Johannes Düc, der Lustige,
oder
Schicksale eines Mannes von guter Laune

Alle Weisheit, mit welcher uns Lehrer und Bücher als einer Universalmedizin versorgen wollen, alle sogenannte Grundsätze, die das Herz wider Kummer und Schmerz waffnen sollen, alle Ingredienzen der Glückseligkeit, die uns moralische Rezeptmacher verschreiben, tun oft – und vielleicht meistens – nicht zur Hälfte die Wirkung, die eine einzige Pflanze der Natur hervorbringt – die gute fröhliche Laune. Wer aus Vorurteil, Melancholie, Milzsucht oder einer andern Krankheit des Körpers und des Geistes dies nicht glauben will, der lese aufmerksam die Geschichte eines Mannes, der es durch sein Beispiel bewies – und Trotz sei ihm geboten, wenn er noch eine Minute zweifelt!

Mein Mann hieß eigentlich Jean le Duc, war der Enkel französischer Vorfahren, die bei ihrem Aufenthalte in Teutschland sich und ihren Familiennamen allmählich nationalisiert hatten, und nennte und schrieb sich daher geradeweg Johann Düc. Schon seine ersten Jahre waren eine Reihe von unglücklichen Zufällen, die jeden andern daniedergeworfen [193] hätten und nur ihn nicht überwältigen konnten. Seine Eltern hielten ihn in einer Zucht, die mehr als Strenge, beinahe Grausamkeit heißen konnte; demungeachtet war er beständig der Lustigste in seiner kleinen Gesellschaft; kaum war ihm die Rute vom Rücken, so waren auch seine Tränen schon vertrocknet, und er lachte und scherzte so munter als der verzärteltste Prinz. Der Tod seines Vaters, der ihn der Dürftigkeit nahe brachte und in einem Alter erfolgte, wo er Unterscheidung genug besaß, die Größe seines Verlustes einzusehn, den er auch wirklich in seinem ganzen Umfange einsah, setzte ihn nur in eine kurze Betrübnis, ohne daß man ihm deswegen einen eigentlichen Leichtsinn beimessen darf, der nicht fühlt, weil er nicht fühlen kann. Die erste Stunde schlug ihn ganz nieder; seine Traurigkeit war fast der Schwermut nahe; die folgenden konnte er schon ohne Unruhe, mit gelaßner Überlegung von dem zugestoßnen Unglücke und den Folgen desselben sprechen, und den Tag darauf heiterte er diejenigen, die ihn trösten wollten, durch launichte Beschreibungen der komischen Szenen auf, die jede, auch die ernsthafteste Begebenheit insgemein begleiten und nur einen komischen Blick bei dem Zuschauer erfodern, um bemerkt zu werden, und diesen hatte ihm die Natur in einem reichlichen Maße mitgeteilt. Er machte Schilderungen von dem Aufzuge, in welchem er, sein ganzes Vermögen auf dem Rücken, das väterliche Haus verlassen würde, verglich sich mit den berühmten Armen, die er aus der Geschichte oder anderswoher kannte, und fand an sich eine Menge seltsamer Vorzüge vor ihnen – kurz, seine Armut wurde der Wetzstein seines Witzes, und er ertrug sie desto leichter, je weniger er sie empfand und empfinden wollte.

Das Vermögen, welches ihm sein Vater hinterließ, war wohl hinreichend, seine Mutter mittelmäßig zu erhalten, aber mit ihm hätte sie schlechterdings ohne Hungerleiden [194] nicht davon leben können; ohne viele Überlegung, aus eigner Bewegung überließ er ihr alles und wanderte aus, seinen Unterhalt zu suchen, wo er ihn finden würde. Sie ließ ihn mit Tränen von sich, allein seine Laune brachte sie so gänzlich von ihrer Betrübnis zurück, daß ihr Weinen sich zuletzt in ein Lachen verwandelte. Mit einem sehr mäßigen Zehrgelde, ohne Aussichten, ohne Bekanntschaften, als ein verlaßner Pilgrim, trat er seine Wanderschaft an, und doch hätte kein General, mit der völligsten Gewißheit des Siegs, seinen Marsch fröhlicher, zufriedner anfangen können.

Hier war er nun in die große, weite Welt hingeworfen! Ein verlaßner Abenteurer, der sich durch die Dornen und Hecken dieses Jammertals selbst Wege öffnen, selbst Hindernisse, Riegel und Mauern durchbrechen, übersteigen mußte, die sich einem armen Sterblichen in zahlloser Menge entgegenstellen, der aus der Dunkelheit, ohne die Empfehlung des Reichtums oder der Gunst, unter die Menschen auswandert! – Obendrein hatten sich Glück und Unglück fest vorgenommen, an ihm zu beweisen, wie viel sie über ein menschliches Leben vermöchten; er hielt ihren kurzweiligen Wetteifer geduldig aus, und wie sich ihr Spiel mit ihm verdoppelte, so verdoppelte sich auch in dem nämlichen Maße seine Fröhlichkeit.

