Johanna von Weißenthurn
Welche ist die Braut!
Ein Lustspiel in fünf Aufzügen

[124]

Personen

Personen.

    • Baroninn Wendheim.

    • Nina,
    • Emy, , ihre Töchter.

    • Marie, Witwe, ihre Stieftochter.

    • Waldberg.

    • Herr von Grünau.

    • Advocat Wolf.

    • Herr von Blümlein, pensionirter Rath.

    • Baroninn Dürrer.

    • Räthinn Sommer.

    • Herr von Dorn.

    • Frau von Dorn.

    • Herr von Hacken.

    • Frau von Lichtberg.

    • Herr von Traufbach.

    • Fräulein Impfen.

    • Fräulein Grinzberg.

    • Babette, Kammerjungfer der Baroninn.

    • Gertraude, Mariens Erzieherinn.

    • Bediente.

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Ein Zimmer der Baroninn, alles verräth Luxus. Baroninn, dann Babette.

BARONINN
kommt aus ihrem Zimmer, seufzt, setzt sich nieder, dann klingelt sie.
BABETTE
aus der Mittelthür.
Euer Gnaden –
BARONINN.
War noch niemand da?
BABETTE.
O ja.
BARONINN
schnell.
Wer?
BABETTE.
Der Kaufmann von der Glocke.
BARONINN.
Brachte er neue Waaren?
BABETTE.
Den alten Conto.
BARONINN.
Daß doch die Leute nicht warten wollen! Es ist ja kaum ein Jahr, daß ich aufschreiben lasse.
BABETTE.

Aber ein Jahr hat 365 Tage, an jedem Tage will man anders aussehen, will für dieselben Gesichter, dieselben Augen doch immer neu seyn.

BARONINN.
Freylich, freylich –
BABETTE.

Es schneidet sich so leicht in ein Stück Taffet, wenn man nicht gleich in die Tasche greifen und bezahlen [125] darf. Man findet sechs Ducaten für einen Hut nicht zu viel, wenn sie nicht gleich recht schwer aus der Hand fallen – aber – wenn am Schluß des Jahrs die hundert kleinen Nothwendigkeiten zusammen kommen, da reicht oft der Ertrag eines kleinen Bergwerks nicht zu, den so unter der Hand gemachten Conto zu bezahlen.

BARONINN.
Soll ich zurück stehen?
BABETTE.
Gott behüte!
BARONINN.
Mein Renomée, mich geschmackvoll zu kleiden, verlieren?
BABETTE.

Nimmermehr! man könnte sich eher Gott weiß was nachsagen lassen. Wer in Gesellschaften einmahl den Ton angibt, muß nicht aufhören zu schreyen, wenn er auch endlich darüber heiser wird.

BARONINN.
Also?
BABETTE.
Wir müssen wöchentlich, wie sonst, unsre Quantität Hauben, Hüte, Shawls und Federn haben.
BARONINN.
Und der Kaufmann –
BABETTE.
Muß ein vernünftiger Mensch seyn –
BARONINN.
Muß warten.
BABETTE.
Muß warten.
BARONINN.
Hast du um Rath Blümlein geschickt?
BABETTE.
Er muß gleich hier seyn.
BARONINN.
Und Advocat Wolf?
BABETTE.
Bey dem war ich selbst.
BARONINN.
Hast du Geld?
BABETTE.
Ich glaube eher, daß man aus Bley Gold, als aus diesem Wolf einen Menschen machen kann.
BARONINN.
Hast du ihm denn nicht gesagt –
BABETTE.

Alles, alles, Daß Sie in Verlegenheit sind, [126] Ihre Zuflucht zu ihm nehmen; daß die Interessen von dem Capital der gnädigen Fräuleins ohnehin in sechs Wochen fällig wären, daß es einem so wohlhabenden Manne nicht schwer fallen könnte, sie jetzt gleich zu bezahlen – daß, obwohl Euer Gnaden einige Kleinigkeiten schuldig wären, man doch immer nicht Gefahr liefe, etwas zu verlieren; aber alles umsonst, er hörte mich an, ohne Ohren, ließ mich klagen, ohne in die Tasche zu greifen, und ließ mich gehen – ohne Geld.

BARONINN.
Barbarisch!
BABETTE.

Auf der Treppe hörte ich ihn noch etwas von schlechter Wirthschaft, vom Luxus, von Schmarotzern sprechen, aber – das ging wohl uns nicht an; wer wird so etwas auf sich nehmen?

BARONINN.

Heute ist mein Gesellschaftstag, er sollte glänzender als jemahls seyn, weil die dumme Frau von Scholl gestern so viel Aufsehen mit ihrem Soupée machte. Alle Zimmer waren in Blumengärten verwandelt. Das war ein Fragen, ein Bewundern! Ich werde keinen Rosenknopf auftreiben können. Freylich – man weiß, wo sie es her hat; das ist nicht bey ihr gewachsen, ein reicher Holländer macht ihr die Cour.

BABETTE.
Die Holländer lieben die Blumen.
BARONINN.
Und zahlen die Blumen. Ja – wenn man sich so aufführen wollte.
BABETTE.
Zum Scandal!
BARONINN.
Zum Ärgerniß für alle honnete Frauen. Du hättest hören sollen, wie man von ihr sprach.
BABETTE.
Das kann ich mir einbilden.
BARONINN.
Wüßte ich nur, zu wem ich schicken sollte.
[127]
BABETTE.
Um was?
BARONINN.
Um Geld.
BABETTE.

Wir treffen niemanden zu Haus, obwohl es noch früh am Tag ist. Die Leute sind im Stande, sich noch einmahl zu Bette zu legen, um eine schickliche Ursache zu haben, nicht an die Chatulle zu gehen.

2. Auftritt
Zweyter Auftritt
Rath Blümlein. Die Vorigen.

BARONINN.
Ah – da kommt mein guter Engel!
BABETTE
für sich.
Gott behüte mich vor dem Himmel, in dem die Engel so aussehen. Ab.
BLÜMLEIN.

Guten Morgen, meine schöne Baroninn! Wie geht es, wie steht es? Komme zu fragen, was heute geschieht? Nun – war das gestern ein Soupée? seit Jahren wurde nicht so gekocht, und nicht so gegessen.

BARONINN.
Ich habe den ganzen Abend nichts, als eine Tasse Thee getrunken.
BLÜMLEIN.

Welche Enthaltsamkeit! Alle gute Bissen, welche die Erde hervortreibt, welche auf ihr herumlaufen, und welche in den Lüften herum fliegen, waren auf dem Tisch. Ich habe keine Schüssel verachtet, freundlich von jeder genossen, und wäre die kalte Pastete nur um etwas größer gewesen, ich hätte mich ganz in sie einlogirt. Nein, alles, was recht ist, die Frau führt eine Küche –

BARONINN.
Nun, ich dächte doch, daß sich die Köchinn der Frau von Scholl mit meinem Koch nicht messen kann.
[128]
BLÜMLEIN.

Ihr Koch hat im Olymp gelernt, der kocht für Götter; und die Himmlischen essen wohl gut, aber selten. Die menschliche Natur will stündlich etwas haben, der Gaum will oft flattirt seyn, die Bemerkungen, die er macht, sind so vorüber schlüpfend, man muß öfter auf dieselbe Sache zurück kommen, um ihren wahren Werth zu erkennen. Und Sie, verzeihen Sie mir, meine Gnädige, aber Sie lassen jetzt sehr selten decken.

BARONINN.
Sie müssen doch gestehen, daß sich die gute Frau sehr lächerlich gemacht.
BLÜMLEIN.
Das ist in der Ordnung – die Leute haben gegessen, getrunken, und die Frau vom Haus ausgelacht.
BARONINN.
Ein solcher Aufwand! wer ist denn die Frau von Scholl?
BLÜMLEIN.
Ja, das bitte ich Sie, wer ist die Frau von Scholl?
BARONINN.
Wenn ich wieder sagen wollte, was ich gestern von ihr gehört –
BLÜMLEIN.
O sagen Sie, reden Sie – ich habe noch allerley Besuche zu machen, und bin um Neuigkeiten verlegen.
BARONINN.
Hernach. – erst muß ich von mir mit Ihnen sprechen.
BLÜMLEIN.
Ein Gegenstand, an dem die Verleumdung mit Ehrfurcht vorübergeht.
BARONINN.

Wissen Sie also, warum ich gestern mitten in dem Schlaraffenleben so leblos da saß? – mein Geld ist ausgegangen.

BLÜMLEIN.
Wenn es nur wieder kommt.
[129]
BARONINN.
Leider bin ich mit meinem Vermögen fertig, aber es ist nicht meine Schuld.
BLÜMLEIN.

Weiß, weiß, die Schuld lag am Vermögen. Wäre es größer gewesen, wären Sie wohl noch ein Weilchen damit ausgekommen. Gräfinn Halbern leidet an demselben Übel, und ich fürchte, incurabel, der Geldmangel ist wirklich eine Damenkrankheit geworden.

BARONINN.
Die stolze Gräfinn Halbern – ei – seht doch, ist sie auf dem Grund? was wird sie anfangen?
BLÜMLEIN.
Was werden Sie anfangen?
BARONINN.
Meine Töchter haben Geld.
BLÜMLEIN.
Für Sie unangreifbar, ungenießbar –
BARONINN.
Meine Lage ist entsetzlich.
BLÜMLEIN.

Das glaube ich. Ein Mensch ohne Geld ist ein Körper ohne Seele, alle Lebensgeister kommen ins Stocken. Wundre mich nur, wie Sie sich noch so aufrecht halten, nicht ins Bette begeben, nicht um den Doctor schicken.

BARONINN.
Sie sind mein Doctor, meine einzige Stütze –
BLÜMLEIN.
Lehnen Sie sich nicht zu stark auf mich, wir möchten beyde fallen.
BARONINN.
Auf Sie hab' ich mein Vertrauen.
BLÜMLEIN.

Das erleichtert allerdings die Cur. Also – den Puls hätte ich gefühlt, er geht schwach, braucht Reitzmittel, Stärkung. Jede Krankheit ist ein Bestreben der Natur, einen unnützen Stoff los zu werden; was könnten wir also mit Erfolg fort schaffen? – etwa Ihren Schmuck?

BARONINN.
Keinen Stein davon.
[130]
BLÜMLEIN.
Hartnäckige Patienten sterben lieber, als daß sie einen nöthigen Schnitt ertragen.
BARONINN.
Dieser träfe gerade das Herz.
BLÜMLEIN.

Aber ohne Operation ist an keine Hülfe zu denken. Das wäre eine Radicalcur; – Gräfinn Halbern hat sich dazu entschlossen.

BARONINN.
Die Unglückliche!
BLÜMLEIN.

Und mit einer Ruhe, mit einer Fassung, die mir bey meiner langen Praxis noch nicht vorgekommen. Blümlein, sagte sie, Sie kaufen manchmahl so altes Zeug, es unterhält Sie, es umfassen zu lassen; ich will das geschmacklose Wesen nicht mehr tragen; was geben Sie für den Plunder? – Ich suchte meine besseren Augen, besah und erwog, schätzte, und kaufte. Das setzt mich auch außer Stand, Euer Gnaden mein kleines Capital anzubiethen; ja selbst, wenn Sie sich auch zu einer solchen Erleichterung entschlössen, ich müßte dafür einen andern Käufer suchen.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Ein Bedienter, dann Wolf. Die Vorigen.

BEDIENTER.
Advocat Wolf.
BARONINN.
Was will der? denn bringen wird der mir gewiß nichts. Er soll kommen.
BLÜMLEIN.
So will ich mich denn empfehlen.
BARONINN.
Bleiben Sie, Freund! lassen Sie mich nicht mit dem Wolf allein, ich fürchte seine Zähne.
BLÜMLEIN.
Zeigt er sie zuweilen?
BARONINN.
Er beißt auch.
[131]
BLÜMLEIN.
Er beißt? Da sollte man dem Unthier aus dem Wege gehen.
WOLF
tritt ein.
Gehorsamer Diener, Frau Baroninn! haben heute schon zu mir geschickt?
BARONINN.
Mit schlechtem Erfolg.
WOLF.
Werden keine gute gerechte Sache verlangt haben.
BARONINN.
Sie waren der Freund meines Mannes, als solcher –
WOLF.

Bin ich der Freund seiner Kinder, und werde der Mutter nicht behülflich seyn, das Vermögen ihrer Töchter zu verschleudern, nachdem sie ihr eigenes durchgebracht hat. Haben nach und nach ein hübsches Sümmchen von mir erhalten, und man kann sagen, daß Sie es recht wohlmeinend unter die Leute gebracht.

BARONINN.
Eine Frau von meinem Stande braucht –
WOLF
einfallend.

Eine Goldgrube, und die wird erschöpft, an allen Adern gesaugt, bis am Ende nur die Grube bleibt, die menschlichen Thorheiten zu verscharren. – Der selige Herr Gemahl hat recht gut daran gethan, das Vermögen der Fräulein Töchter so zu verwahren, daß es Euer Gnaden nicht antasten dürfen.

BARONINN
zu Blümlein.
Was das für ein Ausdruck ist, antasten.
BLÜMLEIN.
Solche Hände berühren nur.
WOLF.

Diese Hände haben so tief in den Seckel gegriffen, daß sie ihn endlich durch und durch gebohrt. Alle Fenster des geräumigen Hauses wurden geöffnet, um die Ducaten hinaus zu werfen. Jetzt mögen Sie locken, wie Sie wollen, sie fliegen nicht wieder herein. Wer nichts [132] vermissen will, muß am Ende alles entbehren. Wer bey großer Hitze alle Kleidungsstücke von sich wirft, findet im Herbst nur dürre Blätter, seine Blöße zu decken; der Herbst ist da, der Winter ist vor der Thüre, aller Brennstoff ist ausgegangen, mit was heitzen wir ein?

BARONINN
spöttisch.
In Ihren Wäldern wächst für mich kein Holz.
WOLF.

Nicht eine Staude – würde meinen Überfluß lieber vor dem Armenhaus abladen. Wenn man dort dem gebrechlichen Alter, dem leidenden Kranken dabey eine gute Suppe kocht, das würde mir mehr Segen bringen, als wenn man hier bey meinem gesunden Holz Braten wendet, Mit einem Blick auf Blümlein. die unnütze Müßiggänger verzehren.

BARONINN.
Auch das wird mir zum Verbrechen gemacht, daß ich dann und wann einige Freunde bewirthe.
BLÜMLEIN.
Treue, redliche Freunde.
WOLF
hastig.
Sind Sie ein solcher?
BLÜMLEIN.
Können Sie zweifeln? ich lasse mein Blut für die Baroninn.
WOLF.

Sie kommen dieß Mahl wohlfeiler durch. – Hier ist eine Schuldforderung von 4000 fl. an die Baroninn. Wollen Sie zahlen?

BLÜMLEIN
tritt zurück.
Ich? – ei du mein Gott, was reden Sie da?
WOLF.
Die Baroninn hat kein Geld, aber Freunde.
BLÜMLEIN.
ARME Freunde, arme Räthe.
WOLF.
Sie wollten ja vorhin Ihr Blut –
BLÜMLEIN.
Ja, Blut hab ich, das steht alle Augenblicke zu Befehl, aber kein Geld.
[133]
WOLF.
Doch nennt man Sie in der Stadt die wandelnde Damen-Leihbank.
BLÜMLEIN.

Einige kleine Gefälligkeiten, die ich hier und da einer Freundinn erwies, wenn eben Fluth in meiner Casse war, aber jetzt ist Ebbe eingetreten.

BARONINN.
Ist es der Mühe werth, um lumpige 4000 fl. so viel Aufhebens zu machen?
WOLF.

Mögen wohl für Lumpen ausgegeben seyn, denn in dem ganzen Conto ist kein feuerfester Artikel. Lauter Luft, lauter Rauchwaare. Aber was gekauft und verbraucht ist, will jetzt bezahlt seyn.Zur Baroninn. Wollen Sie bezahlen?

BARONINN.
Ich kann nicht.
WOLF
zu Blümlein.
Und Sie?
BLÜMLEIN.
Eine totale Unmöglichkeit.
WOLF.
So muß ich gerichtlich damit verfahren.
BARONINN
erschrocken.

Gerichtlich? Blümlein – Sie dürfen nicht für mich bezahlen, ich werde gewiß Mittel schaffen, stehen Sie nur für diesen Augenblick gut.

BLÜMLEIN.

Gut stehen? ich? für Sie? wie können Sie glauben, daß mein unbedeutender, nichtssagender Nahme den Leuten mehr gilt, als der verehrte Nahme der Baroninn Wendheim? Sie haben reiche Verwandte, wen habe ich?

BARONINN.

Recht – mein Schwager – ich habe diesen Schritt nie thun wollen, um wegen der künftigen Erbschaft immer in gutem Vernehmen mit ihm zu bleiben, aber die Sache ist dringend, ich schreibe noch heute an ihn.

WOLF.
Das können Sie thun, schreiben können Sie, aber es wird niemand den Brief bestellen wollen.
[134]
BARONINN.
Warum nicht?
WOLF.
Weil ihm keiner nachreisen wird.
BARONINN.
Nachreisen? wohin denn?
WOLF.
Dorthin, von wannen noch niemand zurück gekommen ist – in die Ewigkeit.
BARONINN
erschrickt.
Wie? was? er wäre todt?
WOLF.
Schon seit vier Wochen.
BARONINN.
Und heute erfahre ich es erst?
WOLF.
Ein so trauriges Ereigniß erfährt man immer früh genug.
BARONINN.
O ja wohl – aber meine Verfügungen wegen der Erbschaft.
WOLF.
Ist schon verfügt.
BARONINN.
Was?
WOLF.
Und auch schon geerbt.
BARONINN.
Wie? was? hat der alte Mann wohl gar –
WOLF.
Seinen Pflegsohn zum Erben eingesetzt; ja das hat er.
BARONINN.

Entsetzlich, abscheulich! dieser Verrath an seinem eignen Blut, es kann ihm jenseits nimmermehr gut gehen. Mir wird schlimm – ich sterbe Sinkt in einen Stuhl.

BLÜMLEIN
steht ihr bey.

Um alles in der Welt nicht, man lebt nur ein Mahl, aber erben kann man öfter. Wer weiß, ob nicht irgendwo noch jemand lebt, den Sie einmahl erben können.

BARONINN.

Niemand – keine Seele – das war meine letzte Hoffnung. Und gerade jetzt, wo ich das Geld so nöthig hätte.

BLÜMLEIN.
Der alte Herr ist recht a tempo gestorben.
[135]
BARONINN.

So zur rechten Zeit stirbt keiner mehr.Springt auf. Aber auch nicht eine Thräne will ich um ihn weinen.

BLÜMLEIN.
Er ist es nicht werth – aber, das Geld.
BARONINN
spöttisch.
Also – der lachende Erbe ist?
WOLF.
Der traurende Erbe, der fremde Mensch mit dem Gefühl des Sohnes, ist – Herr Waldberg.
BARONINN.
Der hergelaufene Bursche – unerhört!
BLÜMLEIN.
Es kann ihm keinen Segen bringen
BARONINN.
Und mir – nichts?
WOLF.
Nichts.
BARONINN.
Kein Legat?
BLÜMLEIN.
Von etwa 100,000 fl.?
WOLF.
Nichts.
BARONINN.
Empörend!
BLÜMLEIN.
Himmelschreyend! Ja, die alten Herren machen Streiche –
BARONINN.
Und meine Töchter, auch nichts?
WOLF.

Die würde er gewiß bedacht haben, aber er starb zu plötzlich. Der dankbare Erbe erinnerte sich, daß eine Verbindung mit Ihrem Hause sein Wunsch war; er glaubt den, wenn auch nie klar ausgesprochenen Willen seines Wohlthäters dadurch ehrend zu erfüllen, wenn er sein Herz und sein Vermögen mit einer von Ihren Töchtern theilt.

BLÜMLEIN.
Herrlich! es wird kein Trauerspiel, das Stück schließt sich mit einer Hochzeit.
BARONINN.
Ist denn der Mensch von Adel?
WOLF.
Wenn gleich nicht von altem Adel, doch vom besten.
BARONINN.
Wie verstehen Sie das?
[136]
WOLF.

Ich verstehe darunter den Adel, der aus Herz und Seele quillt, der alles um sich her froh und glücklich machen will, der, wo Geld helfen kann, mit beyden Händen in die Tasche greift, und wo nicht Geld, nur das theilnehmende Wort gilt, Trost und Hülfe aus dem Herzen schöpft. Das ist der Adel vor dem ich mich tief bücke, und am liebsten meinen Hut abnehme.

BARONINN.
Also der sentimentale, gemüthliche Adel?
WOLF.

Ohne den zehen Adelsdiplome doch keinen Edelmann machen; wenn aber eines zum andern kömmt, dann ist der Mann hoch und wohl, und würdig geboren, dann erlebt Gott, sein Fürst und die Welt Freude an ihm.

BARONINN.
Aber – nicht einmahl Herr von.
WOLF.
Er ist Herr von Feldern und Wiesen, Gärten, Dörfern und Wäldern, ist das nichts?
BLÜMLEIN.
Alles, alles. Zur Baroninn. Greifen Sie zu.
BARONINN.
Wenn man aber nicht weiß, wer ihn geboren.
WOLF.

Wenn man nur Ursache hat sich zu freuen, daß er geboren, dann hat er seinen Beruf erfüllt. Übrigens ist er der Sohn eines armen Predigers, der ihn auf dem Sterbebette seinem Freund, Ihrem Schwager, empfohlen; dieser war kinderlos, hielt ihn wie seinen Sohn, liebte ihn so, und hinterließ ihm alles, wie seinem Sohn.

BARONINN.
Wie hoch beläuft sich das Vermögen?
WOLF.
Mag sich leicht bis 500,000 fl. hinauf zählen.
BARONINN
zu Blümlein.
Was hätte man mit dem Gelde nicht alles machen können!
BLÜMLEIN.
Wie viele gute Werke –
[137]
BARONINN.
Wenn es an rechten Mann gekommen.
WOLF.

Ich meine, der Rechte hat es bekommen, denn der wird seinen Segen so vertheilen, daß er wieder zum Segen wird.

BARONINN.

Fünf Mahl hundert tausend Gulden sagen Sie? – da muß ich um des eitlen Mammons willen schon ein Aug' zudrücken.

BLÜMLEIN.
BEYDE , für eine solche Summe stellt man sich stockblind.
BARONINN.
Nun denn, in's Himmels Nahmen, ich ergebe mich in mein hartes Schicksal. Wann wird er kommen?
WOLF.
Er ist schon hier.
BARONINN.
Schon hier? und noch nicht da? noch nicht in den Armen seiner Mutter?
BLÜMLEIN
für sich.
Jetzt wird sie zärtlich, 500,000 fl. brechen durch.
WOLF.

Ich mußte Sie erst auf seinen Besuch vorbereiten, denn wenn Sie ihn hätten früher als seine 500,000 fl. kennen gelernt, ich weiß nicht, ob sein Empfang sehr glänzend gewesen wäre; jetzt wissen Sie den Menschen doch zu schätzen. Er wohnt bey mir, und wird noch heute aufwarten.

BARONINN.

Schön, heute ist mein Gesellschaftstag, da kann ich ihn vorstellen, die Sache gleich unter die Leute bringen. Babett, Christian, Lorenz, wo stecken die Menschen?

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Die Vorigen, Babett.

BABETTE.
Euer Gnaden befehlen?
[138]
BARONINN.
Meine Töchter, geschwind meine Töchter!
BARONINN.
Sogleich Ab.
WOLF.

