Formen von gestern und vorgestern und vorvorgestern. Wollen das die Leute?
Immer haben sie sich nach Luxus gesehnt, nach Reichtum . . . gewiß. Aber die Dinge liegen doch in Mitteleuropa heute so, daß die Mehrzahl aller Menschen froh ist, wenn sie folgende Sachen haben: Arbeit, auskömmlichen Verdienst, Brot, ein Dach überm Kopf, Wärme, keinen Hunger und keine Krankheiten . . . Das ist schon sehr, sehr viel. Wollen die Leute nun diesen Filmzauber wirklich? Und, wenn sie ihn wollen: gibt es nicht auch so etwas wie eine Verantwortung der Film- und Romanindustrie, dem Publikum gegenüber? Was ist das für billiges Opium und für dummes Zeug!
Es stimmt nicht einmal.
Bei den reichen Leuten sieht es meist ganz anders aus; ich will nicht sagen: snobistisch bescheiden – aber anders. Abgesehen von den ungeheuren Kosten, die solch ein Leben machte, wie es uns da vorgeführt wird: mit den Platinbadewannen, den parfümierten Staubsaugern, den in Brokat eingebundenen Schoßhündchen und den riesigen Säulenhallen vor dem WC . . . das ist doch gar nicht der Stil unserer Zeit. Auch nicht bei reichen Leuten – grade bei denen nicht. Ja, es ist denkbar, daß sich ein Industrieller einen besonders großen Reitstall hält; irgendeine Liebhaberei pflegt . . . einen Sport . . . gewiß. Aber dieses Theater da . . . ich glaube nicht.
Von der Reklame, die ein offenbar existierender ›Weltverband des Ringes der Mädchenhändler‹ macht, ganz zu schweigen, denn das geht wirklich auf keinen Perserteppich. Welche Preise . . . ! Ich bin ja ein ehrsamer Mann mit einer so gut wie fleckenreinen Vergangenheit . . . aber wenn man das so sieht, welches Schicksal diese Undamen im Film erleiden oder vielmehr genießen – welche Preise da verlangt, geboten und gezahlt werden –: wahrlich, ich ginge hin und täte desgleichen, wenn ich nicht wüßte, daß alles Schwindel wäre und wenn [96] sie mich nicht eben ins falsche Geschlecht hineingeboren hätten. Dafür die vernünftige Aufklärung über Prostitution und dann diese falsche Einheit: mit Kolliers, Riesen-Schecks, als Liebeslohn immer eine Villa mit Golfteich, Entenpark, Tennisplatz für die Rehe und Auto auf dem Dach? Einer allein kann das gar nicht glauben.
Nun weiß man nicht recht . . .
Die Filmdirektoren und die Romanschreiber tun so, als glaubten sie, daß das Publikum glaubt, dergleichen glauben zu müssen. Wirklich? Ja? Ist das so?
Wir sehen es fotografiert; wir bekommen es vorgegaukelt, wir lesen das in so vielen Eisenbahnromanen . . . Sonderbar wirkt solche Kunst ins Leben zurück, aus dem sie gar nicht gekommen ist . . . In manchen Gerichtsverhandlungen hören wir staunend, was einen Einbrecher oder eine Hochstaplerin bewogen hat, eine ›kleine Kiste aufzumachen‹. Sie haben einmal so leben wollen, wie sich der Magazin-Herausgeber träumt, daß es sich seine Leser träumen. Und das gibt dann ein böses Erwachen.
Noch viele Filme werden wir sehen: mit dorischen Wintergärten, mit Bar-Tischen, die in die Badewanne eingelassen sind; mit Zederholz-Ruderbooten und silbernen Tabletts, daß es einen graust . . . Wir ergreifen eines dieser Tabletts, legen ein Kärtchen darauf und drücken dem Stubenmädchen mit dem Häubchen und den unwahrscheinlich schönen Beinen ein kleines Trinkgeld von fünfundsiebzig Mark in die Hand: sie möchte unser Kärtchen dem Unternehmer hineintragen.
Auf dem Kärtchen steht:
VIEL ZU FEIN. WIR DANKEN!