Paul Verne
Von Rotterdam nach Kopenhagen am Bord der Dampfyacht »Saint Michel«

1. Capitel

[355] I.

Nach schneller, glücklicher Ueberfahrt von der Küste Englands nach der Maas, von Deal (Grafschaft Kent) in Rotterdam am 5. Juni angelangt, wurden wir daselbst noch am 10. durch ungünstige Witterung zurückgehalten. Ein stürmischer Nordwest rollte gewaltige Wogenmassen gegen den flachen Strand Hollands und verwehrte uns die Ausfahrt. Mindestens wäre es unklug gewesen, mit unserer Dampfyacht »Saint Michel«, trotz ihrer bewährten Seetüchtigkeit und höchst vollkommenen Maschine, der empörten Nordsee gerade an diesen gefährlichen Gestaden Trotz bieten zu wollen.

Das war auch die Ansicht Harry Thomas Pearkop's, Pilot for the Channel and the North sea, wie seine Karte meldete, der sich – etwas gegen unseren Willen – mit an Bord befand. Wir hatten ihn in Deal engagirt, um den »Saint Michel« eigentlich nur durch die Dünen vor der Küste zu lootsen, da sich am Nachmittag des 4. Juni ein dichter Nebelschleier über den Kanal herabzusenken begann; mit der eigenthümlichen Zähigkeit der englischen Race, welche sich den Erwerb einiger Pfund Sterling nicht so leicht entgehen läßt, gelang es ihm aber doch zuletzt, uns von seiner »Unentbehrlichkeit« bei der geplanten Fahrt unserer Yacht zu überzeugen.

Dieser »Gentleman«, der trotz wiederholter Weigerung sich an Bord des »Saint Michel« sozusagen einnistete, hatte übrigens eine gewisse Geschichte. Thomas Pearkop ist ein Mann von mittlerer Größe mit breitem Gesicht, breiten Schultern und stark im Leibe, mit einem Wort, bei ihm geht Alles in die Breite, so auch seine breiten Füße, welche in breiten Schuhen ohne Absätze stecken Er hat ein gutmüthiges Aussehen, blaue Augen, eine gerade Nase – so eine Nase, von welcher man glaubt, sie müsse sehen können – gebräunten, in's Röthliche spielenden Teint, Bart allein unter dem Kinn – kurz, er bietet ganz das Bild eines wetterfesten Seemannes.

[355] Thomas Pearkop besaß eine starke Stimme, welche auch das Sausen des Windes übertönte, er verstand aber nicht zwei französische Worte. Zum Glück war mir das Englische so weit geläufig, daß ich mich mit ihm verständigen konnte.

»Wir brauchen aber Ihre guten Dienste nicht, Pearkop, sagte ich zu ihm. Unser Kapitän kann uns schon allein führen; nachdem er in dreißig Jahren fünfundzwanzigmal über die Nordsee gekommen ist, kennt er dieselbe gründlich und wird von Leuchtthurm zu Leuchtthurm ebenso sicher fahren, wie der beste Lootse von der Rhede bei den Dünen!

– Aoh, yes! erwiderte der ›Gentleman‹, aber die Strömungen, die Sandbänke, die Nebel, vorzüglich die Nebel, welche zur Sommerzeit so häufig vorkommen und es unmöglich machen, ein Leuchtfeuer oder die Küste zu erkennen! Was wird dann aus Ihnen werden? Ach, fügte er hinzu und hob melancholisch die großen hellen Augen zum Himmel, wie viele Kapitäne, und darunter auch ganz vortreffliche Seeleute, haben es büßen müssen, daß sie meine Dienste abwiesen!«

Nun folgte eine Aufzählung von Schiffen aller Nationen, welche gestrandet oder mit Mann und Maus untergegangen waren, nur weil sie die Warnungen dieses, mit allen Gewässern der Nordsee vertrauten Mannes in den Wind geschlagen hatten. Darauf brachte er eine geradezu zahllose Menge Zeugnisse in russischer, dänischer, deutscher und italienischer Sprache hervor, von denen wir keine Silbe verstanden; nur ein einziges französisches Attest befand sich darunter, ausgestellt von M. E. Pérignon, dem Eigenthümer der Dampfyacht »Fauvette« und Vicepräsident des französischen Yachtclubs. Unter dieser Lavine von guten und minder guten Gründen ermattete endlich unser Widerstand und wurde unser Angreifer nur noch hitziger, so daß uns nur der Ausweg blieb, nach ehrenvoller Vertheidigung zu capituliren.

Wir nahmen also das Angebot Thomas Pearkop's an, den »Saint Michel« von Deal nach Rotterdam zu führen. Freilich mußte sich das Lootsenhonorar eine für den »Gentleman« sehr schmerzhafte Amputation gefallen lassen: dasselbe wurde von fünfzehn Pfund, seiner ursprünglichen Forderung auf acht Pfund, also um ziemlich fünfzig Percent herabgesetzt.

Nun sahen wir erst auf ein Zeichen Thomas Pearkop's in dem Boote, das ihn zu uns gebracht hatte, den Sack aus getheertem Segeltuche auftauchen, den jeder Lootse, der auf sich hält, unabänderlich bei sich zu führen pflegt. Aber, himmlischer Vater, welch' ein Sack war das! Einundeinhalb Meter lang [356] und einen halben Meter dick, vollgestopft zum Platzen, geschnürt wie eine Preßwurst, und so schwer, daß ihn kaum zwei kräftige Männer an Bord schaffen konnten. Ich fürchtete, der »Saint Michel« werde unter dieser ungewöhnlichen Last kentern wie ein Fischerboot.

2. Capitel

II.

Bevor wir unseren Bericht fortsetzen, dürfte es sich für die freundlichen Leser, die uns auf dieser Fahrt auf der Nord- und Ostsee folgen wollen, wenn die nachfolgenden Anmerkungen für sie von einigem Interesse sein sollen, empfehlen, sich kurz mit dem Schiffe, auf dem wir uns befanden, bekannt zu machen.

Der »Saint Michel«, dessen geringe Größe ihn auf den ersten Blick als ungeeignet für weitere Seereisen erscheinen lassen möchte, ist eine reizende Dampfyacht, dreiunddreißig Meter lang und achtunddreißig Registertonnen, das heißt siebenundsechzig Tonnen nach der Messung des französischen Yachtclubs, groß. Er führt dessen dreifarbigen Wimpel mit dem weißen Stern am Maste.

Erbaut in Nantes, 1876, von der Firma Jollet und Babin, verbindet diese Yacht mit einer zweifellosen Solidität ganz ausgezeichnete nautische Eigenschaften, die es im schlimmsten Fall ermöglichen würden, auch sehr schlechtem Wetter zu trotzen. Nach Thomas Pearkop's Aussage würde dieselbe bei einem Sturm, den man auszustehen hätte, sogar noch mehr Sicherheit bieten als ein Fahrzeug von höherem Tonnengehalt. Eine derartige Aeußerung des »Gentleman« dürfte jedoch nur mit großer Reserve aufzunehmen sein, denn eine »so kleine« Yacht, die ihm »so viel« in, »so kurzer« Zeit einbrachte, mußte wohl nahezu vollkommen sein. Wir beschränken uns also darauf, von seiner guten Meinung Notiz zu nehmen; der Himmel gebe aber, daß wir niemals in die Verlegenheit kommen möchten, dieselbe wirklich zu erproben.

Der »Saint Michel« ist ein eisernes Schiff, als Goëlette getakelt, durch fünf wasserdichte Scheidewände getrennt und von eleganter Gestalt. Seine [357] Maschine von fünfundzwanzig indicirten Pferdekräften, à dreihundert Meterkilogramm – gleich etwas über hundert effective Pferdekräfte – verleiht ihm eine Geschwindigkeit von neun bis neuneinhalb Knoten in der Stunde. Diese Geschwindigkeit kann mit Hilfe des Segelwerkes bis auf zehneinhalb Knoten vergrößert werden; das Schiff ist nämlich so reichlich mit Segeln versehen, daß es, im Fall die Maschine oder Schraube ja ein Unfall träfe, im Nothfall einen gar nicht schlechten Segler abgeben könnte, denn auch ohne Mithilfe des Dampfes erreicht der »Saint Michel« bei günstigem Winde eine Schnelligkeit von sieben bis acht Knoten.

Die Maschine ist jedoch von ausgezeichneter Construction, nach dem Compound-System mit zwei ungleich großen Cylindern erbaut, hat Oberflächencondensation und ist von dem Marine-Ingenieur Normand in Havre entworfen. Sie macht der Werkstatt der Herren Jollet und Babin, wo sie gebaut wurde, alle Ehre.

Die innere Einrichtung der Yacht ist folgende:

Im Hintertheile befindet sich ein Salon, nach dem man mittelst einer geraden Treppe gelangt, welche zwischen einem Dienerzimmer und einem anderen unentbehrlichen Cabinet hinuntergeführt ist. Von diesem in Jaccarauda gehaltenen Salon, dessen Divans alle in Lagerstätten verwandelt werden können, kommt man nach einem Schlafzimmer mit zwei Betten, Toilette, Schränken und einem Tische aus lichtem Eichenholz. Hierauf folgt nach vorn zu die Maschine und der Kesselraum, welche den breitesten Theil des Mittelschiffes einnehmen. Der Vordertheil enthält den Speisesaal, zugänglich durch eine etwas gewundene Treppe, welche zwischen der Kapitänscajüte und der Vorrathskammer hinabführt, und mit der Küche in bequemer Verbindung steht. Ganz nach vorn, neben der Küche, liegt das Volkslogis mit sechs Lagerstätten für Matrosen. Alles in Allem bietet unsere Dampfyacht einen herrlichen Anblick mit ihren hohen, geneigten Masten, dem schwarzen Rumpfe, über den sich an der Wasserlinie und unter dem Barkholz weiße Streifen hinziehen, mit ihren Lichtpforten in kupfernen Rahmen, mit ihren Treppenkappen aus Teakeiche und den eleganten Linien, welche sie vom Heck bis zum Vordersteven zieren.

3. Capitel

[358] III.

Das ist der »Saint Michel«. Seinen Eigenthümer, Julius Verne, kennt wohl so ziemlich Jedermann. Mir, seinem Bruder, kommt es nicht zu, hier sein Lob anzustimmen, doch muß ich bemerken, daß dieser scheinbar unermüdliche Arbeiter doch auch gelegentlich einmal erschlafft. Da wird ihm die Ruhe zur Nothwendigkeit, und er findet sie nirgends so erquickend, als in seiner Yacht auf dem ruhelosen Meere.

Viele glauben, er arbeite an Bord des Schiffes. Weit gefehlt! Er ruht hier nur aus und erholt sich während einiger Monate. Im Uebrigen bleibt er wach ein verläßlicher Gefährte, dem die Seekrankheit unbekannt ist, aber auch ein Virtuos im Schlafen, das Wetter kann sein, wie es will, stets aber ein heiterer und liebenswürdiger Gesellschafter. Doch, ich will einhalten, ich verirre mich auf ein Gebiet, welches mir zu betreten versagt ist. Man könnte mich der Parteilichkeit zeihen.

Abgesehen von zahlreichen Ausflügen im Kanal und längs der Küsten der Bretagne, hat der »Saint Michel« schon zwei größere Reisen gemacht. Von Nantes aus trug er im Jahre 1878 Raoul Duval, Julius Hetzel jun., meinen Bruder und mich bis nach dem westlichen Mittelmeere. Er besuchte Vigo, Lissabon, Cadix, Tanger, Gibraltar, Malaga, Tetuan, Oran und Algier, und hielt sich ausgezeichnet auch während der wenigen Tage stürmischen Wetters, die uns nicht erspart blieben.


Der »Saint Michel«. (S. 355.)

Es ist allzuschwer, den Reiz in Worten wiederzugeben, den man empfindet, auf solche Weise die Küsten Spaniens, Marokkos und Algiers zu besuchen. Dasselbe gilt auch von der zweiten Reise, welche die Gestade Englands und Schottlands und Edinburgh zum Ziel hatte. Vielleicht veröffentlicht mein Bruder noch einmal die, »Denkwürdigkeiten des ›Saint Michel‹«, was meiner Meinung nach ungemein zur Entwicklung des Yachtsports in Frankreich beitragen würde.


Durchschnitt des »Saint Michel.«

Dieses Jahr lag es anfangs in unserer Absicht, über Christiania, Kopenhagen und Stockholm nach Petersburg zu gehen. Verschiedene Erwägungen führten jedoch eine Abänderung dieses Reiseplanes herbei. Wir hatten sogar schon darauf verzichtet, der Ostsee überhaupt einen Besuch abzustatten, und wenn wir dennoch [359] dahin gelangten, so war das die Folge ganz unerwarteter Umstände, wie man aus diesem Berichte erkennen wird.

Befehligt wird der »Saint Michel« von Kapitän Ollive, gebürtig von der kleinen Insel Trentemoult, einem reizenden, mitten in der Loire unterhalb Nantes gelegenen Fleckchen Erde, welche, wie das zugehörige Städtchen Batz, noch die Sitten der Vorältern bewahrt hat. Erfahren in der Küstenfahrt, die er fünfundzwanzig Jahre lang betrieben, ist unser Kapitän ein kluger Mann und guter Seefahrer, dem man sich ruhig anvertrauen kann.