So viel ich sehe, wird diese ernste Sache wieder mit Saus und Braus, nicht mit Überlegung, mit Rücksicht auf Lebensglück angefangen. Ein redlicher Mann will ein gutes häusliches Weib, zwey Herzen sollen sich finden, zwey Hände in einander greifen, um sich fest zu halten bey Leid und Freud', das sollte für die Mutter ein Festtag, kein Gesellschaftstag seyn – aber freylich, jetzt tanzt man nicht mehr bey einer Geige, wie zu meiner Zeit, und schlägt dazu frisch und fröhlich mit den Schnipchens in die Luft den Tact; jetzt müssen zwanzig Instrumente stürmen, die sind nun freylich besser gestimmt als meine Geige, aber die Menschen, die sich dabey herum drehen, sind so verstimmt, daß lauter falsche Töne über Lippen und Zunge strömen. Nun, ich will sie gewähren lassen, will der Mutter nicht vorgreifen; verkenne ich aber in ihr die liebende vernünftige Frau, die alles zum Guten leitet, so steht hier der Mann, der Vaterstelle bey Ihren Kindern vertritt, und der befugt ist, Va terrechte auszuüben. Daß ich das darf, haben Sie an dem Sterbebette Ihres Gatten gehört; daß ich der Mann bin, das Vertrauen seines verewigten Freundes zu rechtfertigen, und durch treue Sorge für seine Kinder zu verdienen, dafür kannte er mich, so kennt mich die Welt, und so sollen Sie den alten Wolf stets finden. Gehorsamer Diener.Ab.

BARONINN.
Wie das Ungethüm droht!
BLÜMLEIN.
Der Wolf sollte nie aus seinem Dickicht kommen.
[139]
BARONINN.
Welche Sprache!
BLÜMLEIN.

Wahre Kraftausdrücke. So müssen die alten Deutschen gesprochen haben, als sie noch Wurzeln und Kräuter aßen, und aus dem Hirnschedel ihrer Feinde tranken.

BARONINN.
Blümlein! – jetzt habe ich nur Sie, jetzt müssen Sie mir Ihre Freundschaft kraftvoll beweisen.
BLÜMLEIN.
Bedenken Sie unser schwaches Jahrhundert.
BARONINN.
Ich brauche Geld.
BLÜMLEIN.

Sie brauchen also eine Freundschaft, die klingt? die meinige gibt keinen Ton von sich, bey mir ist das Geld zur Colonialwaare geworden; wenn nicht dann und wann eine fremde Macht etwas bey mir deponirt, ich selbst habe nichts.

BARONINN.
Aber Sie wissen Geld aufzutreiben?
BLÜMLEIN.
Vielleicht gegen Pfand und ungeheuere Interessen –
BARONINN.
Ich borge nicht, ich verkaufe meinen Schmuck.
BLÜMLEIN.

Bleiben Sie bey diesem heroischen Entschluß. Diese Augen brauchen keine Brillanten um zu glänzen, und wenn daraus eine Thräne auf Ihren schönen Busen fällt, so übersieht man einen Hals voll Perlen.

BARONINN.

Bey diesem Landmenschen kommt alles auf einen glänzenden Empfang an, man muß ihn blenden, übertäuben; dann unterschreibt er den Ehecontract, wie ich ihn dietire. Die Freyer mit 500,000 fl. sind heut zu Tag sehr selten, man muß sie fest halten. Ja, ich hohle meinen Schmuck, ich bringe das Opfer – freylich mit schwerem Herzen, aber – Blümlein, ich bringe es. Ab.

[140]
BLÜMLEIN
allein.

Wer jetzt sein Glück gründen will, der mache nur Morgenbesuche bey galanten Damen. Seit 14 Tagen haben drey von meiner Bekanntschaft fallirt, die vierte liegt eben in den letzten Zügen. Ich habe mich bey diesen Sterbefällen sehr gut befunden, denn es mochten noch so viele Kinder und liebe Angehörige da seyn, ich allein wurde zum Universalerben gemacht.


Die Baroninn, Blümlein.
BARONINN
kommt langsam mit ihrem Schmuck aus dem Zimmer.
Es ist doch ein sehr schwerer Schritt.
BLÜMLEIN.
Darum thun ihn auch nur große, erhabene Seelen, keine gemeinen Weiber.
BARONINN.

Wohlan denn – besehen Sie ihn, sagen Sie mir, was er werth ist – was er mir werth ist, weiß nur ich zu schätzen.

BLÜMLEIN
sucht Augengläser.

Muß Hülfe suchen.Besieht ihn, zählt und berechnet. Hm, hm, auf Kopf und Hals macht das Zeug mehr Wind, hielt ihn für kostbarer. Ja freylich – Ihre Augen haben nachgeholfen.

BARONINN.
Schmeichler –
BLÜMLEIN.

Die Steine sind matt – ja – der Theedampf, der Dunst der Lichter haben viel mitgemacht. Nu – etwas ist er immer noch werth.

BARONINN.
Aber Kenner sagten doch –
BLÜMLEIN.

Er sey unschätzbar? – ja, was sagen die Kenner nicht, aber die Käufer führen eine ganz andre Sprache. Flache Steine – wenig Fleisch – wenig Schliff, schlechte Waare.

BARONINN.
Aber er wird denn doch –
[141]
BLÜMLEIN.

Etwas werth seyn? freylich, freylich – ich glaube, man könnte immer noch vier bis fünf tausend Gulden dafür kriegen.

BARONINN.
Das ist vor der Hand genug.
BLÜMLEIN.
Wenn sich nähmlich ein Liebhaber findet, denn ich selbst habe kein Geld.
BARONINN.
Aber Sie kennen doch Leute –
BLÜMLEIN.

Die Geld haben? freylich – aber das sind Juden; wenn die sehen, daß man nicht warten kann, in der Noth ist –

BARONINN.
So drücken sie dem Verkäufer die Waare ab?
BLÜMLEIN.

Ziehen den Leuten die Haut über die Ohren. Ich kenne solche gewissenlose Seelen. Besonders mit Damen-Verlegenheiten will kein Mensch Erbarmen haben. Aber, lassen Sie mich nur machen; es gibt doch noch hier und da eine christliche Seele, die den Feyertag heiligt, und dann und wann eine Predigt hört, an eine solche wende ich mich, Vertraut. und daß Sie binnen 8 Tagen einen andern Schmuck haben, dafür lassen Sie nur mich sorgen. Ich bearbeite den Bräutigam. Das Kartoffelfeld soll unter meiner Anleitung Ananas tragen. Man gibt ihm zu verstehen, daß es hier so Sitte ist, die Braut bekommt den Mann, die Brautmutter den Schmuck.

BARONINN.
Ach die Bauernseele wird keiner noblen Handlung fähig seyn.
BLÜMLEIN.

Der Bauer soll uns seinen Adelsbrief bezahlen, nicht nur Herr von, Graf könnte er dafür werden, was ihm der Schmuck kosten soll.Macht das Kästchen zu. Jetzt kommt ihr funkelnden Sterne, begleitet mich in die Nacht des Lebens; wo ihr schimmert, wird es hell. Was [142] sind die großen Himmelslichter gegen euren Glanz? sie erleuchten zwar die Welt – aber euer Strahl dringt in die Herzen. Dieselbe Hand, die einen Beutel mit Gold verächtlich von sich stößt, hält alle fünf Finger hin, wenn man ihr einen Brillantring höflich anschiebt. Auf Dosen und Armbändern, Uhren und Diademen beschleicht ihr das Gewissen. Krieg und Friede wird durch euch angefangen und beendet, und wenn man eine Verbindung als unauflöslich schildern will, so sagt man, sie sind mit Demantketten gefesselt. Einen stärkern Ausdruck hat die Sprache nicht, und mit solchen Ketten bin ich an Sie, meine Gnädige, geschmiedet. – Ewig Ihr für Sie lebend und sterbender gehorsamster Diener.Schnell ab.

BARONINN.

Da geht er hin, und nimmt meinen Stolz mein Glück mit sich. Was bleibt mir jetzt anders übrig, als gleich jener Römerinn auf meine Kinder zu deuten, wenn man nach meinem Schmuck fragt. Sieht sich um. Ah – da kommen meine Brillanten.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Nina, Emy, Baroninn.

NINA UND EMY.
Guten Morgen, liebe Mutter!Küssen ihr die Hand.
BARONINN.
Mutter, Mutter! Bauernmädchen, Mama bin ich, chère Mama.
NINA UND EMY
verneigen sich.
Bon jour ma chère Mama.
BARONINN.
Und in Gesellschaft gnädige Mama, das ist nobel.
[143]
NINA.
Aber nicht herzlich.
BARONINN.

Das Herz muß nicht immer darein reden, das wird in der großen Welt so oft zum Schweigen gebracht, bis es am Ende gar nichts mehr sagt. Aber freylich – ich darf euch gute Lehren geben, wie ich will, eine Stunde bey eurer Stiefschwester, und das Feld ist wieder voll Unkraut. Meine schönsten Gartenblumen müssen ihrem demüthigen Veilchen und langweiligen Vergißmeinnicht weichen, doch – das hat nun bald ein Ende. Eine von euch ist Braut.

BEYDE
erschrocken.
Braut?
BARONINN.
Nun, was gibt's dabey zu erschrecken?
EMY.
Ich weiß nicht, aber das Wort ist mir gerade ins Herz gefahren.
BARONINN.
Da gehört es auch vor der Hand hin.
NINA.
Wie kann man denn so auf einmahl Braut werden?
EMY.
Wir kennen ja keinen Bräutigam.
BARONINN.
Den sollt ihr noch heut kennen lernen.
NINA.
Geschieht das sonst nicht vorher?
BARONINN.
Bey gemeinen Leuten, ja; Vornehme berechnen erst alle Vortheile, dann lieben sie sich.
NINA.
Ach Mama!
BARONINN
schnell.
Was?
NINA.
Mein Herz hat schon wieder reden wollen.
BARONINN.
Was ist ihm denn Vernünftiges eingefallen?
NINA.

Es meint, wenn man einen Mann für das ganze lange Leben heirathet, müsse man ihn doch erst näher kennen.

BARONINN.

Wozu das? wenn man den Bräutigam auch [144] Jahre lang kennt, als Ehemann zieht er doch einen ganz andern Rock an, das Hochzeitskleid wird in den Kasten gehängt, und höchstens an Geburts - und Nahmenstagen wieder einmahl angezogen.

EMY.
Mit wem haben Sie denn berechnet, daß ihn eine von uns lieben soll?
BARONINN.
Mit – ihr erinnert euch wohl noch des alten Onkels?
NINA.
Ei freylich!
EMY.
Ich sehe ihn noch vor mir.
NINA.
Ein großer stattlicher Mann.
EMY.
Und dabey so freundlich.
NINA.
So gut.
BARONINN.

Der Bräutigam ist Herr Waldberg, ein junger Mensch, den der gute Onkel an Kindes Statt angenommen; er kommt noch heute.

NINA.
Und der Onkel mit ihm?
BARONINN.
Nein.
EMY.
Ich möchte den guten alten Mann wohl wieder sehen.
NINA.
Ich auch.
EMY.

Ob er wohl noch daran denkt, wie ich oft mit seinen grauen Locken spielte, wenn er mich auf dem Schooße hielt.

NINA.
Und wie ich ihm Wiesenblumen brachte.
EMY.
Die er sehr liebte.
NINA.
Weil sie einfach wären, sagte er.
EMY.
Wir sollten auch so bleiben.
NINA.
Er gab uns gute Lehren.
EMY.
Ich weiß noch alles, alles.
[145]
NINA.
Ich auch.
BEYDE.
Ach, könnten wir ihn denn nicht wieder sehen?
BARONINN.
Nein!
NINA.
Warum nicht?
EMY.
Es ist ja nicht so weit.
BARONINN.

O ja wohl, sehr weit – kurz, ihr werdet den Onkel nicht wieder sehen, er war schon damahls alt, und jetzt – ist er todt.

BEYDE
sehr erschüttert.
Ach du lieber Gott!
NINA
nach einer Pause.
Todt? ganz todt?
BARONINN.
Schon seit vier Wochen.
EMY
nach einer Pause mit Thränen.
Es war ein guter alter Mann –
NINA
auch so.
Wenn er im Dorf umher ging, rief alles, da geht unser Vater.
EMY.
Er war auch allen Vater.
NINA.
Der liebe gute Oheim!
EMY
leise zu Nina.
Wir bethen heute Nacht für ihn.
BARONINN.

Seyd vernünftig Kinder, er war schon alt, konnte nicht ewig leben. Und im Grunde hat er es gar nicht um euch verdient, denn er hat euch von seinem großen schönen Vermögen nicht einen Kreutzer vermacht.

NINA.
Das hat er gewiß den armen Leuten gegeben.
EMY.
Ja gewiß, denn er war sehr gut.
NINA.
Die brauchen es auch weit nöthiger als wir.
EMY.
Recht Nina – wir haben ja alles.
BEYDE.
Das hat der Onkel recht klug gemacht.
BARONINN.

Schweigt – das hat er dumm gemacht. Doch, jetzt hört auf zu weinen, das verdirbt denTeint, und [146] heute müßt ihr helle Augen haben. Nehmt euch zusammen, er will unter euch beyden wählen; euer Onkel hat ihn zum Erben aller Güter und Herrschaften gemacht, die muß man jetzt durch ihn an sich zu bringen suchen. Gott mag es dem alten Mann verzeihen, daß er mir es so erschwert zu dem Meinigen zu kommen, aber – es ist nun einmahl so. Läutet.


Bedienter tritt ein.

Madam Vernon soll kommen. Bedienter ab. Die wird nun freylich allerley einzuwenden haben, der kann ich nichts recht machen. Madam haßt mich nun einmahl.

NINA
schnell.
O nein, gewiß nicht.
EMY.
Die gute Schwester!
NINA.
Sie liebt alle Menschen, und sollte ihre Mutter hassen?
EMY.
Nein, gewiß nicht.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Marie, die Vorigen. Marie ist häuslich gekleidet, kommt bescheiden näher, und will der Baroninn die Hand küssen.

BARONINN.

O – lassen Sie das. Was haben Sie da für eine dumme Haube auf? ohne Band, ohne Spitzen, ich kann das Armthun nicht leiden.

MARIE.
Niemand bemerkt mich.
BARONINN.

Doch Ihren Anzug. Zu den Mädchen. Warum laßt ihr sie denn so dürftig daher gehen? das wirft ein schlechtes Licht auf uns!

[147]
EMY.
Ach die gute Marie will ja nicht tragen, was wir ihr geben.
BARONINN.

Stolz, dummer Stolz. O Madam, Sie geben es mit Ihren dürftigen Kleidern und sentimentalen Hauben sehr hoch; Sie wollen mich anklagen, die Leute sollen glauben, ich ließe es Ihnen an allem fehlen.

MARIE.
An Kleidern gewiß nicht.
BARONINN.
An was denn?
MARIE.
An – Besinnt sich. an nichts.
BARONINN.

Da schwimmt das Auge schon wieder in Thränen. – O Sie wasserziehende Sonne! – doch – ich habe jetzt nicht Zeit Ihre Thränengüsse abzuwarten, auch will ich mich heute nicht ärgern. Sie besorgen für den Abend ein glänzendes Soupé.

MARIE.
Die gewöhnliche Gesellschaft?
BARONINN.

Muß heute ungewöhnlich bewirthet werden. Daß Sie mir nicht wie neulich mit den Lichtern sparen, Tageshelle soll sich in den Gemächern verbreiten, auch besorgen Sie Blumen.

MARIE.
Die sind jetzt –
BARONINN.

Theuer? diese Einwendung kenne ich schon. Aber ich will, daß heute meine Zimmer wie Gärten duften sollen; sogar durch die Nase will ich Neid und Bewunderung erregen, allen Sinnen flattiren –

MARIE.
Aber – das Geld –
BARONINN.
Das wird sich finden – jetzt können Sie gehen.
MARIE
will ab.
NINA.
Marie – bleib noch.
EMY
schmeichelnd zur Baroninn.
Seyn Sie heute freundlich mit unsrer guten Schwester.
[148]
NINA
fällt Marie um den Hals.
Liebe gute Marie, ich wünsche dir Glück.
EMY
eben so.
Auch ich, Marie, von ganzem Herzen!
NINA.
Du weißt, wir lieben dich, bleib uns gut!
EMY.
Habe Geduld mit uns wie bisher!
MARIE.
Gute Kinder! Küßt sie.
BARONINN.
Was gibt es denn da?
EMY.
Heute ist ihr Geburtstag!
BARONINN.
So? ich gratulire. Ab.

Die Vorigen, ohne die Baroninn.
NINA.
O meine gute Schwester, Mama war wieder recht hart mit dir.
EMY.
Mich soll sie ausschelten, ich verdiene es so oft –
NINA.
Es thut uns so weh, wenn sie dich wie eine Magd behandelt.
EMY.
Und heute, an diesem Tag –
MARIE.

Tröstet euch, gute Kinder! dieser Tag, der mir das Leben gab, war nie ein Tag der Freude für mich, denn er raubte mir die Mutter.

EMY.

Darum sollte unsre Mutter auch deine Mutter seyn. Sind wir denn Schwestern, wenn sie nicht deine Mutter ist?

MARIE
umarmt sie.

Wir sind Schwestern, wir hatten einen Vater, jede von uns trägt sein Herz im Busen, jede liebt mich, wie er, möchte, wie er, Gram und Sorge von mir entfernen, die Mutter mit mir versöhnen, Freude und Fröhlichkeit um mich verbreiten. Ach – eure [149] Schuld ist es nicht, wenn ich nicht glücklich bin, so wie es meines guten Vaters Schuld nicht war.

NINA.

Du willst nicht, daß ich böse werde, wenn Mama so mit dir spricht. Du sagst, gute Kinder dürfen ihre Ältern nicht richten; aber dürfen Ältern ein gutes Kind hassen, und Kinder lieben, die lange nicht so gut sind, wie du? Ja Marie, wir sind nicht so gut, wir ertrügen nicht mit dieser Geduld die Kränkungen aller Art, die sie dir täglich zubereitet.

EMY.

Mir ist oft, als sollte ich dich zur Mutter führen, und sie kniend bitten, dich zu lieben, dich, die alles liebt.

MARIE.

O meine guten Schwestern, was ertrüge ich nicht, um bey euch zu bleiben, jeden schädlichen Eindruck, des geräuschvollen Lebens dadurch zu schwächen, daß ich den Flitter wegreiße, und euch das wahre Glück des Lebens in stillen Hausfreuden ahnen lasse, daß ich euch zu nützlichen Hausfrauen, zu guten Gattinnen und Müttern bilde. Werdet das Beyde, und jede Thräne, die mir eurer Mutter Härte auspreßte, ist dann reich belohnt.

NINA.
Apropos – von Hausfrauen.
EMY.
Und von Hausmüttern.
NINA.
Eine von uns ist Braut.
MARIE.
Wie? Braut?
NINA.
Mama will es so haben.
MARIE.
Welche?
EMY.
Das wissen wir noch nicht; der Herr darf nehmen, welche er will.
NINA.
Ach, wir haben dir so viel zu sagen.
[150]
EMY.
Der Onkel ist gestorben.
NINA.
Du hast ihn nicht gekannt, du warst schon verheirathet, als wir ihn mit Mama besuchten.
EMY.
Es war ein guter Mann.
NINA.

Mama will nicht, daß wir um ihn weinen, aber wenn wir einmahl recht lange allein sind, erzähle ich dir von ihm, und da weinen wir und bethen für ihn.

EMY.

Gehen wir auf dein Zimmer, Mama möchte zurück kommen, und trifft sie dich noch hier, so schilt sie wieder, und heute soll dir niemand wehe thun, heute wollen wir dir recht viele Freude machen.

NINA.
Ich habe ein Angebinde.
EMY.
Ich auch.
NINA.
Ein Kleid, ich habe es selbst gestickt, du mußt es tragen.
EMY.

Und ich habe hier gearbeitet, um nicht von dir überrascht zu werden. Nimmt aus einer Schublade eine Zeichnung. Erkennst du das? – du, sie – Deutet auf Nina. – und ich.

MARIE
erstaunt.
Mädchen, das hast du gemacht?
NINA.

Sie ganz allein. Der Meister sagt, es sey sehr gut, das Herz habe mit gezeichnet. Siehe, da liegt sie im Bette wie vor einem halben Jahr, als wir sie schon todt glaubten, du wirfst dich auf sie und erwärmst sie mit deinen Küssen. Ich stehe da in der Ecke, und weine, ja sonst konnte ich auch nichts als weinen, aber du hast geholfen. Deine Pflege, deine Liebe hat ihr das Leben gerettet, das sagen alle Leute, auch der Doctor. Seit sie nun gesund ist, arbeitet sie in der Stille daran, – da lies, was steht hier?

[151]
MARIE
gerührt, liest.

Der Retterinn meines Lebens, von ihrer dankbaren Schwester Emy. Drückt beyde mit Ungestüm an sich, und sagt mit gerührter Freude. Was mir auch das Schicksal genommen, solche Schwestern gab es mir, solche Herzen hängen an mir – ich bin nicht unglücklich!


Ende des ersten Acks.

[152]

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Baroninn, Babette.

BARONINN
völlig angekleidet.
Babette, wie findest du mich heute?
BABETTE.
Sehr gefährlich, gnädige Frau.
BARONINN
seufzt.
Ohne Schmuck.
BABETTE.

Schmuck ersetzen Reitze, das haben Euer Gnaden nicht nöthig. Dieses Federdiadem imponirt, Sie könnten damit eine Welt beherrschen.

BARONINN.

Ach – ein Schmuckdiadem sagte mehr. Wie oft hab' ich mit dem blinkenden Gestein die Augen des gaffenden Parterrs auf mich gezogen. Die Leute mochten auf dem Theater brüllen, wie sie wollten, die Ohren standen ihnen offen, aber aller Augen hingen an mir. Wenn man dann noch zur rechten Zeit jemand grüßt, und mit dem Kopf nickt, daß alle Lichter im Schauspielhaus auf diesen einzigen Brennpunct hinwirken – dann – ach eine Dame ohne Schmuck ist ein trauriges Geschöpf.

BABETTE.
Wenigstens kein glänzendes.
[153]
BARONINN.
Hier sind die Karten – lass' sie austragen, es wird spät.
BABETTE
besteht sie.
Viele neue Nahmen. Die Baroninn Giesbach war schon über ein Jahr nicht bey uns.
BARONINN.

Sie hat drey Töchter, von denen die jüngste 28 Jahr zählt, und noch hat sich kein Freyer gemeldet; du begreifst, daß das Glück meiner Töchter, die noch wahre Kinder sind, sie piquiren wird.

BABETTE.
Begreife. Frau von Sommer.
BARONINN.

Ihr Mann ward übergangen. Der dumme Baron Dürrer erhielt die Stelle, die ihm gehörte; sie ist jetzt das Gespräch der ganzen Stadt, und man muß in allen guten Gesellschaften jemand haben, der das öffentliche Mitleid erregt, das gibt Stoff zu tuschanten Gesprächen.

BABETTE.
Darum? Herr und Frau von Dorn.
BARONINN.

Die kleiden sich gut, und sind daher in einer Gesellschaft das, was die Gypsfiguren auf Kamin und Ofen sind, sie putzen auf. Seit einigen Wochen befiel sie auch die Sucht zu declamiren, man läßt sie aber nur selten zu Worte kommen.

BABETTE.
Fräulein Grinsberg.
BARONINN.
Die setzt man an's Clavier.
BABETTE.
Spielt sie gut?
BARONINN.

O ja, aber kein Mensch gibt darauf Acht. Man hat daher jetzt Claviere mit türkischer Musik erfunden, die sich durch das Gespräch durchschreyt; aber die Menschenstimmen behalten doch die Oberhand.

BABETTE.
Frau von Lichtberg.
BARONINN.

Ein lebendiges Zeitungsblatt. Was von dem [154] Keller bis unter das Dach in den Häusern vorgeht, alles weiß sie. Sie ist die Vertraute von allen, und vertraut wieder, was man ihr vertraut.

2. Auftritt
Zweyter Auftritt
Bedienter, die Vorigen.

BEDIENTER.
Advocat Wolf mit zwey –
BARONINN.
Nur herein. Sag' ich nicht immer, solche Leute soll man nicht warten lassen?
BEDIENTER.
Es sind aber zwey Fremde mit ihm.
BARONINN.
Fremde? Unglücklicher! es sind Freunde, Verwandte.
BEDIENTER.
Es wurden seither so viele Leute abgewiesen.
BARONINN.

Die Geld wollen – das war recht, das merk' er sich auch für die Zukunft, die Leute geniren mich immer, aber diese bringen.

BEDIENTER.
Wer kann das den Leuten am Gesicht ansehen? Ab.
BARONINN.

