Die Ämter

Die zuständige Ration Verstand des Deutschen teilt das Land horizontal in zwei Lager ein: oben die Ämter, unten der Untertan. Und glaubt dabei, die Ämter seien vom Mond heruntergefallen und die Beamten dazu, und all das bedrücke mit seinen Stempeln, seinem Schnauzton und seiner langweiligen Unfähigkeit die arme unschuldige Bürgerschaft.

Daß der Beamte aber auch ein Teil der Nation ist, daß er nur Symptom und kein Urphänomen ist, und daß jeder Beamte den andern Beamten gegenüber wiederum Bürger ist: das hat sich noch nicht herumgesprochen.

Der deutsche Beamte stellt nur die Beschaffenheit des Deutschen dar, die eintritt, wenn dieser Deutsche für sein Leben durch eine feste Anstellung versorgt ist und durch den geheimnisvollen Prozeß der Souveränitätsübertragung gleichzeitig in die Lage gebracht wird, Willensäußerungen seiner Person als allgemein gültig mit Gewalt durchsetzen zu können. Er ist also nichts als jeder andre Deutsche auch, nur eben spezifisch bedingt. Die Wollust, regieren zu dürfen und als Äquivalent für die gebotene Nachgiebigkeit dem ›Vorgesetzten‹ gegenüber hundert Petenten in den Rücken treten zu dürfen, bringt einen eignen Geisteszustand hervor, der jene seltsame Mischung von Nero und einem Zigarrenhändler in die Welt gesetzt hat.

Niemand von den hunderttausend nörgelnden Abonnenten der großen Presse, die sich über ›Mißstände auf den Ämtern‹ beschwert, hat herausbekommen, daß es ihresgleichen ist, der da oben das Zepter schwingt. Und jeder Beamte eines Wohnungsamtes vollführte einen entsetzlichen Spektakel, wenn er von einer Paßstelle schlecht behandelt würde. Über seinen engen Kram sieht da keiner hinaus.

Nun ist es ja im allgemeinen lustig zu beobachten, wie die Herren vom Bau zusammenhalten, und wie kein Polizeiwachtmeister einem Regierungsrat ein Auge aushackt. Daß er vor einem Reichswehroffizier in Uniform in Ehrfurcht erstirbt und den so behandelt, wie er jeden Menschen behandeln müßte, ist bei diesem Unteroffiziersvolk selbstverständlich. Es herrscht große Solidarität unter den Pensionsbrüdern, und wenn es sich nicht um benachbarte Ressorts handelt, die sich zur Ausfüllung der Amtsstunden anstänkern, dann sind sie gar lieblich miteinander und helfen einander sogar, soweit es keine Arbeit macht. Ihr Augurenblick sagt: »Du willst regieren, ich will regieren, wir wollen alle beide regieren. Bruder –!« Und diese Liebe bezahlt der gute Untertan.

Die krankhafte Sucht, von der das Land besessen ist, diese Gier, Ämter zu gründen, auszubauen, aufzublasen und wieder neue zu gründen, hat ihre tiefe Ursache in der Lebensschwäche der Funktionäre. Man sieht diesen matten und unausgearbeiteten Gesichtern auf hundert [165] Schritt an, daß sie nicht nötig haben, sich im harten Kampfe mit Konkurrenten ihr Brot zu verdienen. Sie verzehren die Zinsen eines fiktiven Kapitals und sitzen im Trockenen. (Daß das Dach in dieser Zeit etwas schadhaft ist, macht nichts – es ist doch ein Dach.)

Draußen wogt die Menge der andern. Sie schimpfen schrecklich auf die, die unter dem Dach sitzen, weil sie sehen, daß man sie schlecht behandelt, miserabel abfertigt, prügelt und schröpft. Aber ruf einen hinein in das schützende Gemäuer: so wird er fröhlich seinen Regenschirm zusammenklappen, freundlich lächeln, sich mit einem artigen Gruß auf den Amtsstuhl niederlassen . . . Und er wird regieren, daß die Haare in der Nachbarschaft herumfliegen.


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1922. Die Ämter. Die Ämter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6C32-E