[360] Wenn ich nun noch hinzufüge, daß die sämmtliche aus der Bretagne stammende Besatzung aus einem Maschinisten, zwei Heizern, einem Obersteuermanne, dem Sohne des Kapitäns, drei Matrosen, einem Schiffsjungen und einem Koch besteht, und endlich als die an Bord befindlichen vier Passagiere, Julius Verne, den Advocaten Robert Godefroy aus Amiens, meinen ältesten Sohn und mich selbst, nenne, so ist der geneigte Leser vollständig mit dem »Saint Michel« und seinem Personal bekannt.

4. Capitel

[361] IV.

Wir lagen also fest in Rotterdam und warteten auf einen Umschlag der Witterung, um uns direct nach Hamburg zu begeben; Preis elf Pfund statt siebzehn, welche Thomas Pearkop verlangt hatte, um uns bis zur Mündung der Elbe zu lootsen. Der »Saint Michel« lag verankert in der Maas, dicht vor dem schönen Park, der sich an dieser Seite der grünen Umgebung der hübschen Stadt anschließt. Die unfreiwillige Muße, welche uns der steife Nordwest auferlegte, benützten wir zum Besuch von Haag und Amsterdam und der höchst werthvollen Museen, von deren Pracht wir noch geblendet waren. Man muß eben Holland selbst gesehen haben, um Rembrandt ganz schätzen zu lernen. Wer nicht »Die nächtliche Stunde« und den »Unterricht in der Anatomie« gesehen hat, wird nimmermehr das Genie des großen Malers richtig würdigen. Dasselbe gilt von dem berühmten Gemälde Paul Potter's, das einen Stier vor einer auf der Erde liegenden Kuh darstellt.

Der Eindruck dieser Meisterwerke der Kunst ist desto überraschender, weil man ihn inmitten einer großen Zahl Gemälde von Rubens, Van der Helst, Van Dyk, Murillo, Hobbema, Ruysdaël, Teniers, Breughel de Velours und Anderer empfängt, deren Sammlung diese Museen geradezu über alle anderen erhebt. Leider lassen die Localitäten viel zu wünschen übrig und erscheinen der Schätze, die sie bergen, keineswegs würdig. Wie ist es möglich, daß so reiche und kunstsinnige Städte wie Amsterdam und Haag nicht Museen erbauen, welche ihrer Liebe zur Kunst einigermaßen entsprechen?

Was wir sonst von Holland durch ein Waggonfenster sahen, war nur ein flüchtiges Bild seiner grünen Weiden, seiner nach dem Lineal ausgehobenen Kanäle mit dem Hintergrunde zahlloser Windmühlen, welche den Horizont beleben; aber Alles bekräftigt doch des genialen Dichters Cavalier Butler geflügeltes Wort:

»Holland geht fünfzig Fuß tief im Wasser; die Erde, welche das Land bildet, ist nur verankert; man befindet sich auf derselben gleichsam an Bord.«

Allmählich drängte uns die Zeit. Wir hatten schon den 11. Juni und mußten an den Aufbruch denken, wenn nicht der ganze Reiseplan umgeworfen [362] werden sollte, obgleich der Wind immer ungünstig blieb und die pittoresken Mühlen von Rotterdam unablässig mit den Riesenarmen in der Luft herumwirbelten.

Wir beschlossen also, zunächst nach Antwerpen zu gehen.

Nach dieser Stadt kann man durch die, die Maas und Schelde verbindenden Kanäle gelangen, ohne die offene See zu berühren. Man folgt dabei jetzt dem Flusse, dann wieder einem Kanal, den die ausgedehnten Wiesen an seiner Seite um etwa zwei Meter überragen, und in welchen man durch vortrefflich in Stand gehaltene Schleußen gelangt. Diese uns völlig neue Wasserfahrt bot allen Theilnehmern ein ungewöhnliches Interesse, weshalb wir bei derselben einen Augenblick verweilen.

Nach einem letzten Blick auf das Barometer, das unabänderlich auf siebenhundertfünfzig Millimeter stehen blieb, und trotz der Verheißung besseren Wetters seitens Thomas Pearkop's, dem die Unterlassung der Fahrt nach Hamburg einige Pfund Sterling zu rauben drohte, dampft der »Saint Michel« um neun Uhr Morgens nach Antwerpen ab, obwohl wir entschlossen blieben, wenn die Witterung wirklich günstiger würde, das erste Project wieder aufzunehmen.

Man braucht zwölf volle Stunden, um durch dieses merkwürdige Land nach dem rechten Ufer der Schelde zu kommen. Der Weg führt zwischen den großen Inseln Zéland, Voorne, Goeree, Schouven und Walcheren hin, hier in engem Kanal, dort auf wirklichen Binnenseen, welche ohne Ausgang zu sein scheinen, und immer mitten unter Barken, Lastschiffen, Sloops, Goëletten und Dampfern, von denen diese, wie weite Prairien stillen Gewässer unaufhörlich durchfurcht werden.

Die Nacht verlief ohne Störung in Ziericksee, am Ende des zweiten Kanals, und am nächsten Tage, am 12. Juni, weckte uns Thomas Pearkop mit der Meldung, daß das Wetter umgeschlagen sei. Da der wackere Lootse dieselbe Nachricht aber schon vier- oder fünfmal gebracht hatte, verhielten wir uns seinen Worten gegenüber zunächst etwas ungläubig. Auf dem Deck überzeugten wir uns diesesmal jedoch von der Wahrheit seiner Aussage; das Barometer war gestiegen und der Wind während der Nacht schwächer geworden. Wir verzichteten also auf Antwerpen und begnügten uns mit einer flüchtigen Betrachtung der Schelde, welche mir an dieser Stelle viel Aehnlichkeit mit der Loire zu haben schien; dann steuerten wir, statt nach rechts, nach links hin und begaben uns nach Vlissingen.

[363] Die Stadt ist eigentlich nur ein Nest zu nennen und bietet an sich keinerlei Interesse; sie liegt ziemlich fern vom Hafen, der, den Aussagen der Einwohner nach, einmal noch zu hoher Bedeutung gelangen soll. Wir wünschen es aufrichtig, aber wir hoffen auch, daß die Kaufleute desselben sich etwas entgegenkommender verhalten möchten, als es unserem Maschinisten gegenüber der Fall war.

Nachdem wir zu wahrhaft unerhörten Preisen Kohle eingenommen hatten, verließ unsere Yacht Vlissingen wieder, und zwar gegen fünf Uhr Abends; die Mündungen der Schelde sind bald erreicht, und nun befinden wir uns also auf der Fahrt nach Hamburg, unter der hohen Leitung des behäbigen Thomas Pearkop. Wir hatten verabredet, daß der »Saint Michel« im Vorübergehen auch Wilhelmshaven, den großen deutschen Kriegshafen, anlaufen sollte, der sich am Jahdebusen, neben der Ausmündung der Weser befindet, und den wir gern besichtigt hätten.

Es ist doch ein Lootse ersten Ranges, dieser Teufel von Pearkop! Trotz seiner fünfzig Jahre hat er ein Auge ohne Gleichen! Am Tage wie in der Nacht entgeht ihm kein Leuchtthurm, kein Feuerschiff, kein Fahrzeug oder die flache Küste, die er allemal eine Viertelstunde eher wahrnimmt als jeder Andere. Und dann, jener famose Sack – der enthält Karten, Pläne, Instructionen und vorzüglich ein ungeheueres Fernrohr! Herr des Lebens, was ist das für ein gewaltiger Schlauch! Es rührt, seiner Aussage nach, von einem großen norwegischen Schiffe her, das auf den Godwinbänken, an der Mündung der Themse, zu Grunde ging und von dem nichts, gar nichts, gerettet wurde als dieses gigantische Fernrohr.

Thomas Pearkop versicherte, er werde es auch um vieles Geld nicht hergeben, obwohl er sonst nach einem Goldstück ziemlich lüstern ist.

Wenn das Unding mir gehörte, ich gäb' es umsonst weg, oder zahlte Dem noch darauf, der mir diese Last abnähme, denn ich habe dadurch niemals weder Land noch Licht, weder Ankerboje noch Bake zu erkennen vermocht.

5. Capitel

[364] V.

Auf offener See weht noch immer der Nordwestwind, freilich etwas schwächer, aber doch noch stark genug, um uns einigermaßen zu beunruhigen. Wir haben einen langen Weg vor uns, ohne einen Hafen außer Texel, im Norden der Zuidersee, und dieser hat eine schwierige Einfahrt. Sind wir einmal über diesen hinaus, so müssen wir wohl oder übel weiterdampfen. Die Brise nahm allmählich wieder zu und es war zu befürchten, daß sie mit Sonnenaufgang noch mehr auffrischte. In diesen, höchstens fünfzehn bis zwanzig Faden tiefen Gewässern kommt das Meer schnell in kräftige, kurz stoßende Bewegung und wirst ein so flach gehendes Schiff wie unseren »Saint Michel« unbarmherzig hin und her.

Wir dachten also schon ernsthaft daran, in Texel wieder vor Anker zu gehen, doch bestimmten uns einerseits die Weigerungen Thomas Pearkop's, der keine Lust zu haben schien, Nachts daselbst einzulaufen, und eine weitere Erhöhung der Quecksilbersäule des Barometers, die Reise fortzusetzen. Mit Sonnenaufgang wehte der Wind, wie vorausgesehen, wirklich stärker, er ging aber gleichzeitig nach Norden um, was für uns von Vortheil war. Mit dem Winde von der Seite erreichte der »Saint Michel« mit Hilfe seiner Segel bald eine Schnelligkeit von zehn Knoten. Das Wetter klarte nach und nach auf, und gegen neun Uhr Abends kamen wir vor dem Jahdebusen an. Dann heuerten wir einen Bremer Lootsen, dessen Boot auf dem Meere am Eingange der Bucht umherschaukelte, und der es übernahm, unsere Yacht nach Wilhelmshaven zu bringen, wo wir gegen Mitternacht eintrafen.

Dieser ausschließlich militärischen Zwecken dienende Hafen an der Westseite des Golfes ist durch Thore ohne Schleußen versperrt, die nur zur Fluthzeit geöffnet werden, um Schiffe ein- oder auslaufen zu lassen. Wir wußten natürlich nicht im Voraus, welcher Empfang uns von den Hafenbeamten zutheil werden würde, und ob man einem französischen Schiffe überhaupt den Zutritt gestatten werde.

Wer darüber erstaunen sollte, daß wir als Franzosen so begierig waren, mehrere Punkte der deutschen Küste und vor Allem Wilhelmshaven kennen zu lernen, dem diene als Erklärung, daß wir der Ansicht huldigen, man könne [365] von fremden Völkern allemal das oder jenes lernen. Was übrigens Deutschland betrifft, so legten wir uns natürlich von vornherein die, unter den gegebenen Umständen nothwendige Reserve auf.

Am 14. Juni um acht Uhr Morgens gingen wir, mein Bruder und ich, ans Land, um die nöthigen Schritte zu thun. Ein Herr, in Uniform, wie Alle, wel che zu der Regierung in irgend welchem näheren Verhältnisse stehen, empfing uns und wies uns zunächst an den Admiral-Gouverneur von Wilhelmshaven, der in einer Entfernung von zwei Kilometern wohnt. Begleitet von einer straff einherschreitenden Ordonnanz, begaben wir uns schnellen Schrittes nach der Amtswohnung des Gouverneurs. Der Admiral ließ uns melden, daß er vor zehn Uhr Niemand empfangen könne. Auf unser Gesuch um Erlaubniß zur Einfahrt, da wir die Fluth nicht verpassen wollten, erhielten wir denn auch eine schriftliche Ordre an den Hafenkapitän Möller, den wir nun unverzüglich, begleitet von einer womöglich noch strammeren Ordonnanz, aufsuchten.

Nach halbstündigem Bemühen entdeckten wir endlich den Kapitän Möller, in Uniform, den Säbel an der Seite.

Unsere Ordonnanz geht auf ihn zu, bleibt drei Schritt vor dem Officier unbeweglich stehen, die Fersen geschlossen, die linke Hand an der Dienstmütze und überreicht mit der rechten Hand dem Kapitän die schriftliche Ordre des Admirals.

Wenn ich diese Einzelheiten erwähne, so geschieht es, weil sie eine der originellen Seiten der militärischen Organisation Deutschlands illustriren. Unser Begleiter führte alle Bewegungen mit wahrhaft mechanischer Sicherheit und absoluter Regelmäßigkeit aus, ein Beweis, wie tief die Regeln der Disciplin und der Respect vor dem Vorgesetzten jedem Untergebenen in Fleisch und Blut übergegangen sind. Mein Leben lang werde ich diesen regungslosen Soldaten nicht vergessen, der erst ein Zeichen seines Vorgesetzten abwartete, um seine Position zu verändern, und dann noch immer voller Respect vor demselben stehen blieb. Ganz ähnlich verhält es sich zwischen allen Graden der deutschen Armee gegenüber dem höherstehenden Chargirten.

Kapitän Möller erlaubte uns sofort, in den Hafen einzulaufen; er gab die nöthigen Befehle und eine Stunde später lag der »Saint Michel« am vorderen Hafenbassin vertäut.