Nicht lange hatte er seine Reise angetreten, als er schon in die Bekanntschaft einer Dame geriet – ein glücklicher Anfang! Er hatte eine starke Neigung zu dem schönen Geschlechte; doch gingen seine Ansprüche nie weiter als auf einen Kuß, eine leichtfertige Schäkerei, höchstens eine zärtliche Umarmung, und oft konnte eine Schöne seine ganzen Wünsche erfüllen, wenn sie ihm ihre Hand überließ, um sich von ihm führen zu lassen. Eines Tages, als sein bewegliches und unbewegliches Vermögen schon in nichts mehr als ein paar Hemden, der Kleidung, die er auf dem Leibe trug, und [195] etlichen Groschen Geldes bestund, ging er auf dem Fußsteige, der nach einem Dorfe führte, pfeifend über eine Wiese hin, mit der festen Entschließung, sich in die Dienste des Schulmeisters in dem Dorfe zu begeben und ihm so lange in einer von den Verrichtungen seines Amtes beizustehn, wenn es auch das Buchstabieren sein sollte, bis ihm das Schicksal eine günstigre Laufbahn eröffnen oder ihm sein Zustand lästig sein würde. Mitten unter der Beschäftigung mit diesen Gedanken, wobei er seine Beratschlagung nach seiner Gewohnheit mit einem lauttönenden Pfeifen begleitete, wurde er in der Ferne ein Mädchen gewahr, das ihm mehr als eine Bauerdirne zu sein schien. – Anlockung genug für ihn, dem Orte zuzugehn! Noch mehr wurde er angespornt, als er bei seiner Annäherung deutlich merkte, daß sie ängstlich etwas suchte; diese Wahrnehmung wirkte so stark auf seine Füße, daß er in halbem Galoppe bei ihr ankam, als er sie grüßte und sie um die Ursache ihrer Ängstlichkeit befragte. Sie erzählte ihm mit weinerlichem Tone, daß der geliebte Brillant, der schöne, niedliche, buntgefleckte, zottichte Hund ihrer gnädigen Frau, entwischt sei und nach aller Wahrscheinlichkeit – ach! auf ewig entwischt sei; daß sie ihn ihrer Gebieterin in das Birkenbüschchen auf das Rasenkanapee habe nachtragen sollen, wo sie sehnsuchtsvoll und schmachtend auf ihn warten – ach! vergebens auf ihn warten würde; daß sie ihn nur zwo Minuten von dem Arme auf die Erde gesetzt habe, um ihrem Strumpfbande ein wenig mehr Festigkeit zu geben, und daß über dieser Operation das naseweise Tier sich entfernt und – ach! ganz aus ihren Augen verloren habe. Das Mitleid wuchs bei dem guten Düc sehr stark an, da er wahrnahm, daß das Mädchen zwo volle rote Backen auf weißem Grunde und unter den schwarzen gewölbten Augenbraunen zwei funkelnde verliebte Augen hatte, aus welchen gerade ein paar Tränen über den unglücklichen Zufall abwandern[196] [199] wollten. So vielen Ansprüchen auf Mitleid und Beistand hätte ein minder empfindliches Herz nicht widerstehn können, am wenigsten war dies in Dücs Gewalt; er erbot sich sogleich zu der tätigsten Hülfe, ließ sich den Namen des Hundes sagen, pfiff, rief, guckte, suchte und – fand. Mit Entzücken sah die Zofe den vermißten Brillant im hohen Grase wollüstig daliegen und mit leichtfertiger Verwundrung das Näschen emporziehn, als sie ihn ausschalt, daß er ihr, seiner sorgfältigsten Versorgerin, so tödliche Unruhe verursacht hatte. Sie nahm ihn triumphierend auf die Arme und glaubte mit einem zierlichen Knickse und einem gehorsamsten Danke bei ihrem irrenden Ritter für den geleisteten Dienst loszukommen; allein das Mädchen war zu schön in seinen Augen, um mit kalter Höflichkeit vorliebzunehmen. – Er foderte schlechterdings einen Kuß; sie schlug verschämt die Augen nieder, verzog die Lippen mit einem sittsamen Ach! in ein sanftes Lächeln und – hielt den Backen hin. Er machte sich mit Überschusse bezahlt, und da Düc ein hübscher, frischer junger Mensch war, besonders eine sehr einnehmende Physiognomie hatte, so lud sie ihn zu sich auf das herrschaftliche Schloß ein, wenn sie ihm ferner irgendwomit in aller Zucht und Ehren die nen könnte. Eine solche Einladung war nach seinem Urteile wohl wert, daß er sie annahm, besonders da sie ihm einen guten Erfolg seiner Absichten versprach; er ging ihrer Anweisung gemäß in das Schloß der gnädigen Herrschaft von dem Dorfe, erfragte die Stube des Kammermädchens und erwartete daselbst unter dem Titel eines weitläuftigen Anverwandten ihre Rückkunft.

Zu Steuer der Wahrheit und die Keuschheit eines so hübschen Mädchens in gutem Kredit zu erhalten, muß ich jedermann höchlich versichern, daß ihre Meinung bei diesem Anerbieten ihrer freundlichen Dienste auf nichts als höchstens eine Mahlzeit gerichtet war, die ihr für einen solchen herumschwärmenden[199] Gesellen ein passendes Geschenk zu sein schien, nach deren Genusse er sich höflichst wieder empfehlen sollte; allein Dücs Absichten erstreckten sich etwas weiter: Denn als er an ihrer Seite sehr vergnügt sich gesättigt hatte und seine Schöne sich in Bereitschaft setzte, das Abschiedskompliment von ihm anzunehmen, auch ihm von Zeit zu Zeit erzählte, daß ihre Gegenwart nunmehr bei dem Ausziehen ihrer gebietenden Frau unentbehrlich nötig sei, so merkte er so wenig auf alle diese bedeutungsvollen Winke, daß er sich sogar ganz freimütig nach der Lagerstätte erkundigte, wo er übernachten sollte. Das arme Mädchen wurde bis in ihr Innerstes bewegt, als sie aus dieser Anfrage schließen konnte, mit was für einem dreisten, unverschämten, begehrlichen Menschen sie zu tun hatte. Sie zitterte für ihren guten Ruf, den sie sich bisher mit saurer Mühe erhalten hatte; sie fühlte bei sich ein gewisses Etwas, so ein Etwas, das dem Wunsch, ihn in dem Hause zu beherbergen, nicht unähnlich war; es schien ihr sogar, daß sie es aus christlicher und menschlicher Pflicht tun müsse; aber der gute Ruf! – der warf gleich ihre Liebe und Barmherzigkeit zu Boden. Ihre Verlegenheit war aufs äußerste gestiegen, sie überlegte mit tiefdenkender Miene und niedergeschlagnen Augen, als sie mit einem ungefähren Blicke, den sie seufzend um sich warf, innewurde, daß Düc bereits sehr merkliche Anstalten zu seiner Entkleidung gemacht hatte. Ah! fuhr sie mit einem lauten Schrei bei diesem Anblicke zusammen, die Schamhaftigkeit setzte ihr den Sporn in die Seite, und mit einem Sprunge war sie zur Tür hinaus.

