[94] Der standhafte Weise

An Herrn Hof-Rath C*


Hat nun dein Saitenspiel den süssen Scherz vergessen,
Und schweigt, stets ungestimmt, an traurigen Cypressen,
Um deiner holden Gattinn Grab?
Wer kann, o weiser C* den wilden Schmerz besiegen,
Wenn Seelen, deren Muth erhabne Proben gab,
Wenn starke Seelen unterliegen?
Wie? soll die Traurigkeit unwidersetzlich wüthen,
Und wo sie einmal herrscht, stets fürchterlich gebiethen,
In ewig unerhellter Nacht?
Nein! von dem Weisen muß die Welt und Nachwelt lesen,
Er sey gemässigt froh, wenn ihm das Glück gelacht,
Und auch in Leiden groß gewesen.
Ihn darf die träge Zeit auf mitleidvollen Schwingen
Nicht ihren späten Trost, nicht ihre Lindrung bringen:
Sie sey des Pöbels Trösterinn!
Der Weise braucht sie nicht, er tröstet sich aus Gründen:
Die Wahrheit schimmert ihm durch trübe Nebel hin;
Er kann sie sehen und empfinden.
Sein lehrend Beyspiel strahlt auch auf entfernte Tage:
Der Schwache, der es hört, schämt sich der feigen Klage,
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Und fühlet ungewohnten Muth.
Um seine Helden-Stirn müss' ewig Lorbeer grünen!
O Lorbeer bessrer Art, als den durch fremdes Blut
Die Weltverwüster sich verdienen!
Kein stoischer Gesang ertönt von meinen Saiten;
Ich waffne nicht den Stolz, die Thränen zu bestreiten;
Ihm widersteht ein zärtlich Herz.
Die Stimme der Natur gebeut in allen Seelen,
Und falscher Großmuth Zwang kann einen wahren Schmerz
Nicht überwinden, nur verhehlen.
Doch was kein Stolz vermag, kann Weisheit möglich machen:
Auch Triebe der Natur, die herrschbegierig wachen,
Gewöhnt sie zum Gehorsam an.
Sie müssen sich vor ihr, so wild sie brausen, schmiegen,
Wie in verschlossner Gruft, dem Aeol unterthan,
Die lauten Winde knirschend liegen.
Sieh auf den starken Trieb, der uns zur Wollust reisset,
Im freyen Wilde Brunst, in Menschen Liebe heisset,
Und, unbeherrscht, sich leicht verirrt.
Er wird Gesetz und Recht und Menschlichkeit verletzen,
Wenn ihn kein Zügel hält, und ihm erlaubet wird,
Sich höhern Pflichten vorzusetzen.
Aus ihren Schranken darf auch die Natur nicht schreiten:
Soll nicht ein gleicher Zaum die weiche Wehmuth leiten,
Die ein verlohrnes Gut bedaurt?
Kein allzulanger Schmerz muß unsre Ruhe stören;
Und wenn es Menschheit ist, daß unsre Seele traurt,
So ist es Weisheit, aufzuhören.
Was kann den Sterblichen das wilde Glück entziehen,
Das ewig Leid verdient? Ist alles nicht geliehen?
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Gebührt nicht alles ihm zurück?
Die Güter, die es giebt, verschenkt es nicht auf immer:
Sein schmeichlend Lächeln ist ein kurzer Sonnenblick,
Ein kaum genossner Frühlings-Schimmer.
Wann sich die dunkle Luft mit Winter-Wolken schwärzet;
Wann Philomele schweigt, kein lauer Zephyr scherzet,
Kein Zephyr Morgen-Rosen küsst:
Was hilfts, mit finstrer Stirn den Unbestand beklagen?
Es kommt nicht mehr zurück, was einst entflohen ist;
Doch leicht wird, was wir freudig tragen.
Der Weise bleibt sich gleich im Schoos erwünschter Freuden,
Und sieht, noch ehe sie, bald ober späte, scheiden,
Die leichten Flügel ieder Lust.
Wenn ihr Gefieder sich in schneller Flucht verspreitet,
So sieht ers unbetäubt: er hatte seine Brust
Zu iedem Unfall vorbereitet.
Nicht unser ganzes Herz muß am Vergnügen hangen:
Zu einem höhern Zweck hat uns die Welt empfangen,
Wo ieder eine Rolle spielt.
Nicht bloß zu trunkner Lust im Umgang eines Weibes
Bewohnt ein freyer Geist, der sich unsterblich fühlt,
Die irdne Hütte seines Leibes.
Durch Tugend müssen wir des Lebens würdig werden,
Und ohne Tugend ist kein daurend Glück auf Erden:
Mit ihr ist niemand unbeglückt.
Der Lasterhafte nur ist elend, arm, verachtet,
Auch wann er glücklich heißt und sich vom Raube schmückt,
Und jüdisch ganze Länder pachtet.
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Kein fremder Zufall kann der Seelen Hoheit mindern;
Kein widriges Geschick ihr wahres Wohl verhindern:
Kann was geschieht, uns böse seyn?
Der Schöpfer einer Welt wird seine Schöpfung lieben,
Und wenn er sie betrübt, aus weiser Huld allein
Und nicht aus blindem Haß betrüben.
Vom strengen Strom der Zeit wird ieder hingerissen,
Bald unter heitrer Luft, bald unter Finsternissen
Und schwarzer Ungewitter Wuth:
Strom, wo sich allzuoft beschäumte Wellen thürmen,
Stets brausend, wie das Meer! o ungestüme Fluth,
Berüchtigt von erzürnten Stürmen!
Wohin der Sturm uns führt, bleibt oft vor uns verstecket,
Weil fürchterlich Gewölk die grünen Ufer decket,
Und unsrer Blicke Lauf begränzt.
Die Schatten werden fliehn, die unser Auge banden,
Vielleicht wohl, ehe noch der andre Morgen glänzt,
Vielleicht nicht ehe, bis wir landen.

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TextGrid Repository (2012). Uz, Johann Peter. Gedichte. Sämtliche poetische Werke. Lyrische Gedichte. Drittes Buch. Der standhafte Weise. Der standhafte Weise. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-72E4-B