Wilhelmshaven ist noch ziemlich neuen Ursprungs; es besteht erst seit etwa fünfzehn Jahren, das heißt seit der Zeit, wo die Provinzen Schleswig und Holstein dem deutschen Reiche wieder einverleibt wurden.

[366] Es ist das einzige militärische Etablissement, welches das deutsche Reich, an der Nordsee besitzt, und wird noch immer mit rastlosem Eifer ausgebaut, so daß es in kurzer Zeit eine Festung ersten Ranges darstellen muß. Seine Lage im Grunde des Jahdebusens schützt es vor einem Bombardement von der Seeseite.

Außer den Batterien, welche dasselbe bis zur Mündung der Bucht beschützen, bietet eben die Bucht selbst ihm eine natürliche Vertheidigung, da diese nach Entfernung der Seezeichen für jede feindliche Flotte so gut wie unerreichbar ist. Das Fahrwasser in dieselbe hinein ist außerordentlich gewunden, die Strömung sehr schnell, und wenn es Kanonenboote wagen sollten, sich einen Weg zu erzwingen, so wären sie aus kurzer Entfernung einem verheerenden Feuer schwerer Batterien ausgesetzt, welche Alles in Grund und Boden schießen, was den Torpedos etwa entgangen sein sollte.

Vorläufig hat der Hafen nur einen Zugang; binnen zwei Jahren wird er jedoch noch einen zweiten besitzen, an dem man Tag und Nacht arbeitet und der ihm einen weiteren Vorzug gewähren wird.

Er enthält zwei Bassins, den Vorhafen, in welchem der »Saint Michel« liegt, und den eigentlichen Kriegshafen, in dessen Hintergrunde sich zahlreiche Werkstätten, Werfte und Docks befinden. Dieser Theil ist für Fremde nur mit besonderer schriftlicher Erlaubniß des Gouverneurs zugänglich.

Wir wünschten natürlich lebhaft, auch diesen reservirten Theil der Anlage kennen zu lernen, und begaben uns deshalb gegen zwei Uhr nach dem Hôtel des Gouvernements, um die unumgänglich nöthige schriftliche Erlaubniß auszuwirken.

Der Vice-Admiral-Gouverneur war abwesend und wir richteten unser Gesuch demnach an den stellvertretenden Gouverneur, den Contre-Admiral Berger. Der hohe Officier empfing uns unverzüglich. Er äußerte seine Befriedigung darüber, auch einmal eine französische Yacht den großen deutschen Kriegshafen besuchen zu sehen, und fügte dem sogar eine Entschuldigung bei, daß er uns am Morgen unmöglich habe empfangen können.


Aber welch' ein Sack war das (S. 357.)

Dieses wohlwollende Entgegenkommen erfüllte uns mit bester Hoffnung; als wir indeß den delicaten Punkt berührten, erklärte der Admiral, daß er Erlaubniß zum Besuche des eigentlichen Arsenals nur nach Anfrage in Berlin gewähren könne, und erbot sich, sofort dahin zu telegraphiren. Wir lehnten das dankend ab. »Ist es aber, fragte ich, nicht vielleicht gestattet, wenn nicht das [367] Arsenal, so doch das Artillerie-Schulschiff, den ›Mars‹ zu besuchen, der im Vorderhafen ankert?

– O, gewiß, antwortete der Admiral; ich werde Ihnen meine Karte übergeben, welche Sie dem dienstthuenden Officier übermitteln lassen wollen, und er wird Sie zweifelsohne willkommen heißen. Sie werden da die neuesten Geschütze sehen, und empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit besonders das Vierundzwanzig-Centimeterrohr, mit dem wir uns schmeicheln, jeden existirenden Panzer noch in der Entfernung von achthundert Metern zu durchbohren.«

[368] Wir verabschiedeten uns von Sr. Excellenz und trafen eine Viertelstunde später bei der Fregatte, »Mars« ein.

Dieses ungepanzerte Eisenschiff erscheint für den ersten Blick von etwas schwerfälliger Bauart, erfüllt jedoch seinen Zweck ganz ausgezeichnet. Die Armirung desselben besteht aus allen, in der deutschen Marine jetzt gebräuchlichen Kalibern, von der Krupp'schen acht- bis zur vierundzwanzig Centimeterkanone, dem Geschütz, auf welches uns Admiral Berger ganz besonders aufmerksam machte.


Unsere Ordonnanz geht auf ihn zu. (S. 366.)

[369] An Bord angelangt, empfängt uns der Kapitän und zweite Befehlshaber der Fregatte, der des Französischen ebenso gut wie jeder gebildete Franzose mächtig ist. Er stellt sich uns zur Verfügung und zeigt und erklärt uns sein Schiff mit größter Zuvorkommenheit. Der vierundzwanziger Krupp erregte natürlich unser hervorragendes Interesse. Wie alle aus der großen Werkstatt in Essen herrührenden Geschütze ist auch dieses aus Gußstahl hergestellt und mit Schmiedeeisenringen verstärkt; denn wenn sein Geschoß auf achthundert Meter noch die stärksten Panzerplatten durchschlagen soll, muß es eine wahrhaft ungeheuere Anfangsgeschwindigkeit haben, welche nur durch eine sehr starke Pulverladung zu erzwingen ist.

Unser Besuch endete im Achtersalon, wo sich eine Anzahl Officiere befand, denen der Kapitän uns vorstellte. Alle sprachen geläufig englisch und französisch. Sie erzählten uns von einem unlängst an Bord ihrer Fregatte vorgekommenen Unfall, bei dem eine Granate geplatzt war, als sie eben in das Geschützrohr eingeführt werden sollte; acht Mann waren dabei getödtet und noch ein Dutzend Andere mehr oder weniger schwer verletzt worden. Auch auf einem anderen Schiffe war eine Krupp'sche Kanone gesprungen und hatte erhebliche Verheerungen angerichtet. Die Officiere sprachen ungemein zwanglos über diesen Vorfall. Sie hätten noch hinzufügen können, daß eines ihrer Panzerschiffe kürzlich beinahe untergegangen wäre, indem es durch ein falsches Manöver gegen den Hafendamm in Kiel anlief und ein Leck bekam, ein Unfall, der wenigstens in französischen Zeitungen nirgends besprochen worden ist.

Der Dienst für die Marineofficiere an Bord des »Mars« muß ein ziemlich beschwerlicher sein. Die Mannschaft des Schiffes wird nämlich alle zwei Monate gewechselt, um eine möglichst große Anzahl Matrosen mit der Bedienung der Geschütze vertraut zu machen. So lange die Fregatte im Hafen liegt, detachirt man auch eine Abtheilung der Mannschaft nach einem Kanonenboote, um auf der Rhede nach einem Ziele schießen zu lernen. Auf jeden Fall wird in Wilhelmshaven sehr viel Pulver verplatzt. Tag für Tag haben Matrosen und Marinesoldaten Schießübungen, denen man mit Recht hier großen Werth beilegt.

Gegen vier Uhr nahmen wir Abschied, nachdem wir dem zweiten Befehlshaber und den Officieren unseren aufrichtigen Dank abgestattet hatten.

6. Capitel

[370] VI.

Am nächsten Morgen befand sich der »Saint Michel« schon unter Dampf, um mit der Fluth den Hafen zu verlassen und nach Hamburg, dem Ziele unserer Reise, abzugehen. Wir trafen eben die letzten Vorbereitungen, als ein Marine-Ingenieur an Bord kam, um die Yacht zu visitiren; er stellte dabei auch die Frage, wohin wir uns zu begeben gedächten.

»Nach Hamburg, erwiderte mein Bruder, wir haben bereits zu viel Zeit versäumt, um noch in die Ostsee gehen zu können, denn es scheint mir nicht rathsam, längs der gefährlichen Westküste Jütlands hinauszusegeln.

– Warum benutzen Sie dann nicht den Eiderkanal, der im Kieler Busen mündet? fragte der Ingenieur. Damit ersparen Sie die Reise um ganz Dänemark und gelangen, nach einer Fahrt durch wirklich reizende Landschaften, am zweitfolgenden Tage in die Ostsee.

– Das würde uns ja sehr angenehm sein, bemerkte ich; doch ist der Kanal, so viel ich weiß, durch mehrere Schleußen unterbrochen, welche vielleicht zu kurz sein möchten, um dieselben mit dem ›Saint Michel‹ zu passiren.

– Das glaube ich nicht, erwiderte der Ingenieur. Uebrigens können wir uns darüber sehr leicht vergewissern. Wie lang ist Ihre Yacht?

– Mit dem Bugspriet sechsunddreißig Meter.

– Das ist freilich etwas lang, meine Herren. Doch wir werden ja sehen; folgen Sie mir gefälligst nach dem Hafenamte, wo man uns verläßlichen Aufschluß geben wird.«

Unterwegs begegneten wir einem Corvettenkapitän, der mit dem Torpedodienst im Jahdebusen betraut war. Der Ingenieur theilte diesem unsere Absicht mit und fragte, ob er dieselbe für ausführbar halte.

»Das ist sehr einfach, antwortete der Officier. Gehen Sie mit mir an Bord eines kleinen Dampfers, der direct von Kiel hier eingetroffen ist. Hier in der Nähe hält eine Dampfschaluppe. Wenn Sie mich begleiten wollen, werden wir sogleich über die Dimension der Schleußen aufgeklärt sein.«

Wir nahmen den freundlichen Vorschlag an und befanden uns zehn Minuten später an Bord des Dampfers, der durch den Eiderkanal zwischen Kiel und Wilhelmshaven verkehrt.

[371] Als ich die, im Verhältniß zu seiner Länge, sehr große Breite dieses Schiffes bemerkte – eine Bauart, welche ohne Zweifel mit Rücksicht auf eben jene Schleußen beliebt worden ist – hatte ich wenig Hoffnung. Mir erschien unsere Yacht entschieden zu lang für die betreffenden Schleußenkammern.

Während ich meinem Bruder diese Befürchtungen mittheilte, hatten die Officiere Specialkarten des Eiderkanals herbeischaffen lassen und maßen die Länge der Schleußen.

Nach ziemlich langer Debatte mit dem Kapitän des Dampfers erklärt der Ingenieur, daß wir wahrscheinlich passiren könnten, daß man darüber durch genaue Messung des »Saint Michel« aber noch weitere Gewißheit erlangen könne. Die Schaluppe dampft ab und wir kehren wieder an Bord zurück.

Bei der Ankunft begegnen wir noch einem hohen Officier, dem der Ingenieur unsere Verlegenheit mittheilt. Nach der üblichen Vorstellung sagt der Officier zu uns:

»Wir haben ja Gelegenheit, meine Herren, alle Ihre Zweifel auf die einfachste Weise zu lösen. Hier liegt auch ein Kanonenboot, welches seiner Zeit von Kiel nach Wilhelmshaven durch den Kanal gedampft ist. Wir messen, wenn Sie das gestatten, ihre Yacht genau aus, dann das Kanonenboot ebenso, und Sie werden sofort wissen, woran Sie sind.«

Wenige Minuten später war der »Saint Michel« von der Spitze des Bugspriets bis zum Hackbord mittelst einer Leine gemessen, dann begaben wir uns nach dem Quai, wo das Kanonenboot lag, und es zeigte sich, daß dieses noch zwei Meter länger war, als unsere Yacht.

Wir glaubten nun zwar unserer Sache gewiß zu sein, aus übergroßer Vorsicht entließ mein Bruder jedoch an den Kanaldirector noch eine Depesche mit genauer Längenangabe seiner Yacht und mit der Bitte, uns nach Tönning Nachricht zu geben, ob wir die Fahrt durch den Kanal unternehmen könnten. Darauf verabschiedeten wir uns von den deutschen Officieren und kehrten nach unserem Schiffe zurück.

Eine Stunde später dampfte der »Saint Michel« nach Tönning, einem kleinen holsteinischen Hafen an der Mündung der Eider, ab.

7. Capitel

[372] VII.

Jetzt meldete sich Thomas Pearkop wieder, der sich mit seiner Lieblingsrechnung beschäftigt zu haben schien.

»Wenn Sie mir zwei Pfund mehr geben wollen, sagte er, erspare ich Ihnen das Lootsenhonorar für die Fahrt durch den Jahdebusen, das wenigstens fünf Pfund beträgt, und führe das Schiff selbst hinaus.

– Aber, Pearkop, erwiderte ich, das Fahrwasser ist sehr winkelig. Wir sind während der Nacht hier angekommen, Sie haben sich also wohl kaum genügend über dasselbe und über die Lage der Baken unterrichten können.

– Beruhigen Sie sich, meine Herren, ich sah Alles, was ich brauche, und nehme die Verantwortlichkeit auf mich«

Das Gebot wurde angenommen. Thomas Pearkop leitete das Schiff vortrefflich und verdiente sich seine zwei Pfund, während wir drei ersparten.

Am 15. Juni gegen Abend kamen wir in dem Hafen von Tönning an, der eine herrliche Lage am rechten Eiderufer hat, und nachdem am folgenden Morgen Kohle gefaßt war, besorgten wir uns einen Lootsen nach Rendsburg, dem Punkte, wo der eigentliche Kanal seinen Anfang nimmt.