Ihr keusches Geschrei, das durch alle Winkel des Hauses bis in das Zimmer ihrer Dame gedrungen war und das gleich jedermann für einen Notschuß erkannte, brachte alles in Aufruhr. Die gnädige Dame stopfte dem Mädchen alles, was nur roch und gleich bei der Hand war, in die Nase und brachte [200] sie mit einem äußerst stark müskierten Briefe, den sie eben von ihrem Bruder, dem Kammerjunker, empfangen hatte, glücklich wieder zum Leben. Darauf ging das Verhör an, worinne das Mädchen mit natürlicher Offenherzigkeit den ganzen Vorfall berichtete, und kaum hatte ihre Gebieterin Dücs große Verdienste um ihren Brillant und seine originale Unverschämtheit vernommen, als sie augenblicklich Befehl gab, ihm an einem schicklichen und wohlverwahrten Orte eine Schlafstelle einzuräumen.

Des Morgens darauf mußte er sich vor seine Gönnerin stellen, die ihn bald um seiner Munterkeit und seines heitern Charakters willen mehr als hochschätzte – beinahe liebte, und da sie eine Witwe war und folglich einen zeitverkürzenden Gesellschafter sehr wohl zu brauchen wußte, so nötigte sie ihn, in ihrem Hause so lange zu bleiben, als es ihm gefallen oder die Umstände zulassen würden. So vielen Vorteil ihm diese Gunst verschaffte, so wurde er doch durch den Vorzug, den ihn die Dame auf eine vielleicht zu merkliche Weise genießen ließ, in eine Menge Verdrießlichkeiten mit ihren Anverwandten, besonders mit einem hastigen, plumpen Offiziere verwickelt, der viele Ansprüche auf sie machte und nichts weniger als günstige Hoffnung erhielt. Um diesen lächerlichen Prätendenten zu kränken und ihn womöglich gar wegzuscheuchen, gab sie ihrem Düc ungemeßnen Auftrag, die ganze Artillerie seines Witzes an ihm zu versuchen. Eine solche Auffoderung von einer schönen Dame an einen witzigen Kopf! – das mußte Mut ma chen! – Er unternahm bei dem nächsten Besuche den Angriff, und die günstigen Umstände, unter welchen er ihn wagte, machten seinen Sieg unfehlbar; der ganze lachende Teil der Gesellschaft war auf seiner Seite und lachte ihm Beifall zu, um ihn aufzumuntern, um desto mehr lachen zu können. Sein überwundner Gegner verließ zwar verspottet, beschämt, verachtet den Kampfplatz, [201] allein er nahm Ärger und folglich auch einen Groll mit sich hinweg, der ihn notwendig zur Rache antreiben mußte. Düc wurde mit Lorbeern von seiner Dame gekrönt und war durch diese Heldentat zu dem höchsten Gipfel ihrer Gunst gestiegen; aber die Höhe war zu hoch, um sich lange darauf zu erhalten.

Sein Feind war nicht imstande, auf eine feinere Rache zu verfallen, als die der Zorn einem jeden Korporal eingegeben hätte; er ließ ihm von zween Grenadieren aufpassen, die ihn mit vereinten Fäusten und Knitteln so tapfer durchprügelten, daß die Hirnschale verletzt wurde, daß ihm Ströme Blut aus der Nase hervorquollen, daß ihm der linke Arm zerbrach und fast kein Glied ohne Wunde blieb. Seine Gönnerin hatte in der ersten Hitze das zärtlichste Mitleid mit ihm, sie weinte, sie besorgte selbst seine Verpflegung, machte selbst Anstalten zu seiner Verbindung und war so geschäftig, daß sie als Mutter oder Gemahlin ihre Sorgfalt nicht hätte verstärken können. Während daß seine Wunden heilten, konnte er tausend lustige Einfälle über seinen Zustand ausschütten und Materie zum Lachen finden, wo andre geweint hätten; deswegen verließ seine Dame ihn fast keine Stunde diese ganze Zeit über und zog die Unterhaltung des Patienten der Gesellschaft aller Gesunden vor, weil sie in keiner soviel zu lachen fand. Kaum war sein Körper wieder ausgebessert, als sich, um ihn ganz zugrunde zu richten, ein hitziges Fieber bei ihm einfand; das böse Fieber warf seine Kräfte völlig danieder, zehrte seinen Körper aus, und nun – gute Nacht, Witz und Laune! Er konnte nicht mehr lachen, ebensowenig andre zu lachen machen; sein Verdienst war erloschen und folglich auch – seine Achtung, Liebe, Freundschaft oder wie man es sonst nennen will; die höchste lodernde Flamme der Liebe war itzt ein elendes, schwaches Nachtlämpchen, das nur zuweilen aufblinkt, um bald ganz zu sterben. So eigennützig ist [202] oft die Liebe der Schönen, daß sie nichts gibt, ohne zu empfangen, kein Konto duldet und zuweilen bei der ersten bösen Bezahlung den Handel gar schließt! Der herabgesetzte Düc wurde zwar im Hause gelitten, aber als ein Emeritus, den man nicht aus Dankbarkeit, sondern aus Wohltätigkeit unterhielt! Und wehe dem Manne, der in einem solchen Verhältnisse glücklich sein will! – Auch war es Düc nicht im mindesten.

