Memoiren aus der Kaiserzeit

Wie sich der kleine Moritz die Weltgeschichte vorstellt – genau so ist sie.

Anton Kuh

Falkenhayn

Es war ein strahlender Sommertag, als ich endlich am 13. Juli ins Hauptquartier Seiner Majestät fuhr. Die Beratung fand in den Parterre-Räumen statt.

Der Kaiser sah ausgezeichnet aus, gesund und frisch, wie wir ihn lange nicht gesehn hatten. Anwesend waren:

Ludendorff, Tirpitz, Mackensen und Bülow, der direkt aus Rom gekommen war.

Seine Majestät hatte uns zusammenberufen, um unsre Meinung über eine Annektierung von Panama zu hören. Ludendorff stimmte selbstverständlich zu, betonte aber, daß man Mexiko dazunehmen müsse, da dies die Stimmung in der Heimat heben würde. Tirpitz riet beinah ab, was auf den Kaiser, wie wir alle bemerken konnten, höchst peinlich wirkte. Bülow in seiner schmeichlerischen Art verbeugte sich leicht, brachte ein französisches Zitat vor und fand den Einfall ›prachtvoll‹. Mackensen küßte als Antwort dem Herrscher stumm die Hand.

Nur ich behielt den Überblick und versprach dem Kaiser, einen genauen Plan zur Besetzung Panamas, das wegen des Suez-Kanals für uns militärisch wichtig war, auszuarbeiten. Auf mich wirkte das Ganze bereits damals wie eine drohende Ankündigung von Deutschlands Zusammenbruch. Infolgedessen schlug ich eine neue Offensive bei Verdun vor, für die ich die volle Verantwortung übernahm. Auch die andern Herrn hatten ihre Sachen in der Garderobe abgegeben.

Als wir aus dem Portal traten, regnete es; es war wie eine trübe Vorbedeutung.

Tirpitz

Meine Liebe!

Ich komme grade aus dem Kriegsrat bei Seiner Majestät; draußen ist prachtvoller Sonnenschein; als ich hinfuhr, goß es in Strömen. Die Beratung fand im ersten Stock statt.

Ludendorff war da, Mackensen, Falkenhayn und Bülow, der direkt aus Berlin gekommen war.

Der Kaiser wollte die Annexion Panamas durchsetzen und keinen Frieden abschließen, ohne den Herzogshut von Panama errungen zu haben. Selbstverständlich stimmten alle zu – aber so matt, ängstlich und schlapp, daß ich den allerschlechtesten Eindruck von der politischen und militärischen Führung mit nach Hause nahm. Diese Leute wagen [158] ja nichts zu sagen. Ich berichtete Seiner Majestät, daß nach mir gewordenen Informationen Panama darauf warte, endlich preußisch, also ein Groß-Panama zu werden. Dafür übernähme ich die Verantwortung. Falkenhayn warf ein, daß Plessen ihm gesagt habe, Lyskow habe bestritten, daß Bülow der Meinung sei, Radowitz sei der geeignete Mann für die ersten Unterhandlungen – wahr ist natürlich das Gegenteil. Ludendorff gab als alter Soldat die Erklärung ab, nicht eher zu ruhen, bis er die Feinde, bzw. die Feinde uns siegreich auf die Knie gedrückt hätten. Bülow machte auf alle einen sehr schlechten Eindruck, weil er dem Kaiser zu diesem Plan, der auf die Flotte sicherlich deprimierend wirken wird, noch zuriet. Keiner hatte den Mut, den Kaiser darauf aufmerksam zu machen, daß Panama zu einem bösen Zankapfel zwischen Bayern, Baden und Preußen werden könnte. Mackensen küßte erst dem Kaiser und dann Bülow die Hand.

Nur ich behielt den Überblick und strich mir den Bart. Der Kaiser sah mich an und verstand mich sofort. Beim Frühstück saß ich zwei Plätze unter (!) Plessen und nur drei Plätze über Falkenhayn. Es steht schlimm um Deutschland.

Draußen im Vestibül sahen wir einen kleinen dicken Zivilisten, der seinen Schirm suchte, aufgeregt hin- und herlaufen. Wir haben alle sehr gelacht; das war aber auch der einzige Lichtblick in dieser trostlosen Beratung. Es steht schlecht um Deutschland. Wer ist daran schuld?

Dein Dich grüßender Alfred.

Mackensen

Unser herrlicher Herrscher hatte mich für den 13. Juli ins Hauptquartier befohlen. Es war ein kalter, wolkiger Tag, ohne Sonne und ohne Regen; ein grauer Himmel blickte durch die Fenster des zweiten Stockes, in dem die Beratungen stattfanden.