Hier wartete unser aber eine schmerzliche Enttäuschung. Ein Brief des Kanaldirectors, die Antwort auf unser Telegramm, meldete, daß wir die Schleußen nicht passiren könnten, da unsere Yacht um drei Meter zu lang sei.

Was nun?

»Es soll Niemand sagen, rief da mein Bruder, daß Bretagner sich durch unerwartete Hindernisse besiegen ließen! Der ›Saint Michel‹ ist zu lang?... Gut, so schneiden wir dem ›Saint Michel‹ die Nase, das heißt das Bugspriet ab und wenn es nöthig wäre, auch noch die Gallion!

– Einverstanden, gab ich zur Antwort, doch wollen wir damit warten, bis die Yacht an die erste Schleuße kommt.«

Sobald sich die Nachricht verbreitete, daß wir den Eiderkanal passiren wollten, kam es unter den Bewohnern des Landes, den Kaufleuten und Lieferanten welche das Eintreffen einer französischen Yacht herbeigelockt hatte, zu lebhaften Verhandlungen. Die Mehrheit behauptete, daß wir unmöglich hindurch kommen könnten.

[373] Wir ließen die guten Leute reden und fuhren nach Rendsburg ab, wo wir gegen sechs Uhr Abends anlangten.

Zunächst fährt man von hier aus also den reizenden Eiderfluß hinauf, der sich in unzähligen Krümmungen dahinwindet. Oft kommt man ganz nahe an den Punkt wieder zurück, wo man vorher war, und ich schätze die Länge der Wasserstraße von Tönning nach Rendsburg zu mindestens hundertfünfzig Kilometer, während die Luftlinie gewiß nicht mehr als etwa achtzig beträgt.

Das Land ist flach, aber üppig grün und hat viele Weiden, auf denen sich Pferde, Kühe und Schafe zu Hunderten frei umhertummeln; von Zeit zu Zeit erscheinen einzelne bewaldete Hügel, Fabriken, Landgüter, die Häuser mit ungeheurem Strohdache bedeckt; die niedrigen Backsteinmauern durchbrochen durch die Pfosten der Fenster mit grünem Rahmen, weiterhin ein oder zwei kleine Städtchen, Friedrichsstadt, Erfde, Hohe Fähre und andere Flecken, welche alle unter Bäumen versteckt liegen. Der Fluß ist im Allgemeinen zwar tief genug, aber das eigentliche Fahrwasser oft von zu vielen Küstenfahrzeugen jeder Art, vorzüglich von rothen, blauen und grünen Galioten beansprucht, auf denen der Schiffer gleich mit Weib und Kind wohnt, und deren gelbliche Segel mit dem Grün der Landschaft angenehm contrastiren. Trotz der Gewandtheit unseres holsteinischen Lootsen gerieth der »Saint Michel« doch einmal mit dem Ende des Hinterstevens auf den Grund und konnte nur mit Mühe wieder flott gemacht werden.

In Rendsburg, wo wir gegen sechs Uhr Abends an kamen, befindet sich die erste Schleuße. Werden wir hindurch können? Auf den ersten Blick erscheint das zweifelhaft. Die Kammer erscheint so kurz. Unsere Ungewißheit währte nicht lange, nach zwei Minuten liegt die Yacht in der Schleußenkammer, paßt aber so knapp hinein, daß wir, um die folgenden, etwas kürzeren Schleußen passiren zu können, wirklich das Bugspriet einholen müssen, – eine mühsame, zeitraubende Arbeit, welche wir jedoch sofort vornehmen. Glücklicher Weise brauchten wir die Gallion am Vordersteven nicht zu opfern.

Rendsburg, vor der Annexion eine hervorragende, große deutsche Stadt Dänemarks, ist durch seine Lage ein Platz von Bedeutung. Schon im Alterthume konnte es an seine Thore schreiben:


Eydora Romani terminus imperii.


In der That bildete die Eider eine der Grenzen, über welche die römische Herrschaft nicht hinausreichte. Jetzt ist Rendsburg der Sitz des Commandos [374] des elften deutschen Armeecorps. Die Stadt an sich bietet des Interessanten wenig, aber die Umgebungen sind recht anziehend. Der Park mit seinen mächtigen Bäumen, deren unterste Aeste ihre Blätter in der Eider baden, ist wirklich reizend.

Von der Pracht der Vegetation dieser nordischen Lande macht sich Derjenige, der sie nicht selbst gesehen hat, kaum eine richtige Vorstellung. Es scheint, als ob die Natur nach sechsmonatlichem Winterschlafe hier desto schneller erwachte. Sie beeilt sich gleichsam den grünen Frühlingsschmuck anzulegen, um die düsteren, traurigen Tage der strengeren Jahreszeit vergessen zu machen. Die Feldblumen warten nicht einmal das Schmelzen des Schnees ab, die Baumknospen sprengen die dünne Eiskruste, welche die durch den aufsteigenden Saft belebten Zweige etwa noch bedeckt, und Alles entwickelt sich mit einem Ungestüm, das in dem wärmeren Klima Frankreichs unbekannt ist.

Von Rendsburg bis Kiel führt der Kanal durch einen wirklichen Park, eine Art Saint Cloud, aber mit zweihundert Fuß hohen Bäumen, vorzüglich Buchen, welche an Stelle der Eichen und Weidenbäume der Vorzeit getreten sind. Hier erweitert sich die Eider zu einem ausgedehnten und ruhigen Wasserbecken, welches das Bild seiner anmuthigen Ufer unverändert wiederspiegelt; weiterhin zieht sich der Fluß zusammen und windet sich in zahllosen Biegungen unter gigantischen Bäumen hin, deren Kronen sich über seinem Bette berühren und ein für die Sonnenstrahlen undurchdringliches Blättergewölbe bilden. Die Yacht gleitet ruhig durch den geheimnißvollen Laubengang, zwischen hölzernen Baken und geflochtenen Uferwänden hin. Die Fahrt scheint nach unbekannten Welten zu gehen. Rings um das Schiff säuselt und zittert ein Blättermeer und das Ufer verschwindet gänzlich unter dem dunkelglänzenden Grün.


Die Eider. - Das Ufer verschwindet unter dem dunkelglänzenden Grün. (S. 375.)

Rosenstöcke neigen sich bei unserem unerwarteten Erscheinen; Wasserpflanzen mit grünen, still daliegenden Blättern scheinen zu erschrecken und tauchen in die schützende Tiefe, dagegen bleiben – wie um der bezaubernden Landschaft einen bestimmten Stempel aufzudrücken – während Buchfinken und Stieglitze eilends entfliehen, die Störche furchtlos stehen, wenn wir vorüberfahren, erheben sich dann raschen Fluges und suchen einen Platz auf den Gipfeln der Bäume oder auf dem Radneste der originellen Bauerngehöfte.

Von Rendsburg waren wir am 17. Juni Morgens acht Uhr abgefahren, sahen stromaufwärts von der Stadt das große Provinzialgefängniß, und langten um fünf Uhr Nachmittags auf der Rhede von Kiel an. Wir mußten inzwischen [375] sechs Schleußen, zwei Eisenbahn-Drehbrücken und vier oder fünf gewöhnliche Zugbrücken passiren. Die letzteren zeichnen sich durch ihre erstaunliche Einfachheit aus: zwei Männer, auf jeder Seite einer, genügen, um dieselbe mit Hilfe eines sorgfältig berechneten Systems von Gegengewichten in wenig Secunden zu öffnen und zu schließen.

Was beginnt man aber, während die Yacht durch das Kammerwasser gehoben oder gesenkt wird, je nach der Seite der Wasserscheide, auf der man sich befindet? Nun, man lustwandelt auf den, sauber wie Parkwege unterhaltenen [376] Leinpfaden, man legt sich träumend in den dichten Schatten, der mit erquickender Kühlung labt. Freundliche Schänken, meist da er richtet, wo der Leinpfad einen Winkel bildet, laden mit ihren angestrichenen Holztischen zu einem Glase vortrefflichen, schäumenden Bieres ein. Alles ringsum ist voll fröhlichen Lebens, reinlich, wirklich bezaubernd.


Die Kieler Bucht. (S. 380.)

Wie hat nun aber jenes Kanonenboot die genau für die Länge des »Saint Michel« ausreichenden Schleußen passiren können? Darüber erhielten wir erst in Rendsburg Aufklärung. Der General-Inspector theilte uns mit, daß [377] man seiner Zeit, um das Kanonenboot schleußen zu können, die Kammern verlängert und mit provisorischen Thoren versehen habe. Diese Arbeit verursachte große Unkosten, aber die Umstände verboten jede derartige Rücksicht. Es war während des Krieges. Die Deutschen fürchteten einen Angriff der französischen Flotte auf Wilhelmshaven, das noch nicht in dem Vertheidigungszustande war, wie heutzutage. So durften sie natürlich auch die Kosten nicht scheuen, um zwei oder drei Kanonenboote, die sie zur Abwehr eines etwaigen Angriffs brauchten, durch den Kanal gehen zu lassen.

Hätten wir diese Einzelheiten schon vor der Abreise aus Wilhelmshaven gekannt, so würden wir diese Fahrt nicht gewagt haben; es bedurfte ja so wenig, daß der »Saint Michel« überhaupt nicht hätte passiren können! Nur fünfundzwanzig Centimeter Länge mehr, und wir mußten zurückkehren, und zwar auch die Maschine nach rückwärts arbeiten lassen, da an jenen Stellen an ein Umdrehen des Dampfers nicht zu denken war. Wer da weiß, was das zu bedeuten hat, wird unsere Befriedigung begreifen, dieser Nothwendigkeit glücklich überhoben zu bleiben.

Ich erwähnte schon, daß die Eider sehr viele Krümmungen macht, daneben wird sie auch noch von zahlreichen Galioten und kleinen Touristendampfern mit Musik auf dem Deck befahren. Von Rendsburg nach Kiel jedoch wird sie, mit Ausnahme weniger Stellen, ganz außerordentlich schmal. Das macht die Schwenkungen um die scharfen Winkel besonders schwierig, und man ist gezwungen, immer eine Stange zur Hand zu haben, um das Schiff vom Ufer abzuhalten. Das Steuer wirkt hierzu nicht ausreichend, und einigermaßen lange Fahrzeuge haben deshalb hier mit unglaublichen Schwierigkeiten zu kämpfen; die Regierung denkt auch daran, einen Kanal in größtem Maßstabe herstellen zu lassen, der für Schiffe jeder Größe, auch für die tiefstgehenden Kriegsschiffe, benutzbar sein soll. Die beiden Kriegshäfen in Wilhelmshaven und Kiel würden dadurch in Verbindung gesetzt und könnten einer den andern im Nothfall unterstützen.

8. Capitel

[378] VIII.

Und Thomas Pearkop, wird der Leser fragen, was ist aus dem vortrefflichen Thomas Pearkop geworden? Wurde er an Bord des »Saint Michel« behalten? Und wenn das der Fall war, was konnte er jetzt, wo man seiner scharfen Augen nicht bedurfte, noch nützen?

Die Antwort lautet sehr einfach: Wir haben den »Gentleman« bei uns behalten. Wir waren an ihn, an sein breites blühendes Gesicht, das für die treffliche Verpflegung auf der Yacht den sprechendsten Beweis lieferte, nun einmal gewöhnt, und er hätte uns gewiß gefehlt. Ich muß freilich hinzusetzen, daß er, um an Bord zu bleiben, den Vorschlag gemacht hatte, uns mit Gewährung von Rabatt, ja wirklich mit Rabatt, nämlich für nur acht Pfund Sterling, nach Deal zurückzulootsen!

Das erscheint auf den ersten Blick nicht recht erklärlich; bei näherer Betrachtung erkennt man jedoch, daß jenes billige Angebot auf einem wohlerwogenen Finanzplan fußt, der ihm mancherlei Vortheile gewährte.

1. Thomas Pearkop ersparte durch fernere Verwaltung seines Dienstes das Passagiergeld von Tönning nach Hamburg und von Hamburg nach der englischen Küste; für ihn ein gewichtiger Punkt.

2. Er benutzte seinen Aufenthalt an Bord des »Saint Michel« zur bequemen Erlernung der französischen Sprache.

Ja, ja, es ist so, und er hatte dazu auch ein recht sinnreiches Mittel gewählt, nämlich eine vertraute Verbindung mit unserem Schiffskoch, dem er mancherlei Dienste leistete. Er putzte z. B. Möhren, wusch Salat, klopfte Beefsteaks – mit Sachverständniß, weder zu stark noch zu schwach – mit einer Hand, welche mehr geeignet schien, dieselben zu pulverisiren. Dann begleitete er den Küchenchef nach dem Markte und wußte es immer so einzurichten, daß dieser einkaufte, was er, Pearkop, mit Vorliebe aß – vorzüglich Fische, die bei ihm, als ehemaligem Fischer, hoch in Gunst und Ansehen standen. Wenn er diese Speise zu beurtheilen wußte, so verstand er sich auch nicht weniger auf die Vertilgung derselben.

Aber, wird man fragen, das Französisch, wie lernte er das? Obgleich Thomas Pearkop weder französisch noch deutsch, weder dänisch noch holländisch [379] sprach, so diente er doch als Dolmetscher zwischen unserem Koch, der jene Sprachen gar nicht verstand, und den verschiedenen Lieferanten der Bedürfnisse unserer Yacht. Wie er damit fertig geworden ist, vermag ich zwar nicht zu erklären, aber die Thatsache kann ich bekräftigen.

