An Theobald Tiger

Lieber Herr Tiger, ich danke Ihnen vielmals für Ihren freundlichen Gesang. Sie haben, wie ich, den Vorzug, ein Pseudonym zu sein, aber Sie haben den noch weitaus größern Vorzug, das Ihrige in kurzen oder langen Zeilen, die am Schluß einen Gleichklang aufweisen, schreiben zu können. Das kann ich nun nicht, und der richtig gedichtete Dichter hats doch besser als der, der das tut, was alle können: ganz einfach deutsch schreiben, nicht wahr?

Sie sagen nun, halb im Scherz, ich solle von meinen kleinen Liebhabereien lassen und mich dem ›Leben‹, der Politik, dem lauten Ganzen zuwenden. Ja, aber wem? Der letzten Verhandlung über unsre Kunst im Abgeordnetenhaus? Was soll ich da? Späße machen? Und zum hundertundelften Male feststellen, daß alle Jahre wieder irgendein Beauftragter irgendeiner Partei etwas daherredet . . . man würde den Mann keinen Augenblick länger bei den Seinigen dulden, wenn er so schlecht über Wegebau oder Eisenbahnen unterrichtet wäre. Und der Krieg?

Lieber Herr, zum Märtyrer habe ich nicht das Zeug. Ich kann mir denken, daß jemand auf den Sandhaufen tritt, aber dann muß er wissen, wozu, und – nebenbei gesagt – es muß ihm stehn. Ich habe einen dicken Bauch und bringe das Pathos nicht auf, das nötig ist. Und, sehen Sie, es gibt doch für einen anständigen Kerl nur ein Entweder-Oder bei diesen Dingen: entweder er widersetzt sich, das kann man auch schweigend; oder er macht mit, er, der sich vorher niemals um den Staat bekümmert hat, fällt mit rhythmischem oder epischem Geprassel um, reimt das Blut der andern auf sein eigenes Gut – was einen sehr schönen Klang gibt – und begründet die Notwendigkeit dieses Krieges kosmogenetisch . . . Und das Blut fließt, fließt . . .

Die ersten Kriegsjahre war ich verstummt. Ich glaube heute, daß es erlaubt ist, – aber immer mit diesem stillschweigenden Vorbehalt – über Nebensachen zu sprechen. Über die Hauptsache kann ich nichts sagen, weil es mir nicht folgerichtig erscheint, sich aus der Front zur Premiere eines Menschlichkeitsdramas beurlauben zu lassen. Entweder Christus oder der Bezirksfeldwebel, aber nicht diese mittlere Proportionale.

[312] Sie werden begreifen, lieber Herr Tiger, daß es von mir nicht Weltabgewandtheit oder Snobismus war, im Kriege dauernd von allem zu ›plaudern‹, nur von dem einen nicht.

Ich bin Ihr sehr ergebener

Peter Panter


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1918. An Theobald Tiger. An Theobald Tiger. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6A27-5