Dummes Volk! die Gräfinn Raspel hat einen Bedienten, der kennt die Menschen besser. Der sicht ihnen durch die Augen in die Tasche, und zählt auch wohl die Ducaten, die in der Börse sind.

BABETTE.
Ist das möglich!
BARONINN.

Warum nicht, da man den Leuten durch die Augen in das Herz sieht, welches doch viel besser verwahrt ist. Und selten tragen die Leute von der Güte ihres Herzens so viel im Gesicht, als eine volle Börse ihren wohlthätigen Schimmer über die ganze glückliche Gestalt verbreitet, die sie besitzt. Jetzt gehe, meine Töchter sollen [155] auf den ersten Wink erscheinen. Vertraut. Höre – sollten die guten Kinder etwas blaß aussehen, so rede ihnen zu, ein schwaches Roth aufzulegen, aber daß es Madam Vernon nicht sieht, die macht ihnen sonst weis, man fährt aus der Schminkdose in die Hölle.

BABETTE.

Ich will ihnen sagen, daß es der Himmel auf Erden so mit sich bringt, daß alle Engelchen rothe Backen haben müßten. Ab.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Wolf, Waldberg, Grünau, Baroninn.

WOLF.

Ich habe die Ehre und das Vergnügen, Euer Gnaden Herrn Waldberg, einzigen Erben eines Ihnen theuern Anverwandten zu präsentiren. Ich sage, das Vergnügen, und es ist hier nicht bloße Redensart, denn es macht mir wirklich Freude neben einem solchen Ehrenmann zu stehen.

BARONINN.

Ach – wie erneuert Ihr Anblick den Schmerz über den Verlust meines theuren Schwagers! Erst heute erhielt ich diese schreckliche Nachricht, sie hat mich fast zu Boden gedrückt.

WOLF.
Davon war ich Zeuge.
BARONINN.

Doch, es ist das Loos der Menschen, wir müssen uns darein finden. Seyn Sie mir von Herzen willkommen! Sie bringen uns allen seinen Segen.

WOLF
für sich.
Sein Geld.
BARONINN.
Sie haben alles geerbt? sein gan zes Vermögen?
[156]
WALDBERG.

Ich verlor mehr an ihm, als mir seine Erbschaft ersetzen kann; er war mir Vater, ich danke ihm Kenntnisse, die sich Lebensunterhalt erwerben können, das ist das schönste Erbtheil, dafür segne ich ihn.

BARONINN.
Rührend, recht rührend, aber das Geld ist denn doch –
WALDBERG.
Nur Geld.
BARONINN.
Freylich, freylich – aber – wer ist denn das?
WALDBERG.
Mein Freund Grünau.
BARONINN.
Der Nahme und auch die Züge sind mir bekannt. Sind Sie nicht –
GRÜNAU
der noch immer an der Thür steht.
Der Sohn des alten Grünau? zu dienen.
BARONINN.
Der mich einmahl im Pirutsch zu seinem Vater führte?
GRÜNAU.
Ganz Warrecht, nachthausen auf unser Gut.
BARONINN.
Der mich beym Pfarrhof umwarf?
GRÜNAU.

Ganz recht. Ich bleibe darum auch so nahe an der Thüre, um gleich bey der Hand zu seyn, wenn Sie mich dafür hinaus werfen wollen.

BARONINN.
Seyn Sie mir tausend Mahl willkommen!
GRÜNAU.

Wirklich? darf ich näher kommen?Kommt vor. Es war auch eigentlich nicht meine Schuld. An dem Eckstein hatte schon mein Vater umgeworfen, als er meine Mutter zur Trauung führte. Jedermann prophezeyte daraus der Ehe viel Unglück, aber das einzige Unglück, was daraus entstand, war – ich.

BARONINN.
Erinnern Sie sich noch meiner Töchter?
GRÜNAU.
Die kleine Nina? und die etwas größere Emy? was sollte ich nicht? ich habe sie ja mit umgeworfen.
[157]
WOLF
lacht.

Haben sich also der ganzen Familie unvergeßlich gemacht. Müssen langsam fahren, sind noch jung, können noch oft umwerfen.

GRÜNAU.

Die eine schrie ganz fürchterlich: Mama, Emy ist todt! den Teufel auch, dachte ich, ist meine Mutter an dem Bißchen Umwerfen doch auch nicht gestorben. Ich nahm das kleine Wesen, das am Kopf blutete, auf den Arm, trug es auf meiner Mutter Bett, die wusch ihr den Kopf mit Wein, und mir wusch der Vater den Kopf mit ein Paar tüchtigen Ohrfeigen. Spitzbube schrie er, wirf bald wieder um!

WOLF.
Die Cur war stark.
GRÜNAU.

Darum hat sie auch geholfen. Sie glauben nicht, mit welcher Ehrfurcht ich jetzt um alle Ecksteine fahre.

WOLF.

Ja, das Ausweichen kann man der Jugend nicht nachdrücklich genug einprägen; das Leben hat gar viele Ecksteine, darum eile mit Weile.

BARONINN
läutet, ein Bedienter kommt.
Die Fräuleins. Bedienter ab. Zu Wolf. So viel ich mich erinnere, ist sein Vater reich.
WOLF.
Sehr reich.
BARONINN.
Ei, da ließe sich ja vielleicht –
WOLF.

Der zweyte Bräutigam finden? – Eine gute Mutter sieht erst in das Herz des Mannes, dem sie ihr Kind vertraut, dann in den Geldkasten.

BARONINN.

Aber die Seele darf dem Manne doch auch nicht fehlen, und die ist heut zu Tage Geld, ohne das regt und bewegt sich nichts.

[158]
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Die Vorigen, Emy, Nina.
Beyde mit Geschmack gekleidet, sie gehen auf die Mutter zu, küssen ihr die Hand, dann verneigen sie sich gegen die Herren.

WOLF
zu Waldberg.
Was sagen Sie zu meinen Pupillen?
WALDBERG.
Daß sie sehr liebenswürdig sind.
GRÜNAU
zu ihm.
Schöne Kinder!
NINA.
O siehe da, unser lieber Herr Vormund! Will auf ihn zu.
WOLF.

Stille Kind, hübsch in Parade stehen geblieben. Erst muß man den Fremden präsentirt werden, mit ihnen von Wind und Wetter sprechen; wir alte Bekannte werden uns dann schon finden.

BARONINN.
Kinder, das ist Herr Waldberg.
EMY UND NINA
verneigen sich.
BARONINN.
Und das hier, seht ihn recht an, ihr solltet ihn kennen.
EMY UND NINA
verneigen sich erst, dann sehen sie ihn an.
BARONINN.
Nun?
EMY UND NINA
deuten der Mutter, daß sie ihn nicht kennen.
GRÜNAU.
Kenne ich sie doch auch nicht. In acht Jahren so verändert!
NINA
zu Emy.
Kennst du ihn?
EMY.
Ich habe eine dunkle Idee.
GRÜNAU.

Was wette ich, Sie kennen mich an dem dummen Streich, den ich machte. Sind Sie – niemahls umgeworfen worden?

[159]
NINA.
O ja.
EMY.
Als wir bey dem Onkel waren.
NINA.
Der ungeschickte Kutscher fuhr an einen Eckstein.
EMY.
Patsch – da lagen wir.
GRÜNAU.
Welch' ein kostbares Gedächtniß!
EMY.
Waren Sie dabey?
GRÜNAU.
Ich hatte für den Tag die Rolle des ungeschickten Kutschers übernommen.
NINA.
Ah, jetzt kenne ich Sie.
EMY.
Ich auch.
GRÜNAU.

Wer sich verewigen will, der mache nur dumme Streiche; die gescheuten tödtet die Zeit, die dummen leben ewig.

EMY.
Sie sind der lustige Fritz.
GRÜNAU.
Lustig bin ich noch, aber aus dem Fritz ist ein tüchtiger Friedrich geworden.
BARONINN
sehr freundlich.
Sie sind wohl nach der Stadt gekommen, sich eine Frau zu suchen.
GRÜNAU.

Schlechterdings nicht. Sehen Sie, das ist der einzige Punct, in dem ich meinem alten Vater nicht zu Willen lebe, denn, ginge es nach seinem Sinn, ich wäre schon Großpapa, so bin ich aber, wie Sie mich hier sehen, ein Ehestandsfeind.

BARONINN.
Ein Ehestandsfeind?
GRÜNAU.
So nennt mich unsre ganze Gegend.
WALDBERG.
Ich kann es bezeugen.
BARONINN.
Mit dieser frohen Laune?
GRÜNAU.
Die möchte ich gerne erhalten.
NINA.
Sie hassen die Weiber?
GRÜNAU.
Gott behüte, nur den Ehestand.
[160]
BARONINN.
Aber wie kommt das?
GRÜNAU.

Das will ich Ihnen gleich sagen. In unsrer Nachbarschaft ist viel Segen Gottes, die Felder stehen vortrefflich, der Weinstock biegt sich unter seiner Fülle, die Wiesen sind voll Kräuter und Blumen, aber mehr noch als Wiesenblumen zählen wir heirathslustige Mädchen. Hübsche Kinder, es ist gerade, als ob sich der Himmel aufgethan, und seinen Überfluß an Engelchens dort deponirt hätte. Diese sind denn recht lieblich anzusehen, lachen und sind guter Dinge. Aber wenn man mit lacht, so schreyt die Mama heirathen, der Papa ruft heirathen, Onkels, Tanten und die ganze Mädchenschar schreyt heirathen. Da nun bey so vielen schönen Kindern die Wahl äußerst schwer war, so nahm ich bis jetzt – keine.

WOLF
lacht.
Den wilden Rosen sind Sie aus dem Wege gegangen, aber hier blühen Centofolien.
GRÜNAU.
Werden auch mehr Dornen haben.
WOLF.

Um so leichter bleibt man hängen. Da Sie sich also als offenbarer Ehestandsfeind declarirt, so werden Sie hiermit gänzlich auf die Seite geschoben, und mein Ehestandscandidat tritt hervor. Das ist euer Mann, Kinder, an den haltet euch. Zur Baroninn. Ich dächte, wir ließen die jungen Leute allein, noch will sich nichts schicken und fügen. Wenn die Gravität abtritt, schlüpft der Frohsinn aus allen Winkeln hervor. Ich bin gänzlich überflüssig, Väter und Vormünder werden heut zu Tag ohnehin um nichts gefragt, und den Advocaten braucht man erst, wenn alles richtig ist. Darum will ich mich empfehlen.

[161]
BARONINN.
Ich erwarte Sie heute Abend beym Soupé.
WOLF.
Mich? – muß um Verzeihung bitten, kann nicht aufwarten.
BARONINN.
Warum nicht?
WOLF.
Meine Suppe steht um neun Uhr auf dem Tisch, und um zehn Uhr liegt der ganze Mensch zu Bette.
BARONINN.
Heute müssen Sie eine Ausnahme machen, die Gesellschaft wird glänzend seyn.
WOLF.

Eben darum muß ich zu Hause bleiben. Wenn sich ein Wolf in einem so eleganten Damenzirkel einschleicht, schreyen gleich alle, ein reißendes Thier! und die Herren machen Jagd auf ihn. Die heutige Jugend, die so klug geboren wird, als wir Alten sterben, weiß an so einem Alterthum, wie ich bin, gar vieles auszusetzen. Wenn ich auch meinen besten Rock anzöge, und meine Perrücke frisch pudern ließ, für die kurzsichtigen Vieraugenritter blieb ich doch immer eine anstößige Figur. Der Wolf wird also in seiner Höhle verbleiben Geht, begegnet Blümlein an der Thüre, führt ihn vor. Dieser Luchs wird doch eingeladen?

BARONINN.
Versteht sich.
WOLF.
Nun, dann haben Sie reißende Thiere genug.Ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Die Vorigen, Blümlein.

BLÜMLEIN
brummt.

Luchs – Luchs! Der Mensch ist ein Animal, und hat auch immer seines Gleichen im Munde.[162] – Meine schönen Damen, meine Herrn, Ihr gehorsamer Diener!

BARONINN
ihn vorstellend.
Rath Blümlein, ein Hausfreund. Auf Waldberg deutend. Und dieß ist –
BLÜMLEIN.
Herr Waldberg, der glückliche Erbe des Baron Wendheim? Seyn Sie mir von Herzen willkommen!
WALDBERG.
Mein Herr –
BLÜMLEIN.

Wir müssen Freunde werden. Diese Dame hat mir so viel Gutes von Ihnen gesagt, ich weiß so viel von Ihren guten Eigenschaften, daß ich Sie schon mit Stolz unter meine besten Freunde zähle.

WALDBERG.
Ich weiß nicht, wie ich –
BLÜMLEIN.
Ja der alte Wendheim, das war ein Mann!
WALDBERG
schnell.
Sie haben ihn gekannt?
BLÜMLEIN.

Nur dem Nahmen nach. Aber seine Verdienste kennt man am Nord- und Südpol, so ein Mann kommt so bald nicht wieder. – Nun, Friede seiner Asche!

WALDBERG.
Friede!
BARONINN
leise zu Blümlein.
Bringen Sie Geld?
BLÜMLEIN
leise.
Tausend Gulden bar Geld, für das Übrige bekommen Sie Waare.
BARONINN.
Was für Waare?
BLÜMLEIN.
Sie haben die Wahl zwischen einigen Kisten Leder oder Seife.
BARONINN.
Sind Sie toll? was thue ich mit der Seife?
BLÜMLEIN.
Waschen Freundinn, waschen –
BARONINN.

Unausstehlich – kommen Sie auf mein Zimmer. Laut und freundlich. Die guten Kinder sind noch etwas schüchtern; Folgen einer sentimentalen Erziehung. Ich habe aus Mitleid eine Person ins Haus genommen, eine [163] wahre Trauerweide, die mir die Kinder ganz verdirbt. Haben Sie Geduld mit den lieben Kleinen. Zu den Mädchen. Nehmt euch zusammen, beyde haben viel Geld, und brauchen eine Frau, die es ausgibt; seyd nicht blöde, sprecht viel, wenn auch nicht alles verdient gedruckt zu werden, die Männer können die gescheiden Weiber ohnehin nicht leiden – Emy, steh doch gerade! Richtet sie. Nina, den Mund nicht so verzogen! Wie ich mich über euch ärgern muß! Laut. Die lieben Kinder, sie sind die Freude meines Lebens. Kommen Sie Blümlein. Ab.

BLÜMLEIN
der indessen die Bekanntschaft Grü nau's gemacht.

Wie gesagt, das alles können Sie von mir wissen und erfahren. Ich bitte Sie ohne mich keinen Fuß aus dem Haus zu setzen, ich zeige Ihnen alle Merkwürdigkeiten, die Münze, das Zeughaus, die Bibliothek, dort bin ich wie zu Hause, weiß, wo jeder Classiker steht.

WALDBERG.
Auch was er geschrieben?
BLÜMLEIN.

Nein, das weiß ich nicht. Man braucht jetzt nur den Nahmen der Leute zu wissen, die geschrieben haben, was sie geschrieben, ist ganz gleichgültig. Man sieht jetzt weislich nur auf das, was oben schwimmt, schöpft nicht mehr wie ehedem aus der Tiefe. Die einzig nöthige Lectüre, um einen Menschen zu bilden, sind jetzt – Zeitungen und kritische Journale; wer mit denen à jour bleibt, kann überall mit reden. Halten Sie sich nur an mich, ich bin der Schutzgeist aller Fremden, und Sie – nein, Sie sind mir nicht fremd, wir haben uns heute nicht zum ersten Mahle gesehen, wir kennen uns schon lange, wir haben uns geahnet, es ist mir, als ob wir mit einander aufgewachsen wären. Bis jetzt fühlte ich immer [164] eine gewisse Leere, es fehlte mir etwas; seit ich Sie beyde sah, habe ich alles, alles. Erlauben Sie! Umarmt Waldberg. Und Sie!Umarmt Grünau, wichtig. Ich sage nicht leicht zu jemand Freund, aber wenn ich es sage, Schüttelt beyden die Hand. so gilt es für die Ewigkeit. Adieu meine Freunde, Adieu! Ab.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Nina, Emy, Waldberg, Grünau.

GRÜNAU
zu Waldberg.
Du, der Freund gefällt mir nicht.
WALDBERG.
Mir auch nicht.
GRÜNAU.
Die Mama gefällt mir auch nicht.
WALDBERG.
Eine Dame nach der Welt.
GRÜNAU.

Ich glaube, das ist auch eine, die gleich schreyt: heirathen! Wenn das nicht wäre, möchte ich wohl mit den Mädchens bekannter werden, es sind wirklich liebe Kinder.

WALDBERG.
O ja. Reden heimlich fort.
EMY
zu Nina.
Du, die Herren sprachen von uns.
NINA.
Sie finden uns wohl recht albern.
EMY.
Ei für Herren, die vom Lande kommen, sind wir klug genug.
NINA.
Wir sollten wohl das Gespräch eröffnen.
EMY.
Freylich, fällt dir denn gar nichts ein?
NINA.

Unser Vormund sagte vorhin, mit den Fremden müsse man von Wind und Wetter reden. Wendet sich zu den Herren. Haben Sie auf Ihrer Reise gutes Wetter gehabt?

[165]
GRÜNAU
lacht.
O ja! Zu Waldberg. Ein ungewöhnlicher Eingang.
NINA
zu Emy.
Sie lachen, das war gewiß nicht klug.
EMY.
Mama thut die Frage an alle Fremde.
GRÜNAU.

Ich sehe schon, der Landjunker muß sich ins Mittel legen; die Stadtmanieren mögen ganz artig seyn, aber man kommt mit ihnen nicht vom Fleck. Das ist also mein Freund Waldberg; er ist gekommen, um – sagen Sie mir aufrichtig, wissen Sie schon, warum er gekommen ist?

NINA
schlägt die Augen nieder.
Ich –
EMY
auch so.
Wir, wir wissen –
GRÜNAU.

Alles, denn Sie werden roth, und das ist für Mädchen, die in der Stadt erzogen sind, ein gutes Zeichen; denn die Sittsamkeit fängt sogar schon an, auf dem Lande etwas selten zu werden. Ein Mädchen, das über einen Heirathsvorschlag roth wird, gleicht einer Aloe, die nur alle hundert Jahre blüht. Sie wissen also, daß hier ein Bräutigam steht; aber welche den Apfel bekommt, scheinen Sie noch nicht zu wissen, und mir scheint, daß Freund Paris selbst darüber in Verlegenheit ist.

NINA.
Seine Wahl muß auf Emy fallen.
EMY.
Nein, Nina, auf dich.
NINA.
Du bist vernünftiger.
EMY.
Du viel hübscher.
BEYDE.
Gewiß, er nimmt dich.
GRÜNAU
zu Waldberg.

Das sind demüthige Göttinnen. Die andern bothen alle Reitze auf, den Apfel zu [166] erhalten, diese verläugnen alle; ist dir so etwas schon vorgekommen?

WALDBERG.

Genug des Scherzes! Zu den Mädchen. Es war der Wunsch meines zweyten Vaters, mich mit einer Tochter seines Bruders zu verbinden. Ich erfülle ihn mit Freuden, wenn es mir gelingt, einer von Ihnen beyden eine Neigung einzuflößen, die sie bestimmt, mir aus reinem Antrieb, ohne dem Zureden einer geliebten Mutter, Ihre Hand zu reichen. Ich kann nicht glauben, daß mir bey Ihrer Jugend ein früherer Eindruck zuvor kam. Lassen Sie uns also wechselseitig prüfen, ohne allen Zwang.

NINA
schnell.
Ach ja – ohne Zwang.
WALDBERG.

Sollte Ihre Abneigung es mir unmöglich machen, den Wunsch des guten Mannes zu erfüllen, den wir alle lieben, sollte keine in mir den Mann finden, dem sie ihr Glück vertrauen möchte, so reise ich auf mein Gut zurück, und hoffe, in jeder von Ihnen beyden lebt mir dann eine Freundinn.

EMY.
Darf ich reden, wie ich denke?
WALDBERG.
Wie Sie denken.
EMY.
Wir sind zwar noch sehr jung, aber doch wissen wir –
NINA
schnell.
Daß man einen solchen Schritt nicht übereilen muß.
EMY.
Man bindet sich für das ganze Leben.
NINA.
Muß gemeinschaftlich jedes Ungemach tragen.
EMY.
Jede Sorge theilen.
NINA.
Eine Frau ist ihrem Manne Liebe schuldig.
EMY.
Treue Liebe bis in den Tod.
[167]
NINA.
Ja, selbst wenn der Mann sie nicht verdient.
EMY.
Die Frau darf nicht abweichen von dem Pfad der Pflicht.
NINA.
Wenn auch der Mann ihn verläßt.
EMY.
Sie muß um ihrer selbst willen handeln.
NINA.
Den Irrenden zurück rufen.
EMY.
Nicht durch Vorwürfe kränken.
NINA.
Und hört er sie nicht –
EMY.
So muß sie im stillen Bewußtseyn, in der Achtung der Welt Trost und Ruhe finden.
GRÜNAU
zu Waldberg.
Du – sind das die Kinder, mit denen wir so eben gesprochen?
WALDBERG.

Ich stehe erstaunt! Mit dieser Einfalt, bey dieser Erziehung so viele Kenntniß der weiblichen Pflichten!

GRÜNAU.

Mir ist, als ob ein Paar Pagoden auf meiner Mutter Kamin zu schwatzen anfingen, und die soliden Grundsätze der alten deutschen Hausfrauen in die Welt hinein schrien.

WALDBERG.
Sie sehen uns erstaunt.
NINA.
Worüber?
WALDBERG.

In dem Geräusch der großen Welt erzogen kennen Sie so ganz die schönen, aber auch schweren Pflichten ihres Geschlechts?

NINA.
Wir lebten nicht immer in dem Geräusch.
EMY.
Wir lieben es auch nicht.
NINA.
Wenn wir auch auf den glänzendsten Bällen sind, wir sehnen uns zurück in unser einsames Zimmer.
EMY.
Dort erwartet uns stille Herzlichkeit.
NINA.
Dort sind wir froh.
[168]
EMY.
Dort sind wir glücklich.
GRÜNAU
zu Waldberg.
Du, sieh mich einmahl an, bemerkst du nichts an mir?
WALDBERG.
Du bist erstaunt wie ich.
GRÜNAU.
Mir ist ganz wunderlich, ich bekomme Herzklopfen, ich glaube der Hagestolz fährt aus.
WALDBERG.
Sollten sie diese Grundsätze von der Mutter haben?
GRÜNAU.
Wenn das ist, dann ist sie eine respectable Frau.
WALDBERG
zu den Mädchen.

Ich freue mich, in Ihnen Gesinnungen zu finden, die den Mann glücklich machen müssen, dem Sie Ihre Hand reichen. Darf ich fragen, wer den Keim zu diesen stillen Freuden in Ihr Herz legte?

EMY.
Wer?
NINA.
Unsre beste Freundinn –
WALDBERG.
Ihre Mutter?
EMY.
Unsre zweyte Mutter, unsre liebe, gute –
NINA
zupft sie.
Du, die Mama! Stellen sich in Positur.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Die Vorigen, Baroninn, Rath Blümlein.

BARONINN.

Verzeihen Sie, daß ich Sie mit den Kindern so lange allein ließ; sie wissen sich freylich noch nicht recht zu benehmen, aber das wird sich finden.

WALDBERG.

Ich habe in den Fräuleins Gesinnungen wahrgenommen, die mir Hochachtung einflößen; ob ich mir Liebe erwerben kann, muß die Zeit entscheiden.

[169]
BARONINN.
Nur nicht zu lange besonnen.
BLÜMLEIN.

Recht, gnädige Frau! Heirathen muß man, wie man bittre Tropfen nimmt, besinnt man sich eine Weile, läßt man Medicin und Frau stehen.

WALDBERG.
Sind Sie verheirathet?
BLÜMLEIN.

War, war verheirathet, habe wie jeder andere meine Portion Wermuth verschluckt. Der liebe Gott sah, wie ich daran würgte, nahm die Engelsseele zu sich, und seit dem ich meine Freuden unter der Erde habe, ist es mit, als sey die Luft reiner, als schiene die Sonne heller. Kurz – ich bin ein anderer Mensch. Freylich wirst man mir oft durchdringende Blicke zu, da kommen denn die Stunden des Kampfes, aber ich denke dann an meine liebe Todte, und stehe gepanzert gegen Schuß und Stich.