Außerdem machte er sich übrigens mit unserem Schiffsjungen ziemlich viel zu schaffen.

»Junge, ein Glas Wein!«

»Junge, mir ein Glas Bier!«

»Junge, ein Glas Branntwein!«

»Junge, ein Glas Wasser!«

Die letzteren Worte hörte man freilich am seltensten.

Da sich derlei Uebungen häufig genug wiederholten, lernte Thomas Pearkop die französische Sprache so weit recht gut, wie sie für eine anglosächsische Gurgel von specieller Bedeutung ist, und jetzt hat er es schon zu einem ziemlich beträchtlichen Tonumfang darin gebracht.

Es wäre gewiß zu viel behauptet, wenn ich dem »Gentleman« nachrühmte, daß er bei Beendigung seines Dienstes auf der Yacht schon gründlich französisch verstanden hätte, aber jedenfalls wußte er ein Glas jedes beliebigen Getränkes ohne Schnitzer zu bestellen. Darauf beschränkte sich sein Wortschatz, nicht zu vergessen das Wörtchen »bono«, das er stets schnalzend als Zeichen höchster Befriedigung hervorbrachte.

9. Capitel

IX.

Die Kieler Bucht, in der unsere Yacht mit wieder ausgeschobenem Bugspriet gegen sechs Uhr Abends vor Anker ging, ist ohne Zweifel eine der schönsten und sichersten von ganz Europa. In diesem geräumigen Wasserbecken könnten alle Flotten der Erde Schutz suchen und sogar manövriren. Kiel selbst liegt (vom Land aus) links am Ende des Hafens mit einem Hintergrunde von üppigem Grün. An der anderen Seite befindet sich das von der Stadt völlig getrennte und mit hohen Mauern umfriedigte Arsenal.

[380] Da wir nicht wieder, wie in Wilhelmshaven, in die Lage kommen wollten, das von Seiten des Gouverneurs wahrscheinlich zu erwartende Angebot einer telegraphischen Nachfrage im Berliner Ministerium höflich abzulehnen, beschränkten wir uns darauf, von dem Kieler Arsenal nur das zu sehen, was man von außen davon wahrzunehmen vermag. Von einer dicht dabei emporsteigenden Anhöhe, dem sogenannten Dockberge, kann man nämlich die ganze Anlage bequem und ziemlich genau überblicken. Außer den zahlreichen Werkstätten lagen an jenem Tage darin vier große Panzerschiffe mit je vier Schornsteinen, von denen eines, in Folge des oben erwähnten Unfalles, in Reparatur war. Diese Panzer schienen mir mit je vier groben Geschützen, zum Feuern über die Bank, ausgerüstet. Ferner ankerten hier mehrere Kanonenboote mit je einem Vierundzwanzigcentimeter-Geschütz auf dem Vorderdeck.

Wir hatten auf dem Wege nach Kiel gehofft, daselbst den größten Theil der deutschen Panzerflotte vereinigt zu sehen, fanden diese Hoffnung aber leider getäuscht. Es ankerte hier nur, mit der Hafenwache beordert, der Holzdampfer »Arcona« mit der Viceadmiral-Flagge am Vortopp.

Wenn ich mich recht entsinne, war es die Fregatte »Arcona«, welche während des Krieges 1870 einen ihr erst von der französischen Fregatte »la Surveillante« und dann von der Corvette »la Belliqueuse« auf der Rhede von Funchal, Madeira, angebotenen Kampf ablehnte und deshalb bis zum Ende des Krieges an jener Insel liegen bleiben mußte.

Kiel, schon unter der früheren dänischen Oberhoheit ein blühender Handelsplatz, ist seit dem Anschlusse an das deutsche Reich in raschem Aufschwunge begriffen und zählte 1871 gegen 32.000,1875 über 37.000 und 1880 über 43.000 Einwohner.

Wunderbarer Weise ist seit dem Kriege ein französisches Consulat in Kiel nicht mehr geduldet worden, die Erklärung dafür sacht man in der Befürchtung, daß ein solcher Consul über die fortschreitende Entwickelung der deutschen Kriegsmarine Bericht erstatten könnte; als Wiedervergeltung hat man in Frankreich dafür die deutschen Consulate in Cherbourg und Toulon aufgehoben.

Der Kieler Busen ist von einem dichten Rahmen herrlicher Bäume eingefaßt. Ulmen, Buchen, Kastanien und Eichen, welche oft bis zum Strande herabgehen, erreichen hier eine kaum glaubliche Größe.

Zahlreiche Landhäuser schimmern auf den die Bucht umgebenden Hügeln lachend aus dem dunklen Grün hervor, während die verschiedenen Punkte des[381] Hafens durch flinke kleine Dampfer in bequeme Verbindung gesetzt sind. Man kann sich kaum einen freundlicheren erquickenderen Anblick denken, als den jener Häuschen von oft phantastischer Bauart, welche das schöne, wechselreiche Ufergestade schmücken. Ohne Zweifel entwickelt sich dieses bevorzugte Stückchen Erde in nicht ferner Zeit zum Stelldichein der vornehmen deutschen Gesellschaft, zu einem Brighton Norddeutschlands, aber einem unendlich viel grüneren, schattigeren, waldesduftigeren Platze als jenes Brighton an der englischen Küste, das, von der See aus gesehen, durch seine einförmige Dürre der Landschaft eher abschreckt.

Wir brauchen wohl nicht besonders zu bemerken, daß der Kieler Busen sorgsam und zweckmäßig befestigt ist. Die sehr enge Einfahrt zu demselben wird von furchtbaren Batterien beherrscht, welche jene über's Kreuz bestreichen. Die berühmte Kanone – von Preußen 1867 zur Internationalen Pariser Ausstellung geschickt – welche ein Geschoß von zehn Centnern schleudert, ist auf einer Bastion an der engsten Stelle des Hafeneinganges aufgestellt. Ein feindliches Schiff, das diesen Weg zu forciren versuchte, würde zweifelsohne binnen wenigen Minuten zerschmettert sein.

Die Stadt Kiel selbst ist offen, doch geht man mit dem Gedanken um, sie mit detachirten Forts zu umgürten. So viel ich weiß, sind die vorgängigen Terrainuntersuchungen schon beendet, und man wird, wie es bei der deutschen Regierung Sitte zu sein pflegt, dem Worte rasch genug die That folgen lassen.

10. Capitel

X.

Nach vierundzwanzigstündigem Verweilen in Kiel lichteten wir am Abend des 18. Juni wieder die Anker, ohne einen Lootsen in Anspruch zu nehmen, um nach Norden bis Kopenhagen hinauf zu dampfen.

Kapitän Ollive hatte die Führung des »Saint Michel« wieder übernommen und Thomas Pearkop sah sich dadurch aus der Rolle der »größten Nützlichkeit« in die der »vollständigsten Nutzlosigkeit« versetzt.

[382] Wie ich schon erwähnte, befaßte er sich aber mit allem Möglichen und mit noch etwas mehr, oder versuchte es wenigstens, wenn auch ohne besonderen Erfolg. Die Seemannsnatur gewann in ihm stets die Oberhand. Er bekümmerte sich um den Kurs, sondirte den Grund, warf das Log aus, prüfte den Horizont mit allezeit untrüglichen Blicken, entdeckte noch immer die Leuchtfeuer und die Küste eher als jeder Andere, und ertheilte seine Rathschläge ungefragt unserem Kapitän, der, wie es ihm paßte, auf dieselben achtete oder nicht.

Die Fahrt von Kiel nach Kopenhagen bietet keinerlei Schwierigkeiten, verlangt aber unausgesetzte Aufmerksamkeit; alles dänische Land, Inseln wie Festland, erhebt sich nämlich nur wenig über die Meeresfläche, die Wassertiefe des umgebenden Meeres ist nur gering und das eigentliche Fahrwasser oft nur sehr schmal.

Herrlich sank der Abend herab. Wir hatten jetzt die längsten Tage des Jahres und befanden uns zwischen dem 54. und 55. Grade nördlicher Breite. Erst spät am Abend verschwand die Sonne unter dem Horizonte – und wie ließ sie sich bitten! Sie schien das von ihrem Glanze wiederstrahlende Himmelsgewölbe nur ungern zu verlassen. Mit etwas Poesie im Herzen und einiger Mythologie im Kopfe hätte man Phöbus für eifersüchtig auf die Schwester Phöbe halten können, welche am andern Himmelsrande bleich und schüchtern emporstieg und gleichsam das Verschwinden des helleren Tagesgestirns erwartete, um die Alleinherrschaft im tiefen Azur der Nacht anzutreten.

Jetzt stand der ganze Himmel wie von einer Feuersbrunst in Flammen. Die leichten Wolken, welche die Sonne zur Ruhe begleiteten, erglänzten so leuchtend roth, daß uns die Augen davon schmerzten. Das Meer rollte langsam gleich einer Masse flüssigen Goldes dahin. Inmitten dieses Uebermaßes von Glanz und Licht bildete ein kleines mürrisches Wölkchen, das ganz schwarz am Himmel stand, einen merkwürdigen Contrast mit seinen schimmernden Nachbarn – es schien wie zur Strafe ausgeschlossen von der allgemeinen Illumination. Phöbus mochte aber zuletzt doch Mitleid fühlen und bevor er in den Fluthen verschwand, übergoß er es noch mit seinen warmen Strahlen und schmückte es mit den letzten Lichtern, welche noch lange, lange Zeit in der eigentlich kaum endenden Dämmerung blinkten.


Die Börse.

Jetzt hatte der Mond freies Feld vor sich, um sich der wenigen, ihm überhaupt verbliebenen Stunden zu freuen. Langsam sahen wir die Silberscheibe emporsteigen, als ein Ausruf meines Bruders unsere Aufmerksamkeit erregte und die Blicke Aller von der bescheidenen Phöbe ablenkte.

[383] »Ein Komet! rief er, ah, seht den schönen Kometen!«

Wir drehten uns um und erblickten einige Grade über dem Polarstern, genau im Meridian, das prächtige Gestirn, das unsere Augen hier zum ersten Male erfreute.

Unsere Ueberraschung war nicht gering. Vor der Abreise hatte man wohl allgemein von einem Kometen gesprochen, aber die französischen Astronomen beeilten sich, die gewöhnlichen Sterblichen zu benachrichtigen, daß derselbe auf [384] unserer Halbkugel nicht sichtbar sein werde. War das nun ein neues Gestirn oder der vorher angekündigte Komet, der die Behauptung der Gelehrten Frankreichs Lügen strafte? Wie dem auch sei, jedenfalls bewunderten wir schon seit einigen Minuten seine elegante Gestalt und die leichte Biegung seines Schweifes, als plötzlich ein furchtbares Geräusch, wie von einem schwer beladenen, über die Straße rollenden Wagen – mit einem Wort, ein wirklicher erschreckender Lärm entstand. Es war als hätte sich eine Lawine über unsere Yacht gestürzt.


Ein Storfest im Tivoli zu Kopenhagen. (S. 389.)

[385] Ich glaube, ich wollte schon rufen: »Rette sich, wer da kann!«, als mir der Zusammenhang plötzlich klar wurde.

Thomas Pearkop kam nämlich pustend auf das Deck gestürmt und rief: »The comet! the comet! what a fine comet!«

– Zu spät, alter Freund, antworteten wir, froh darüber, einmal Revanche nehmen zu können, viel zu spät für einen »Gentleman«, der so gute Augen und ein so vorzügliches Fernrohr besitzt wie Sie! Hängen Sie sich auf, wackerer Pearkop, wir haben den Kometen schon vor Ihnen gesehen!

Er hing sich zwar nicht auf, schlich aber beschämt und, wie es schien, von unseren Spötteleien unangenehm berührt, von dannen. Bald aber hörten wir ihn mit etwas ärgerlicher Stimme rufen:

»Junge, ein Glas Branntwein... aber ordentlich voll!«

Dieses »ordentlich voll« bezeichnete einen weiteren Fortschritt in den Sprachstudien des alten Seebären, und daneben das wirkliche Bedürfniß einer Tröstung, welche auch nicht verfehlte, unserem wackeren Lootsen die alte gute Laune wieder zu geben.

11. Capitel

XI.

Am folgenden Morgen, am 19. Juni früh sieben Uhr, erreichte der »Saint Michel« den Eingang des Sundes. Es herrschte vollkommene Windstille. Kein Lufthauch wehte und spiegelglatt lag die Oberfläche des Meeres. Lustig flatterten Hunderte von zarten Möven umher und strichen über das glänzende Wasser. Zahlreiche Segelschiffe lagen verankert und erwarteten das Aufspringen des Windes. Mehrere Dampfer, deren lange dunkle Rauchstreifen sich über den Horizont hinzogen, verriethen schon die Nähe eines großen Handelshafens.

