Militaria
Offizier und Mann

Das Verhältnis des deutschen Offiziers zum Mann war schlecht. Der Offizier lebte in einer ganz andern Welt und sah den Mann nicht nur von oben herab, sondern außerdienstlich am liebsten gar nicht an. Die Lebenshaltung beider war vollkommen verschieden, und bis zur Lächerlichkeit ungerecht verschieden: der Mann bekam zu Anfang des Krieges dreiunddreißig Pfennige täglich, später etwas mehr – der Offizier, besonders die höhern Dienstgrade, konnten zum großen Teil von ihren Gehältern sparen. Bezeichnend ist, daß – aus Gründen [8] dessen, was man seinerzeit die Disziplin nannte – niemals eine Gebührenordnung der hohem Dienstgrade veröffentlicht wurde oder irgendwo zu haben war. Diese Gehaltsregelung war geheim und hatte auch allen Grund, es zu sein.

Von einem kameradschaftlichen Zusammenarbeiten der Truppe mit ihren Offizieren war nur in den Augenblicken äußerster Anspannung und Gefahr die Rede. In allen andern Fällen stelzte der Offizier mit gelangweiltem Blick vor der Front herum, grüßte nachlässig oder gar nicht, wenn er einem ›Kerl‹ begegnete, und befleißigte sich grundsätzlich derjenigen Verachtung, die einem deutschen Soldaten nun einmal von seinen Vorgesetzten zukam. Es gab, selbstverständlich, viele Ausnahmen – betrachtet wird hier der Geist, der das deutsche Offizierkorps beherrscht hat, und der war schlecht. Es kam dem Offizier niemals in den Sinn, daß er doch grade so gut wie jeder Mann die Lasten des Krieges zu tragen habe – er beanspruchte und erhielt ohne weiteres das Zwanzigfache an Lohn und Verpflegung, und seine Quartiere standen in keinem Verhältnis zu den meist jämmerlichen der Mannschaften.

In dem Abschnitt ›Verpflegung‹ wird darüber mehr zu sagen sein.

Die sittliche Haltung des deutschen Offizierkorps im Kriege ist im ganzen als mangelhaft zu bezeichnen. Nicht, weil scharf getrunken wurde – der Mann, und besonders der Mann im Felde, muß trinken –, und es mögen darum Alkoholgegner und deren Gegner miteinander raufen. Die sittliche Haltung der deutschen Offiziere war deshalb so mangelhaft, weil sie in frechem Hochmut den eigenen Landsleuten das wegnahmen, was denen zukam, und weil sie das (dienstlich absolut notwendige) Vorgesetztenverhältnis auch stillschweigend auf die Verteilung der Speisen und Getränke übertrugen. Daß es in den meisten Kasinos bei der Fidelitas nicht nur unfein, sondern als Gegengewicht gegen die offiziell immer noch anerkannte Steifheit geisttötend zuging, nebenbei. Beim Wein entpuppt sich der Mensch – und was da zum Vorschein kam, war nicht immer menschlich. Die Kommandeure hielten selten auf reinen Tisch – teils, weil dann den Herren der ganze Weltkrieg keinen Spaß mehr gemacht hätte, teils, weil sie selbst keine saubern Finger hatten. Mackensen sah sich, zum Beispiel, in Rumänien genötigt, noch zum Schluß der unseligen Besetzungszeit einen Geheimerlaß an die Offiziere zu richten: in Bukarest nur anständige Lokale aufzusuchen und sich nicht öffentlich mit Huren abzugeben. »Es soll sogar«, stand ungefähr in dem Erlaß, »vorgekommen sein, daß Offiziere mit nicht einwandfreien Damen in Wagen . . . « Ganz Bukarest lachte; denn ganz Bukarest war voll von Pärchen und wilden Ehen. Dabei muß gesagt werden, daß der deutsche Offizier nicht etwa Roheiten, wie sie ihm der Propagandadienst der Entente andichtete, verübt hat – sind sie vorgekommen, so waren es bedauerliche[9] Ausnahmen, für die der Stand und das Heer nicht verantwortlich zu machen sind. Es war vielmehr eine schleichende und stillschweigend vereinbarte und anerkannte Korruption auf sittlichem Gebiet: man hatte Weiber, Heimatkisten, Beziehungen für Orden und den Hochmutsteufel. Darin taten sich besonders die Fliegeroffiziere hervor: ein Erlaß vom Kommandierenden General der Luftstreitkräfte aus dem Jahr 1917 tadelt das Auftreten der jungen Fliegeroffiziere, die ältere Kameraden nicht grüßten, ihre Automobile für Privatzwecke benutzten und sich in den französischen und belgischen Etappenstädten schlecht benähmen.

Am schlimmsten trieben es die Offiziere in der Etappe. Dabei darf uns nicht der deutsche Fehler unterlaufen, nur in Kollektiven zu denken und nun die Sache damit abzutun: »Ja, die Etappe –!« Der Offizier in der Etappe – und sie war recht groß geworden, die Etappe – war nichts weiter als ein gutgestellter Deutscher, und er nahm sich, weiß Gott, nicht gut aus. Wenn man unsre alten Landsturmleute so herumlaufen sah: schmutzig, alt, grau, schlecht genährt, schlecht gekleidet, krumm und gebeugt – und dann daneben den jungen Herrn, der, seit er Offizier geworden war, sich aller Pflichten ledig erachtete, so stieg es bitter in einem auf. Wunderbarerweise war die rührende Unterordnung ebenso groß wie die allgemeine Erbitterung gegen den schlechten Geist der Offiziere. Ausschreitungen der Mannschaften gegen die Offiziere sind selten vorgekommen.