BARONINN.
Sie haben Recht, man muß verschmähen, – was man nicht haben kann.
BLÜMLEIN.

Nicht haben? so ein Mensch wie ich? mit diesen Augen, dieser Stirne, dieser Nase, mit diesem ganzen Kopf? Wenn dann noch an jedem Finger Brillanten und Rauten flimmern, das ist eine herrliche Carmoisirung für einen Solitär, wie ich bin.

BARONINN.

Meine Herren, Sie verlassen mich nun den ganzen Tag nicht mehr. Jetzt machen wir eine kleine Spatzierfahrt – man zeigt sich dem Volke – dann habe ich Ihnen auf den Abend eine Gesellschaft geladen, die ihres Gleichen nicht haben soll. Kurz alles, was hier bemerkenswerth ist, lernen Sie heute bey mir kennen. Babett – Babette kömmt. Bring den Fräuleins ihre Shawls. Doch nein, sie können selbst darnach gehen. Leise zu den [170] Mädchen. Setzt Federhüte auf, der Wind geht stark, das macht sich gut.

NINA.
Aber Mama –
BARONINN.

Schweigt – ich will es so. Laut. Geht meine Kinder, thut, was ich euch sage, es ist gewiß zu eurem Besten.

NINA UND EMY
küssen der Mutter die Hand, und gehen fort.
BLÜMLEIN
zu Waldberg.
Das ist wahr, die Baroninn gibt ihren Kindern eine herrliche Erziehung.
GRÜNAU
zu Waldberg.
Ich mag die Frau betrachten, wie ich will, die hat ihre Jungen nicht zwitschern gelehrt.
WALDBERG.
Darf ich fragen, wem Sie die Erziehung Ihrer Kinder anvertraut?
BARONINN.

Einer sehr langweiligen Person, die mir in einer Stunde wieder verdirbt, was ich in acht Tagen gut mache. Die ich im Hause habe, weil – ich eine gute Närrinn bin.

BLÜMLEIN
zu den Herren.

O das ist ein Herz, meine Herren, das ist ein Herz! – was die Frau Gutes thut – ich weiß davon zu erzählen.

WALDBERG.
Und der Nahme jener Person?
BARONINN.
Madame Vernon – eine Unglückliche. Sie sollen die Geschichte ein anderes Mahl hören.
BABETTE
ist um den Shawl der Baroninn gegangen, kommt damit zurück.
BARONINN
zu Babett.
Wie seh ich aus, bin ich noch roth genug?
BABETTE.
Wie eine Rose.
[171]
BARONINN.
Ich habe mich über die Mädchen geärgert, ist das Gesicht dadurch verzerrt?
BABETTE.
Ein leichtes Lächeln glättet jede Falte.
BARONINN
lächelt.
Ist es so gut?
BABETTE.
Vortrefflich!
GRÜNAU
zu Waldberg.

Aus diesen Kindern und dieser Mutter kann ich nicht klug werden. Es ist mir, als sähe ich auf einer stachlichen Tanne Paradeisäpfel wachsen.

WALDBERG.
Geduld –
8. Auftritt
Achter Auftritt
Nina, Emy. Die Vorigen.

NINA UND EMY
zur Mutter.
Ist es so recht?
BARONINN.
Das sind ja hiesige Hüte, warum nehmt ihr nicht die Pariser?
EMY.
Die stehen uns besser.
BARONINN.

Besser? hiesige Hüte besser als Pariser? O ihr seyd nicht werth, daß ihr einen Kopf habt, Pariser Hüte aufzusetzen –

BABETTE
schnell und leise.
Die Falte, gnädige Frau!
BARONINN
freundlich.
Du hast Recht. Kommt meine lieben Kinder. Zu den Herren. Ist es Ihnen gefällig?
WALDBERG
gibt den Fräulein den Arm.
GRÜNAU
für sich.
Schön, mir läßt er die Mutter Wenn ich kutschire, die werfe ich wieder um.
BARONINN.
Blümlein, Sie folgen uns doch?
[172]
BLÜMLEIN
leise.

Kann nicht, alles weiß schon, daß heute Abend große Cour bey Ihnen ist, alles will glänzen, alles hat zu mir geschickt –

BARONINN
reißt sich von Grünau los, leise zu Blümlein.
Ewige Feindschaft, wenn Sie heute einen Stein leihen oder verkaufen.
BLÜMLEIN.
Aber ich muß denn doch –
BARONINN.
Ewige Feindschaft, Sie kennen mich.Zu den andern. Kommen Sie meine Herren. Alle ab außer Blümlein.
BLÜMLEIN.

Feindschaft? was schadet mir die Feindschaft einer Frau, die kein Geld hat? – So eine Frau darf gar nicht mehr mit reden, wer hört sie? wer achtet sie? Mit ihrem letzten Ducaten flog ihre Seele davon – sie ist todt, sie ist begraben. Schade um ihren Tisch, man hat gut bey ihr gegessen, und brillant getrunken – und so ein Kosthaus, wo immer gedeckt ist und nie bezahlt wird, das ist so meine Sache. Wo werde ich mich denn jetzt ansässig machen? Frau von Biehlen? Mein Gott, Essen genug, aber ohne Gout, und der Mensch will nicht allein essen, er will genie ßen. Bey der Baroninn Frisch? Nein, dort sind die Braten immer verbrannt, und die hat nach Tisch den Kaffeh abgebracht, an den bin ich gewöhnt, das geht nicht. Nun für heute bin ich versorgt. Heute wird hier der Kehraus getanzt, und für morgen – mögen meine vielen Kunden sorgen. Kurz ein Mensch, wie ich bin, der sich schmiegt, biegt, den Mantel nach allen zwey und dreyßig Winden dreht, verdirbt nie. Ein Finanzrath der Damen ist ein ehrenvolles [173] Amt, und einträglich; jedes Steinchen, welches von Kopf, Hals, und den allerliebsten kleinen runden Fingerchen fällt, verliert sich in meine Tasche. Schade nur, daß mir so viele ins Handwerk pfuschen und wie ich, die Kanzley mit der Trödelbude vertauschen – Nun – das Amt nährt seinen Mann.


Ende des zweyten Acts.

[174]

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Ein festlich erleuchteter Saal, durch die zwey Mittelthüren sieht man in anstoßende Zimmer, die ebenfalls mit Kronleuchtern beleuchtet sind. In der Mitte der Bühne das Sopha, zu benden Seiten Stühle, im Hintergrund Spieltische. Die Damen sitzen, die Herren gehen hinter den Stühlen herum. Zur Verzierung des Saals sind Blumentische angebracht.
Auf der Bühne sind: Die Baroninn, Nina, Emy, Waldberg, Grünau, Blümlein, Fr. von Lichtberg, Herr von Dorn, Frau von Dorn, Herr von Hacken, Herr von Traufbach, Fräulein Impfen, Fräulein Grinzberg, Räthinn Sommer, noch einige Herren, die abwechselnd an dem Gespräch Theil nehmen, dann im Hintergrund redend auf und abgehen. – Wenn die Musik aus ist, wird nach einer Pause, ehe noch aufgezogen wird, gesprochen.

FRAU VON LICHTBERG.
Ich sage, Sie irren.
FRÄULEIN GRINZBERG.
Ich sage nein.
FRÄULEIN IMPFEN.
Sie hatte drey Männer,
FRAU VON LICHTBERG.
Ich sage viere.
[175]
FRÄULEIN IMPFEN.
Ich habe sie recht gut gekannt.
FRAU VON LICHTBERG.
Ich auch.
FRÄULEIN IMPFEN.
Ich besser.
FRAU VON LICHTBERG.
O wenn ich reden wollte.
ALLE.
O wir bitten, reden Sie, reden Sie!

Hier wird aufgezogen, dann sagt Blümlein.
BLÜMLEIN.
Ja meine Vortressliche, reden Sie –
FRAU VON LICHTBERG.
Sie war eine Wirthstochter.
BLÜMLEIN.
Darum speiset man so gut bey ihr.
FRAU VON LICHTBERG.
Ihr erster Mann war Amtschreiber.
FRÄULEIN IMPFEN.
Um Vergebung! meine Mutter war bey der Hochzeit, er war Advocat.
FRAU VON LICHTBERG.

Der zweyte Officier, den habe ich gekannt. Nachdem sie beyde zu Tode disputirt, nahm sie den reichen Kornhändler.

FRÄULEIN GRINZBERG.
Darauf wurde das Brot kleiner.
FRÄULEIN IMPFEN.
Sie trug goldne Ähren auf dem Kopfe.
FRAU VON DORN.
Und als auch der ins Land der Ruhe ging, nahm sie den alten Baron.
FRAU VON DORN.
Jetzt gibt sie es hoch –
FRAU VON LICHTBERG.
Spricht von ihren Ahnen.
FRÄULEIN IMPFEN
lacht.
Die hängen wohl in der Schenke?
FRAU VON DORN.
Sie ist immer prächtig gekleidet, aber ohne allen Geschmack.
FRÄULEIN IMPFEN.
Und ohne Rücksicht auf ihr Alter.
BARONINN.
Nun sie kann so alt nicht seyn.
ALLE
schreyen.
Was? nicht alt?
[176]
RÄTHINN SOMMER
ist bey diesen Reden, die alle sagen, stille, sie sitzt auf dem Sopha neben der Baroninn.
Auch Waldberg und Grünau sind von dem, was alle sagen, ausgenommen.
BARONINN.
Ich halte sie für 35.
RÄTHINN SOMMER.
Und das hat sie kaum.
HERR VON HACKEN.
Kaum? um Vergebung, sie hat 45.
FRAU VON DORN.
Mehr, mehr.
FRÄULEIN IMPFEN.
48 und noch drüber.
ALLE.
Fünfzig, sie ist über die fünfzig.
BLÜMLEIN.
Das sieht man ihr nicht an.
BARONINN.
Nein, sie ist conservirt.
FRÄULEIN IMPFEN.
Sie verkleistert die Furchen der Zeit.
FRÄULEIN GRINZBERG.
Sie legt fingerdick Roth auf.
FRÄULEIN IMPFEN.
Und Weiß.
FRAU VON LICHTBERG.
Auch die Purpurlippen lassen die Farbe.
BARONINN
schnell.
Nein, die sind echt!
FRAU VON LICHTBERG.
Echt?
BLÜMLEIN.
Darauf wollte ich schwören.
FRÄULEIN IMPFEN.
Aber nicht sterben.
BLÜMLEIN.
Nein, sterben nicht.
FRÄULEIN IMPFEN.
Sie wären auch gewiß todt.
HERR VON DORN.
Ich hätte auch geglaubt, sie wären echt.
FRAU VON DORN.
O euch Männern kann man viel weis machen.
HERR VON DORN.
Ja, das weiß Gott!
FRAU VON LICHTBERG.

Ich wollte, ich hätte mir seit gestern Abend das Gesicht nicht gewaschen, so könnten Sie die Purpurlippen der Baroninn Fenchel noch auf meinen Wangen sehen.

[177]
FRÄULEIN IMPFEN UND FRÄULEIN GRINZBERG.
Wie ging das zu?
ALLE.
Erzählen Sie doch –
FRAU VON LICHTBERG.

Sie gab mir einen Kuß, weil ich ihr den Kalender von Kotzebue geschickt. Gott verzeihe es mir! aber ich glaube gar, die alte Dame will Komödie spielen.

ALLE
lachen.
Warum nicht gar!
FRAU VON DORN.
Die scherzhafte Frau in der Beichte.
BLÜMLEIN.
Oder den kleinen Declamator.
FRÄULEIN IMPFEN.
Oder die kleine hübsche Putzmacherinn.
ALLE
lachen.
Der kauft niemand ab.
FRÄULEIN IMPFEN.
Aber wie ging es mit dem Kusse?
ALLE.
Ja, mit dem Kusse?
FRAU VON LICHTBERG.

Den trug ich zu aller Welt Spectakel den ganzen Abend auf der Wange herum. Als man mich endlich darauf aufmerksam machte, wollte ich ihn weg wischen, aber die Beitze war von so guter Qualität –

BARONINN
schnell.
Wo kauft man sie?
ALLE DAMEN
außer Frl.
Impfen. Es ist eine Französinn hier.
FRAU VON DORN.
Sie wohnt in der grünen Straße.
FRÄULEIN IMPFEN.

Die hat schlechte Waare, denn sie ist schon über zehn Jahre hier. Aber Madam Clairon, erst vier Monathe aus Paris.

ALLE DAMEN.
Wo wohnt die?
FRÄULEIN IMPFEN.
In der Herrengasse, in ihrem eignen Hause.
BLÜMLEIN.
In vier Monathen so viel verdient? mit lauter Purpurlippen ein Haus gekauft?
[178]
FRÄULEIN IMPFEN.

Alles läuft zu ihr. Neulich las ich die Ankündigung einer Deutschen, die gute Frau wollte auch etwas verdienen, und hatte den Zettel deutsch und französisch in alle Häuser geschickt. In dem französischen – es waren nur fünf Zeilen, aber mehr als fünfzig Fehler.

WALDBERG.
Aber der deutsche war correct?
FRÄULEIN IMPFEN.

Den habe ich nicht gelesen. Deutsch mögen die Leute reden und schreiben, wie sie wollen, aber französisch muß man wissen.

DIE DAMEN.
Ja, das muß man wissen!
FRÄULEIN IMPFEN.

Im Deutschen mag man hundert Fehler machen, kein Mensch lacht; aber ein schlechtes bon jour bringt einen Menschen um Ehr' und Reputation.

WALDBERG
zu Grünau.
Wie ist dir?
GRÜNAU.
Als ob ein Schwarm Wespen mir um die Ohren summte.
WALDBERG.
Sie stechen auch so.
GRÜNAU.
Ich lasse anspannen.
WALDBERG.
Geduld!
BARONINN.
Wer war denn gestern im Theater?
RÄTHINN SOMMER.
Ich.
HERR VON DORN.
Auch ich.
BLÜMLEIN.
Und ich.
FRAU VON LICHTBERG.
Was gab man denn?
RÄTHINN SOMMER.
Die Catacomben.
FRÄULEIN GRINZBERG.
Was sind das für Völker?
HERR VON DORN.
Ich glaube, Römer – nicht wahr, Herr Rath, die Herren und Damen waren römisch gekleidet?
[179]
BLÜMLEIN.

Ja, ganz recht, alt römisch. Auf dem Mantel des Nero waren lauter kleine Romulus gestickt; ich sah ganz deutlich, wie sie die Wölfinn säugte. Ja, die Catacomben sind Römer.

RÄTHINN SOMMER
lächelt.
Um Vergebung – die Catacomben sind keine Römer, aber Römer waren in den Catacomben.
FRAU VON LICHTBERG
zu den andern.
Die thut wieder gelehrt. Laut. Nun so belehren Sie uns Unwissende. Was sind die Catacomben?
RÄTHINN SOMMER.

Sie scherzen, als ob Sie nicht so gut wie ich wüßten, daß es unterirdische Gewölbe sind, in denen sich die verfolgten Christen verbargen.

ALLE.
Nun freylich, wer weiß das nicht!
FRAU VON LICHTBERG.
Man thut manchmahl unwissend, damit Andere Gelegenheit bekommen, was sie wissen, auszukramen.
BARONINN.
Aber der Inhalt des Stücks?
BLÜMLEIN.
Ich habe nur wenig Acht gegeben; ich sprach mit einigen Damen vom Cours.
BARONINN.
Mit Damen? was verstehen die vom Cours?
BLÜMLEIN.

Jede Köchinn versteht sich darauf, und jede Höckerinn, die inländisches Obst verkauft, berechnet es nach ausländischer Münze. Die Aufklärung schreitet mit Riesenschritten in der Welt umher, und übernachtet in jeder Hütte.

BARONINN.
Und Sie, Herr von Dorn, wie fanden Sie das Stück?
HERR VON DORN.

Die Grausamkeit des Nero hatte [180] meine arme Frau so angegriffen, daß ich sie nach dem ersten Act nach Haus bringen mußte.

FRAU VON DORN.
Ich war einer Ohnmacht nahe, und mußte noch Toilette auf einen Ball machen.
BARONINN.
Und Sie, Frau Räthinn?
RÄTHINN SOMMER.

Ich freute mich bey dem Rückblick in die Vergangenheit der bessern Gegenwart, und dachte mir: wenn jetzt auch nicht alles so ist, wie wir es wünschen, besser ist es denn doch, und Gerechtigkeit waltet, wo damahls nur rohe Gewalt herrschte. Nicht in dunkeln Gewölben bethet jetzt der fromme Christ, die weite Welt, die blaue Himmelsdecke ist sein Tempel, und friedlich steht er neben dem Bruder, den eine andere Meinung darum nicht zu seinem Feinde macht. Man darf jetzt Gott in jedem Kleide, in jeder Sprache anbethen, die Menschen dürfen sich ihren Himmel denken, wie sie wollen, wenn sie nur darnach leben, ihn einst zu verdienen.

NINA
zu Waldberg.
Sie unterhalten sich wohl nicht?
WALDBERG.
Doch – das Urtheil dieser Dame unterhielt mich sehr.
GRÜNAU.
Die hat gesprochen, die andern plappern nur.
BARONINN.
Aber wie wurde das Stück gespielt? Blümlein, wie sind Sie mit den Schauspielern zufrieden?
BLÜMLEIN.
Die Frage kann ich erst morgen beantworten, denn ich habe die Theaterzeitungen noch nicht gelesen.
RÄTHINN SOMMER.
Haben Sie kein eigenes Urtheil?
BLÜMLEIN.

Ich habe wohl, aber ich darf es nicht laut werden lassen, denn ich habe mich schon oft gräulich prostituirt. [181] Wenn ich zum Beyspiel noch denselben Abend in Gesellschaft kam, und die Damen über mich her fielen: Blümlein, wie hat der, wie hat die gespielt? Herr A. hat gewiß seine Rolle nicht gewußt, und Mamsell B. war gewiß wieder schlecht gekleidet? – Nicht doch! rief ich, Mamsell B. war gut gekleidet, Herr A. wußte seine Rolle, das Ganze wurde gut gegeben, und rauschend beklatscht; aber siehe da – den andern Tag stand von alle dem gerade das Gegentheil in den Zeitungen. Ich durfte mich einige Tage nicht in Gesellschaft wagen, denn die Herren, die da sammeln und beobachten, geben doch gleichsam den Ton an, nach welchem man in unsern eleganten Gesellschaften singen muß. Also kann man nicht sagen, was einem gefallen hat, bevor man liest, was einem gefallen darf.

FRAU VON DORN.
Man muß sich bilden lassen.
FRAU VON LICHTBERG.

Ich gehe jetzt weit seltner in's Theater, denn man liest ja in allen Zeitungen, wie die Leute spielen; also braucht man es nicht selbst zu sehen.

2. Auftritt
Zweyter Auftritt
Baroninn Dürrer. Die Vorigen.

BARONINN.
Ah, siehe da – unser Spätling!
BARONINN DÜRRER.

Schon lange wäre ich hier, meine Gute, wenn nicht – Sieht die Räthinn Sommer auf dem Sopha; macht eine piquirte Verbeugung und sagt schnell. Votre Servante, Madame! Zu einem Bedienten. Einen Stuhl, mein Freund! Sie ruckt den Stuhl an das Sopha, auf der Seite, wo die Baroninn sitzt.

[182]
BARONINN.
Du kommst immer zu spät, weil deine Toilette die schönste seyn soll.
BARONINN DÜRRER.

Je nun, man zieht sich wohl mit Rücksichten an, denn unter so vielen Blumen will man doch keine Distel seyn.

BARONINN.
Wie du heute wieder schön bist!
FRAU VON DORN.
Zum Mahlen!
FRÄULEIN IMPFEN
zu Fr.
von Dorn. Sie ist auch gemahlt.
FRÄULEIN GRINZBERG.
Sie mag anziehen, was sie will, es kleidet sie nichts.
BARONINN DÜRRER.

Ich habe Gelegenheit, die besten Journale zu bekommen. Heute bin ich Nummer 45 aus dem Pariser Journal des Dames, es ist alles genau nachgemacht. – Aber nicht mein Anzug, obwohl ich das Kleid erst vor einer halben Stunde erhielt, sondern die Glückwünsche der halben Stadt hielten mich auf. Zur Baroninn. Kind! du weißt doch, daß mein Mann –

BARONINN.
Gestern Commerzienrath geworden ist? o ja, es lief von Mund zu Mund; ich gratulire!
ALLE.
Wir alle.
HERR VON HACKEN.
Es ging nur nach Verdienst.
TRAUFBACH.
Die ganze Stadt nimmt Theil daran.
BARONINN DÜRRER.

Weiß es, weiß es, und eben darum bin ich so entzückt. Nicht die Wichtigkeit des Dienstes, obwohl bey meines Mannes Jugend –

HERR VON DORN
zu Blümlein.
Und seiner Unwissenheit.
BARONINN DÜRRER
fortfahrend.
Es außerordentlich ist, so schnell zu steigen.
[183]
HERR VON DORN
zu Blümiein.
Wenn man Goldplatten unterlegt.
BLÜMLEIN.
Hat er das gethan?
TRAUFBACH
zu ihnen.
Es kostet ihm bar 6000 Thaler.
BLÜMLEIN.
Schönes Geld! dafür hätt' ich ihn auch zu etwas gemacht.
BARONINN DÜRRER
mit einem Blick auf die Räthinn Sommer.

Es ist mir nur leid, daß ältere, und wie sie sich schmeicheln, auch verdientere Männer dadurch zurückgesetzt wurden. Demungeachtet ist der Antheil, den man an dem Glücke meines Mannes nimmt, so groß, daß ich mich genöthiget sehe, ein Diné um das andere zu geben, um den guten Leuten ihre Theilnahme nur in etwas zu vergüten.

HERR VON DORN.
Wen sollte es nicht freuen!
HERR VON TRAUFBACH.
Sein Verdienst sprach laut.
HERR VON HACKEN.
Er war der Einzige!
BLÜMLEIN.
Ich wenigstens wüßte keinen, bey dem wichtigere Gründe – Deutet Hrn. von Dorn, wie man Geld zählt.
HERR VON DORN
schnell.
Sie drangen durch.
BLÜMLEIN.
Das wahre Verdienst dringt überall durch.
HERR VON TRAUFBACH.
Er mußte es werden.
DIE DAMEN.
Wir nehmen alle so viel Theil –
ALLE.
Es lebe der Commerzienrath Dürrer!
BARONINN DÜRRER
steht auf und verneigt sich.
Sie sind alle künftigen Donnerstag zu Tische gebethen.
BLÜMLEIN.
Angenommen! Zu den andern. Man speist vortrefflich.
[184]
HERR VON DORN.
HERR VON TRAUFBACH. HERR VON HACKEN. Wir werden aufwarten.
DIE DAMEN.
Wir kommen gewiß.
GRÜNAU
zu Waldberg.

Du, sind wir wirklich nur 20 Meilen gereist? Mir ist, als wären wir in einen andern Welttheil verschlagen – ich lass' anspannen.

WALDBERG.
Geduld!
BARONINN DÜRRER
zur Räthin gedehnt.
Ihr Mann ist immer noch Titular - Rath?
RÄTHINN SOMMER.
Noch immer.
BARONINN DÜRRER.
Viel Unglück! manche Leute kommen doch nicht vom Fleck.
HERR VON DORN
zu den andern.
Ja, bergauf braucht man Vorspann.
BARONINN DÜRRER.
Aber – mir gefällt Ihre Gelassenheit, die Ruhe, mit der Sie Ihr Schicksal ertragen.
RÄTHINN SOMMER.
Wie so?
BARONINN DÜRRER.
Sie besuchen Gesellschaften.
RÄTHINN SOMMER.
Sehr selten.
BARONINN DÜRRER.

Aber wenn Sie gehen, so gehen Sie früh. Freylich, Ihre Toilette kann nicht viel Zeit wegnehmen, und es hat manchen Vortheil, wenn man früh kommt.