Gegen zehn Uhr beginnt Kopenhagen aus einem seinen Nebelschleier aufzutauchen und grüßend steigen die Thürme der Stadt, die umgebenden Wälder und endlich die Masten der im Hafen liegenden Schiffe empor. Der »Saint Michel« befand sich noch in einer Entfernung von zehn bis zwölf Seemeilen. Hier hat der Sund nur eine Tiefe von drei bis vier Faden. Ganz große [386] Fahrzeuge und Kriegsschiffe, welche aus der Nord- in die Ostsee segeln, können denselben nicht passiren; sie müssen die Insel Seeland umschiffen und den Weg durch den großen oder kleinen Belt nehmen.

Das Wasser des Meeres ist hier so klar und durchsichtig, daß man bequem den Grund sehen kann. Auf demselben bilden ganze Felder von grünen Algen einen dichten Teppich, von dem sich das hellere Grün der jüngsten Sprossen angenehm abhebt. Es ist wahrhaft entzückend, über die Reling gebeugt, den wechselnden Lichtreflexen dieser unterseeischen Vegetation zu folgen, welche je nach der Wassertiefe dunkler oder heller erscheint. Manchmal schnellt, erschreckt durch die Annäherung unserer Yacht, ein Fisch aus seinem Versteck auf und verräth sich durch einen zitternden Silberschimmer in der dunklen Tiefe, nach der er entflieht. Dann und wann schätzt man die Wassertiefe unter dem Kiel für so gering, daß man jeden Augenblick aufzulaufen fürchtet, doch beruht das nur auf einer, durch die merkwürdige Durchsichtigkeit des Wassers verursachten Augentäuschung.

Inzwischen nähert sich die Yacht in rascher Fahrt dem Hafen; bald gleitet sie an befestigten Holmen vorüber, welche die Rhede beherrschen, und läßt das Seefort Tre Kroner (drei Kronen) links liegen. Gegen Mittag erreicht der. »Saint Michel«, nachdem er das auf der Rhede verankerte dänische Admiralschiff durch Hissen der Flagge begrüßt, den Handelshafen, gegenüber dem Kriegshafen, inmitten zahlreicher Passagierdampfer, welche einen regen Verkehr zwischen den Küstenorten Dänemarks und Schwedens unterhalten.

12. Capitel

XII.

Acht Tage lang blieb der »Saint Michel« an dieser Stelle und empfing unerwartet viel Besucher. Es mochte wohl zum ersten Male sein, daß man die Flagge einer französischen Yacht in diesem Wasserarme der Ostsee, der die Stadt in zwei ungleiche Hälften trennt, flattern sah. Unter Anderem stellten sich mehrere Journalisten an Bord ein und machten uns über das Land und die Volkssitten, wie über die fast unbegrenzte verfassungsmäßige Freiheit, welche hier herrscht, [387] sehr interessante Mittheilungen. Wie schnell vergingen uns aber auch die nicht am Lande zugebrachten Stunden bei dem überaus lebhaften Verkehre dieses großen nordischen Hafens! Dampfschiffe für Passagierbeförderung nach allen Punkten der dänischen, schwedischen und norwegischen Küsten, Handelsfahrzeuge, welche unter vollen Segeln einlaufen oder sich von winzigen, aber starken Schleppern bugsiren lassen, Postschiffe, welche man zu jeder Stunde des Tages und der Nacht läuten hört – Alles vereinigt sich hier zu einer köstlichen Augenweide für Den, der einiges Interesse an dem Leben auf dem Meere, das die getrennten Völker so innig verbindet, bewahrt hat.

Ich sehe, wie in Rotterdam, Amsterdam und Haag, hier davon ab, die Museen von Kopenhagen zu schildern; das haben schon Andere gethan, welche dazu mehr Fähigkeiten mitbrachten. Es erfordert eine gelehrtere Feder als die meinige, um dem Leser die in dem ethnographischen Museum enthaltenen Merkwürdigkeiten – eine einzig in der Welt dastehende Sammlung von chinesischen, japanischen, indianischen und grönländischen Curiositäten – zu schildern; ebenso wie die Schätze des »nordischen Museums«, die historische Sammlung des Rosenborgschlosses, welche bezüglich der Geschichte der Schmucksachen, Waffen, Möbeln u. s. w. da beginnen, wo die in dem ersteren aufhören, ferner die Meisterwerke des Thorwaldsen-Museums – ein umfängliches Grabdenkmal im etruskischen Styl, welches die gesammten Arbeiten des berühmten dänischen Bildhauers, dessen Namen es trägt, vereinigt. In meinem kurzen Berichte trachtete ich nur darnach, mich über weniger bekannte Punkte, vorzüglich über Wilhelmshaven, den Eiderkanal und den Kieler Busen ausführlich zu verbreiten.

Ich füge hier also nur hinzu, daß wir bei unserem Besuche der nordischen Alterthümer und des Rosenborgschlosses uns der unschätzbaren Begleitung des dänischen Unterrichtsministers, des Kanzlers Worsoë, zu erfreuen hatten, der als eigentlicher Organisator dieser wunderbaren Sammlungen zu betrachten ist. Dieser liebenswürdige Gelehrte hatte sich uns zur Verfügung gestellt, um uns die künstlerischen Schätze zu erklären, welche er mit dem Eifer eines für seine Wissenschaft ausschließlich lebenden Mannes gesammelt und geordnet hat. Unser Besuch in den Sälen, welche alle die Physiognomie ihres Zeitalters von der Renaissance bis zur Restauration tragen, erhielt durch seine faßlichen und gründlichen Erklärungen denn auch ein ganz außergewöhnliches Interesse.

Kopenhagen, einst ein ganz einfacher Fischerhafen, den eine Veste gegen die Seeräuber des baltischen Meeres schützte, ist seit dem fünfzehnten Jahrhundert[388] zur Hauptstadt der dänischen Monarchie geworden. Die Stadt zählt jetzt gegen zweimalhundertdreißigtausend Einwohner. Seit ihre Befestigungen geschleift worden sind, hat sie sich so schnell vergrößert, daß es den Anschein gewinnt, als sollte sie die ganze Bevölkerung Dänemarks aufsaugen.

Es ist heutzutage eine moderne Stadt, in der man keine Spuren von den großen Bränden 1728 und 1736, oder von der Beschießung im Jahre 1808 mehr findet. Die neuen Stadtviertel mit ihren breiten Boulevards und den üppig grünen Parkanlagen mit reichlicher Bewässerung sehen wahrhaft stattlich aus. Das bekannte Tivoli, errichtet an der Stelle früherer Festungswerke, ist ein Etablissement, das auf der Erde nicht seines Gleichen hat. Es bildet den Sammelpunkt für Tausende, welche einen vergnügten Abend zu verbringen wünschen, und sein artistischer Director, B. Olsen, hat den Erfolg, der seine Bemühungen krönt, wohl verdient.

Wer eine größere Festlichkeit, ein sogenanntes Storfest, im Tivoli mit angesehen hat, wird einen solchen Abend niemals vergessen. Der ganze große Garten ist dann von verschiedenfarbigen Lichteffecten überfluthet, Boote mit venetianischen Laternen schaukeln auf einem launisch gewundenen Gewässer; jedes Café, jedes Theater trägt zu dem bezaubernden Anblick des Ganzen bei; es ist wie ein Märchen aus tausend und einer Nacht, aus dem farbigen Orient nach dem nüchternen Norden versetzt, und ein nach den Plänen des französischen Architekten Le Nôtre hergestelltes Labyrinth hält den Besucher gegen seinen Willen gefangen, wenn diesem der leitende Ariadnefaden fehlt.

Zwei ausgezeichnete Orchester lassen abwechselnd ihre ernsten und heiteren Weisen erschallen, Theater mit Ballet, Akrobaten mit mehr oder weniger hervorragenden Leistungen, Alles bietet verschiedenartige und jedem Geschmacke angepaßte Vergnügungen.

Wer eine pfeilschnelle Fahrt liebt, dem bietet eine Rutschbahn mit drei abgerundeten Absätzen – und welche Absätze, vorzüglich der letzte! – für zehn Oere (11 1/2 Pfg.) eine halbe Minute Todesangst. Bei dem ersten Versuche, den man unternimmt, ist der kleine Wagen kaum weggerollt, wenn man schon seine Voreiligkeit bedauert. Bei dem ersten zu überwindenden Absatze möchte man noch herausspringen; bei dem zweiten denkt man an seine Familie, beim dritten aber ist die Gewalt der Fahrt eine so rapide, daß man jederzeit glaubt, der Waggon müsse aus dem Geleise springen, und daß man gern sofort noch sein Testament machte, wenn nicht gleich darauf ein kurzer Stoß der gefährlichen [389] Lage ein Ende machte, der die Wageninsassen in die Arme eines kräftigen Mannes wirst. Man ist damit am Ziele.

Der Leser glaubt vielleicht, daß man an einer solchen halsbrecherischen Fahrt genug habe. Fehlgeschossen. Man beginnt sie mit Vergnügen von Neuem.

13. Capitel

XIII.

Besonders bemerkenswerthe Gebäude besitzt Kopenhagen nicht. Die von Christian IX. in Backstein aufgeführte Börse zeigt ein eigenthümliches Gepräge und wird von einem, aus vier verschlungenen, phantastischen Ungeheuern gebildeten Thurm überragt.. Ferner wären zu erwähnen das Schloß Christiansborg, der Sitz des Reichstages; der Palast Amalienborg, im Geschmacke des 18. Jahrhunderts, worin die königliche Familie wohnt; das Nationaltheater an Kongens Nytorv, ein in jeder Hinsicht vortrefflicher Bau, und das Rosenborgschloß, erbaut 1607 in dem Parkgarten gleichen Namens.

Neben der Kirche Unserer lieben Frau, deren Schiff mit dreizehn Marmorbildwerken Thorwaldsen's, Christus und die zwölf Apostel, und der Altarplatz mit dem berühmten »Engel der Taufe« geschmückt ist, nenne ich besonders die Frelser- (Erlöser-) Kirche auf der Insel Amager, an der anderen Seite des Hafens. Das Gebäude selbst hat keinerlei architektonischen Werth; es wird jedoch von einem hohen Glockenthurme überragt, zu dessen Spitze man auf einer, in Schneckenwindungen außen um den Thurm führenden Treppe gelangen kann. Es gehört indeß eine gute Portion kaltes Blut dazu, diese Ersteigung ungestraft aus zuführen. Mein Bruder schildert in seiner »Reise nach dem Mittelpunkt der Erde« eine solche Lection gegen das Schwindligwerden, welche Professor Lidenbrock seinem Neffen Axel auf dieser lustigen Treppe ertheilt.

Als wir, mein Sohn und ich, da hinaufstiegen, war schönes klares Wetter. Weithin erstreckte sich die herrliche Aussicht über den Sund, in dessen ganzer Länge von Norden nach Süden; leider wehte eine ziemlich scharfe Brise aus Osten, welche jede genauere Beobachtung erschwerte. Kaum genügten unsere beiden [390] Hände, um uns an dem eisernen Geländer gegen die Gewalt des Windes aufrecht zu erhalten; an Benutzung der Fernröhre war unter solchen Umständen natürlich gar nicht zu denken. So vermochten wir auch nicht die Flagge eines schnell einherdampfenden Schiffes mit zwei gelblichen Schornsteinen zu erkennen, das auf der Rhede von Kopenhagen ankam und die dänische Flagge auf der Citadelle Frederikshavn mit einundzwanzig Kanonenschüssen begrüßte.

Nach Norden zu erblickt man am Ende des Sundes die kleine Stadt Helsingör. Zwischen diesem und Kopenhagen liegt ein ungeheuerer Wald mit riesigen Bäumen und mit zahlreichen Landsitzen durchsäet. Längs dieses Waldes, dessen vorderer Theil Thiergarten genannt wird und der gewissermaßen eine Vorstadt Kopenhagens bildet, führen zwei herrliche Promenaden, die lange Linie und der große Strandweg, nahe dem Ufer des Meeres hin, wo reiche dänische Familien ihre Sommersitze aufgeschlagen haben. Man gelangt dahin durch viele Dampfer, welche alle Küstenpunkte berühren und an langen Piers anlegen, die vom Ufer weit hinaus in's Wasser gebaut sind. Eine Fahrt an der Küste Seelands hin bis Helsingör gewährt einen so herrlichen Ausflug, wie man ihn kaum irgendwo wiederfinden dürfte. Wir hatten beschlossen, denselben am folgenden Tage auszuführen, und Helsingör nebst dem Schlosse Kronborg zu besuchen.

Dieses Schloß vertheidigte ehemals den Eingang zum Sunde, und hierher hatte Shakespeare die große Scene in seinem Hamlet verlegt.

Trotz der wahrhaft entzückenden Aussicht vom Thurme der Frelserkirche mußten wir des scharfen Windes wegen doch an die Rückkehr denken. Manchmal schien wirklich der ganze Thurm unter den heulenden Stößen zu erzittern.

Mein Sohn begann allmählich ernstlich darunter zu leiden, denn man wird leicht glauben, daß diese Empfindung eines unsicheren Standpunktes in einer Höhe von fast hundert Metern über der Erde peinlich genug ist. Er wird zusehends gelb und grün, als hätte ihn die Seekrankheit befallen, sein Blick wird unsicher... es war höchste Zeit, hinabzusteigen.