Endlich wurde zwar mit seinen Kräften auch seine Munterkeit wiederhergestellt, doch er war einmal bei seiner Gönnerin gesunken; sie hatte ihn zu lange als einen verdienstlosen Sterblichen und sich als seine Wohltäterin betrachtet, als daß seinen Einfällen nicht die Hälfte ihrer Wirkung benommen sein sollte; sie lächelte kaum, wo sie sonst lachte, und vieles, was sie sonst bewundert hätte, schien ihr itzt kaum mittelmäßig. – O ihr Sterblichen, was für Macht doch eine einzige Idee, ein gewisses Licht, in welchem ihr lange etwas gesehn habt, über euern Kopf und euer Herz hat! Euer Gefallen und Mißfallen ändert seine ganze Richtung oft auf den Zug eines Gedankenblickes, und wenn euch einmal zwo Wochen lang eine Sache schief erschienen ist, so schwört ihr gewiß ein ganzes Jahr darauf, daß sie nie gerade gewesen und nie gerade sein könne. – Diese Beobachtung konnte Düc ohne sonderliche Anstrengung machen; er machte sie und wünschte sehnlich eine Veränderung seiner Umstände – ein Wunsch, den er nur zu verstehen geben durfte, um ihn erfüllt zu sehn!

Auf die Empfehlung seiner gewesenen Gönnerin und etlicher andrer, deren Freundschaft ihm sein Witz bei seinem Aufenthalte in ihrem Hause erworben hatte, wurde er der Sekretär eines Mannes von angesehnem Stande und vorzüglicher Würde, mit welchem er kurz nach seinem Eintritte in seine Dienste an einen Hof abging. Auch in dieser Stelle gewann [203] ihm seine Munterkeit bald die Gunst desjenigen, unter dem er stand; doch unglücklicherweise war er bei seinem vorigen Aufenthalt mit einem Bedürfnisse bekannt geworden, ohne das ihn viele widrige Zufälle verschont hätten. Wer riet hier nicht gleich auf die – Liebe? Vormals war sie bei ihm zärtliches Naturgefühl des Herzens, das sich nur furchtsam höchstens bis zu einer verliebten Schäkerei hervorwagte; doch itzt hatte der Genuß ihn Süßigkeiten kennengelehrt, die ihm unentbehrlicher wurden, je länger er sie entbehren mußte; ohne sie fühlte er ein langweiliges Leere in allen seinen Ergötzlichkeiten, er empfand ein gewisses unbestimmtes Verlangen nach einem Etwas, das er sich selbst nicht nennen wollte noch konnte, seine Beschäftigungen, so gering sie waren, wurden ihm lästig, seine Gedanken liefen so unordentlich durcheinander als seine Empfindungen; er war das Spiel der tödlichsten Unruhe.

Nichts kann auf unserm Planeten leichter befriedigt werden als das Verlangen zu lieben; tausend artige und häßliche Geschöpfchen hat die Natur auf ihm hingesetzt, die nur darauf zu warten scheinen, daß jemand ein solches Verlangen empfinden möge. Auch lag wirklich wenig Wochen nach seiner Ankunft an dem Hofe sein armes Herz schon fest in Ketten und Banden: Er war der Günstling einer von den Mätressen des Fürsten.

Zwischen diesem Hofe und dem Hofe des Ministers, bei welchem er war, wurden damals Traktaten gepflogen, die ohne Intrigen auf keiner Seite zustande kommen konnten. Dem armen Düc widerfuhr ohne sein Wissen und Willen die Ehre, daß er zum Werkzeuge gewählt wurde, das jene Sirene nach ihrem listigen Plane regierte, und er folgte blindlings ihrem Zuge, wohin sie ihn nur lenkte. Er liebte sie so eifrig, so zärtlich, so feurig als ein Schäfer, in dessen Busen die ersten keuschen Flammen für eine Chloe auflodern; sie schien vollends [204] ganz eine helle große Feuersbrunst zu sein, daß er selbst mitleidig besorgte, sie möchte mit Leib und Seele verzehrt werden; aber du armer, betrogner Knabe! – Es war nur ein Blendfeuer, ihre ganze Liebe – List, Verstellung, Täuschung.