RÄTHINN SOMMER.
Welchen?
BARONINN DÜRRER.
Der Herr Rath sind bey der Vorrückung zurück gesetzt worden, aber die Frau Räthinn dulden das nicht.
RÄTHINN SOMMER.
Wie meinen Sie das?
BARONINN DÜRRER.

Ich meine – Schnell abbrechend zur Baroninn. Ach meine Gute, wie lange habe ich dich nicht [185] gesehen! Ich habe dir so viel zu sagen, so viel, du sollst wissen Sie drückt sich auf das Sopha neben sie, so daß die Baroninn rückt, und die Räthinn Sommer genöthigt wird aufzustehen. Denke dir nur, meine Cousine – Wie sie bemerkt, daß die Näthinn steht, sagt sie sehr freundlich. O meine Beste, Sie dürfen alles hören, vor Ihnen habe ich kein Geheimniß, wir sind ja die besten Freundinnen. Kommen Sie, hier steht ein leerer Stuhl, machen Sie mir die Freude, setzen Sie sich neben mich. Nöthigt sie auf den Stuhl, den sie verlassen.

RÄTHINN SOMMER
mit Würde.

Ich bedaure, daß ich Sie nicht früher verstand, meine Höflichkeit würde Ihnen diese Gewaltthätigkeit erspart haben.

GRÜNAU.
Unerhört!
WALDBERG.
Sey ruhig.
RÄTHINN SOMMER.

Es ist wahr, mein Mann wurde oft übergangen, zwanzigjährige Dienste konnten ihn nicht weiter bringen. Doch – er freut sich, wenn der Staat verdientere Männer hat, und steht ihnen willig nach. Aber Ihr Mann ist ungefähr auf dieselbe Art Commerzienrath geworden, wie Sie Madame zu dem Platz auf dem Sopha gekommen sind, und er wird sich dort durch seine Unwissenheit eben so lächerlich machen, wie Sie sich hier durch Ihre Unhöflichkeit. Leben Sie wohl. Geht.

WALDBERG
gibt ihr den Arm.

Erlauben Sie gnädige Frau, daß ich Sie begleite. Wer so spricht, so fühlt, so handelt, dem folgt die Achtung jedes Rechtschaffenen; wenn sich auch ein Gesellschaftssaal Ihnen verschließt, die Herzen aller guten Menschen stehen Ihnen offen, und [186] der Mann, der Ihnen hier die Hand reicht – ist nicht der letzte unter ihnen. Ab mit der Räthinn.

BARONINN DÜRRER.
Wer ist der Mensch?
BARONINN.
Herr von Waldberg, mein künftiger Schwiegersohn.
BARONINN DÜRRER.
Darum macht er schon den Herrn vom Haus.
GRÜNAU.
Den macht er nicht, sonst hätte er ganz andere Leute zur Thür hinaus geführt.
BARONINN DÜRRER.
Welche, wenn ich fragen darf, welche?
GRÜNAU.
Die noch recht bequem sitzen.
BARONINN DÜRRER
zur Baroninn.
Mein Kind, was hast du für Leute geladen?
BARONINN
leise.
Wahre Hottentotten, aber sie sind reich.
BARONINN DÜRRER.
Mein Herr, Sie kommen –
GRÜNAU
schnell.
Vom Lande.
BARONINN DÜRRER.
Und vermuthlich aus einer sehr rauhen Gegend?
GRÜNAU.

Um Vergebung – die Sonne beschien nie ein freundlicheres Thal, bey uns lachen die Felder und die Menschen, und, wenn ich dort eine Raupe sehe, die an einer hoffnungsvollen Blüthe nagt, so zertrete ich sie, – hier muß ich sie ganz geduldig nagen lassen.

BARONINN DÜRRER.
Mein Herr, Sie reden eine Sprache –
GRÜNAU.

Die man hier Bauernsprache nennt, aber sie hat schon Manchen trotz ihrer Rohheit getröstet, und noch keinen Menschen unverschuldet gekränkt. Ich glaube, daß das mit der feinen spitzigen Sprache, die man hier spricht, nicht der Fall ist; denn die Dame, die eben fort [187] ging, hatte Thränen im Auge, und wenn ich ein nasses Auge sehe, so bin ich der Jacob Grünau, der vor 500 Jahren auf jedem Turnier die gerechte Sache vertheidigte, und seinen Handschuh auf Leben und Tod in die Schranken warf.

BARONINN DÜRRER.

Ha, ha, ha! ein Ritter mit Lanze und Schild, wie sie in unserm Zeughaus stehen, ist auf einmahl lebendig geworden. Meine Herren, ich begebe mich in Ihren Schutz.

HERR VON DORN.
Sein Sie ruhig, wir wollen schon mit ihm fertig werden.
FRAU VON DORN.
Ei mein Kind, was geht das dich an?
NINA.
Der gute Grünau.
EMY.
Ich möchte ihn küssen.
BARONINN.
Ist es der Mühe werth, wegen ein Paar armseligen Sticheleyen so viel Aufhebens zu machen?
GRÜNAU.

Das sind Sticheleyen, die des Menschen Innerstes verwunden. Ich mag es wohl leiden, wenn ein ehrbares Fräulein die Nadel in der Hand hat, und damit in die selbst gesponnene Leinwand sticht, aber hier haben sie die Nadeln auf der Zunge, und stechen damit in die Herzen, und das – verzeihen Sie mir, das ist schlecht.

BARONINN
steht auf.
Herr von Grünau.
HERR VON TRAUFBACH.
Sie vergessen.
BLÜMLEIN.
Still um des Himmels willen, das ist ein Duellant.
FRAU VON LICHTBERG
zu den andern.
Mich freut es, daß er sie demüthigt.
FRAU VON DORN.
Sie hat es verdient.
[188]
FRÄULEIN IMPFEN.
Sie ist gelb vor Galle.
FRÄULEIN GRINZBERG.
Die Lection ist ihr gesund.
BARONINN DÜRRER
zur Baroninn.
Mein Kind, der Herr ist –
BARONINN
leise.
Sehr reich.
BARONINN DÜRRER.
Aber auch sehr grob.
BLÜMLEIN.

Er hat den wahren Ducaten - Accent, der st immer gewichtig. Wenn die Leute wissen, was sie haben, fühlen sie auch, was sie sind.

GRÜNAU.

Ich bitte um Verzeihung – ich fühle, daß ich als ein Fremder, der hier nur geduldet wird, auch alles dulden sollte; aber, daß Sie in einer fröhlichen Gesellschaft die gute Frau daran erinnerten, daß ihr Mann zurückgesetzt, und der Ihrige ihm vorgezogen wurde, das – war nicht schön. Wenn meines Nachbars Feld der Hagel zerstört, und meine Saat gesund und frisch darneben steht, sollte ich ihn da noch verhöhnen? seines Unglücks spotten? – Nachbar, sprech' ich dann: der Sturm hat deinen Segen auf meine Felder geweht, wir theilen die Garben, führe meinen Überfluß in deine Hütte, über's Jahr theilst du mit mir. Dann drückt mir ein dankbarer Mensch die Hand, und Freudenthränen glänzen in seinen Augen. – Die Thränen, die ich hier sah – waren keine Freudenthränen.

FRAU VON LICHTBERG.
Schön gesprochen.
FRAU VON DORN.
Recht rührend.
BLÜMLEIN.
Voll Moral.
HERR VON TRAUFBACH.
Vortreffliche Grundsätze.
BLÜMLEIN.
Der Mensch behält doch viel Kraft, wenn er dem rohen Natur - Princip treu bleibt.
[189]
GRÜNAU.

Wenn er der Mutter Natur nicht zu früh davon läuft, aus ihrer wohlthätigen Brust alles das Gute saugt, das sie ihm beut. Hier, scheint mir, sind viele Wasserkinder, sie wurden alle zu früh entwöhnt, hätten noch ein Paar Jahre trinken sollen.

BLÜMLEIN.
Pikant, verdammt pikant.
BARONINN
für sich.
Die Waldmenschen bringen mir noch alles in Unordnung. Zu einem Bedienten. Wo bleibt der Thee?
EMY.
Gleich will ich –
BARONINN.
Bleib, wofür ist Madame Vernon im Hause? sie soll kommen, gleich kommen. Bedienter ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Waldberg, die Vorigen.

WALDBERG.

Es ist mir gelungen, die Frau Räthinn über den unangenehmen Vorfall zu beruhigen, und ich habe dabey den Verstand und den Charakter dieser Dame bewundert. Es ist eine vortreffliche Frau.

ALLE
außer der Baroninn Dürrer.
Vortrefflich!
FRAU VON LICHTBERG.
Ein durchdringender Verstand.
FRAU VON DORN.
Eine edle Sanftmuth.
FRÄULEIN IMPFEN.
Und dabey eine Bescheidenheit.
FRÄULEIN GRINZBERG.
Die doch ihren Werth kennt.
FRÄULEIN IMPFEN.
Aber ihn nur geltend macht –
FRAU VON LICHTBERG.
Wenn Unbescheidenheit sie dazu zwingt.
HERR VON HACKEN.
Man schätzt sie allgemein.
[190]
ALLE.
Allgemein.
HERR VON DORN.
Zieht sie in alle Gesellschaften.
GRÜNAU
für sich.
Und wirft sie dann zur Thür hinaus.
ALLE.
Kurz, es ist eine vortreffliche Frau.
WALDBERG
erstaunt.
Ich finde hier die Stimmung sehr verändert.
BLÜMLEIN.
Herr von Grünau setzte einigen sehr lauten Instrumenten Sordinen auf.
BARONINN
springt auf.
Den Thee, den Thee – mein Gott, wo bleibt denn die Madame –
EMY.
Hier ist sie schon.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Die Vorigen. Marie, ihr folgen Bediente mit Theekannen, Schalen, und alles andere Zugehör steht im Hintergrund auf einem runden Tisch.

MARIE
ist einfach, aber besser gekleidet, sie geht vor, küßt der Baroninn die Hand, und verneigt sich gegen die ganze Gesellschaft.
BARONINN.
Etwas spät Madame.
MARIE.
Ich vernahm erst jetzt Ihren Befehl.
BARONINN.
Thun Sie in Zukunft ohne Befehl, was Ihres Amtes ist.
MARIE.

Verzeihen Sie Sie geht an den Theetisch und schenkt Thee ein, die Bedienten tragen ihn nebst Backwerk herum.

WALDBERG
zur Baroninn.
Wer ist das Frauenzimmer?
BARONINN.
Madame Vernon.
WALDBERG.
Eine rührende Gestalt!
[191]
BARONINN.
Karten – Karten –
BARONINN DÜRRER.
Ja lassen Sie uns spielen, sonst fangen die moralischen Vorlesungen wieder an.

Die Bedienten setzen einen Spieltisch vor die Baroninn. Die Baroninn Dürrer setzt sich auf einen
Stuhl, und spielt nebst Herrn von Dorn mit der Baroninn l'Ombre. Die Übrigen stehen auf, um sich bey den Spieltischen zu placiren.
BLÜMLEIN.
Wir jungen Leute spielen Pfänder.
FRÄULEIN IMPFEN.
Warum nicht gar – wir declamiren.
FRAU VON LICHTBERG.
Das kann ich nicht – wo ist meine Parthie? Geht zu einem Spieltisch.
HERR VON TRAUFBACH.
Hier.
HERR VON HACKEN.
Die Gnädige sind mir Revanche schuldig. Sie spielen.
FRÄULEIN IMPFEN.
Wie, Frau von Lichtberg, Sie können nicht declamiren? das kann jetzt alles, es gehört zum guten Ton.
GRÜNAU.
Declamiren? thun das sonst nicht die Schauspieler?
FRÄULEIN IMPFEN.

Die können es nicht, wir machen es besser. Unsere Schauspieler wollen alles natürlich machen, die armen Leute können das Hohe, das Höchste nicht fassen. Sie lüften wohl manchmahl die Schwingen, aber patsch – da liegen sie wieder auf der Erde. Sie wollen alles begreifen, um es wieder verständlich von sich zu geben, aber das wahre Schöne und Große begreift man nicht.

GRÜNAU.
Wie versteht man es aber, wenn man es nicht begreift?
[192]
FRÄULEIN IMPFEN.
Man ahnet es – alles, was man weiß, ist nichts gegen das, was man ahnet.
BLÜMLEIN.

Also zur Sache. Setzt Stühle. Im Hintergrund formirt sich noch ein Spieltisch von den Herren, die nur zu sprechen haben, wenn alles spricht.

HERR VON DORN.
Pauline, du declamirst doch auch?
FRAU VON DORN.
Ach – ich bin heute so wenig bey Stimme.
ALLE
die nicht spielen.
O wir bitten, wir bitten –
FRAU VON DORN.
Wenn Sie meinen –
HERR VON DORN.
Thue es mein Kind. Ich sollte es nicht sagen, aber sie declamirt vortrefflich.
FRAU VON DORN.

O nicht doch. Das Einzige, worin ich stark bin, ist die Action. Ich kann es nicht leiden, wenn die Leute aus dem Buche lesen, und die Hände nicht bewegen. Nicht die Ohren allein, auch die Augen muß man rühren.

FRÄULEIN IMPFEN
zu Fräulein Grinzberg.
Die kann gewiß nichts. Zu Fr. von Dorn. Nun meine Gnädige!
FRAU VON DORN.
Ich werde folgen.
FRÄULEIN IMPFEN
steht auf und tritt in die Mitte.
Sie declamirt mit Übertreibung.
Was regt sich im Herzen so wunderbar,
Als wollt' es hinaus in die Weite.
Ich Mägdlein zähle erst siebzehn Jahr,
Und schon sind die Freuden des Frühlings gar,
Schon zupft mich der Kummer am Kleide.
BARONINN.
So ein Spiel zu verlieren, das ist entsetzlich!
BLÜMLEIN.
Das heiß' ich declamiren! Nur weiter, weiter.
[193]
FRÄULEIN GRINZBERG
zur Fr.
von Dorn. Gott soll uns in Gnaden bewahren! Das sind Verse!
FRÄULEIN IMPFEN.
Die Liebe – so schallt es aus Busch und Wald –
Die Liebe nur macht dir die Schmerzen;
Da wird es dem Mädlein so warm und kalt,
Es packt sie, es greift sie mit Allgewalt,
Schon wühlet der Tod ihr im Herzen.
Und bleicher und bleicher wird Wang' und Gesicht,
Und schwächer die bebende Stimme;
Ihr strahlt nicht das funkelnde Sonnenlicht,
Das schmachtende Auge erlischt und bricht,
Schon nahet der Sens'mann im Grimme.
Da pocht es ganz leise – da ruft sie: herein!
Und siehe – ein Jüngling erscheinet.
Ach sollte, ach sollte mein Trauter das seyn?
Fort, Sens'mann, und lass' mir das Leben! herein!
Er ist es, um den ich geweinet.
ALLE
auch die an den Spieltischen.
O schön! schön!
BLÜMLEIN.
Das macht ihr keine nach, sie declamirt mit Kopf –
GRÜNAU
zu Waldberg.
Und Händen und Füßen.
FRÄULEIN GRINZBERG.
Von wem ist das Gedicht?
BLÜMLEIN.
Gewiß von Klopstock – von Klopstock! es ist ganz in seiner Manier.
FRÄULEIN IMPFEN.

Es ist von einem jungen Dichter eigens für mich, auf meine Stimme componirt. Aber Sie haben Recht, es hat viel Klopfstockisches.

[194]
BLÜMLEIN.
Ich hätte geschworen, daß er es gleich nach seiner Messiade geschrieben hätte.
FRÄULEIN IMPFEN
triumphirend.
Nun, Frau von Dorn –
FRAU VON DORN
hat sich indessen den Shawl mahlerisch umgeworfen, steht pathetisch auf, und macht unter dem Sprechen auf jede Zeile eine andere Schwenkung mit dem Shaw!.
Die Waffen ruh'n; des Krieges Stürme schweigen,
Auf blut'ge Schlachten folgt Gesang und Tanz.
Durch alle Straßen tönt der muntre Reigen,
Altar und Kirche prangt in Festes Glanz,
Und Pforten bauen sich aus grünen Zweigen,
Und um die Säule windet sich der Kranz.

Deutet das Winden mit den Händen an.

Das weite Rheims

Fährt mit beyden Armen aus einander.

faßt nicht die Zahl der Gäste,
Die wallend strömen zu dem Völkerfeste.
Doch mich – doch mich –

Bleibt stecken.

doch mich –

Zu Hrn. von Dorn.

Mein Kind, wie heißt es weiter?
HERR VON DORN
achtet nur auf das Spiel.
Fünf Matador!
FRAU VON DORN.
Mein Gott! hörst du denn nicht?
HERR VON DORN.
Was, mein Kind?
FRAU VON DORN.
Ich bin stecken geblieben.
HERR VON DORN.
Mache dir nichts daraus, mein Schatz; das geschieht im Declamiren sehr oft.
FRAU VON DORN.

Ich habe so ein unglückliches Gedächtniß, von allen Gedichten kann ich mir nur den Anfang merken. Wenn mir jemand souffliren wollte –

FRÄULEIN GRINZBERG.
Ich kann alle Gedichte von Bürger auswendig, nur das nicht.
[195]
FRÄULEIN IMPFEN.
Das ist ja von Schiller, aus der Jungfrau von Orleans.
NINA.
Marie sagt diesen Monolog recht schön.
EMY.
Ach ja, Marie soll ihn declamiren.
MARIE.
Nicht doch Kinder, wo denkt ihr hin? Sie steht noch immer im Hintergrund.
BLÜMLEIN.
Wir bitten.
GRÜNAU.
Auch ich.
WALDBERG.
Wir alle.
MARIE.
Ich kann wirklich nicht.
NINA.
Ich habe ihn ja so oft von dir gehört.
EMY.
Sie sagt ihn recht schön; glauben Sie mir!
ALLE
außer Fr.
von Dorn. O wir bitten, machen Sie uns das Vergnügen!
MARIE.
Wenn Sie durchaus darauf bestehen – Geht vor.
BARONINN.
Wie, Madame, Sie wollten declamiren?
MARIE.
Man dringt darauf; doch ohne Ihre Erlaubniß werde ich nicht –
ALLE
außer Fr.
von Dorn. Den Monolog! den Monolog!
BARONINN.
Nina! Emy! –
NINA UND EMY.
Gnädige Mama?
BARONINN.
Könnt ihr denn das Ding nicht auch?
NINA.
O nein, das ist sehr schwer.
BARONINN.
Schwer? Da es Madame kann, muß es doch keine Hexerey seyn.
ALLE
außer Fr.
von Dorn. Den Monolog! den Monolog!
MARIE.
Darf ich?
[196]
BARONINN.
Meinetwegen. Zu Nina und Emy. Aber daß ihr das Ding auch lernt!
MARIE
wendet sich zur Frau von Dorn und sagt bescheiden.
Ich ergänze nur.

Doch mich, die all' dieß Herrliche vollendet,
Mich rührt es nicht, das allgemeine Glück,
Mir ist das Herz verwandelt und gewendet,
Es flieht von dieser Festlichkeit zurück;
In's britt'sche Lager ist es hingewendet,
Hinüber zu dem Feinde schweift der Blick,
Und aus der Freude Kreis muß ich mich stehlen,
Die schwere Schuld des Busens zu verhehlen.
Wer? Ich? Ich eines Mannes Bild
In meinem reinen Busen tragen?
Dieß Herz, von Himmelsglanz erfüllt,
Darf einer ird'schen Liebe schlagen?
Ich, meines Landes Retterinn,
Des höchsten Gottes Kriegerinn,
Für meines Landes Feind entbrennen?
Darf ich's der keuschen Sonne nennen,
Und mich vernichtet nicht die Scham?
Wehe! wehe mir! welche Töne!
Wie verführen sie mein Ohr!
Jeder ruft mir seine Stimme,
Zaubert mir sein Bild hervor.
Daß der Sturm der Schlacht mich faßte,
Speere sausend mich umtönten
In des heißen Streites Wuth!
Wieder fänd' ich meinen Muth.
[197] Diese Stimmen, diese Töne,
Wie umstricken sie mein Herz!
Jede Kraft in meinem Busen
Lösen sie in weichem Sehnen,
Schmelzen sie in Wehmuthsthränen.
Sollt' ich ihn tödten? – Konnt' ich's, da ich ihm
In's Auge sah? Ihn tödten? Eher hätt' ich
Den Mordstahl auf die eigne Brust gezückt!
Und bin ich strafbar, weil ich menschlich war?
Ist Mitleid Sünde? Mitleid! – Hörest du
Des Mitleids Stimme und der Menschlichkeit
Auch bey den Andern, die dein Schwert geopfert?
Warum verstummte sie, als der Walliser dich,
Der zarte Jüngling, um sein Leben flehte?
Arglistig Herz! du lügst dem ew'gen Licht,
Dich treibt des Mitleids fromme Stimme nicht!
Warum mußt' ich ihm in die Augen sehn?
Die Züge schaun, des edlen Angesichts?
Mit deinem Blick sing dein Verbrechen an.
Unglückliche! ein blindes Werkzeug fordert Gott,
Mit blinden Augen mußtest du's vollbringen!
Sobald du sahst, verließ dich Gottes Schild,
Ergriffen dich der Hölle Schlingen.
Frommer Stab! O hätt' ich nimmer
Mit dem Schwerte dich vertauscht!
Hätt' es nie in deinen Zweigen,
Heil'ge Eiche, mir gerauscht!
Wärst du nimmer mir erschienen,
Hohe Himmelsköniginn!
[198] Nimm, ich kann sie nicht verdienen
Deine Krone, nimm sie hin!
Ach, ich sah den Himmel offen,
Und der Sel'gen Angesicht;
Doch auf Erden ist mein Hoffen,
Und im Himmel ist es nicht.
Mußtest du ihn auf mich laden
Diesen furchtbaren Beruf?
Konnt' ich dieses Herz verhärten,
Das der Himmel fühlend schuf?
Willst du deine Macht verkünden,
Wähle sie, die frey von Sünden
Stehn in deinem ew'gen Haus.
Deine Geister sende aus!
Die unsterblichen, die reinen,
Die nicht fühlen, die nicht weinen;
Nicht die zarte Jungfrau wähle,
Nicht der Hirtinn weiche Seele.
Kümmert mich das Loos der Schlachten,
Mich der Zwist der Könige?
Schuldlos trieb ich meine Lämmer
Auf des stillen Berges Höh';
Doch du rissest mich in's Leben,
In den stolzen Fürstensaal,
Mich der Schuld dahin zu geben,
Ach! es war nicht meine Wahl.

Die Spielenden, bis auf den Tisch der Baroninn, haben nach und nach zu spielen aufgehört, und sind sachte näher geschlichen. Wie der Monolog zu Ende ist, schreyt.
ALLES.
Schön! herrlich! allerliebst!
[199]
BLÜMLEIN.
Das ist die echte Jungfrau von Orleans! so muß sie gesprochen haben –
FRAU VON DORN
zu den Andern.
Viel Lärm um nichts!
FRÄULEIN IMPFEN
zu ihr.
Wenn man so übertreiben wollte –
FRAU VON DORN.
Wir sprechen natürlich.
WALDBERG
geht zu der Baroninn.
Welch einen Schatz besitzen Sie in dieser Frau!
BARONINN
welche ihren Unmuth über Marien schon unter dem Spiel oft geäußert.

Schatz? hm! es ist nicht alles Gold was glänzt. Ärgerlich. Mein Gott! so ist das Spiel auch verloren!

BARONINN DÜRRER.
Du spielst zerstreut, mein Schatz!
BARONINN.
Und du hast Glück, mein Schatz!
BARONINN DÜRRER.
Wenn du forderst, ist das Spiel gewonnen.
BARONINN.