Wir begannen also die Niederfahrt. So sehr ich es gewöhnt bin, auf schwindligen Bergpfaden herabzuklettern, muß ich doch gestehen, daß diese korkzieherförmige Treppe auch mir eine peinliche Empfindung erregte. Ohne gerade so grün zu werden wie mein Sohn, erbleichte ich doch ebenfalls, und es hätte vielleicht nicht mehr langer Zeit bedurft, um mich in denselben hilflosen Zustand zu versetzen wie ihn.


(Frelserkirche.) Das beste war also zu verhandeln. (S. 394.)

[391]

Schon waren wir ein Dutzend Meter hinabgestiegen, als uns plötzlich ein unerwartetes Hinderniß entgegenstand.

Eine starke Dame von einigen fünfzig Jahren, mit gewaltigem rosafarbenen Hute auf dem Kopfe und umspannt von einem engen apfelgrünen Kleide, sperrte den schon für eine Person etwas schmalen Weg.

Der würdigen Dame folgten nicht mehr als elf leibliche Kinder. Ja, ich wiederhole es, elf ihrer Kinder, denn wer kann wissen, ob sie deren nicht noch mehr besitzt.

[392] Die von ihr angeführte Karawane schloß fünf bis sechs Meter weiter unten ein sehr dicker Herr, ohne Zweifel der Gatte und Vater seiner Vorgänger, der sich schwitzend und keuchend den steilen Weg hinaufarbeitete.

Was war zu thun? Der Fall schien kritisch. Wieder zurückzukehren war ich kaum im Stande. Es blieb uns nichts übrig, als vorwärts zu dringen, aber dann mußten wir die ganze Menschenschlange wieder hinabdrängen, denn hier konnte Niemand an einem Anderen vorüberkommen. Die Sache wurde unangenehm. Die Mutter schleuderte mir wüthende Blicke zu und schien sich schon [393] zu einem Kampfe vorzubereiten. Ihr Mann, der zu weit zurück war, um die Ursache der Störung erkennen zu können, wetterte aus den unteren Regionen herauf und mochte nicht bei bester Laune sein.


Schloß Kronborg. (S. 395.)

Das beste war also, mit den Neuangekommenen zu verhandeln und sie zum Umkehren zu bestimmen.

»Wir können nicht zurück, Madame, es ist absolut unmöglich.

– Aber, mein Herr, antwortete sie in fremdländisch betontem Französisch, wir sind unzweifelhaft berechtigt...

– Ganz sicher... Doch, Sie wissen, es giebt Fälle, wo Gewalt vor Recht geht, oder vielmehr wo die Noth kein Gebot kennt, und wir – wir sind gezwungen, bald hinunter zu gelangen!«

Bei diesen Worten wies ich auf das leichenähnliche Gesicht meines Sohnes.

Das wirkte; die Karawane wich ohne Widerrede über Hals und Kopf zurück. Binnen zwanzig Secunden war der Weg frei, der Feind verschwunden und wir stiegen ruhig die zwanzig Meter hinunter, die uns noch von der inneren Treppe der Frelserkirche trennten.

14. Capitel

XIV.

Am folgenden Morgen schifften wir uns auf einem der Schraubendampfer ein, welche von dem ausgedehnten Holzquai in Kopenhagen nach Helsingör abgehen. Diese schnellen, ausschließlich zum Küstendienste bestimmten Schiffe bieten den Passagieren alle erdenkliche Bequemlichkeit. Ihre Salons sind geräumig, gefällig decorirt, und das, das ganze Hintertheil einnehmende Spardeck ermöglicht den Reisenden eine leichte Umschau nach allen Seiten, und vorzüglich nach der wahrhaft reizenden dänischen Küste zwischen Kopenhagen und dem nördlichen Ende der Meerenge.

Helsingör ist eine kleine Stadt von neuntausend Einwohnern, in der sich die meisten, den Sund passirenden Segler verproviantiren. Es hat einen räumlich beschränkten, aber tiefen und hübsch gelegenen Hafen, dem der von Helsingborg, an der anderen, schwedischen Seite des Sundes, gegenüber liegt.

[394] Nachdem wir um neuneinhalb Uhr hier angelangt, begaben wir uns nach dem Hôtel Oeresund, das dem Reisenden Alles bietet, was das Herz und – der Magen begehrt. Nach dem eingenommenen Frühstück brach unsere kleine Gesellschaft sofort nach dem Schlosse Kronborg, dem interessanten Ziel dieses Ausflugs, auf. Die Schloßkapelle hier ist der Beachtung wirklich werth und verdient einen nicht zu eiligen Besuch. Von dem Innern des gewaltigen Bauwerkes ist an sich nicht viel zu sagen. Eine Zimmerflucht enthält eine nicht besonders werthvolle Gemäldesammlung. Die Aussicht von den Fenstern aber, und vorzüglich von der Plattform eines viereckigen Thurmes an einer Ecke des Schlosses aus, ist in der That überraschend schön.

Ueberall ist der hier nur vier Kilometer breite Sund von Fahrzeugen jeder Größe, von Galioten, Goëletten, Dreimastern, Briggs und Dampfern, welche auf-oder abwärts fahren, belebt. Ich schätze die Anzahl verschiedener Fahrzeuge, welche wir auf dem friedlichen Wasser auf einmal erblickten, auf wenigstens fünfhundert englische, schwedische, dänische, norwegische und deutsche Schiffe. Weder der Busen von Neapel, oder der Eingang zum Bosporus, noch die Meerenge von Messina, von Taormine aus gesehen, übertreffen an Schönheit diese Einfahrtsstelle in den Oeresund. Im Norden dehnt sich das Kattegat mit seinen blauen Fluthen und dem pittoresken Ausleger der schwedischen Küste, den Kullabergen, über Sehweite hin aus. Nach den anderen Richtungen hin ergötzt sich das Auge an der sattgrünen Landschaft der Umgebung. Man kann sich schwerlich einen harmonischeren Gesammteindruck denken, und nur mit schmerzlichem Bedauern wendet man einem so herrlichen Bilde den Rücken.

Um den Abgang des Schiffes nach Kopenhagen nicht zu versäumen, mußten wir uns jedoch beeilen. Da erschien am Horizont des Kattegats eine dunkle Rauchwolke, unter welcher man bald zwei große dunkle Massen unterscheiden konnte.

»Seht da, rief ich, sieht das nicht aus wie ein Geschwader, das unter vollem Dampf in den Sund einfährt?

– Das ist ohne Zweifel ein Theil der englischen Flotte, erwiderte Robert Godefroy. Ich las in den Zeitungen, daß ein solches Geschwader unter dem Commando des Herzogs von Edinburgh Portsmouth verlassen habe, um nach Kopenhagen zu segeln.

– Dann wird das schnelle Schiff, meinte mein Bruder, das gestern salutirte, während Ihr auf der Frelserkirche ward, wahrscheinlich ein Bote [395] desselben gewesen sein, der die Ankunft des englischen Geschwaders in Kopenhagen anmeldete.

– Was meinst Du, laß uns den Abgang des ersten Dampfers versäumen, sagte ich zu meinem Bruder, um dafür der Einfahrt der englischen Schiffe in den Sund beizuwohnen.«

Etwa eine Stunde später defilirte die aus acht Panzern bestehende Flottenabtheilung vor Helsingör, jedes Schiff in vorschriftsmäßigem Abstande und der Admiral an der Spitze.

Dieses Schauspiel wog gewiß eine Stunde Verzögerung auf.

Um vier Uhr gingen wir wieder an Bord eines Dampfers, der gegen sechs Uhr in Kopenhagen eintrifft, und passirten da in kurzer Entfernung die englischen Schiffe, welche ihres großen Tiefganges wegen der Citadelle gegenüber vor Anker gegangen waren.

15. Capitel

XV.

An Bord des »Saint Michel« zurückgekehrt, war der erste Mensch, der sich zeigte, der »Gentleman«, der uns voller Ungeduld zu erwarten schien.

Da es sehr warm war, hatte Thomas Pearkop den Rock abgelegt und bot so in Hemdärmeln ein uns noch neues Bild. Seine weite Hofe aus grobem blauen Tuch, die ihm bis unter die Achseln reichte, erinnerte durch ihre Länge an diejenigen, welche vorsorgliche Eltern ihren in starkem Wachsthum befindlichen Kindern machen lassen. Sehr kurze röthliche, mit weißen Blumen bestickte Hosenträger hielten das gewaltige Bauwerk, in welchem der »Gentleman« offenbar ohne große Mühe ganz und gar verschwinden können mußte. Ungeheure Taschen, wirkliche Höhlen, öffneten sich an den Seiten, und die Anschwellung derselben verrieth, welche Unmasse verschiedener Gegenstände in ihrer dunklen Tiefe schlummern mochte.

Thomas Pearkop wußte nicht, daß wir von Helsingör zurückkamen. Auf seinem breiten, gutmüthigen Gesicht glänzte jetzt offenbar ein Gefühl von Stolz. [396] So sagte er zu uns auch mit einer gewissen Feierlichkeit im Tone: »Gentlemen, the british squadron! You did not see the british squadron?

– Freilich, antwortete ich, haben wir das britische Geschwader gesehen. Sie kommen wieder zu spät, wie mit dem Kometen, mein wack'rer Lootse. Aber trösten Sie sich, diesmal ist's Ihr Fehler nicht! Sie konnten das Geschwader nicht wohl eher sehen als wir, da wir uns in Helsingör befanden, als dasselbe in den Sund einlief und...

– Ah, das muß herrlich gewesen sein!« unterbrach mich Thomas Pearkop, mit einem solchen Ausdruck von Neid und lebhaftem Bedauern, diesem Schauspiele nicht haben beiwohnen zu können, daß ich gegenüber dieser wirklichen Explosion von Patriotismus die Lust zu scherzen gänzlich verlor.

Die Engländer haben wohl ihre Grillen – welches Volk hätte solche nicht? – aber nach einer Seite muß man ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wenn man mit ihnen über ihre Flotte, ihre Armee, über die Freiwilligen oder über die Regierung des Landes spricht, so wird man sie, selbst in ihren beliebten Uebertreibungen, niemals lächerlich finden. Bringt man sie auf dergleichen Themata, so wallt in ihnen leicht, vielleicht etwas zu leicht, ein patriotisches Fieber auf; doch wer möchte sie darum tadeln?

Ihre Minister mögen sich täuschen, Fehler über Fehler begehen, vor einem Fremden wird der Engländer niemals ein verächtliches Wort über sie aussprechen. Man verfolge ihre Presse, ihre großen Tagesblätter, selbst diejenigen, welche der Regierung feindlich gegenüber stehen, niemals wird man darin grobe Artikel, injuriöse Thatsachen, gemeine oder nur herabwürdigende Epitheta finden. Immer bleibt der Ton ein höflicher, und wenn das nicht mehr der Fall ist, verliert das betreffende Blatt einfach seine Abonnenten. Der lange, ungestörte Genuß weitreichender Freiheiten hat das englische Volk gewöhnt, diese niemals zu mißbrauchen.

16. Capitel

[397] XVI.

Schon am Tage nach unserer Ankunft in Kopenhagen hatten wir dem französischen Ministerresidenten und dem Kanzler der Gesandtschaft einen Besuch abgestattet. Beide empfingen uns ungemein freundlich und versprachen, auf unsere Einladung, auch einmal an Bord des, »Saint Michel« zu kommen.

Da wir voraussetzten, es werde den Herren angenehm sein, eine kleine Spazierfahrt zu unternehmen, sorgten wir am verabredeten Tage dafür, daß unser Schiff Dampf hatte, als sie an Bord stiegen.

Nach einer kurzen Besichtigung der Yacht selbst, welche nach allen Seiten ihren Beifall fand, schlug mein Bruder vor, auf die Rhede hinaus zu dampfen, was mit Vergnügen angenommen wurde.

Unverzüglich wurden die Taue gelöst, und eine Viertelstunde später lag der, »Saint Michel« wenige Kabellängen neben dem englischen Admiralschiffe »Herkules«.

Alle Schiffe des Geschwaders hatten mit Ausnahme eines einzigen – der Grund hierzu ist mir unbekannt geblieben – festlich geflaggt. Der »Herkules« führte am Großmasttopp die königliche Standarte Englands, welche nur in außerordentlichen Fällen gehißt wird.

Um die verwandtschaftliche Verbindung mit Dänemark anzudeuten, flatterte daneben der Danebrog lustig in der Luft.

Der König von Dänemark war in dieser Stunde bei dem Herzog von Edinburgh zu Gaste. Christian IX. erwiderte dem Sohne der britischen Königin den Besuch, den dieser am Tage vorher dem Schlosse Amalienborg abgestattet hatte. Für den Fall, daß diese Visite nicht zu lange währte, wollten wir die Wiederabfahrt des Königs, dessen Schaluppe einige Kabellängen vom »Herkules« lag, und den Königssalut abwarten, den das englische Geschwader zu diesem Moment abgeben mußte.

Es macht dieses Salutschießen einen großartigen Eindruck, wenn es von zahlreichen, mit grobem Geschütz armirten Fahrzeugen geschieht. Jedes Schiff feuert, gleichzeitig mit dem Admiralschiffe, eine Salve von einundzwanzig Schuß ab, während die Besatzung des Schiffes auf den Raaen steht und mit kräftigen Stimmen ein neunfaches: »Hip! Hip! Hip! Hurrah!« ruft.

