Drittes Lied

Ich.

Ja, mein Kind, ich fühl's mit Freuden,
Was du einmal mir gewesen,
Und mit Schmerz und bittrer Rene,
Was du noch mir bist, von allem
Menschlichen bist du das Liebste
Mir, das Göttlichste, von allem
Göttlichen das Menschlichste.
[73] Sie.

Nur ein einfach schlichtes Wesen
Bin ich, von den hohen Dingen,
Die in deinem Munde schweben,
Bin ich nichts, ja selbst das wen'ge,
Was ich bin, und was ich habe,
Dank' ich einzig nur der Liebe,
Hab' ich einzig nur von dir.
Ich.

Hättest du von mir auch alles,
Kraft und Fülle der Gedanken,
Alles Gold und alle Perlen
Dieser Erde, dennoch hätt' ich
Höh'res noch von dir, der reinsten
Unerschütterlichsten Liebe,
Und der frömmsten Treue Bild.
Sie.

Ist's ein Wunder, daß ich liebe,
Daß ich dir nur leb' und athme?
Ist's ein Wunder, wenn das Veilchen
Treu im Sonnenschein sich freuet,
Liebt die Lüfte nicht der Vogel,
Nicht die Biene süßen Honig,
Und das Herz Unsterblichkeit?
Ich.

Und ich konnte dein vergessen,
Konnt' im Zauberduft des Südens,
Konnt' auch in Hesperiens Wollust
Dem Sirenenliede folgen,
Konnte deinem treuen Herzen,
Meinem deutschen Liebchen konnt' ich
Also lohnen mit Verrath?

[74]
Sie.

Wußt' ich's ja, du bleibst mir immer
Bleibest gut, es hat die Einfalt,
Hat mein niedrig Bild, die Schwäche,
Mein befangner Geist der Größe
Deines Roms nicht halten können,
Du vergaßest mich ein wenig,
Denn die Heimat liebst du nicht.
Ich.

Aber dich! Mein Kind, du hörtest
Schon von alten kühnen Helden,
Daß ein Zauber sie umfangen,
Bradamante schien vergessen,
Und ich bin kein Held, ein Sänger
Bin ich nur, der gern von Helden,
Lieber noch von Liebe singt.
Sie.

Ach ich armes Kind vermag ja
Keinen Lorbeer dir zu geben,
Nur mit Myrtenkränzen kann ich,
Nur mit Küssen dich beschenken,
Und im Drang nach größern Dingen,
Unter Roms Ruinen denkst du
Freilich nicht ans Liebchen mehr.
Ich.

Schweifend über Berg und Meere,
Durch der Länder weite Strecken,
Im Geräusch der Städte, Fremden
Stets ein Fremder, lernt' ich kennen,
Wie ein liebend Herz zu ehren,
Mit der Heimat unversöhnbar,
Was du dem Verbannten bist.
[75] Sie.

Wär' ich's ihm, vor Freude weint' ich,
Aber was wohl fänd' er jetzt noch
In dem deutschen Mädchen? Ehre,
Ruhm ist höher dir als Liebe,
Meine Jugend nahmst du längst schon,
Arm ist nur mein Kopf, an Leiden
Und an Lieben reich mein Herz.
Ich.

O hör' auf, geliebte Seele,
Mich mit deiner sanften Demuth,
Deiner Herzenskraft und Schöne
Mich vor dir in Staub zu werfen.
Ich verachtete die Menschen,
Treulos nannt' ich sie, und blieb doch
Einem Engel selbst nicht treu.

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TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Lieder des Römischen Carnevals. Gedichte aus Latium und den Sabinerbergen. Lieder der Untreue. Drittes Lied. Drittes Lied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8AEC-5