Freylich! aber über die Declamation, wer kann bey dem Getöse Acht geben? Steht auf. Den Rocambol nach dem Soupé. Zu Marien. Wo die Jungfrau von Orleans hin kömmt, ist auch das Unglück zu Hause; denn es ist noch unerwiesen, ob sie ein guter oder böser Geist regiert. Ich wollte, sie wäre bey ihren Lämmern auf der Höhe geblieben, und hätte nicht glänzen wollen, wo sie ganz bescheiden im Schatten ihrer Eiche ruhen sollte. Auf dem Theater kann wohl manchmahl eine Hirtinn nach Hof gehen, und den Leuten den Kopf verdrehen; aber im gemeinen Leben müssen vernünftige Leute auf der Stelle stehen bleiben, die ihnen ihre Verhältnisse anweisen –

MARIE.
Verzeihen Sie –
[200]
FRAU VON DORN.
Ja, so denk' ich auch.
FRÄULEIN IMPFEN.
Man sollte sich nie versteigen.
NINA UND EMY
bittend zur Mutter.
Aber, liebe Mama –
BARONINN.
Schweigt – Ihren Arm, Herr Sohn! Zur Gesellschaft. Ist es gefällig?
WALDBERG
gibt der Baroninn den Arm und bleibt vor Marien mit ihr stehen.

Empfangen Sie meinen Dank für eine schöne Stunde. Seit ich Sie gehört, ist es mir nicht mehr zweifelhaft, welch ein Geist jene prophetische Jungfrau beseelte. So allgemein wirkt nur das Gute! Töne, die aus dem Herzen kommen, verhallen nie; ich nehme sie mit mir. Empfangen Sie dafür das Gefühl meiner Hochachtung und meiner Verehrung.

BARONINN
für sich.
Unausstehlich! Leise zu Marien. Auf Ihr Zimmer, Madame! Laut. Ist es allerseits gefällig?
ALLE.
Wir folgen.
BARONINN
sieht zurück und wird gewahr, daß Emy und Nina auf Marien zugehen.
Nina! Emy! ihr kommt mit mir. Ab.
NINA UND EMY
drücken Marien die Hand, küssen sie, und folgen schnell der Mutter.
FRAU VON DORN
von Blümlein geführt, bleibt vor Marien stehen.

Ein gutes Gedächtniß ist eine Gabe Gottes, aber man muß sie nicht auf andrer Leute Kosten geltend machen; und wenn man auch etwas besser auswendig gelernt hat, so kann man darum doch nicht alles besser sagen. Es ist überhaupt nicht genug, zu wissen, was man spricht, man muß wissen, wann man spricht.

BLÜMLEIN.
Ja, ganz recht, meine Gnädige; wann man spricht, das ist die Hauptsache. Ab mit Frau von Dorn.
[201]
FRÄULEIN IMPFEN
von Herrn von Dorn geführt, bleibt vor Marien stehen.

Sie reden ziemlich gut, aber – es fehlt Ihnen das, was man einen brillanten Vortrag nennt. Wo sollten Sie den auch her haben? Wahrscheinlich fehlt es Ihnen an gelehrten Freunden und einer passenden Lectüre. Man muß wissen, wie die Leute vor tausend Jahren gesprochen, und wie sie in tausend Jahren sprechen werden, dann kann man jetzt mit reden. Bis dahin rathe ich Ihnen als gute Freundinn, treiben Sie das Declamiren ganz in der Stille, und lassen Sie sich nicht wieder vor einem so großen Publicum hören, wenn es mich früher gehört. Klopft ihr mit dem Fächer auf die Wange. Adieu, mein Kind! adieu! Ab.


Alles ist nach und nach abgegangen bis auf Grünau und Marie.
GRÜNAU.

Ich habe immer gehört, Luft und Menschen sind in großen Städten verdorben, und die das behaupten, haben so Unrecht nicht, denn die Luft wird hier immer schwühler, und die Menschen – ich kann nicht glauben, daß diese Creaturen nach Gottes Ebenbild erschaffen sind. Hier steht aber ein Wesen, das ihm gleicht, und Ihnen gleichen noch zwey Wesen in diesem Hause; also mag es wohl nicht unter die schlimmsten gehören. Aber ich darf sagen, daß ich auch nicht unter die Schlimmsten gehöre. Also lassen Sie uns gemeinschaftliche Sache machen; lassen Sie mich die bösen Geister abwehren. Kampf auf Leben und Tod dem Manne, der Sie beleidigt, und dem Weibe – freylich, den Weibern kann man nur sagen, daß sie albern sind; aber das soll redlich geschehen, darauf verlassen Sie sich. Ab.

MARIE
allein, bleibt einen Augenblick stehen, wischt sich [202] eine Thräne aus den Augen, dann geht sie an's Fenster und öffnet es.

Stiller Friede der Nacht! gehe in meinen Busen über – Mit in das Zimmer gewandtem Blick. Verlöscht ihr Flammen der Zwietracht und des Neides! an jener blauen Decke schwebt mein Licht – und kann ich dir nie thränenlos in's Auge sehen, so leuchte bald auf meinem Grabe!


Ende des dritten Acts.

[203]

4. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Mariens Zimmer.
Gertraude, Marie treten ein. Die Rolle der Gertraud muß schnell gesprochen werden.

GERTRAUDE.
Nein, das dulde ich nicht länger, das ist unerhört, himmelschreyend!
MARIE.
Aber liebe alte Mutter, so höre doch.
GERTRAUDE.

Ich habe gehört, ich weiß alles. – Sie durften gestern nicht bey der Tafel erscheinen, das Essen wurde Ihnen wie einer Gefangenen auf Ihr Zimmer geschickt, Sie wurden wie eine Magd behandelt, wie eine Magd von der Frau, die Ihnen den Segen und das Geld Ihres Vaters gestohlen, der Sie hinaus stieß in die Welt, dem ersten besten Landläufer an den Hals warf, um Sie los zu werden.

MARIE.
Um mich vor Mißhandlung zu schützen, that das der gute Vater.
GERTRAUDE.

Der gute Vater? – der schwache Vater, der schwache Mann, der schwache Christ; die heuchlerische Eva hatte ihn verführt. Sie both ihrem Adam nicht [204] einen, hundert Äpfel, und er aß von allen. Aber seine Schwäche kam ihm theuer zu stehen. Sein friedliches Haus, an dem alle Frommen ein Wohlgefallen fanden, wurde der Tummelplatz der jungen Lassen. Die alten Tapeten, die länger dauern als ein Haus, welches man heut zu Tag baut, mußten herunter. Die Fenster, die doch eigentlich da sind, daß der Mensch hinaus, und der liebe Gott mit dem Tagslicht hinein sieht, wurden so behängt, daß man am hellen Mittag Lichter brannte. Die Familien - Porträts kamen auf den Boden, die guten Leute, die mich kannten, und die mir noch von der Wand herab so freundlich in die Augen sahen, wie einst in ihrem Leben. Aber – sie standen der jungen Frau nicht an, sie mußten fort. Ich, die Ihre Mutter erzogen, Sie erzogen, die Ihr Vater gleichsam mit heirathen mußte, mußte fort. Die stille gute Marie, das Ebenbild ihrer seligen Mutter, mußte fort, und wie denn alles Gute heraus geworfen war, zogen die bösen Geister unter dem Jubel der Hölle ein.

MARIE.
Liebe alte Gertraud!
GERTRAUDE.

Mir gab man Geld – Geld – als ob, was ich gethan, für Geld zu haben und mit Geld zu bezahlen wäre, auch nahm ich es nicht, hatte es Gottlob nicht nöthig; falle niemand zur Last, helfe mir schlecht, aber recht durch's Leben, wie man muß, wenn man seinem Gott in das Angesicht sehen will. Vor ihm werde ich stehen und sprechen: Ich habe mein Erdenleben vollbracht nach deinem Willen! und Gott wird sprechen: Gehe ein, meine treue Magd! und die Himmelsthüre wird sich vor[205] mir noch ein Mahl so weit aufthun, als vor Ihrem Vater, der mich auf Erden zur Thüre hinaus warf.

MARIE.
Aber – so höre mich doch an!
GERTRAUDE
immer fortfahrend.

Er ist auch gar nicht in den Himmel gekommen, nein, nein! denn er ist in seinen alten Tagen den Weg der Narren und Gottlosen gegangen. Wo sonst die Tabakspfeife se hing, stand ein Blumentisch; wo das Bild des gnädigen Landesfürsten hing, welches ein Mann in Rang und Würden nicht oft genug ansehen kann, um sich in seiner Pflicht zu stärken, da kam auf Befehl der gnädigen Frau ein gemahltes Donnerwetter hin, der Blitz zielte gerade auf des Herren Schreibtisch. Das heißt Gott versuchen; es schlug auch bald darauf ein, der Herr bekam ein hitziges Fieber, und starb. – Den Landesvater nahm ich zu mir, der hängt in meiner Stube; nun sieht er freylich nicht, daß ich für ihn arbeite, aber daß ich täglich für ihn bethe, daß es ihm wohlgehen möge, sieht er, und hat Wohlgefallen daran. Amen.

MARIE.
Bist du nun fertig liebe Mutter?
GERTRAUDE.

Fertig? wenn ich von den Thorheiten dieses Hauses rede, fertig? haus't denn nicht noch der Böse hier?

MARIE.
Aber ich bin denn doch –
GERTRAUDE.

Sie sind brav geworden, aber ich habe auch gewacht, habe Ihnen den Spiegel, dieses seelenverderbliche Werkzeug, selten genug in die Hand gegeben. Sie durften sich nur Sonn - und Feyertag dem Herrn zu Lieb' putzen, nicht der jungen Müßiggänger wegen, die Sonn - und Feyertags die Kirchthüre bewachen, daß keine gläubige Seele ohne Ärgerniß in den Tempel des Herrn [206] gehen kann. Solche blind geborne Heiden, Gott verzeih es mir, die jungen Hunde öffnen nach neun Tagen ihre Augen, aber diese Menschenkinder bleiben ewig blind.

MARIE.
Nun liebe Mutter, was hast du mir denn eigentlich zu sagen?
GERTRAUDE.

Mutter, ja, das war, das bin ich Ihnen, denn mit Ihrem Leben endete Ihre Mutter ihre irdische Laufbahn, und ging ein – ja, die ging gewiß ein, und sitzt zur Rechten des Herrn, denn die war gar zu bravon Würmchen, sagt' ich – verzeihen Sie, aber ich sagte Würmchen, sie tragen dir die Mutter zu Grabe, aber ich will dir Mutter seyn nach meinen Kräften, und der Herr gab mir Kraft und langes Leben, um meinen Schwur treulich zu erfüllen.

MARIE
fällt ihr um den Hals.
Das hast du redlich gethan –
GERTRAUDE.

Darum sollten Sie mir auch wie einer Mutter folgen. Ich kann es nicht länger mit ansehen, wie man Sie hier mißhandelt; darum frage ich Sie, wollen Sie mir aus diesem Marterhaus folgen, und in ein anderes einziehen mit Ehren?

MARIE.
Wo sollte ich hin?
GERTRAUDE
vertraut.
Ich weiß ein stilles Plätzchen. – Gräfinn Halbern geht auf's Land, sucht eine Gesellschafterinn.
MARIE.
Sollte ich lieber bey Fremden dienen, als bey den Meinigen bleiben?
GERTRAUDE.

Bey den Ihrigen? dienen Sie denn hier nicht auch? Sie machen der gnädigen Frau Putz, und helfen die Fräulein ankleiden, wenn sie auf Bälle fahren.

[207]
MARIE.

Das macht mir Vergnügen. Meine Schwestern helfen mir so treulich meinen Kummer tragen, daß ich sie gerne zu Freuden schmücke, die ich nicht liebe.

GERTRAUDE.
Und die sie auch nicht lieben sollten.
MARIE.
Sie sind jung.
GERTRAUDE.

Die Jugend muß säen, damit das Alter erntet. Aber bey diesem luftigen Leben fliegt der Same des Guten in alle Winde, und siehe da, das Feld ist voll Disteln und Nesseln; die Disteln stechen, die Nesseln brennen, sie gehen zu Grunde.

MARIE.

Darum brauchen sie mich. Ihre Herzen sind gut, lass' mich sie bewachen, daß sie gut bleiben; lass' mich ihnen seyn, was du mir warst, und sie nie hatten – Mutter.

GERTRAUDE
sieht sie wehmüthig an.

So geht es immer; ich komme, rede, rede deutlich und vernehmlich, und wenn ich zu Ende bin und meine, nun wird mir mein Mariechen folgen, da geht die Alte wieder allein zur Thüre hinaus, und Zeit und Athem war verschwendet. Sind es denn die Kinder werth, daß Sie um ihretwillen in diesem Marterhaus bleiben?

MARIE.

Du hast das fremde Kind deiner Liebe werth gefunden, lass' mich für die Schwestern nicht weniger thun.

GERTRAUDE.

Nun freylich, freylich, der Mensch soll nicht vom Menschen lassen, soll auch dem Tauben ins Gewissen reden, ja schreyen. Nun so schreyen Sie denn, daß Ihre Stimme in die Winkel des Herzens dringe, das Glöcklein der Buße erklinge, und übertäube die weltliche Leyer der Lust.Vertraut. Bethen sie denn vor Schlafengehen? grüßen sie Gott den Herrn beym Erwachen? [208] danken sie ihm für Speise und Trank? oder verschlingen sie die liebe Gottesgabe, ohne an den zu denken, der sie da wachsen und gedeihen läßt? geben sie dem Armen die Brosamen, die von der reichen Tafel fallen, oder Speise von der Schüssel? den Pfennig, oder den Silberling? Ja die Silberlinge, die gehen wohl ein in die Niederlagen der menschlichen Thorheiten; die Reichen mästen Pferde und Hunde, ob sich die Menschen satt essen, darnach fragen sie nicht. O Gott öffne noch einmahl deine Schleußen, und schwemme die Gottlosen hinweg, daß sie zu Grunde gehen in den Fluthen, und sich neue ansiedeln auf deiner schönen Erde. Amen.

2. Auftritt
Zweyter Auftritt
Waldberg, die Vorigen.

WALDBERG.
Verzeihen Sie, ich dränge mich vielleicht zur Unzeit ein.
MARIE
befremdet.
Herr von Waldberg – Sie hier?
WALDBERG.
Ich habe mit Ihnen zu sprechen, man wies mich hierher.
GERTRAUDE.
Gott stehe mir bey, bis in diese Stube kommen die Weltmenschen! Nein, da ist meines Bleibens nicht!
MARIE.
Liebe Mutter –
WALDBERG.
Ihre Mutter?
GERTRAUDE.

Ja, Mutter, ich habe sie erzogen, sie bedächtig um jede Grube geführt, ihr jedes Steinchen gezeigt. Sie ist auch nie gestolpert, ist mit kleinen zierlichen [209] Schritten durch's Leben gegangen, nicht wie die heutige Jugend, die mit sechs Schritten von der Wiege bis an's Grab läuft. Da kommen denn die unzeitigen Seelen in die andre Welt, und haben der Erde nichts als ihre unnützen Fußstapfen hinterlassen. Adieu Mariechen – nun, ich will das Ding noch ein Weilchen mit ansehen, aber bessert es sich nicht, so komm ich wieder liebe Tochter, und schreye so lange, bis die Alte nicht mehr allein zur Thüre hinaus geht, bis mein Mariechen mit mir geht, mir in ein Haus folgt, das dem Herrn wohlgefällig ist. Zu Waldberg. Ja Herr, das ist kein verdorbenes Weltkind, die gehört dem lieben Gott, und mir, der alten Gertraud, wir beyde wachen über sie, daß es ihr hier und dort wohl gehe. Amen. Ab.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Waldberg, Marie.

MARIE
etwas verlegen.
Verzeihen Sie, sie meint es gut.
WALDBERG.

Ich habe um Verzeihung zu bitten, daß ich mich in dem Augenblick der herzlichsten Ergießung zwischen Mutter und Tochter dränge. Aber ich suche Aufklärung über Manches, die nur Sie mir geben können.

MARIE.
Ich?
WALDBERG.
Die Töchter der Baroninn hängen sehr an Ihnen.
MARIE.
Sehr.
WALDBERG.

Seit ich Sie sah, begreife ich, wie diese [210] Kinder, bey einer solchen Mutter, dennoch so einfach, so gut geblieben sind.

MARIE.
Ihre Herzen –
WALDBERG.
Lehrten Sie fühlen.
MARIE
schnell.
O nein, sie selbst!
WALDBERG.

Daß sie alles, was sie sind, durch Sie sind, daran zweifle ich nun nicht mehr. Wie aber eine Frau, wie die Baroninn ihren Töchtern eine solche Erzieherinn geben konnte, das begreife ich nicht.

MARIE.
Wie, mein Herr?
WALDBERG.

Noch weniger begreife ich, wie eine solche Erzieherinn eine Behandlung erdulden kann, die den Forderungen so ganz entgegen ist, die Sie bey Ihren Verdiensten machen könnten. Man läßt Sie hier fühlen, daß Sie dienen.

MARIE
für sich.
O Gott! er hält mich –
WALDBERG.

Die Baroninn sollte Sie als eine Freundinn behandeln, welche Pflichten übt, die sie nicht kennt. Nicht mit Geld lohnt man solche Dienste.

MARIE
sehr bewegt.
O nein, o nein!
WALDBERG.
Nur mit Achtung, Liebe, und Vertrauen – das vermissen Sie.
MARIE.
Ich vermisse nichts.
WALDBERG.
Suchten Sie selbst diese Stelle?
MARIE.
Ja.
WALDBERG.
Und behalten sie trotz dieser Behandlung?
MARIE
schwer.
Ja.
WALDBERG.

Unbegreiflich! Ihre alte Mutter scheint dürftig zu seyn. Erlauben Sie dem fremden Manne einen Blick in Ihre Verhältnisse. Bey Gott, nicht Neugierde, [211] Theilnahme macht mich zudringlich. Die Baroninn wich gestern allen meinen Fragen aus, Ihre Schülerinnen waren mit der Gesellschaft beschäftigt, ich nahm mir vor, mir von Ihnen selbst Aufschluß zu erbitten. Geben Sie mir ihn; es sieht ein redlicher Mann vor Ihnen, er verdient Ihr Vertrauen. Was hält Sie in diesem Hause?

MARIE
nach einer Pause.
Mein Herz.
WALDBERG.
Trotz dieser Behandlung?
MARIE
wehmüthig.
Es ging mir einst sehr gut in diesem Haus, sehr gut.
WALDBERG.
Da muß sich der Charakter der Baroninn sehr geändert haben, denn jetzt ist diese Frau –
MARIE
schnell einfallend.

Verzeihen Sie; in welchen Verhältnissen Sie mich auch in diesem Hause sehen, und glauben, meine Lage ist so, daß ich die Baroninn nicht darf tadeln hören. Auch trägt sie weniger Schuld, als es dem fremden Auge, welches auf den ersten Blick nicht alle Ursachen wahrnimmt, scheinen mag. Die Baroninn ist nicht mit den Grundsätzen zufrieden, die ich meinen Schwe – Stockt. Zöglingen beygebracht. Die große Welt, in der sie lebt, läßt sie nicht ahnen, daß es Freuden in ihrem Hause gibt, die nicht Aufwand und Prunk gewähren, die der genügsame Mensch aus sich selbst schöpft. Auf diesen Reichthum machte ich ihre Töchter aufmerksam. Sie genießen in meinem Umgang ein stilles Glück, indeß die Mutter sie für die große Welt gebildet wünschte, in der sie durch meine Schuld nicht glänzen. Mag seyn, daß mein Weg, den ich sie führe, glücklicher macht, aber da wir ihn gegen den Willen der Mutter betreten, sind wir in ihren Augen doch strafbar. Je mehr Sie [212] glauben daß meine Erziehung in diesem Hause Gutes gestiftet, je mehr müssen Sie die Baroninn entschuldigen, die vielleicht in ihrer Jugend keinen Führer fand, der sie auf die Straße leitete, wo wir uns finden konnten.

WALDBERG.
Aber warum dulden Sie von dieser stolzen Frau –
MARIE.

Herr von Waldberg, kein Wort mehr über meine Verhältnisse in diesem Hause, oder ich muß Sie verlassen. Das zarte Gewebe meines Schicksals duldet nicht die Berührung einer fremden Hand. Dem guten Menschen, dem ich vielleicht nicht sorgsam genug mein nasses Auge verbarg, gab ich Aufschluß; er beruhige sich mit der Versicherung, daß ich zufrieden – ja – daß ich auch manchmahl glücklich bin.

WALDBERG.
Nur manchmahl?
MARIE.
Welcher Mensch ist es immer?
WALDBERG.
O Sie verdienen –
MARIE.
Genug –
WALDBERG.

Ich schweige, und bitte nur noch um Erlaubniß von mir zu sprechen. – Ich soll eine Tochter der Baroninn heirathen. Ihrer Sorgfalt danke ich, daß ich den Wunsch meines zweyten Vaters mit froher Aussicht auf künftiges Glück er fülle, denn eine Frau, die Sie gebildet haben, muß einen Mann glücklich machen.

MARIE.
Herr von Waldberg –
WALDBERG.

Beyde sind gut – beyde schön. Welche die schönste ist, kann wohl mein Auge unterscheiden, aber ich möchte die beste wählen, und dazu brauch' ich Sie.

MARIE.
Mein Herz kann keiner einen Vorzug geben. Beyde sind gut, beyde verdienen das höchste Glück.
[213]
WALDBERG.

Lassen Sie mich offen handeln. Ein brüderliches Gefühl habe ich für beyde, aber – noch keine Liebe. Darum leiten Sie meinen Entschluß. Die Baroninn dringt darauf, daß ich mich heute noch erkläre.

MARIE.

Hier muß nicht kalte Vernunft, hier muß das Herz entscheiden. Eine Ehe ohne Liebe – Gott behüte Sie vor dieser Hölle! Jede, die Sie aus meinen Armen reißen, wird meinem Herzen eine tiefe Wunde schlagen. Ach, diese Wesen sind ja die einzigen Bande, die mich an dieses Leben knüpfen. Darum machen Sie Ihre Gattinn glücklich; jede gute Nachricht von ihr wird ein Sonnenblick in meinem düstern Leben seyn.

WALDBERG.
Könnten Sie sich entschließen, uns zu folgen?
MARIE.
Nein.
WALDBERG.
Warum nicht?
MARIE.
Die hier bleibt, bedarf meiner.
WALDBERG.
Diese Anhänglichkeit an fremde Kinder –
MARIE.
Fremd?
WALDBERG.
Noch einmahl, erlauben Sie mir einen tiefern Blick in Ihre Verhältnisse.
MARIE.

Was soll Ihnen die düstre Verkettung meiner Schicksale? Ihr Auge strahlt freundlich in das Leben, Freude strahle ihm zurück! Nicht jede Thräne kann der Menschenfreund mit Theilung seines Uberflusses trocknen; es gibt Leiden, die aus der Seele quillen, an unserem Herzen nagen, bis es bricht. Sucht sich zu fassen. Forschen Sie bey niemand in diesem Hause nach meinem Schicksal, wenigstens jetzt nicht. Wählen Sie bald, aber [214] mit Liebe; machen Sie Ihre Gattinn glücklich, dann haben Sie alles für mich gethan.

WALDBERG.
Und kann nichts Sie bewegen, uns zu folgen?
MARIE.
Nichts.
WALDBERG.
Auch nicht, wenn beyde dieses Haus verlassen?
MARIE.
Beyde?
WALDBERG.
Mir scheint, Grünau fühlt für Nina, in dem Fall –
MARIE
lebhaft.
Mein Segen folget beyden.
WALDBERG.
Und Sie?
MARIE.
Ich bleibe hier.
WALDBERG.
Wer bedarf dann Ihrer?
MARIE.
Eine kinderlose Mutter.
WALDBERG.
Fühlt das die Baroninn?
MARIE.
Sie wird es fühlen.
WALDBERG.
Wird sie diese Treue lohnen?
MARIE.

Wenn uns schon alles hier vergolten würde, welche Hoffnung bliebe uns für jenseits? mein stilles Bewußtseyn sey mein Lohn, und die Achtung edler Menschen. Verneigt sich und geht ab.

WALDBERG
allein.

