Nachtgespräch

Er. Sie. Eine Nachttischlampe und das übrige.


Sie: »Hast du das gelesen? Du? Hier in der Zeitung? In Amerika hat einer vierzehn Tage auf dem Baum gesessen? Du? Und wie er gehört hat, daß ein anderer schon dreiundzwanzig Tage oben gesessen hat, da ist er vor Schreck runtergefallen? Hast du das gelesen?«

Er: »Immer liest sie einem die ganze Zeitung vor! Herrgott! Stör mich doch nicht immer!«

Sie: »Alter Muffel. Denn nicht.«

(Pause)

Sie: »Steht nichts drin, in der Zeitung. Gib mal das Buch rüber! Hast du Anna gesagt, daß ich morgen auch noch zu Tisch da bleibe?«

Er: »Ja.«

(Pause)

Sie: »Er sagt, Eifersucht ist gut!«

Er: »Wer sagt das?«

– »Hier, der in seinem Buch. Na, ist doch so!«

– »Willst du mir jetzt vielleicht auch noch das ganze Buch . . . wieso ist Eifersucht gut?«

– »Das verstehst du ja doch nicht. Diese Engländer sind schon richtig. Der Huxley ist überhaupt ein wunderbarer Kerl!«

– »Mmm . . . Heirat ihn doch!«

– »Was? Ich heirate überhaupt nicht. Mensch, noch mal heiraten –! Nä.«

[154] – »Na, wieso? Zum Beispiel einen berühmten Dichter . . . oder . . . heirat doch einen Sänger! Sänger ist immer gut. Eifersucht ist immer gut. Na, du heiratst noch mal!«

– »Ich heirat nicht noch mal!«

– »Hör mal zu . . . Leg mal das Buch weg – hör doch mal zu! Also . . . würdest du auch nicht reich heiraten?«

– »Reich? Hm. Sehr reich, vielleicht.«

– »Siehste. Ja . . . du brauchst Geld. Das reine Dadaistenfaß. Also du heiratest ganz reich, und wenn ich nichts mehr zu essen habe, dann klopf ich hinten bei eurer Villa an, an der Lieferantentür natürlich, und dann schickst du mir Suppe raus!«

– »Ich schick dir sogar Suppe und Fleisch raus. Und Kompott. Wen soll ich denn heiraten?«

– »Ja . . . nu . . . einen Generaldirektor! Ich schlage vor: einen Generaldirektor. Nicht mehr ganz jung, aber noch durchaus nicht alt. Der heißt . . . Ziebig heißt der!«

– »Wie heißt der?«

– »Ziebig. Generaldirektor Hans Ziebig. Ich hör ihn ordentlich am Telefon – kurz, frech und richtig: Hier Ziebig! – Guten Abend, Frau Ziebig!«

– »Nimm mal dein Bein weg. Du, der müßte aber schon sehr viel Geld verdienen!«

– »Tut er auch. Ihr wohnt aber nicht in Berlin; die ganz Soliden wohnen nicht in Berlin. Ihr wohnt in . . . Magdeburg.«

– »Allmächtiger . . . !«

– »Ja. Und da habt ihr eine wunderbare Villa, elf Zimmer, sehr viel Nebengelaß, zwei Wagen, einen bezahlt das Geschäft, mit dem machst du natürlich immer die Überlandtouren, damit eurer nicht so abgenutzt wird! Geizkragen!«

– »Das find ich auch sehr richtig. Unser guter Wagen – seh ich gar nicht ein! Haben wir Kinder?«

– »Nicht gleich. Erst habt ihr keine Kinder. Und nett ist der –! Dein Ziebig! Kommt immer abends rein und sagt: Na, Puppelchen, wie gehts dir denn? Und ich hab dir auch was mitgebracht!«

– »Siehste – das ist ein netter Mann! Bringt einem zum Week-end immer Parfum mit oder so! Nimm dir mal ein Beispiel dran!«

– »Und ihr gebt feine garden-parties und lauter so vornehme Sachen! Ihr habt auch eine Bibliothek – Ziebig liest aber meist Technisches. Du liest meine Romane.«

– »Deine Schmutzromane kommen mir nicht in mein hochherrschaftliches Haus! Und den Ziebig zieh ich mir! Auf seine großen Reisen muß er mich mitnehmen – sicher ist sicher.«