Sie schien sich an seiner Aufgeräumtheit ungemein zu ergötzen, und jedesmal, wenn der Fluß seines Witzes am stärksten strömte und seine Vorsichtigkeit am wenigsten auf der Hut sein konnte, setzte sie an, ihm durch versteckte Wendungen das Geheimnis seines Herrn abzulocken; allein sie erfuhr nichts, weil er nichts davon wußte. Der Minister, sosehr er ihn um seiner guten Laune willen liebte, setzte eben um ihrentwillen ein Mißtrauen in seine Behutsamkeit und verhehlte ihm die wichtigsten Angelegenheiten sorgfältig, um ihn nicht der Gefahr einer Verschwiegenheit auszusetzen, die ihm in vielen Fällen, besonders bei dem Frauenzimmer, hätte schwer werden können. Doch seine Göttin, die sich diese äußerste Vorsichtigkeit von seiten des Ministers nicht vorstellen konnte, erklärte seine anscheinende Rückhaltung für Verstellung und fand sich doppelt durch sie beleidigt; er mußte nach ihrer Voraussetzung ihre Liebe, mit welcher sie ihm zuvorgekommen war, zu wenig schätzen und sie weniger lieben, als sie nach ihrer Meinung verdiente. Was für mächtige Ursachen zum Zorne! Ihre Ehre war auf allen Seiten gekränkt; sie mußte aufgebracht sein, daß sie ihre Herablassung an einen Unerkenntlichen verschwendet hatte; sie mußte aufgebracht sein, daß ihr das ganze wohlausgesonnene Stratagem vereitelt wurde, daß sie ihr Wort, ihn zu hintergehn, umsonst gegeben hatte; der Ruhm ihres Verstandes, ihrer Feinheit, ihrer List, der Ruhm der weiblichen Gewalt über das männliche Geschlecht geriet in Gefahr; sie schien sich selbst ein betrognes, verachtetes, blödsinniges, überlistetes Weib – ein Weib, von einem Manne überlistet! Himmel! Das sind ja Auffoderungen, um vor Wut zu rasen!

[205] So viele Beleidigungen foderten schlechterdings Rache: Ihr Ehrgeiz trat mit der Liebe in ein Bündnis – und beide brüteten ein gar herrliches Projektchen zu Dücs Untergange aus. Er wurde wegen einer andern Sache, um welche er notwendig wissen mußte, noch einmal von ihr auf die Folter gebracht, und in dem vollen Laufe seiner Lustigkeit ließ sich der gute Narr fangen; er wurde offenherzig, und zwar so sehr, daß er sich einige seiner eignen Urteile und zuletzt sogar bittre Spöttereien darüber entwischen ließ, die eine schwache Seite des Hofs empfindlich angreifen mußten. Kaum hatte sie ihn im Netze, als sie triumphierend forteilte, seine Übereilung zu seinem Schaden zu nützen; sie entdeckte alles – versteht sich, mit wohlangebrachten Zusätzen und Verschönerungen! –, und in wenig Tagen war der ehrliche Johannes Düc von seiner Geliebten, von dem Minister verabschiedet und obendrein im Gefängnisse.

Viel auf einmal! Aber doch nicht genug, seine gewöhnliche Gleichmütigkeit zu überwältigen! – Seine Situation selbst gab ihm in den ersten Tagen seiner Gefangenschaft Stoff zum Lachen; der Kerkermeister, die andern Gefangnen kamen, sich von ihm belustigen zu lassen, und da dieser Zeitvertreib erschöpft war, verliebte er sich in die Tochter des Kerkermeisters.

Sie war oft mit ihrem Vater und der übrigen werten Familie seine Zuhörerin gewesen und wünschte bald, es öfter ohne eine so ansehnliche Begleitung sein zu können. Die Gelegenheit zeigte sich, wo sie ihm ganz allein einen Besuch abstatten konnte, und bei diesem ersten Besuche kam es schon so weit, daß sie ihn schlechterdings wiederholen mußte, wenn sich auch ihre ganze Anverwandtschaft vom ersten Urgroßvater an in corpore dawidergesetzt hätte. Er scherzte, tändelte, schäkerte, küßte die Zeit mit ihr hinweg, bis sich endlich die väterliche Autorität wegen verschiedener Bedenklichkeiten [206] ins Mittel schlug, das Mädchen aus dem Hause zu einer alten Muhme tat und also den Knoten des Romans mitten entzweischnitt. Wirklich war auch der rechte Punkt getroffen, denn noch eine Zusammenkunft! – und die Liebe hätte ihnen einen Streich gespielt, den Düc gewiß hinterdrein bei gesunder Überlegung gern verbeten haben würde.

Sein Herz war also wieder müßig; wo sollte es sich nun hinwenden? – Sein Witz half ihm. Er verfertigte sich aus der Wäsche, die man ihm mitgegeben hatte, eine Puppe, ein Ungeheuer, das kaum einem Wesen in der ganzen Schöpfung und noch viel weniger einem Mädchen ähnlich sah. Die Puppe wurde seine Geliebte, er küßte, er wiegte sie auf dem Schoße, er sagte ihr die schmeichelndsten Süßigkeiten – kurz, tat wie alle Sterblichen, wenn sie nichts zu tun haben – spielte mit der Puppe.

Seine Sache war indessen entschieden, und er sollte wieder auf freien Fuß gestellt werden; doch um zu sehn, wie weit seine Erfindung steigen würde, ließ man ihn noch einige Zeit im Gefängnisse und befahl, ihm seine Puppe heimlich wegzunehmen. Sie hatte wahrhaftig durch die Gewohnheit, sie als seine Geliebte zu betrachten, unschuldigerweise Anteil an seinem Herze bekommen, und ihr Verlust war ihm fast so schmerzlich als der Verlust einer Geliebten mit fleischernen Rosenwangen und fleischernen Lilienhänden. Er machte Elegien auf ihre Trennung, ließ sich eine alte Zither bringen und sang seine Trauerlieder mit einem karikaturmäßigen Schmerze darein. Auch dieser Zeitvertreib war bald abgenutzt. Endlich kam er auf den Einfall, seinen Aufseher im Tanzen zu unterrichten; der steife Alte mußte jede Stunde, die er missen konnte, seine ungelenken Füße zu Dücs Vergnügen hergeben. Das Lernen ging sehr langsam vonstatten, und die Ungeschicklichkeit des Lehrlings, der mit aller Mühe nicht ein rechtschaffnes Pas herausbrachte und die seltsamsten [207] Bocksprünge machte, diente dem Meister zum beständigen Gegenstande des Lachens, und selbst in den Stunden, wo seine Unterweisung nicht stattfand, unterhielt ihn das Andenken daran.