Was ist das? – Nie hat ein Auge so mein Herz getroffen, keine Stimme so mein Ohr berührt. Warum pocht es hier so heftig? Gilt das nur der leidenden Gestalt? dem thränenvollen Blick? der unterdrückten Unschuld? – nein, nein, das ist mehr! das ist – was sträub' ich mich, das Wort zu sagen, da das Gefühl in meinem Busen brennt. Nur Liebe kann so plötzlich uns [215] ergreifen; die hohe Sanftmuth und die stille Größe, mit der sie Kränkung duldet, und sie mit keinem vorwurfsvollen Blick erwiedert – ja, hier ist Tugend, hier ist Liebe, hier ist Lebensglück. Ein solches Weib, und eine Hand voll Erde, die mir und ihr nur dürft'ge Nahrung gibt, dann schwelgt ihr Götter dieser Erde in Pallästen – in meiner Hütte wohnt das wahre Glück.

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Nina. Waldberg.

NINA.

Ich suche Sie, Herr von Waldberg! man sah Sie in's Haus gehen, und doch kamen Sie nicht zu uns. Endlich erfuhr ich, Sie wären hier, und das ist mir lieb, denn hier kann ich besser von Herzen mit Ihnen sprechen, als in unserm Gesellschaftszimmer; hier darf ich immer sprechen, wie ich denke.

WALDBERG
zerstreut.
Was haben Sie mir zu sagen?
NINA.
Ich möchte gerne wissen – aber – es wird sich vielleicht nicht schicken.
WALDBERG.
Was?
NINA.

Ich möchte gerne wissen, ob Sie mich oder Emy heirathen – Schnell. Nicht wahr, Emy ist viel hübscher als ich?

WALDBERG.
Schönheit verblüht bald.
NINA.

Sie ist auch besser, viel besser. Ich war immer ein wenig wild und ausgelassen, und so oft ich als Kind etwas anstellte, Emy nahm es immer auf sich.

WALDBERG.
Und wenn Emy einen Fehler beging, so erklärten Sie sich schuldig?
[216]
NINA.
Ja – manchmahl auch ich – aber Emy ist doch besser.
WALDBERG.
Wenn ich aber dennoch Sie vorzöge?
NINA.
Wenn Sie – ach – dann müßte ich –
WALDBERG.
Was?
NINA
seufzt.

Sie heirathen – aber – nein, das werden Sie nicht. Hören Sie, lieber Herr von Waldberg! ist es denn wirklich wahr, daß Ihr Freund Grünau die Weiber haßt?

WALDBERG.
Bis jetzt, ja.
NINA.
Aber – mich sieht er doch recht freundlich an.
WALDBERG.
So?
NINA.
Und nicht wahr – wenn ich Sie heirathe, so wird er recht oft zu uns kommen?
WALDBERG.
O ja, sein Gut liegt ganz nahe.
NINA.
Da besuchen wir ihn oft?
WALDBERG.
So oft Sie wollen.
NINA.
Ei, alle Tage – ist Ihr Schloß groß?
WALDBERG.
Sehr groß.
NINA.
Da könnte er ja bey uns wohnen?
WALDBERG.
Ja, das ist wahr.
NINA.
Da brauchen wir nicht täglich den weiten Weg zu machen.
WALDBERG.
Wünschen Sie ihn denn alle Tage zu sehen?
NINA.
Ach – ja –
WALDBERG.
Sie sind ihm gut?
NINA.
Recht gut.
WALDBERG.
Nina – Sie können nicht auf meinem Schloß wohnen.
NINA.
Warum nicht?
[217]
WALDBERG.
Grünau hat ein viel schöneres Schloß.
NINA.
Schöner?
WALDBERG.
Aber kleiner.
NINA.
O ich brauche nicht viel Platz.
WALDBERG.
Also müssen Sie bey Grünau wohnen.
NINA
freudig.
Ja? – aber wird sich das schicken, daß ich bey ihm wohne, wenn ich Sie heirathe?
WALDBERG.
Nein, das schickt sich nicht.
NINA.
Aber daß er bey uns wohnt, das schickt sich?
WALDBERG.
Nein, auch das schickt sich nicht.
NINA.
Aber du lieber Himmel, was schickt sich denn?
WALDBERG.
Daß Sie Grünau heirathen.
NINA
fröhlich.
Meinen Sie?
WALDBERG.
Ja, so mein' ich, und so fühlen Sie.
NINA.
Ja – das ist wahr – so fühle ich. Aber wenn er die Weiber haßt, wird er mich nicht heirathen wollen.
WALDBERG.
Sagten Sie nicht, er sähe Sie freundlich an?
NINA.
Ja – das thut er.
WALDBERG.
Er hat Ihnen wohl auch schon die Hand gedrückt?
NINA.
Ja – das hat er – aber – woher wissen Sie denn das? hat er es Ihnen gesagt?
WALDBERG
lächelnd.

Das ist nicht nöthig, so etwas läßt sich errathen. Kurz – ich glaube, wenn ich ihm ein wenig zurede, so heirathet er Sie.

NINA.
O so thun Sie es doch, reden Sie ihm zu!
WALDBERG.
Ich suche ihn auf.
NINA.
Sagen Sie ihm, sein Schloß gefiele mir weit besser, als das Ihrige.
[218]
WALDBERG.
Aber – Sie haben es ja noch nicht gesehen?
NINA.
Freylich – das geht also nicht an.
WALDBERG.

Aber uns Beyde haben Sie gesehen. Ich könnte ihm also mit klaren Worten sagen, daß er Ihnen besser gefällt, als ich –

NINA
schnell.
Ach ja – ach nein – das würde sich nicht schicken.
WALDBERG.
Er wird es gewiß nicht übel nehmen.
NINA.
Aber Sie?
WALDBERG.
Ich will Ihr Glück, und wünsche herzlich, daß Sie es in Grünau's Armen finden.
NINA.

O gewiß! es ist ein gar zu guter Mensch, ein – Aber hören Sie – wenn er mich durchaus nicht will, zwingen müssen Sie ihn nicht.

WALDBERG.
Ohne Sorge. Wenn er Sie freundlich angesehen?
NINA
schnell.
Ja, das hat er, gewiß und wahrhaftig!
WALDBERG.
Wenn er Ihnen die Hand gedrückt –
NINA.
So fest – sehen Sie – ich glaube, man sieht es noch – wenigstens fühl' ich es noch.
WALDBERG.
Und wie haben Sie sich dabey benommen?
NINA
verlegen.
Ich?
WALDBERG.
Haben Sie den Blick zur Erde geschlagen?
NINA.
Anfangs wohl – aber dann habe ich immer wieder hinauf geblinzelt.
WALDBERG.
Und die Hand?
NINA.
Die Hand? – ich glaube – die habe ich ihm auch gedrückt.
[219]
WALDBERG.
Nun so ist ja die Sache so gut wie richtig.
NINA.
Meinen Sie?
WALDBERG.
Gewiß!
NINA.

Ich sollte auch nicht meinen, daß ein Mann einem Mädchen die Hand drückt, wenn er sie nicht heirathen wollte.

WALDBERG.

Freylich – die Sache ist schon zu weit gekommen; Sie werden Mann und Frau! Aber lassen Sie ihn nichts merken, daß Sie mit mir von der Sache gesprochen.

NINA.
Nein, gewiß nicht, ich schäme mich auch viel zu sehr.
GRÜNAU
innerhalb.
Da hinauf? die Thüre rechts?
NINA
erschrocken.
Da kommt er, ich muß fort! Nicht wahr, ich muß fort, sonst merkt er's?
WALDBERG.
Freylich.
NINA.
Reden Sie ihm nur recht zu – aber zwingen müssen Sie ihn nicht, hören Sie? zwingen nicht!
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Grünau. Die Vorigen.

GRÜNAU
stutzt, als er Nina hier erblickt.
Um Vergebung, wenn ich störe; man wies mich hierher –
NINA.
O nein, Sie stören uns gar nicht – Sie –
WALDBERG.
Liebe Nina, lassen Sie uns allein.
NINA.
Ach ja – sonst merkt er's – nicht wahr? sonst merkt er's. Ab.
GRÜNAU
schnell.
Deine Wahl ist also getroffen?
[220]
WALDBERG.
Aus was schließest du das?
GRÜNAU.
Hm – diese Unterredung auf dem abgelegenen Zimmer –
WALDBERG.
Ich mußte doch einmahl mit dem Mädchen allein sprechen.
GRÜNAU.
Freylich, freylich –
WALDBERG.
Ein Weiberherz läßt sich nicht so leicht ergründen.
GRÜNAU.
Nie, niemahls.
WALDBERG.
Jetzt bin ich aber so ziemlich mit ihr im Klaren.
GRÜNAU.
Bist du?
WALDBERG.
Unter uns ist schon alles richtig. Jetzt gehe ich zu der Mutter.
GRÜNAU.
Hm – die andre ist auch hübsch.
WALDBERG.
Schön.
GRÜNAU.
Ich weiß nicht, warum du nicht lieber die andre nimmst?
WALDBERG.
Sache des Geschmacks.
GRÜNAU.
Die andre ist auch etwas größer.
WALDBERG.
Eine wahre Nympfengestalt.
GRÜNAU.
Scheint etwas gesetzter.
WALDBERG.
Es sind beyde noch Kinder.
GRÜNAU.
Ja – aber die andere.
WALDBERG.
Wird wohl auch einen Mann bekommen.
GRÜNAU.
O ja.
WALDBERG.
Unter uns – das wäre eine Frau für dich.
GRÜNAU.

Warum nicht gar. Ich heirathe nicht, und – du thust auch nicht wohl daran zu heirathen. Das blutjunge Mädchen! sie ist viel zu jung für dich.

[221]
WALDBERG.
Das ist mir auch schon eingefallen.
GRÜNAU.
Du bist dreyßig.
WALDBERG.
Seit gestern neun und zwanzig.
GRÜNAU.
Gehst doch in's dreyßigste.
WALDBERG.
Ja, ich gehe hinein.
GRÜNAU.
Nina ist sechzehn.
WALDBERG.
Ein wahres Kind!
GRÜNAU.
Du könntest ihr Vater seyn.
WALDBERG.
Wenn das so fort geht, habe ich wohl auch schon graue Haare?
GRÜNAU.
Höre Waldberg, ich rathe dir als guter Freund – nimm die andre.
WALDBERG.
Die andre ist ja um ein Jahr jünger.
GRÜNAU.
Aber viel gesetzter – größer – und glaube mir, viel gescheider, viel vernünftiger.
WALDBERG.
So?
GRÜNAU.
Die andere scheint mir eine kleine Cokette.
WALDBERG.
So?
GRÜNAU.
Sie läßt sich Artigkeiten sagen.
WALDBERG.
Das thun alle Mädchen.
GRÜNAU.
Sie erwiedert Blicke.
WALDBERG.
Das ist mehr.
GRÜNAU.
Sie drückt wohl gar die Hände.
WALDBERG.
Das ist viel, davon fordre ich Beweise. Mit wem wechselt sie Blicke? wem drückt sie die Hände?
GRÜNAU
verlegen.
Mit – mit wem?
WALDBERG.
Ja, das muß ich wissen.
GRÜNAU.
Ei nun – mit mir.
WALDBERG
lächelt.
Mit dir? wozu der Scherz?
[222]
GRÜNAU.
Es ist Ernst, sage ich dir.
WALDBERG.
Du, du hättest ihr Artigkeiten gesagt?
GRÜNAU.
Ei nun, man hat galante Stunden.
WALDBERG.
Du hättest mit ihr Blicke gewechselt?
GRÜNAU.
Ja, sag' ich dir, ja.
WALDBERG.
Du hättest ihr die Hand gedrückt?
GRÜNAU.
Ja, ja, ja.
WALDBERG.
In welcher Absicht?
GRÜNAU
verlegen.
In – in der besten Absicht. Ich wollte sie prüfen, ob – ob sie deiner werth –
WALDBERG.

O liebster, bester Freund, lass' dich umarmen. Das muß dir bey deinem Weiberhaß recht sauer geworden seyn. Aber alles, was du mir da gesagt, schreckt mich nicht ab, ich liebe das Mädchen zu herzlich.

GRÜNAU.
Du – du liebst sie? Sieht ihn fest an. Sage mir als ein ehrlicher Mann, liebst du sie?
WALDBERG.
Von Herzen, und was du mir auch gesagt, sie verdient es.
GRÜNAU
nach einer Pause.
Ja – sie verdient es, mache das Mädchen glücklich – lebe wohl!
WALDBERG
hält ihn.
Wo willst du hin?
GRÜNAU.
Nach Haus.
WALDBERG.
Hat es solche Eile?
GRÜNAU.
Ich will mein Gut verkaufen. Ich will ein wenig in der Welt herum reisen.
WALDBERG.

Das ist mir leid. Nina versprach sich so viel Vergnügen von deiner Nachbarschaft. Ich schilderte ihr die hohe Lage deines Schlosses, die Aussicht über Seen und Felder, und es gefiel ihr besser, als das eingeschränkte Ebenstein.

[223]
GRÜNAU.
So nimm es.
WALDBERG.
Um welchen Preis?
GRÜNAU.
Um jeden, den du willst.
WALDBERG.
Der Handel ist richtig – aber – nein – es geht doch nicht an.
GRÜNAU.
Warum nicht?
WALDBERG.
Du willst reisen, und Nina möchte gerne mit dir auf deinem Schlosse wohnen.
GRÜNAU.
Mit – mit mir?
WALDBERG.

Sie meinte erst, du solltest zu uns ziehen, als ich ihr aber das Unschickliche davon vorstellte, so meinte sie – sie zöge auch wohl zu dir.

GRÜNAU.
Zu – zu mir?
WALDBERG.
Zu dir.
GRÜNAU.
Höre, lieber Freund – ich glaube das Mädchen ist mir gut.
WALDBERG.
Das glaube ich auch.
GRÜNAU.

Ja, manchmahl glaube ich sogar, erschrick nicht, lieber Freund! aber manchmahl kömmt es mir vor – das Mädchen sey in mich verliebt.

WALDBERG.
Ich muß dir nur gestehen – es kömmt mir auch so vor.
GRÜNAU.
Daß sie mich liebt?
WALDBERG.
Daß sie dich liebt.
GRÜNAU.
Und du willst sie dennoch heirathen?
WALDBERG.

Gott soll mich in Gnaden bewahren, eine Frau zu nehmen, die sich vor der Hochzeit schon ausbittet, mit ihrem Liebhaber unter einem Dach zu wohnen.

GRÜNAU.
Hat sie das gethan?
WALDBERG.
Das hat sie gethan.
[224]
GRÜNAU.
Und du?
WALDBERG.

Und ich? Vertraut. Ich habe ihr gesagt, daß ich sie nun nicht mehr wolle, daß sie zu meinem Freund Grünau ziehen, und mit ihm leben und sterben soll.

GRÜNAU
fällt ihm um den Hals.
Das hast du ihr wirklich gesagt?
WALDBERG.
Wirklich – aber – es kann ja nicht seyn.
GRÜNAU.
Warum nicht?
WALDBERG.
Dein Weiberhaß –
GRÜNAU.

Haß? sieht so ein Mensch aus, der haßt?Küßt und drückt ihn. Ich möchte der ganzen Welt um den Hals fallen, und es auf allen Plätzen ausrufen, daß ich verliebt, rein, toll verliebt bin. Das Mädchen hat mir gleich gefallen, aber dein Wahlrecht hielt mich im Respect; auch hoffte ich, es sey nur so ein leichter Fieberschauer, der sich bald verlieren würde; aber gestern Abend fiel mir eine Thräne aus ihren großen Augen auf die Hand – das war kein Wasser, das war Feuer, wie es im Platzregen vom Himmel fällt, und unsre alten Eichen niederschlägt, so traf es mich; und seit dem lache und weine ich zu gleicher Zeit, sehe den Mond an, mache Verse, und Gott verzeih es mir, aber ich glaube, ich könnte auch in's Wasser springen. Bin ich nun verliebt oder nicht?

WALDBERG.
Viel Unheil durch eine einzige Thräne; aber warum hat sie geweint?
GRÜNAU.

Darin liegt es eben. Ihr Herz, ihr Charakter, ihre ganze Engelsseele spricht sich in dieser Thräne aus. Sie weinte nicht wie andre Mädchen, denen man Putz und Spielwerk versagte, nicht über eigne Kränkung, [225] nein, über die Mißhandlung ihrer Schwester hat sie geweint.

WALDBERG.
Ihrer Schwester?
GRÜNAU.
Die durch die gnädige Mama beschimpft wurde, und nicht bey Tische erscheinen durfte.
WALDBERG.
Emy saß ja neben dir.
GRÜNAU.
Wer spricht von Emy? ich rede von Marien.
WALDBERG.
Was sagst du, von Marien?
GRÜNAU.
Daß sie die Stiefmutter mißhandelt.
WALDBERG.
Mutter – welche Mutter?
GRÜNAU.
Die Baroninn.
WALDBERG.
Sie wäre?
GRÜNAU.
Mariens Mutter.
WALDBERG.
Wie? Madame Vernon –
GRÜNAU.
Ist der Baroninn Stieftochter.
WALDBERG.
Emy, Nina und Marie wären –
GRÜNAU.
Schwestern.
WALDBERG.

Gott, Gott – und ich, und sie – Freund, Bruder! Fällt ihm um den Hals. Du hast vergolten. Du hast die Braut von mir empfangen, und in demselben Augenblick sie mir gegeben.

GRÜNAU.
Welche Braut?
WALDBERG.
Frage nicht, forsche nicht, ich bin glücklich, selig, das sey dir genua. Wir machen beyde Hochzeit.
GRÜNAU
voll Freuden.
Beyde?
WALDBERG.
An einem Tag.
GRÜNAU.
An einem Tag.
WALDBERG.
Dann ziehen wir auf's Land.
GRÜNAU.
Kommen nie wieder in die Stadt.
[226]
WALDBERG.
Zeigen unsern Weibern frohe Wenschen, blühende Bäume, und segenreiche Felder.
GRÜNAU.

Und über's Jahr sitzen die jungen Wütter in der Stube, und halten den Segen Gottes auf dem Arm. Ich habe immer gehört, die verliebten Menschen sind die glücklichsten – wir sind verliebt.

WALDBERG.
Und glücklich! Umarmen sich.
GRÜNAU.
Glücklich, unüberschwenglich glücklich!

Ende des vierten Acts.

[227]

5. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Zimmer des ersten Acts. Wolf, Waldberg kommen aus der Mitte, Blümlein folgt.

BLÜMLEIN.
Nur zwey Worte!
WALDBERG.
Ich habe wirklich nicht Zeit.
BLÜMLEIN.
Weiß, weiß! Ein Bräutigam läuft, schafft, will leben und läßt leben. Darum hätte ich eben –
WALDBERG.

Gleich, gleich! Zu Wolf. Gehen Sie zur Baroninn, lassen Sie den Contract unterzeichnen; der Nahme der Braut soll folgen.

WOLF.

Rathe aber freundschaftlich, die Augen zu verwahren, als ob Sie den Bienen den Honig nehmen wollten; denn die Augen gehen bey der Entdeckung darauf.

WALDBERG.
Ich werde weder Geld noch Bitten sparen, ihr Herz zu rühren.
WOLF.
Ich hoffe alles von dem Gelde, nichts von dem Herzen.
WALDBERG.
Sie ist ein Weib.
WOLF.

Die, meinen Sie, sind am Ende doch schwach, [228] wenn sie auch nicht gut sind? Nun wir wollen sehen, was durchdringt, Ihr Geld, Ihre Bitten, oder mein tiefer Baß; der wird sich wohl durchschreyen müssen. Denn hören Sie, wem ich so mit meiner ganzen Stimme die Wahrheit sage, der weiß eine Weile, was er gehört hat, und vergißt es so bald nicht. Ab in das Zimmer der Baroninn.

2. Auftritt
Zweyter Auftritt
Waldberg. Blümlein.

WALDBERG.
Was steht zu Befehl?
BLÜMLEIN.
Befehl? ich Ihnen befehlen? Gott verzeih Ihnen die Sünde! ich bin hier, mir befehlen zu lassen.
WALDBERG.
Wie meinen Sie das?
BLÜMLEIN.

Ich habe gleich bey Ihrem ersten Anblick eine so herzliche Neigung zu Ihnen gefaßt, daß ich Ihnen nun auch gerne nützlich werden möchte. Ein Bräutigam hat viel zu thun, kann nicht alles besorgen, zum Beyspiel, den Brautschmuck – da muß man Kenner seyn, sonst wird man angeführt, wenn man sich nicht an den rechten Mann wendet. Ich bin der rechte Mann!

WALDBERG.
Wie? Sie handeln?
BLÜMLEIN.

Wer handelt jetzt nicht? Seit dem die Engländer nicht mehr unsre Küsten befahren, haben sich Handelsflotten auf dem festen Lande formirt; alles negozirt und handelt – ich bin auch so ein ländlicher Seefahrer.

WALDBERG.
Also ein Corsar?
BLÜMLEIN.
Behüte! ein friedeliebender Kaufmann.
WALDBERG.
Sie? ein fürstlicher Rath?
[229]
BLÜMLEIN.

Was rath' ich denn, wenn man mich nicht zu Worte kommen läßt? Ich hatte immer die besten Gedanken, aber zum Unglück waren sie schon hier und da vorher im Druck erschienen; meine Feinde – und die hat überall das Verdienst – sagten daher, ich hätte alles abgeschrieben. Nun bitte ich Sie, kann ich etwas dafür, wenn mein guter Einfall schon irgendwo gedruckt wurde? – Kurz, nachdem ich acht Wochen dem Fürsten nach meinem besten Gewissen gerathen hatte, wurde ich in Ruhestand versetzt.

WALDBERG.
Vermuthlich hatten Sie sich schon erschöpft?
BLÜMLEIN.

Bewahre – bey meinem Vorrath – betrachten Sie einmahl diesen Kopf – steckt noch viel darin, hätte noch allerley sagen können; aber meine Tante, die fürstliche Meubel-Inspectorinn, schob mich durch allerley Nebenthürchen in das Cabinet des Fürsten, und die Cabale warf mich bey der großen Hauptthüre wieder hinaus. Da öffneten sich meiner Industrie die Cabinete der Damen, bey denen oft guter Rath theuer ist. Es fiel manchmohl eine Schmucknadel vom Kopf, ich hob sie auf, bewunderte; – man wollte sie eben los seyn, brauchte Geld, und so formirte sich unter der Hand meine kleine Großhandlung. Bey mir finden Sie Steine, die an der Krone des Tippo Saib geglänzt haben; Perlen, von denen zwölf Stücke genug waren, sei nen corpulenten Hals zu umfassen. Rubinen und Smaragden aus dem Diadem der Cleopatra – ja, ich habe sogar einen kleinen Pitt unter meinen Steinen.

WALDBERG.
Was soll ich damit?
[230]
BLÜMLEIN.
Kaufen, Freundchen, kaufen! lauter Waare für einen Bräutigam.
WALDBERG.
Meine Braut braucht keinen Schmuck.
BLÜMLEIN
sieht ihn erstaunt an.
Um Vergebung! ist sie kein Frauenzimmer?
WALDBERG.
Sie achtet nur den innern Werth.
BLÜMLEIN.

Innern Werth? den Seelenschmuck? gilt so wenig, wie Seelenadel. Mag es inwendig bey den Leuten noch so brillant aussehen, in die Ferne muß es leuchten. Nur was man befühlen, begreifen, taxiren kann, hat wahren Werth. Kaufen Sie, Freund! ich bin billig; ich habe eben viele Waare und wenig Geld, und ich muß immer bey Geld seyn, um jeden Paroxismus der Damen zu benützen. Vertraut. Gestern, zum Beyspiel, hatte die Dame hier im Haus ein starkes Fieber; es schüttelte sie gewaltig, daß ihr der ganze Schmuck vom Kopf fiel; ich habe ihn höflich aufgehoben, und frage Sie nun – wollen Sie so höflich seyn, ihn zu kaufen? Hält den Schmuck hin.

WALDBERG.
Ist es möglich! die Baroninn gab ihren Schmuck?
BLÜMLEIN.

Für das Vergnügen hin, Sie bewirthen zu können. Ja, wenn der Mensch oft wüßte, was er in sich hinein ißt. Für manche volle Tafel hat die Hausfrau alle Ringe von den Fingern gestreift, und mit dem lieblichen Dampf einer Schnepfenpastete steigen ihre Seufzer zum Olymp empor; im Champagner perlen ihre Thranen, und der prächtige Aufsatz ist das sicherste Zeichen, daß sie bald nichts mehr aufzusetzen hat.