Da der Monarch bei meiner Meldung grade saß, konnte ich mich ihm nicht in gewohnter Weise nahen. Bülow, als einziger Zivilist, fiel uns allen durch seine Unehrbietigkeit auf – er küßte dem Kaiser nicht ein einziges Mal die Hand. Es steht schlimm um Deutschland. Tirpitz meldete gehorsamst, daß die Meldung, Radowitz habe Nostiz gemeldet, er werde Falkenhayn nicht melden, daß Bülow ihm eine Meldung gemeldet habe, unzutreffend sei. Der Kaiser bemerkte in seiner überlegenen Art: »Das habe Ich Mir gleich gedacht!« Der Kaiser trug die kleine Uniform und ich die Verantwortung. Alle waren ratlos.

Nur ich behielt den vollen Überblick und gab mir im Innern das Versprechen, zu Hause nachsehen zu lassen, wo dieses Panama, von dem immerzu die Rede war, eigentlich liegt. Draußen im Park rauschten die mächtigen . . . (mit Rücksicht auf die Familie und die Staatssicherheit gestrichen. Der Herausgeber.)

[159] Im Vorzimmer interviewte mich ein Vertreter der›Neuen Freien Presse‹, ein Herr Goldmann, der direkt aus dem noch im österreichischen Besitz befindlichen Wien hierher gefahren war, um mich zu sehen, und der nun seinen Regenschirm verloren hatte. Bülow versprach ihm einen neuen, und ich antwortete auf die Frage, wie ich zum Kriege stehe: »Wo haben Sie ihn denn stehen lassen?« Goldmann war tief erschüttert und ging ohne Regenschirm, aber siegesgewiß vondannen.

Ludendorff

Die freimaurerischen Mächte der Jesuiten wollen auch über den 13. Juli ihr dunkles Netz werfen. Wie bekannt, hat der Papst im Grand-Orient geschworen, diesen Tag zum Ausgangspunkt seiner Propaganda für den nächsten Weltkrieg (siehe meine Broschüre ›Die Reu ist kurz, der Wahn ist lang‹, Preis 0,90 RM.) zu machen. Ich gebe hier für die Volksgenossen eine verantwortliche Aufklärung:

Am 13. Juli hat überhaupt kein Kriegsrat stattgefunden.

Mir ist auch niemals ein Protokoll über diesen Kriegsrat vorgelegt worden; ich habe zu diesem Protokoll selbstverständlich keine Stellung genommen und übernehme namens des Hauses Ludendorff die volle Verantwortung.

Paul Goldmann

Bülow stellt neue Siege in Aussicht!

Mackensen optimistisch!

(Spezialtelegramm unsres Sonder-Berichterstatters)


Gr. Hauptquartier, 13. Juli

Es ist Hohenzollernwetter, die Truppen sind aber trotzdem prachtvoller Stimmung, denn der Kaiser hat mich zum Frühstück eingeladen, das ich in der schlichten, aber einfachen Feldküche einnehmen darf.

Die hohen Gestalten der Heerführer und die der politischen Spitzen nahen sich – ich stehe dicht bei ihnen und lasse mich von ihnen ins Gespräch ziehen. Ich drücke die Hoffnung aus, daß wir nun bald wieder unter Dach und Fach kämen, und wies auf den Schutz und Schirm hin, den die Feinde gestern verloren hätten. Bülow sagte mir, wörtlich:

»Wir werden ihnen bald einen neuen besorgen!«

Seine Exzellenz der Generalfeldmarschall von Mackensen fügte hinzu:

»Der Sieg ist unser. Wir werden ihn stehen lassen!«

Ein Schwarm von Lakaien war inzwischen hineingekommen und putzte den historischen Gestalten die Stiefel, und auch ich ging nachdenklich an meine schwere journalistische Arbeit.

Unsre Sache steht gut! Das kann ich im vollen Gefühl meiner Verantwortung sagen.

Paul Goldmann

[160]

Bülow

Bei schwerem Erdbeben und leichten südöstlichen Winden fuhr ich am 13. Juli ins Hauptquartier. Ich kam direkt von Hamburg, als ich nach guter und bequemer Fahrt vor dem Hauptquartier, einem häßlichen Bau aus dem siebzehnten Jahrhundert, ausstieg. Ich sah Plessen, besichtigte einen grade dort haltenden Verwundetenzug, und nachdem ich auch die jüdischen Verwundeten begrüßt hatte, trat ich ins Schloß.