Endlich wurde er befreit, und seine Gefangenschaft hatte ihm wenigstens dazu genützt, daß ihn seine Aufführung während derselben verschiedenen Personen von Stande merkwürdig gemacht hatte, worunter ihm einige ihr Haus anboten.

Allen andern Anerbietungen zog er das Haus einer Dame vor, einer reichen Witwe, vielleicht mehr aus Phantasie als aus überlegten Gründen, wenigstens hätte er sich in seiner Wahl außerordentlich betrogen, wenn er mit Überlegung zu Werke gegangen wäre. Sie war nichts weniger als geschickt, einen Mann gehörig zu behandeln, den das Schicksal einige Stufen unter sie und die Natur ungleich mehrere über sie gesetzt hatte. Sie war zwar beständig in der großen Welt gewesen und kannte sie, allein sie war ein deutlicher Beweis, daß es ein mächtiger Unterschied ist, die Zeremonien der großen Welt und die Sitten der großen Welt gelernt haben. In jenen war sie ein Muster; aber diese, die sanfte nachgebende Politesse, hinter welcher sich die Größe gleichsam, wie hinter einem Schleier verbirgt, um nicht durch ihren Glanz zurückzuschrecken, um andre ihre Niedrigkeit weniger fühlen zu lassen und die Ehrerbietigkeit weniger schwer zu machen – diese Fertigkeit wirklich großer Personen kannte sie ganz und gar nicht, sie hatte vielmehr das völlige Steife und auffallende Stolze einer Dorfmonarchin, die sich nicht größer dünkt, als wenn sie andre empfinden läßt, wie hoch sie sich selbst schätzt.

Armer Düc! Nun wird's um deine Laune geschehn sein! – sollte man denken, aber nein! auch diesen Sturz hielt sie glücklich aus; nichts litt sie dabei, als daß sein Witz, statt [208] munter zu sein wie vorher, itzt allmählich beißend wurde. Das demütigende, niederschlagende Betragen seiner Gebieterin mischte eine Bitterkeit darunter, die ihn aus dem aufheiternden, lebhaften Gesellschafter zum pikanten Satiriker machte. Diese einzige Schadloshaltung verstatteten ihm seine Umstände, daß er sich aus der Tiefe, in welche er von dem Stolze jener Übermütigen niedergedrückt wurde, gleichsam zu seiner natürlichen Höhe wieder erhub, wenn er bei sich in der Einsamkeit oder unter Freunden ihn mit der unbarmherzigsten Satire durchzog; er lachte mit ihnen über seine komischen Beschreibungen davon und konnte außer der Gegenwart seiner Dame so froh sein, als wenn er nicht das schwerste Joch trüge – das Joch des Stolzes. Mit der Zeit nahm aber doch die Bitterkeit seiner Empfindung zu und verwandelte sich allmählich mehr und mehr in Ärger; sein Stolz bekam mehr die Miene des Unwillens, und da zween Stolze unmöglich nebeneinander Platz haben, ohne sich die Köpfe zu zerstoßen, so nahm er, weil er kein Liebhaber von Kopfstößen war, die klügste Entschließung und wich.

Freilich war er nach Verlassung dieses Hauses in nicht viel bessern Umständen, als wie ihn die Kindmutter auf die Welt setzte; aber Freiheit! –. Diese süße Idee und noch süßere Empfindung gab ihm einen genugsamen Teil seiner guten Laune wieder, um bei dem Mangel glücklicher zu sein als bei dem verlaßnen Überflusse, den ihn Zwang und Überdruß nur halb genießen ließ. Er wanderte in der festen Entschließung aus, seinen guten Mut auf die Probe zu stellen, ob er auf dem Meere so gut aushalten könne, als er bisher auf dem festen Lande getan hatte. Er fand zu seinem Glücke auf dieser Pilgrimschaft einen alten Freund, der ihn mit einem Zehrgelde versorgte, ohne das er nicht anders als durch Betteln nach Amsterdam hätte kommen können, wo er eine Stelle auf [209] einem Schiffe suchen wollte. Eines Abends, als er singend und pfeifend seinen Weg daherging, um in dem nächsten Dorfe zu übernachten, wurde er mitten in seiner Lustigkeit von Räubern überfallen. Er warnte sie mit aufgeräumtem Tone, als sie ihm eine Pistole auf die Brust hielten, ihr Pulver nicht an seinem Leben zu verschwenden, weil es ihnen die bei ihm zu hoffende Beute unmöglich wieder ersetzen würde. – »Ich will euch Ökonomie lehren«, setzte er hinzu. »Ohne zu schießen, ohne Zorn, Zank und Hader wollen wir in Ruh und Frieden miteinander teilen. Hier ist mein ganzes Vermögen« – wobei er seinen Geldbeutel in den Hut ausschüttete –, »ihr bleibt vermutlich hier auf dem Flecke und lauert auf jemanden, der euch eure Mühe reichlicher bezahlen kann, aber ich muß noch bis nach Amsterdam. Wenn ihr's nicht sonderlich nötig habt – wir wollen zur Hälfte teilen.« – Die Diebe lachten und willigten in den Vertrag; allein sie betrogen ihn, denn gleich darauf fielen sie ihn noch zu verschiedenen Malen an und teilten so oft mit ihm, bis ihm nichts mehr zu teilen übrigblieb. – »Nu gut!« sagte er bei der letzten Teilung, »wenigstens wollen wir diesen Rest im nächsten Wirtshause zusammen vertrinken, damit ich doch etwas von meinem Gelde genieße, nicht wahr, so gutherzig seid ihr?« – Sie gingen miteinander, führten seinen Vorschlag aus, und die Räuber waren von seinem guten Mute und seiner fröhlichen Laune so bezaubert, daß sie ihm das Geraubte bis auf den Pfennig wiedergaben. Er dankte ihnen freundlich und setzte seinen Weg glücklich bis Amsterdam fort.