Der üble Geist des deutschen Offizierkorps färbte natürlich nach unten ab. Nur im vordersten Graben funktionierte der Unteroffizierston nicht – kam das Regiment in Ruhestellung, so wuchs der Vizefeldwebel zum kleinen König empor, und der Etatsmäßige schwoll zum Gott an. Die Feldwebelswirtschaft war allgemein: der meist jugendliche Kompanieführer – Kriegsware – übertrug seinem Feldwebel viele wichtige Geschäfte, die er selbst hätte erledigen sollen, und der mißbrauchte seine Stellung: entweder er nahm Geld, oder, was schlimmer war, er bekam nerohafte Neigungen und tyrannisierte die paar hundert Menschen, die ihm unterstellt waren. Der Geist ging von oben nach unten: taugte der Kommandeur einer Formation nichts, dann spielten sich die Gefreiten noch als die Vorgesetzten auf, und ein Deutscher hackte dem andern Herz und Augen aus.

Besonders widerlich wirkte, wie die größten Schreier still wurden, wenn man sie beförderte: dann war auf einmal alles gut. Ich habe häufig genug beobachtet, wie diese Leute gewissermaßen vor sich selber stramm standen und am Tage ihrer Beförderung mit einem geheimen Schauder herumliefen: Was bist du doch für ein Kerl!

Die Befehlsgewalt, die ein Vorgesetzter dem Untergebenen gegenüber hatte, war aber auch groß, zu groß. Sie erstreckte sich nicht nur – und das war das Gefährliche – auf den Dienst – nur dahin hätte sie [10] gehört –, sondern sie umfaßte alle persönlichen Beziehungen, der Mann war seinen Vorgesetzten mit Haut und Haaren ausgeliefert. Die wenigsten Offiziere hatten die nötige innerliche Reife, um befehlen zu können (was bekanntlich schwerer ist als gehorchen). Es empörte immer wieder, zu sehen, mit welch loyaler Geringschätzung sie dem Manne günstigstenfalls auf die Schulter klopften oder ihn gar nicht ansahen. Die höhern Dienstgrade hatten meist überhaupt jeden Zusammenhang mit der Erde verloren und standen da, den Kopf in den Wolken verhüllt, auf ihren Vorteil bedacht und rücksichtslos ihr eigenes Wohl in den Vordergrund schiebend. Es mag eine Ausnahme sein, daß ein Divisionär in Rumänien – der Mann hieß Gentner – seinen Urlaub damit antrat, daß er einen Engpaß, durch den Munition, Nachschub, Post und Kranke gefahren wurden, auf zwei Tage sperren ließ, und dann kam er: flankiert von einer halben Schwadron und einer halben Kompanie, auf einem achtspännigen Ochsenwagen; es mag eine Ausnahme sein, daß ein Fliegerhauptmann, in einem französischen Schloß einquartiert, morgens um halb fünf von zwei Burschen die Singvögel aus den Bäumen scheuchen ließ, weil sie ihn störten: Caligula – es mögen das Ausnahmen sein, aber sie scheinen bezeichnend.

Ich glaube nicht, daß die Zahl der gefallenen Offiziere ein Argument gegen die Behauptung ist, daß ihr Geist nichts taugte. Tausende haben ihre Pflicht getan, und fast alle haben sie sie dem Mann gegenüber vernachlässigt. Die ungeheure Wut der Soldaten auf die Offiziere, die jetzt überall mit Recht zutage tritt, ist sonst gar nicht erklärlich, Was der deutsche Offizier taktisch in dem Kriege geleistet hat, steht dahin – zum Volkserzieher ist sein bisheriger Typ nicht berufen.

Bevor die Artikelreihe fortfährt, Militärisches zu beleuchten, möchte ich eines sagen. Es wird mir vorgeworfen, ich schmähte mein eignes Land. Das ist nicht mein Land. Das ist nicht unser Deutschland, in dem diese Köpfe, diese Hirne herrschen durften. Der Hinweis: »Pst! Nicht so laut! Was soll das Ausland von uns denken!« ist nun so oft erklungen, besonders dann, wenn die Wäsche wirklich schmutzig war, daß ich keinen andern Weg, das Übel auszurotten, sehe, als den der rücksichtslosen, gründlichen Ausbrennung. Ich habe neulich in einer großen Tageszeitung das Präludium zu diesem Thema angeschlagen: eine Flut von Beschimpfungen hat sich über mich ergossen. Mir ist das gleichgültig, schon deshalb, weil sie alle (»Du bist nie draußen gewesen! Du bist nur nicht befördert!«) auch sachlich Unrecht haben.

Worauf es uns ankommt, ist dies: den Deutschen, unsern Landsleuten, den Knechtsgeist auszutreiben, der nicht gehorchen kennt, ohne zu kuschen – der keine sachliche Unterordnung will, sondern nur blinde Unterwerfung. Unser Offizier hat schlecht und recht seinen Dienst getan, und auch den teilweise mäßig genug – aber er hat [11] sich überzahlen lassen, und wir haben auszufressen, was ein entarteter Militarismus uns eingebrockt hat.

Nur durch völlige Abkehrung von dieser schmählichen Epoche kommen wir wieder zur Ordnung. Spartakus ist es nicht; der Offizier, der sein eigenes Volk als Mittel zum Zweck ansah, ist es auch nicht – was wird es denn sein am Ende?

Der aufrechte Deutsche.


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1919. Militaria: Offizier und Mann. Militaria: Offizier und Mann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6917-2