– »Warum?«

– »Na, ihr seid doch alle gleich; ihr laßt doch keine aus.«

[155] – »Bist du ihm denn treu?«

– »Und im Salon haben wir einen wunderbaren Aubusson oder wie das Ding heißt. Und ein Grammophon, Junge – so hoch wie ein Konfirmand! Sag ich dir. Und eine Voliere . . . darauf lege ich den allergrößten Wert; ohne Voliere wird nicht geheiratet!«

– »Bist du ihm denn treu?«

– »Ja, Ja. Das heißt . . . «

– »Das heißt was?«

– »Ja, ich bin ihm treu. Das heißt . . . Na, soll ich ihm vielleicht die ganze Zeit treu sein?«

– »Ich fürchte, wie die Engländer sagen, ich fürchte: er wird es verlangen.«

– »Gott, weißt du, eigentlich bin ich ihm ja auch treu! Nur . . . wir haben doch einen Chauffeur, nicht? Also wir haben einen großen, blonden Chauffeur; der war früher Rennfahrer oder so. Sieht gut aus – ganz schlank und hart und überhaupt großartig.«

– »Sage mal . . . du willst ihn doch nicht etwa mit dem Chauffeur betrügen?«

– »Warum denn nicht?«

– »Na, hör mal: das finde ich aber unglaublich! Nein, also ernsthaft – das finde ich unerhört! Du betrügst den eigenen Mann mit dem eigenen Chauffeur? Du, das ist gemein!«

– »Wieso?«

– »Also da sitzt Ziebig hinten im Fond, mit dir, im Wagen – und vorn sitzt der Chauffeur, und womöglich heißt er auch Hans, damit es kein Kuddelmuddel gibt – und der grinst sich dann einen!«

– »Der grinst gar nicht; dazu ist der Mann aus viel zu feiner Kinderstube. Der Gent genießt und schweigt.«

– »Und zahlt nicht. Also ich finde das doll!«

– »Du findest das doll?«

– »Ich finde das doll. Du, das ist gradezu monströs! Pfui Deibel. Aber so sind die Frauen. Den Schmuuuutz der Gasse im eigenen Haus – also, Lydia, das ist hundsordinär!«

– »Wenn du moralisch sein willst, dann zieh dir 'n andres Pyjama an – die Farbe paßt nicht. Ich werde doch wohl noch meinen Mann mit meinem Chauffeur betrügen dürfen!«

– »Nein! Das wirst du nicht dürfen! Ganz Magdeburg wird ja darüber sprechen! Das kann man doch nicht machen!«

– »Ganz Magdeburg kann mir gestohlen bleiben. Ich, die Frau Generaldirektor Hans Ziebig –«

– »Du heißt doch nicht Hans!«

– »Ochse. Bei uns feinen Leuten ist das so, daß die Frau mit dem vollen Namen des Mannes zeichnet. Ich steh auch so in den Ballberichten: Frau Generaldirektor Hans Ziebig, in einem wundervollen weißen [156] Crepe-Georgette . . . «

– »Und mit dem Chauffeur.«

– »Halt die Luft an, Peter! Chauffeur . . . Wunderbar! Merkt kein Mensch!«

– »Du wirst das nicht tun!«

– »Ich werde das doch tun!«

– »Du wirst das nicht tun! Ich verbiete es dir!«

– »Du hast mir gar nichts zu verbieten! Oller Philister! Spielt sich hier auf den Moralischen aus! Du hasts nötig!«

– »Ich habe jedenfalls noch niemand mit einem Chauffeur betrogen!«

– »Und ich tue es doch!«

– »Und du tust es nicht!«

– »Und ich tue es doch!«

– »Nein!«

– »Ja!«

– »Nein!« – »Ja!« – »Nein!« – »Ja!« – »Nein!«

(Es klopft stürmisch an die Wand; das ist der Nachbar.)

– »Was war das?«

– »Der von nebenan. Diese neuen Häuser sind so dünn gebaut . . . man hört jedes Wort. Außerdem ist es halb eins. Der Schlaf am Vormittag ist am gesündesten. Jetzt schlaf. Betrügst du ihn?«

– »Ja.«

(Sie wenden sich die Rücken zu. Und dann hört man nur noch zwei Serien tiefer Atemzüge.)


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. Unveröffentlichte Texte. Nachtgespräch. Nachtgespräch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-65DF-F