Er tat eine Reise nach Ostindien; alle traurige Zufälle der Schiffahrt vereinigten sich auf dieser ersten Seereise, und doch war er beständig der Heiterste, der Fröhlichste und mußte oft den Tadel des Kapitäns darüber erdulden, dessen Ernsthaftigkeit sich mit seiner Aufgeräumtheit nicht vertragen wollte. Er spottete über die Wellen, scherzte mit ihnen, [210] foderte sie heraus, lachte des Sturms, wenn andre auf ihn fluchten oder über ihn winselten.

Obgleich Dücs Geschichte buchstäblich wahr ist, so wird er doch, so gut als in dem besten Romane, auf einer so kurzen Fahrt verschlagen, und zwar an eine Insel, die damals mit den Holländern noch in keiner Verbindung stand. Die Einwohner foderten sie mit den lächerlichsten Zerimonien durch einen Gesandten, der vom Kopf bis auf die Füße mit bunten Federn geschmückt war und tanzend die Kriegserklärung absang, förmlich zum Treffen auf. Der Kapitän, ein, jachzorniger Mann, war gleich bereit, den Gesandten und die kleine Armee, die sich von fern blicken ließ, daniederzuschießen; doch Düc rettete sie durch seine Vorbitte, erbot sich zum Abgeordneten an sie und besänftigte durch sein friedliches Betragen ihren Zorn.

Bald darauf kamen sie zu einer andern Insel, die leer von Bewohnern zu sein schien und wo sie Wasser einnahmen. Düc ging mit denen, die das Wasser holten, ans Land; sie mußten tief in die Insel hineinwandern, um einen Quell zu finden, und unterdessen riß eine schnelleinbrechende Flut ihr Boot los, trieb es in das Meer zurück, und das Schiff, das sie schon längst aus dem Gesichte verloren hatten, wurde von dem nämlichen Strome, ohne daß sie es wußten, weit von ihnen entfernt Einige von ihnen folgten trostlos den Krümmungen des Flusses, auf welchem sie hereingefahren waren, um so vielleicht zu dem Meeresufer ohne Verirrung zu gelangen und dem Schiffe zuzurufen, das sie nichts weniger als so weit von ihnen weggetrieben glaubten. Sie kamen wohl nach unendlichen Beschwerlichkeiten, durch Sümpfe und über Felsen dahin, aber – da war kein Schiff! Sogar ihr letzter Trost war nun erschöpft; sie vermuteten die Ursache von der Verschwindung des Schiffes und gaben sich, dieser aus Verzweiflung, jener aus mutloser Gelassenheit, willig darein, [211] auf diesem öden Flecke Erdreich zu verhungern. Schrecklich war es allerdings, sich auf ein Stück Fels mitten in unermeßlichen Wassern hingesetzt zu sehen, auf einem Platze, den wahrscheinlicherweise niemand befuhr, wenn ihn nicht der Sturm oder ein andrer Unfall hinschleuderte, ohne Anschein von Rettung, in der gewissen Erwartung eines quälenden Todes; denn der Boden brachte kaum etliche Halmen Gras hervor und schien eßbare Früchte gar nicht zu kennen; die Wasserfässer und ihre Kleider waren alles, was sie besaßen, ihre Bequemlichkeiten und ihre Reichtümer. Sie beratschlagten lange, ob sie auf der Stelle sterben oder den höchst mühsamen Weg noch einmal daran wagen sollten, um ihren zurückgelaßnen Gefährten die Nachricht von der Gewißheit eines Schicksales zu überbringen, das sie bald fühlen mußten; Düc, der unter diesen Abgeordneten war und dessen Hoffnung nur mit seinem Atem ausging, riet zu dem letztern und riß seine Kameraden mit einer Art von freundschaftlicher Gewalttätigkeit fort. Die Zusammenkunft war, wie leicht zu erachten, höchst traurig, und Düc wurde sehr gehaßt, daß er das Traurige davon weniger empfand und die andern weniger empfinden lassen wollte. Der Hunger nahm mit jedem. Tage zu, und die Vermutung, ihn zu stillen, nahm mit jedem Tage ab; denn bei fernerer Untersuchung fanden sie auf ihrem Wohnorte mehr Felsen und weniger Boden und außer einigen sparsamen Kräutern, die am Rande eines Baches wuchsen, nicht das mindeste Gewächs, keinen Baum, kein Tier, außer einigen kurzen Gesträuchen, die zerstreut an der einen Meerseite stunden, die sie am schicklichsten für ihre Wohnung fanden. Dücs Gefährten, sonst mutige Flucher, verzweifelten und faßten den schrecklichen Entschluß, sich ins Meer zu stürzen, um einen unvermeidlichen Tod zu beschleunigen. – »Narren«, rief Düc bei einer solchen Beratschlagung, »was soll ich allein hier anfangen? Die Zeit wird [212] mir lang. Wir wollen das Gras der ganzen Insel erst einernten, und wenn unsre ganze Ernte aufgezehrt ist, denn steht es uns ja immer frei, ob wir eines nassen oder trocknen Todes sterben wollen.« – Er stellte ihnen seine Abneigung, sich selbst den Fischen und Ungeheuern des Meeres zu servieren, und seine Furcht, von ihnen verschlungen zu werden, so komisch vor, malte ihnen den kleinen, armseligen Rest von Hoffnung und die Art ihrer Erhaltung und künftigen Lebensart so lebhaft, so munter ab, daß er sie, bis auf einen, von ihrer Verzweiflung zurückbrachte, der unter allen der Mutloseste war und in dem Taumel der Verzagtheit sich geradezu in die Wellen warf, ohne ein Wort hören zu wollen.