WALDBERG.
Welch ein Bild!
[231]
BLÜMLEIN.
Sind viele dazu gesessen – die Baroninn Treschfeld, die Frau von Rehhausen, die –
WALDBERG.
Nicht weiter – was kostet der Schmuck?
BLÜMLEIN.

In geldreichen Zeiten wäre er 15,000 fl. werth, aber jetzt, wo die Ducaten eine Schaumünze sind, sollen Sie ihn um 12,000 fl. haben. Davon geht aber kein Kreutzer ab, sonst verliere ich mein eigen Geld dabey.

WALDBERG
nach einer Pause.
Ich zahle sie.
BLÜMLEIN.

So spricht ein Liebhaber, ein Bräutigam; denn wenn die nichts mehr kaufen wollten, wo käme es dann mit dem Handel hin? als Ehemänner kaufen sie ohnehin nichts mehr, im Gegentheil, da muß die Frau die Geschenke der Liebe wieder herausgeben, da wird verkauft. Aber Sie müssen es der Baroninn nicht merken lassen, daß Sie wissen, daß der Schmuck von ihr – verstehen Sie mich? das würde sie beschämen. Aber – im Vertrauen, sie rechnet auf ein solches Zeichen ihrer Eidamsliebe.

WALDBERG.
Gut, gut, geben Sie!
BLÜMLEIN.
Hier. Gibt den Schmuck. Aber – wann geben Sie?
WALDBERG.
Was?
BLÜMLEIN.
Das Geld.
WALDBERG.
Morgen – heute, wenn Sie wollen.
BLÜMLEIN.

Heute, heute! es kommen oft mitten in der Nacht Geschäfte vor. Man hat verspielt, will wieder spielen, der Beutel ist leer, das Schmuckkästchen voll, da werfen sie einige Steinchen, die einzige Last der Damen, von sich. Nun, Sie kennen meine Verschwiegenheit; [232] ich ließe mich auf die Tortur bringen, ehe der Nahme einer so verehrten Unglücklichen über meine Zunge käme. So habe ich den Schmuck der Frau von Treibis, der Baroninn Walter, gebornen Runkel, der Gräfinn Halbern, der Frau von Gram –

WALDBERG.
Sachte! auch ohne Tortur verrathen Sie Ihre Demantgruben.
BLÜMLEIN.
Verrathen? nennen Sie das verrathen, wenn ich es meinem besten Freund in's Ohr sage?
WALDBERG.
Sie kennen mich ja erst seit –
BLÜMLEIN.

Seit gestern von Angesicht, aber das Vermögen, welches Sie geerbt haben, kenne ich schon lange, hätte schon einige Mahl der Baroninn darauf borgen sollen. Daraus kann ich nun auf Ihr Herz, auf Ihre Verdienste schließen; Sie tragen den Charakter eines Menschen im Gesicht, der jährlich 40,000 Gulden Einkünfte hat – sehen Sie mich an – nicht 40 Kreutzer fehlen. So sieht gerade ein Mensch aus, der mehr hat, als er braucht, und solche Gesichter sieht man jetzt äußerst selten. Erlauben Sie mir, lieber Freund, Sie recht oft zu besuchen, denn es macht mir eine wahre Seelenfreude, Sie anzusehen. Also das Geld

WALDBERG.
Können Sie in zwey Stunden bey Advocat Wolf empfangen.
BLÜMLEIN.
O Sie Schooßkind des Glückes – 14,000 fl. in zwey Stunden –
WALDBERG.
Zwölf tausend war der Accord –
BLÜMLEIN.

Recht, recht! sollte vierzehn tausend gesagt haben; aber weil Sie es sind, und weil vielleicht gar Gold –?

[233]
WALDBERG.
Wenn Sie wollen, Gold –
BLÜMLEIN.

Gold! Gold! Wenn die Damen Gold sehen, reißen sie die letzten Steinchen von ihrem Herzen los, und sollte es auch die Carmoisirung des lieben Ehegemahls seyn – selbst der Trauring, wenn er glänzt, er muß fort; alles huldigt diesem Götzen, und ich werfe mich vor ihm in den Staub. Also – in zwey Stunden?

WALDBERG.
In zwey Stunden –
BLÜMLEIN.
Erhalte ich das Geld?
WALDBERG.
Ja, ja!
BLÜMLEIN.
Gold?
WALDBERG.
Gold.
BLÜMLEIN.
O Sie Goldmännchen! – Ganz gehorsamer Diener, Ihr ganz leibeigener Diener. Ab.
WALDBERG.

Ich will es versuchen, will mit diesen kalten Steinen an ihr Herz schlagen, will Liebe für Marien kaufen, damit die Arme eine Mutter hat.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Marie. Waldberg.

MARIE
geht über das Theater, will in der Baroninn Zimmer; wie sie Waldberg erblickt, bleibt sie stehen, verneigt sich und will dann fort.
WALDBERG.
Madame Vernon – ich bitte um einen Augenblick –
MARIE
kommt langsam näher.
Was befehlen Sie?
WALDBERG.

Dieß harte Wort ist ein Vorwurf meiner Zudringlichkeit – aber – ich habe nun Vertrauen zu diesem offnen Auge; jeder Ausschluß, der mir über die [234] Verhältnisse dieser Familie werden muß, komme von Ihnen.

MARIE
verlegen.
Wie kann ich –
WALDBERG.

Sie sind lange genug in diesem Hause, um seine Bewohner zu kennen. – Man spricht von einer dritten Tochter der Baroninn – wo ist die?

MARIE
wendet sich weg.
WALDBERG.

Ich weiß, man denkt nicht gerne an sie, ja man vermeidet von ihr zu sprechen, weil die Baroninn sie haßt.

MARIE.
O – nein.
WALDBERG.
Sie soll liebenswürdiger als ihre eignen Kinder seyn, darum entfernt man sie.
MARIE.
Lüge – alles Lüge!
WALDBERG.
Auch sollen sie die jüngern Schwestern um ihre Vorzüge beneiden.
MARIE.
Die guten Kinder! nein, o nein!
WALDBERG.
Ich habe es von Personen, die –
MARIE
schnell.
Verleumder –
WALDBERG.
Wo lebt die Unglückliche, die Verstoßene?
MARIE.
In diesem Hause – Sie sehen also, daß sie nicht verstoßen ist.
WALDBERG.
Aber doch unglücklich?
MARIE.
Nein.
WALDBERG.
Bey einer Stiefmutter wie die Baroninn, die nur die eignen Kinder liebt.
MARIE.

Das Kind, das sie geboren, muß ihr werther seyn, als das, woran nur kalte Pflicht sie bindet. Ein fremdes Wesen stand vor ihr, und hieß sie Mutter; war es ein Wunder, daß keine Stimme in ihrem Herzen [235] Tochter rief? Und als sie Mutter ward, das erste Lallen eigner Kinder hörte, das eigne Auge ihr entgegen strahlte, die eigne Stimme aus dem Kinde sprach, da rissen plötzlich jene dünne Fäden, die nur die Pflicht, nicht Liebe webte. Der Rahme Mutter weckt die Liebe nicht, nein! Blick und Ton muß ihn zum Herzen tragen, nur dann durchdringt er jede harte Rinde, und liebevoll gibt ihn das Herz zurück.

WALDBERG.
Wie, Sie entschuldigen?
MARIE.
Es ist mir Pflicht.
WALDBERG.

So wäre es Lüge, daß Baron Wendheim seine älteste Tochter verheirathete, um sie den Verfolgungen der bösen Stiefmutter zu entziehen? daß seine Wahl auf einen Unwürdigen fiel, daß –

MARIE.

Herr von Waldberg, wer so viel weiß, muß alles wissen, und manche Schattenseite wird sich dadurch hellen. Baron Wendheim hing an seiner ältern Tochter, weil sie das Ebenbild der Mutter war, die ihm der Tod geraubt, mehr als die Kinder liebte er sie, die ihm die zweyte Gattinn schenkte, und das entging dem Mutterauge nicht, das gleiche Rechte, gleiche Liebe fordert; so stand sie feindlich zwischen beyden Ältern, so konn te sie der Mutter Herz nicht rühren. Der Vater sann darauf sie zu vermählen, er wählte schnell, zu schnell, er fand den Würdigen nicht. Mit reicher Mitgift und mit reichem Segen, trat sie mit ihrem Gatten in die Welt, doch in Erfüllung ging der Vatersegen nicht. Bald sah sie sich an einen Mann gebunden, der ihr Vermögen suchte, nicht ihr Herz, der nur verschwenden wollte, nicht erwer ben. Ihr Reichthum schmolz dahin, ihr [236] Mann erlag dem wilden Leben, er starb, und eine Bettlerinn stand freundelos in der Welt. Zum Vaterhaus trieb sie die Noth und ihr Gefühl zurück, vergessen hatte, sie was sie gelitten, als sie die Thürme dieser Stadt erblickte, der Heimath schlug ihr frohes Herz entgegen, der Heimath, die den Vater in sich birgt. Der Wagen hielt, es öffnet sich die wohlbekannte Pforte, und öde war es in den weiten Hallen, kein Laut, kein Ton, der sie willkommen hieß. Sie wankte zu der Thür ihres Vaters, der Schall von Bethenden drang in ihr Ohr, und als sie bebend öffnet, großer Gott! da deckt ein Leichentuch des Vaters Hülle – auch ihre letzte Stütze sank in's Grab.

WALDBERG.
Sie haben mich erschüttert.
MARIE.

Am Sarge des Vaters fand sie bald die Schwestern; das Auge voll Thränen schwuren sie sich Liebe, und hielten treu den schwesterlichen Bund.

WALDBERG.

Auch einen Gatten soll sie wieder finden, im Arm der Liebe jedes Leid vergessen. Alles, was ich von ihr höre, fesselt mich an sie; ich bin entschlossen –

MARIE.
Großer Gott! nein, nein, sie kann keinen Mann beglücken.
WALDBERG.
Warum nicht?
MARIE.
Ihre leidende Gestalt – ihre Schwermuth –
WALDBERG.

Sie verwandle sich in Freude – Marie – ich glaube, so heißt sie – seyn Sie meine Fürsprecherinn bey Marien, sagen Sie ihr, daß ich sie mit der Welt, mit dem Glück, mit der Menschheit versöhnen will, daß ein redlicher Mann um sie wirbt, ein Mann, der ihre [237] Leiden fühlt, und dem ihr Glück heilig seyn wird. Sollte sie meine Hand ausschlagen?

MARIE.
Sie muß.
WALDBERG.
Sie muß?
MARIE.

Sollte sie ihre Schwester bestehlen? nein – nein, das wird sie nimmermehr! Auch Sie werden Ihren Entschluß ändern, wenn Sie sie gesehen.

WALDBERG.
So wissen Sie denn, ich habe sie gesehen.
MARIE.
Wie?
WALDBERG.
Ich kenne und liebe sie.
MARIE.
Sie lieben –
WALDBERG.
Ja, ich liebe sie – Marie – der Schleyer fällt, ich kenne und liebe Sie, werden Sie meine Frau!
MARIE.
Nie, niemahls – meine Schwestern –
WALDBERG.
Sie sollen nichts verlieren.
MARIE.
Meine Mutter –
WALDBERG.
Soll Ihnen jetzt erst Mutter werden.
MARIE.

Nein, nein – o nein! Herr von Waldberg, der Schleyer fiel, Sie sehen hell und klar. Ja, die leidende Gestalt steht vor Ihnen, aber sie will, sie kann den flüchtigen Eindruck nicht benutzen, den ihre Lage in diesem Hause auf Ihr Herz machte. Sie treten mit vollen, gültigen Ansprüchen auf Lebensfreuden in die Welt, und wollten eine welke Blume in den Kranz Ihres häuslichen Glückes flechten, die man nicht sorgsam genug wählen kann, um ihre Dauer nicht zu überleben. Nie, nie werde ich meine Schwester, welche Sie auch wählen, um ein Herz bestehlen, das, wie ich Sie nun kenne, eine Frau sehr glücklich machen muß. Sie würden mich zwingen dieses Haus zu verlassen, wenn Sie diese Leidenschaft [238] nicht unterdrücken, die aus Mitleid entstand, und uns Beyde sehr unglücklich machen würde. Ich habe das nasse Auge eines guten Menschen gesehen, habe sein tröstendes, theilnehmendes Wort gehört, dafür werde ihm das Geständniß meiner innigsten Hochachtung. Dieß Gefühl kann ich laut für Sie bekennen, fordern Sie kein anderes von mir, und geben Sie mir kein anderes zurück. Ich sehe Sie nie mehr – Gott gebe Ihnen alle Lebensfreuden, die gute Menschen verdienen – aber – ich bitte Sie – sehen wir uns nie mehr Ab.

WALDBERG.

Nie mehr? ich sollte dir entsagen? und mit dir meinem Glück? Bethe für uns Beyde um Lebensfreuden, denn ohne dich kenne ich sie nicht mehr.

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Grünau, Waldberg.

GRÜNAU.
Nun Freund, wie steht es?
WALDBERG.
Ich habe sie gesprochen.
GRÜNAU.
Sagt sie ja?
WALDBERG.
Nein, nein, nein!
GRÜNAU.
Und du so fröhlich?
WALDBERG.
Nein sagt ihr Mund, ja ihr Auge.
GRÜNAU.
Und die Mutter?
WALDBERG.
Weiß noch nichts.
GRÜNAU.
Hm, es ziehen Gewitterwolken auf.
WALDBERG.
Sie mögen kommen.
GRÜNAU.
Es wird donnern, blitzen.
WALDBERG.
Mag es –
[239]
GRÜNAU.

Ja – aber vielleicht schlägt es auch ein, und das trifft gerade deine Braut, die schon gestern Abend eine Annäherung der mütterlichen Hand befürchten mußte –

WALDBERG.
Ich habe einen Blitzableiter in der Tasche.
GRÜNAU.
Wie? wo?
WALDBERG
zeigt ihm den Schmuck.
Hier! doch still! sie kommen. Steckt den Schmuck ein.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Waldberg. Grünau. Wolf. Baroninn. Nina. Emy.

BARONINN.

Alles in Ordnung, Herr Sohn! Ich gebe Ihnen mit Freuden diesen Nahmen, welche von meinen Töchtern Sie auch wählen mögen, ich widersetze mich Ihrer Wahl nicht. Hier ist der Kranz! wo ist die Braut? Sie hält einen Myrthenkranz in der Hand.

WALDBERG.

Einen Augenblick – ich habe mir die Freyheit genommen, Gäste zu laden; die ganze Gesellschaft von gestern ist schon in Ihren Prunkgemächern versammelt.

GRÜNAU
leise.
Bist du von Sinnen? was sollen die Gesichter?
WALDBERG
laut.

Ich brauche Zeugen meines Glücks – Zu Grünau leise. und bin der gekränkten Unschuld diese Genugthuung schuldig.

GRÜNAU.
Ich verstehe.
BARONINN.
Schalten Sie in meinem Hause nach Gefallen. Aber nun zur Sache! welche von meinen Töchtern –
[240]
WALDBERG.
Ich vermisse noch eine liebe Hausgenossinn, Madame Vernon.
BARONINN.
Was soll die?
WALDBERG.
Ihre Töchter lieben sie, es wäre also doch schicklich –
EMY UND NINA.
O ja, Mama! wir bitten!
BARONINN.
Es sey!
EMY
läuft zur Thüre.
Marie soll kommen! geschwinde!
BARONINN.

Sie muß ohnehin das Brautkleid besorgen – aber, gemacht wird es nach meiner Angabe, denn sie kennt keine Blume, als das empfindsame Veilchen, oder das trauliche Vergißmeinnicht.

EMY
zu Nina.
Du, mir ist ganz bange!
NINA
Mir auch.
EMY.
Du bist die Braut!
NINA.
Nein du!
WOLF
der es gehört.
Wenn sich zwey zanken, freut sich der Dritte.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Babette. Die Vorigen.

BABETTE.
Madame Vernon bittet, auf ihrem Zimmer bleiben zu dürfen, ihr sey nicht recht wohl.
BARONINN.

Ei seht, den Eigensinn! Madame schmollt wohl noch von gestern? Sag' ihr, daß ich sie erwarte, sie soll kommen, sogleich kommen!

BABETTE
ab.
BARONINN.

Die Person wird in meinem Hause ewig fremd [241] bleiben, an nichts nimmt sie Theil. Das ist ihre große Liebe zu meinen Kindern, da seht ihr nun!

EMY.
Aber wenn sie krank ist?
BARONINN.

Krank? Es wird wieder ein Thränen - und Bußtag im Kalender stehen, dann schämt sie sich der rothen Augen.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Marie. Die Vorigen.

MARIE
geht auf die Baroninn zu, küßt ihr die Hand.
Sie haben befohlen –
BARONINN.

Zwey Mahl befohlen, bis Sie ein Mahl gekommen sind. Wie gesagt, die rothen Augen waren Schuld; in dieser Stimmung werden Sie sich nur dürftig über das Glück einer meiner Töchter freuen, welches eben unterzeichnet wird.

MARIE.
Dann wird es sich wohl nicht schicken, daß ich –
BARONINN.
Was?
MARIE.
Es sind Gäste im Hause; erlauben Sie, daß ich für ihre Unterhaltung sorge, bis Sie selbst –
BARONINN.
Sie sollen hier bleiben! ich befehle es!
WALDBERG.
Und ich bitte darum!
WOLF
zu Grünau.
Nun wird's losbrechen.
GRÜNAU.
Es donnert schon.
BARONINN
zu Marie.

Unterdücken Sie ein wenig Ihren Neid, Ihre Mißgunst. Madame haben schon einen Mann gehabt, dulden Sie nun, daß man auch für andere Bräute [242] Kränze windet. – Nun, Herr Sohn – hier ist der Kranz! welche ist die Braut?

WALDBERG
führt die bebende Marie zu der Baroninn.
Diese –
BARONINN
erschrickt und läßt den Kranz fallen.
Wie? was?
NINA UND EMY
voll Freuden.
Marie!
NINA.
Meine gute Schwester!
EMY.
Du Braut?
BEYDE.
O nun wird dir vergolten!
WOLF
zu Grünau.
Bitte, die petrificirte Freude der Baroninn zu betrachten.
GRÜNAU.
Ich fürchte, es schlägt ein.
BARONINN.
Was ist das für ein Gaukelspiel? was soll das heißen?
WALDBERG.
Ich versprach, eine Tochter des Baron Wendheim zu heirathen, und wähle – Marie.
BARONINN.

Mir wird schlimm, das Zimmer geht mit mir herum. So, Madame! hat sich Ihre Sanftmuth einen Mann erschlichen? Ist das die Liebe, die Sie für meine Kinder hegen?

MARIE.
Großer Gott!
WALDBERG.
Fassen Sie sich!
MARIE.
Lassen Sie mich fort!
EMY UND NINA.
Liebe Mama –
BARONINN.

Fort! ihr könnt noch für sie bitten? sie hat euch ja bestohlen, beschimpft! man wird mit Fingern auf euch zeigen! ihr werdet keine Männer kriegen!

GRÜNAU.
Um Vergebung! hier steht schon einer.
BARONINN.
Was?
GRÜNAU.
Ich bitte um Ihre Nina!
[243]
WOLF.

Zum Bräutigam bin ich zu alt, sonst würde ich um die liebe Emy bitten; aber als Vormund, als Vater steh ich hier und strecke meine Hände zum Segen aus. Gnädige Frau! Sie waren dieser guten Seele nie Mutter, obgleich Sie Ihnen immer eine gute Tochter war. Oft, wenn das Haus von wilder Freude wiederhallte, sah ich in ihrem Auge eine stille Thräne, die ihr der Gäste Spott, der Mutter Härte ausgepreßt. Da dacht' ich dann: ihr wird vergolten, denn solche Duldung ging von oben aus, von oben wird ihr die Vergeltung kommen. Und siehe da! nachdem sie manchen bittern Kelch geleert, reicht ihr der Ehrenmann den Freudenbecher, und alle gute Menschen stoßen an.

BARONINN.
Sie waren im Complott?
WOLF.
Muß es bekennen.
BARONINN.
Haben fein gesponnen!
WOLF.

Scheue nicht die Sonnen. Ja, ich habe mich zu der Frevelthat verleiten lassen, Sie alle glücklich zu machen.

BARONINN.
Schönes Glück!
WOLF.

Nennen Sie das kein Glück? Nina bekömmt einen braven Mann – Marie bekömmt einen braven Mann. Emy ist noch jung, kann warten, und wird eine reiche Parthie, denn Herr von Waldberg hat ihr 30,000 fl. Heirathsgut verschrieben; hier ist das Instrument darüber. Er hat Ihnen, Leise. die Sie schon sehr auf dem Boden waren und manches über Bord werfen mußten, um wieder flott zu werden, Laut. jährlich 2000 fl. ausgesetzt; hier ist das Instrument darüber. Ist das kein Glück?

[244]
WALDBERG.
Ich that, was ich konnte, Ihre Liebe zu verdienen. Geben Sie uns Ihre Einwilligung, Ihren Segen.
BARONINN.
Madame ist mündig, hängt von niemand ab.
MARIE.

Nein, nein! ich habe eine Mutter. Sträuben Sie sich gegen diesen Nahmen, wie Sie wollen, Ihr Herz soll mir ihn heute geben. Ich habe meine Schwestern nicht betrogen, nach ihrem Glücke nicht gegeitzt, wahr und warm für sie gesprochen, auf diesen Ausgang nie gehofft.

WALDBERG.
Marie –
MARIE.

Ich habe Muth, dem Manne zu entsagen, den mir die Mutter nicht entgegen führt. Zu Waldberg. Ich erkenne, was Sie für mich gethan; aber, indem sich ein Herz für mich öffnet, dürfen die sich nicht verschließen, an die mich Blutesbande knüpfen. Umarmt ihre Schwestern. Wir hatten einen Vater, wir sind Schwestern, und eure Mutter sollte mir nicht Mutter seyn? – In diese Hand leg' ich mein Schicksal nieder. Ergreift ihre Hand. Ich kann den Muttersegen nicht entbehren, nur Sie bestimme meines Lebens Glück!

BARONINN
gerührt.
Marie –
MARIE
zu ihren Füßen.
Ha, dieser Ton kam aus dem Herzen! die Mutter ruft – ich habe eine Mutter!
EMY UND NINA.
Liebe Mutter! gute Schwester!
WALDBERG.
Empfang' ich von der Mutter jetzt mein Glück?
BARONINN.
Marie ist die Braut!
EMY UND NINA.
Gott! Gott! wie dank' ich dir!
[245]
WOLF.
Jetzt, Bruder Wendheim, schau herab! jetzt segne ich in deinem Nahmen.
GRÜNAU
führt Nina zur Mutter.
Und wir Beyde?
BARONINN.
Seyd ein Paar – aber Marie – bekommt den Kranz. Gibt ihn ihr.
ALLE KINDER.
O liebe Mutter! gute Mutter!
WALDBERG.

Neben diesem Brautschmuck kann Marie keinen andern tragen. Gibt Marie den Schmuck. Die Mutter schmückte dich, schmücke du die Mutter.

MARIE
gibt ihr den Schmuck.
Der Liebe genügen Blumen.
BARONINN
beschämt.
Ich gab dir Thränen, und du –
MARIE.
Nur der Morgen meines Lebens war bethaut, die Abendsonne strahlt mir Freude.
ALLE.
Freude!
8. Auftritt
Letzter Auftritt
Blümlein unter der Thüre.

BLÜMLEIN.
Die Gäste werden unruhig, wollen nicht mehr warten, wollen wenigstens wissen – welche ist die Braut?
ALLE
deuten auf Marie.
Diese –
BLÜMLEIN
bleibt erstaunt stehen.
Diese?
GRÜNAU.
Und diese. Deutet auf Nina.
WOLF
tritt zwischen die Brautleute.

Sagen Sie den Gästen, die Tugend hat gesiegt, der alte Gott lebe noch, und der alte Wolf hat gesegnet!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Weißenthurn, Johanna von. Dramen. Welche ist die Braut!. Welche ist die Braut!. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9AA0-E