Die Beratungen fanden wegen der Fliegergefahr, die der Kaiser sehr fürchtete, im Keller statt. Der Kaiser sah gealtert aus, streckte, als er mich sah, seinen verkürzten Arm aus, und ich begrüßte meinen kaiserlichen Herrn mit allem schuldigen Respekt. Dann begann der Kriegsrat.

Der Kaiser wollte, wozu ich ihm schon oft, je nach der Witterung, zu- und abgeraten hatte, Panama annektieren, ein Plan, wie ihn die glorreiche Republik des sehr verständigen Landesverräters Ebert leider niemals gefaßt hätte. Ich wies meinen kaiserlichen Herrn, dessen notorischer Schwachsinn keinem meiner Nachfolger aufgefallen ist, fest, aber fein darauf hin, daß der Endsieg ja für jeden Kenner feststehe, wenn man auch noch nicht wisse, wem er zufallen würde, daß aber die Annexion eines so kleinen Staates den Siegeswillen der Entente stärken könnte. Ich fügte hinzu:

»Quando conveniunt, ancilla, Sybilla, Camilla«,

das Zitat paßte zwar nicht ganz her, machte aber auf alle Anwesenden einen tiefen Eindruck. Nur der gute Tirpitz meinte, Nostiz habe Radowitz nichts davon gesagt, daß Lyskow Plessen davon Mitteilung gemacht habe, dieser habe jenem keine Mitteilung zugehn lassen. Tirpitz hat es mit der Wahrheit nie sehr genau genommen, sowie auch mit großem Geschick den Marine-Etat im Reichstag vertreten. Es stand nicht gut um Deutschland, das fühlte in dem mit verblichenen samtgrünen Portieren ausgestatteten Raum jeder einzelne. Der gute Mackensen, dessen Großtante den Schwippschwager einer dem König von Macedonien morganatisch angetrauten Lindequist (einer Gouvernante), geheiratet hat, sagte zu allem Ja und Amen; Ludendorff, dessen historische Größe ja für ewige Zeiten feststeht, irrte auch hier, und während sie nach dem Kriege alle in ihren Memoiren schrieben, wie sie das Unglück Deutschlands vorausgesehen hätten, wagte dennoch an jenem geschichtlichen Tage niemand etwas zu sagen.

Nur ich behielt den vollen Überblick und dachte mir:

»Bei Männern, welche Liebe fühlen,
fehlt auch ein gutes Herze nicht.«
Laut aber sagte ich:

»Long, long ago!«

Der Kaiser erwiderte auf diesen diplomatischen Hieb nichts, und wir wurden um ein Uhr zum Frühstück befohlen.

[161] Draußen im Vestibül empfing ich den Berichterstatter der ›Neuen freien Presse‹, Paul Goldmann, der direkt aus Wien gekommen war, um mich zu sprechen. Goldmann war stets ein verständnisvoller und kluger Journalist, der nie mehr telegrafierte, als wir erfinden konnten, und er hat auch nie versucht, selbständig zu denken – das überließ er im Kriege den Generalen und im Frieden seinem Verleger. Wir sprachen viel über die berliner Theateraufführungen eines Herrn Steinhardt oder Reinhardt, und der gute Mackensen machte ersichtliche Anstrengungen, diesem Gespräch, das so ganz andre Kulturbegriffe als die militärischen zur Basis hatte, zu folgen.

Beim Frühstück wurde viel über die nicht ganz wünschenswerten Verpflegungsverhältnisse in der Heimat gesprochen. Es gab klare Bouillon, wie sie schon Heinrich XXIX. von Burgund so geliebt hatte, Seezunge nach Müllerin Art, Rumpfstück mit Geldmannstunke (Sauce à la financière) und süßen Auflauf. Die Weine waren recht gut, bis auf einen Malaga, den der gute Tirpitz für Portwein trank, was uns alle recht amüsierte. Der Kaiser war sehr aufgeräumt und klopfte mir, als ich mich verschluckt hatte, mehrere Male huldvoll auf den Rücken. Wir sprachen dann noch über die Munitionslieferungen, sonst aber war von Panama nicht die Rede. Übrigens begann um die gleiche Stunde, als wir das Frühstück einnahmen, ein gewaltiger Sturmangriff bei Verdun.

In meine Privatakten aber habe ich zum Andenken an diesen Tag die Verse notiert, die alle deutschen Staatsmänner zum Wahrspruch ihres verantwortungsvollen Berufs machen sollten:

Deutschland, Gott seis geklagt,
war auf schiefer Bahn.
Ich habs ja gleich gesagt –
aber nichts getan!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1931. Memoiren aus der Kaiserzeit. Memoiren aus der Kaiserzeit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6602-6