[398] Dieses interessante Schauspiel ist übrigens ziemlich selten und wir hatten von viel Glück zu sagen, ihm gerade beiwohnen zu können.

Bald setzt sich die Yacht des Königs in Bewegung und nimmt eine halbe Kabellänge vom »Herkules« Aufstellung, dem sich auch der »Saint Michel« immer dicht hinter der Geschwaderlinie, bei der Panzerfregatte »Warrior«, genähert hat.

Einige Minuten verstreichen. Da erscheint Christian IX., begleitet von dem Erbprinzen und noch mehreren Mitgliedern der königlichen Familie an der geöffneten Schanzkleidung des »Herkules«.

Der König steigt, nach einem mit dem Herzoge von Edinburgh gewechselten Händedrucke, nach seinem Boote hinab und begiebt sich, in Begleitung vieler, das Gefolge tragenden Boote nach seiner Yacht.

In diesem Augenblicke bricht zum ersten Male die Wolkendecke des Himmels. Ein Sonnenstrahl schießt herab und funkelt an den glänzenden Uniformen der dänischen Officiere der Escorte. Das Purpurzelt auf dem Hintertheile des königlichen Bootes erscheint von goldigen Reflexen geschmückt, und um die Personen, welche es enthält, schlingt sich ein blendender Lichtkranz.

Als merkwürdigen Gegensatz zeigen die massiven dunklen englischen Schiffskolosse an jeder Schießluke ihre mächtigen Geschütze, ihre schrecklichen Verheerungswerkszeuge; wie um diesen beklemmenden Eindruck vergessen zu machen, flattern Flaggen und Wimpel in allen Farben bunt durcheinander bis zur Spitze der hohen Maste und prägen dem großartigen Bilde den Stempel einer friedlichen Festlichkeit auf.

Doch Achtung! Auf den Ton einer Pfeife haben sich die englischen Matrosen schnell auf den Raaen vertheilt. Jetzt erklingt ein Hornsignal. Das »Hip! Hip! Hip! Hurrah!« ertönt weit schallend aus den soliden Brustkästen John Bull's. Noch ein zweites Signal... und das Salutschießen beginnt.

In einem Augenblicke liegt der »Saint Michel« in dichtem Pulverdampfe verhüllt. Nach der vorher herrschenden Ruhe ist jetzt die Hölle losgebrochen. Trotz dem Krachen der Geschütze hört man das scharfe »Hip! Hip! Hip!« der Matrosen, das sich wie ein durchdringender Diskant neben der tiefen Baßstimme der Kanonen bemerkbar macht. Unsere Yacht lag so nahe am »Warrior«, daß sie bei jedem Schusse desselben bis zum Kiel hinab erzitterte, während die, durch die Explosionen rasch verdrängte Luft uns, wie von einem Orkan gejagt, in's Gesicht schlug.

[399] Die ganze Sache hat einen eigenthümlichen Reiz. Zuerst fühlt man sich bei dem entsetzlichen Krachen etwas beklommen; bald gewöhnt man sich jedoch daran, und zuletzt wünschte man es lieber noch etwas stärker.

In diesem Monstre-Concert ist freilich nicht die Spur von Musik zu entdecken. Jetzt klingt zuweilen – eine Folge der verschiedenen Rohrweiten – etwas wie eine erweiterte Terz hindurch. Wenn Richard Wagner einmal alle Hilfsmittel der Orchestration erschöpft und so große Kupferinstrumente angegeben haben wird, daß man ein Dutzend Bläser auf einmal braucht, um denselben einen Ton zu entlocken, so erkennt er vielleicht in den Dreißig-, Fünfzig- oder gar Hundert-Tonnenkanonen noch recht schätzenswerthe Hilfstruppen. Diese modernen Instrumente würden ihm von desto größerem Nutzen sein, als seine vollkommen taub gemachten Zuhörer im blinden Vertrauen seine oft genug gewagten Harmonien beklatschen würden.

Aber Thomas Pearkop hätte man während dieser ganzen Ceremonie beobachten müssen! Er strahlte; die Augen traten ihm aus dem Kopfe und unartikulirte Töne drangen aus der breiten Brust; ja, es fehlte nicht viel, so hätte er das »Hip! Hip! Hip!« aus Leibeskräften mitgerufen.

Der wackere Mann war so glückselig, daß er vielleicht – ich betone freilich dieses Wort – bevor wir aus dem Hafen liefen, auf jeden ihm unvortheilhaften Vorschlag eingegangen wäre, wenn wir ihm etwa folgendermaßen zugesetzt hätten:

»Pearkop! Das englische Geschwader, Euer Geschwader, auf das Ihr so stolz seid, wird Se. Majestät den König von Dänemark mit dem großen Salut begrüßen. Wir wollen diesem großartigen Schauspiele beiwohnen; da kommt uns aber eben Eure Lootsenrechnung in die Hände – dreißig Pfund ist wirklich etwas gepfeffert – und wir werden Euch nicht auf die Rhede hinaus mitnehmen, wenn Ihr nicht auf der Stelle zustimmt, genannte Forderung auf zwanzig Pfund herabzusetzen, und das ist immer noch anständig genug bezahlt. Weigert Ihr Euch, so werdet Ihr während unseres Ausfluges an's Land gehen und der Festlichkeit nicht beiwohnen. Nun, entscheidet Euch!«

Darauf würde er, in Anbetracht seiner Vaterlandsliebe und des gerechten Stolzes, der ihn beim Anblick seines Geschwaders erfüllte, sowie der Bewunderung, die er für seine mächtigen Panzer empfand, gezaudert, gefeilscht haben, aber endlich doch wohl fähig gewesen sein... Nein, das sicherlich nicht; zehn Pfund Sterling zu opfern? – Nimmermehr.

[400] Bei dieser Gelegenheit gestatte man mir auszusprechen, daß viele Dänen, hier und in den ehemaligen Herzogthümern, das fast vollständige Fehlen der französischen Flagge in der Ostsee lebhaft beklagen.

England sorgt dafür, sich überall immer wieder in Erinnerung zu bringen. Außer seinen zahlreichen Handelsschiffen, welche die Nord- und die Ostsee durchkreuzen, hat es dieses Jahr (1881) ein Panzergeschwader nach Kopenhagen, Petersburg und Kiel entsendet. Es würde Frankreich ein Leichtes sein, dasselbe, ja vielleicht noch mehr zu leisten, und des wärmsten Empfanges könnte es ohne [401] Zweifel sicher sein. Die englische Flotte, welche auf der Rhede von Kopenhagen erschien, bestand in der That nur aus alten Schiffen ohne großen Werth. Man bemerkte hier den »Warrior«, das erste, von England etwa gleichzeitig mit dem französischen »Gloire« erbaute Panzerfahrzeug. Das einzige modernere Schiff war das Admiralsschiff »Herkules«, doch steht auch dessen Armirung hinter der, der neueren Schlachtschiffe Frankreichs weit genug zurück.


Der König begiebt sich nach seiner Yacht. (S. 399.)

Wollten wir England ausstechen, so genügte die Entsendung einer Flottendivision, unter der sich die »Dévastation« mit ihren Fünfzig-Tonsgeschützen, der »Admiral Duperré«, der »Redoutable« und als Kreuzer der »Duquesne« oder der »Tourville« befänden, welch' letztere eine Geschwindigkeit von achtzehn bis neunzehn Knoten erreichen.

Freilich könnten uns die Engländer ihr Schiff, den »Inflexible« mit seinen Achtzig-Tonsgeschützen gegenüberstellen. Dieses Fahrzeug aber ist nach den, im englischen Unterhause öffentlich ausgesprochenen Urtheilen keineswegs frei von Fehlern. Es ist nur in der Mitte gepanzert, und man fragt sich mit Recht, was die Folge sein würde, wenn sich seine, von mächtigen Geschossen durchlöcherten Endstücken mit Wasser anfüllten.

17. Capitel

XVII.

Unsere schon festgesetzte Abreise von Kopenhagen wurde durch eine Einladung zur Tafel bei dem französischen Ministerresidenten um zwei Tage verzögert. Wir gewannen dadurch Zeit, den herrlichen Park von Frederiksberg, jetzt eine Vorstadt der vergrößerten Residenz, zu besuchen.

Am folgenden Morgen, Sonntags den 26. Juni, schlug der »Saint Michel« nach Ausschiffung unseres Freundes Robert Godefroy, der diese Reise über Malmö, Stockholm und Christiania ausdehnte, von dort aber nach Finnmarken bis Hammerfest und zum Nordcap gehen wollte, wieder den Cours nach Süden ein und ging, nachdem wir nochmals die Eider passirt, vier Tage später auf der Rhede bei den Dünen vor Deal vor Anker.

[402] Wir waren somit wieder in Thomas Pearkop's Heimat. Hier sollte er im besten Wohlsein, gut gemästet und bereichert um ein weiteres, anerkennendes Zeugniß für die Kenntnisse und Fähigkeiten des Pilot for the North sea seiner Familie wiedergegeben werden.

Selbstverständlich nahm Thomas Pearkop auch seinen berühmten Sack mit nach Hause.

Aber dieser unvergleichliche Theertuchsack, der schon eine ganze Welt enthielt und kaum noch eine Stecknadel aufzunehmen fähig schien, dieser Wundersack war doch noch größer und schwerer geworden, als Thomas Pearkop den »Saint Michel« verließ. Er umfaßte jetzt noch weiter vier Flaschen seinen Wein, zwei Flaschen Liqueur und noch verschiedene Victualien, welche wir dem Lootsen aus Mitleid für die schon seit zwei Jahren fast hoffnungslos darniederliegende Mistreß Pearkop mitgegeben hatten.

Mich verwunderte es freilich ein wenig, daß Mistreß Pearkop solche Stärkungsmittel nöthig haben sollte. Mögen ihr die, welche ihr Mustergatte mit heimbrachte, recht gute Dienste leisten! Ich stehe aber gar nicht dafür ein, daß diese den rechten Weg verfehlt und unnöthiger Weise den »Gentleman« gestärkt haben mögen, zum großen Nachtheile seiner schöneren Hälfte, wenn diese etwa auf Wiedererlangung ihrer Gesundheit durch dieselben rechnete.

Wir hatten nun noch die Lootsenrechnung für einmonatlichen Dienst in der Nordsee abzumachen, was ohne Schwierigkeiten vor sich ging.

Das Honorar belief sich auf eine ziemlich beträchtliche Summe, an der nicht gemäkelt wurde. Thomas Pearkop, der zuerst für ein halbes Pfund Sterling auf eine halbe Stunde an Bord des »Saint Michel« kam, war hier siebenundzwanzig Tage lang für den Preis von dreißig Pfund geblieben.

Diese Summe wurde also auf den Tisch des Speisesaales in schönen, blanken Louisd'ors aufgezählt – das englische Pfund zu 25 Frcs. 25 Cent. gerechnet – und durch etwas englische Scheidemünze bis auf den Pfennig vollgemacht.

Thomas Pearkop's Augen leuchteten heller auf; dann verschwand Alles, unter Dankesbezeugungen des Empfängers, in der ungeheuren Hosentasche.

Gleichzeitig war das kleine Boot klar gemacht worden. Der, »Gentleman« stieg hinab und begab sich nach dem Hafendamm von Deal, von dem unsere Yacht nur eine Kabellänge entfernt lag.

[403] Da trat der Schiffsjunge auf meinen Bruder zu.

»Herr Verne, begann er höchst erregten Tones.

– Um Gottes Willen, was ist geschehen?

– Herr Verne, er hat in seinem Sack ein Stück Seife vom Schiffe mitgenommen.

– Aber, Junge, erwiderte mein Bruder scherzend, das ist doch nicht hübsch und verwundert mich von einer so grundehrlichen Haut, wie unser wackerer Thomas Pearkop!

– Halt, nicht so schnell verurtheilt! rief ich, auch von diesem Vorwurfe wird er sich reinigen! Da kehrt das Boot zurück mit Thomas Pearkop darin, der uns das Stückchen Seife wieder überliefern wird.«

Das Boot legte am Bord an und der »Gentleman« machte uns ein Zeichen mit der Hand.

Thomas Pearkop stand hinten in dem Boote und wollte schon auf mich sprechen, als ich ihm zuvorkam.

»Aber, guter Freund, sagte ich, das war doch unnöthig, wegen solcher Kleinigkeit umzukehren.

– Kleinigkeit? erwiderte Thomas Pearkop im einschmeichelndsten Englisch, aber mein Herr, Sie haben ja das Pfund zu 25 Frcs. 25 Cent. gerechnet.

– Gewiß, antwortete ich, etwas erstaunt über diese unerwarteten Worte. Entspricht das nicht dem Tagescours?

– Nicht genau, belehrte mich der ›Gentleman‹, das Pfund steht jetzt 25 Frcs. und 26 Cent.; sie schulden mir also noch drei Pence!

– Drei Pence! Sechs Sous! Hier sind sie, wackerer Pearkop, und nun sind wir quitt, nicht wahr?

All right, meine Herren.

All right

[404]

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TextGrid Repository (2012). Verne, Paul. Erzählungen. Von Rotterdam nach Kopenhagen am Bord der Dampfyacht »Saint Michel«. Von Rotterdam nach Kopenhagen am Bord der Dampfyacht »Saint Michel«. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-87A3-1