Christine

Bessern soll ich mich? – O Himmel,
Wie werd ich wohl besser!
Eher reiten schwarze Schimmel
Weiße Menschenfresser,
Eh daß solch ein Kauz wie ich
In sich geht und bessert sich.
Nein, mein Fräulein, ich verzichte
Auf die Tugendpalme;
Schreibe meine Mordgedichte
Tief im Tabaksqualme,
Bis der Satan kommt und spricht:
Fort mit dir, du Bösewicht!
Ja, der Teufel wird mich holen
Früher oder später,
Und ich Ärmster muß verkohlen
Unter Schmerzgezeter;
Haut und Haar und Fleisch und Bein,
Alles muß gebraten sein.
[484]
Sie indessen wandeln lieblich
In der Engel Scharen,
Blumen tragend, wie dort üblich,
In gelockten Haaren,
Und das ganze Angesicht
Angestrahlt vom Himmelslicht.
Sehn Sie nun, wie weit geschieden
Unsre beiden Pfade:
Ihnen eines Gartens Frieden,
Mir die Barrikade,
Wo man sich bei jedem Schritt
Auf die Hühneraugen tritt.
Ihnen freundliche Erbarmung,
Mir der Waffen Blinken
Und des wilden Bärs Umarmung,
Ihnen seine Schinken,
Mir des Feinds entmenschter Streit,
Ihnen seine Menschlichkeit!
[485]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Wedekind, Frank. Gedichte. Die vier Jahreszeiten. Herbst. Christine. Christine. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9585-5