Der Mann am Schlagzeug

Der kleine fast dreieckige Mund tut sich ein wenig auf.
Du
nur du –
raubst mir meine Ruh –

Rammpammpammpamm – klatschten die Schlägel auf das trockne Holz des Paukenrandes. Viele Paare tanzen; die Sitzenden sehen zu und sind, weil sie sitzen, ironisch-überlegen; Gents gehen durch den langen Raum, die Hände lässig in den Hosen, mit gelangweiltem Gesicht und einer leichten Angst vor dem Ober.

Dein, nur dein –
will ich sein

singt der Mann am Schlagzeug, Seine Augen liegen tief in den Höhlen, er hat eine kantige Reiternase, schwere Lider, einen runden Verbrecherkopf. Singt Idiotien. Das ist dieselbe Stimme, die damals in Lichtenberg auf dem Hof herumgebrüllt hat: »Komm her, du Aas! Da stell dich hin! Du Sau! Deine Frau kann zusehen, wie wir mit euch Arbeiterschweinen umgehen! Hund, verfluchter . . . « Und ein Schuß. Über das leichte Fettkinn steigen die Melodien:

Ich erwart dich schon
in Yokohama –

Die eisesglatte Kälte des Rhythmus klappert; die ganze Kapelle zusammen ist nur wenig älter als das Opfer von damals, auf dem Hof. Es war nicht das einzige . . .

Denn das ist so hübsch mit anzusehen:

Die Verbrechernaturen, die den Drang, ihre Orgasmen mit Blut zu ölen, dadurch legitimierten, daß sie in die Freikorps eintraten, sind [199] unbestraft; der Volkskörper hat sie aufgesogen, sie sind alle noch da. Und arbeiten. Und sind Weinagenten, Und Bahnhofs-Gepäckträger. Und Schlagzeugmänner.

Nur manchmal, wenn der Tag schön war und das Lebensgefühl stärker, steigt eine kleine Erinnerung auf. Wie Stimmengewirr schlägt es an ihr inneres Ohr. »Gnade! Ich war das nicht! Meine Frau! Meine Kinder!« Und: »Halt die Fresse, du Bolschewisten-Sau! Halt Schnauze! An die Wand! Schwein! An die Wand!« –

In Nischni-Nowgorod
da gibts kein Kußverbot –

Der Mann am Schlagzeug bricht mit einem gestopften Laut ab, die Melodie auch. Vornehm erhebt er sich, ein fataler Duft von Jodoform ist um ihn. Er geht mit jenem seltsamen Schritt durchs Lokal, wie ihn Leute haben, die nie genau wissen, ob sie gerade Lakaien oder Herren sind. Er ist sauber rasiert, dreieckig hängt sein Taschentuch aus der Brusttasche, ein Herr . . .

Ein Wunder, daß er keine Pension bezieht.


Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1927. Der Mann am Schlagzeug. Der Mann am Schlagzeug. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-65F3-0