Dicke Bücher

Da hat sich eine neue Verleger-Unsitte eingebürgert, die für Bücherverkäufer, Autor und Buch die gleichen bösen Folgen hat.

Es wird schon geraume Zeit von fast allen Verlegern darauf hingearbeitet, ein Heft als dicke Broschüre, eine Broschüre als Buch, ein Buch als Wälzer ›aufzumachen‹. Die Mittel dazu sind:

Dickes Schwindel-Papier, das so tut als ob. Ist aber weich und bauschig wie Löschpapier, bläht das Buch auf, täuscht wer weiß was vor, Kleiner Satzspiegel: falsch verstandne Lehren vom Rand und von Breiten-und Höhen-Proportionen haben dazu geführt, daß der Text bei manchen Büchern wie eine einsame Briefmarke im weißen Meer dasteht. Pompöser, dickpappiger Einband – innen Kapitelüberschriften auf besonderm Blatt; jeder Aphorismus fängt auf einer neuen Seite an – der Text wird wie ein Strudel auseinandergezogen.

Das sieht wie ein richtiges Buch aus, kostet auch so viel und mehr. [290] Ist aber in den meisten Fällen ein Heftchen, ein dünnes murksiges Ding, das, hätte man es gesetzt wie sichs gehört, noch nicht sechs Bogen füllte. Der Verleger macht zwölf daraus.

Der Bücherkäufer wird, erstens, damit getäuscht. Denn er liest den ganzen Kram, für den er vielleicht sieben Mark bezahlt hat, in einer Stunde herunter; er hat die Ware überzahlt.

Der Autor wird, zweitens, geschädigt; denn diese Sorte Bücher sind alle viel zu teuer, und darunter leidet der Absatz und also der Schriftsteller, Und das alles, weil angeblich am billigen Buch nichts verdient werden kann, und das alles, weil die Organisation des Sortiments nicht gut ist: weil die Leute nicht Bescheid wissen, trotz aller Kurse, weil sie ihre Ware verkaufen wie ich Kriegsschiffe verkaufen würde, wenn ich welche hätte – und das alles, weil sich die meisten Verleger übernehmen, weil sie sich viel zu viel aufhalsen, und nachher gar nicht imstande sind, für ihre Autoren wirklich etwas zu tun. So müssen sie teuer verkaufen.

Und so müssen sie das Publikum, das Bücher und keine Papierberge bestellt hat, täuschen.

Man sehe sich einmal an, wie früher anständige Bücher gedruckt worden sind; wie heute noch gute wissenschaftliche Werke aussehen; und ohne nun der Meinung zu sein, daß man einen Unterhaltungsroman so setzen kann wie etwa eine Geschichte der Philosophie, müssen wir doch die Verleger bitten, ihre Produktion nicht künstlich zu blähen. Diese ›Romane‹ von zweihundertundachtzig Seiten sind in Wahrheit mittlere Novellen von hundertundvierzig; die dick angeschwollenen Tierbücher kleine Bändchen, die bei anständigem Satz gut und gern ihre zwei Mark wert sind, aber nicht sechs – es ist ein Unfug, der in dieser Ausstattung steckt, ein Unfug und eine bewußte Täuschungsabsicht. »Das Publikum will was in der Hand haben.« Ein Buch, meine Teuren – keinen Packen weiches Papier.

Und dann wundert ihr euch, wenn eure Bücher nicht gehen. Es gibt viele Gründe: einer ist dieser hier. Ihr seid zu teuer. Und ihr müßt es sein, weil ihr falsch ausstattet.


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1927. Dicke Bücher. Dicke Bücher. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6E55-1