Die übrigen sammelten auf Dücs Rat und unter seiner Anführung jeden lebendigen Halm ein, dessen sie nur habhaft werden konnten, und machten eine Höhle zum Magazin, wo sie den getrockneten Vorrat sicher vor Regen und andern Zufällen aufbewahrten. So unangenehm auch der Geschmack dieser Nahrung und so kümmerlich überhaupt dieser Unterhalt war, so erhielt sie doch Dücs Heiterkeit unbeschädigt und teilte sich auch seinen Gefährten so weit mit, daß sie wenigstens nicht über ihr Schicksal murrten, wenn sie sich gleich nicht darüber erheben konnten. Das Bedürfnis machte sie so sinnreich, daß sie mit den zerschlagnen Dauben eines Wasserfasses, die sie an einem Ende mit Messern, ihrem einzigen Handwerkszeuge, zuspitzten, Fische ungemein fertig aufspießten, wenn sie sich am Rande des Wassers blicken ließen. Im kurzen erhöhte die Übung ihre Fertigkeit zu einem Grade von Unfehlbarkeit, die ihnen fast niemals ihre Beute entwischen ließ; doch was nützte ihnen eine Speise, die sogleich von der Fäulnis verdorben wurde und die sie gleichwohl aus Mangel des Feuers und Brennholzes nicht zum Genusse zubereiten konnten? – Der Zufall kam ihnen zu Hülfe: Sie entdeckten eine salzige Quelle, in welcher sie die getöteten [213] Fische einlegten, um sie, wenn sich nach ihrer Meinung Salz genug hineingezogen hatte, von den Winden, die bisweilen sehr heftig und scharf bliesen, trocknen zu lassen.

Dücs wohlgenährter, ausgestopfter Körper, den er auf die Insel in dem blühendsten Zustande mitbrachte, litt durch diese nicht sonderlich nahrhafte Kost keine merkliche Veränderung, seine Gesundheit ebensowenig und folglich auch seine Laune nicht, die mit jener bekanntermaßen immer in gleichem Schritte geht. Desto schlimmer waren seine Gefährten daran; einer starb, die andern waren insgesamt krank und rückten täglich dem Tode näher; die Munterkeit ihres Kameraden vermochte über ihre abgemergelten Gerippe und vertrockneten Nerven nichts, sie wurde ihnen gar zur Last. Sie bedauerten es insgesamt sehr vielfältig und machten ihrem Ratgeber bittre Vorwürfe darüber, daß er sie von ihrem Vorsatze, sich ins Meer zu stürzen, zurückgebracht hatte, und ob es gleich noch immer in ihrem Belieben stund, ihn auszuführen, so hatten sie doch weder Kräfte, Feuer noch Mut genug, ihn nur zu fassen, und konnten nichts als weichmütig klagen. Düc wies ihre Beschwerden mit einem lustigen Einfalle ab und ermahnte sie, seinem Beispiele zu folgen, ihre Betrübnis, die sie sonst im Branntewein ersäuft hätten, itzt im Wasser ertrinken zu lassen, wobei er ihnen aus dem Bache auf die Gesundheit seines dicken Bauchs zutrank. Er versicherte, daß er bei Gras und halbverfaulten Fischen mit seinem Bauche der holländischen Nation mehr Ehre mache als der Statthalter zu Batavia, der dem Gerüchte nach so mager als eine vertrocknete Sardelle sei, ob er gleich in einer Mahlzeit mehr zu sich nähme, als sein Magen auf dieser Insel wahrscheinlicherweise niemals zu sehen bekommen würde, und wenn er ein ganzes Jahrhundert hier zubrächte! »Dafür hat er nicht, was ich habe«, setzte er hinzu, »– fröhlichen Mut! Er soll so sauertöpfisch und mürrisch sein als ein indianischer[214] Affe.« – In einer solchen Laune schwatzte er die Zeit, Kummer und Hunger hinweg; doch seine Aufgeräumtheit tat bei seinen Gefährten eine widrige Wirkung; wie allen Menschenkindern diejenigen unter ihren Brüdern zur Last sind, zu deren Fröhlichkeit sie sich nicht erheben können, so wurde er ihnen unleidlich und endlich gar verhaßt; sie hießen ihn schweigen, sie jagten ihn unwillig von sich.

Noch mehr! Als er einst schlief, faßten sie gar den grausamen Entschluß, sich mit seinem noch ziemlich fleischigen Körper bessere Nahrung und bessere Kräfte zu verschaffen: Sie wollten ihn umbringen, und einer, der jederzeit das menschenfeindlichste, mürrischste Tier des Erdbodens gewesen war, zog schon sein Messer hervor. Die Verzweiflung hatte alle Federn seiner Seele angespannt, um diesen Vorsatz hervorzubringen; doch da er zu abgemergelt war und sein träges, faulendes Blut seine Grausamkeit nicht unterstützte, so entsank ihm Mut und Messer, und er unterließ eine schreckliche Handlung, die er bei mehr körperlicher Stärke zu Anfange dieses traurigen Aufenthaltes gewiß begangen hätte, wenn ihm Düc schon damals so verhaßt gewesen wäre als itzt. Inzwischen waren sie einmal auf den blutdürstigen Gedanken gekommen, ihren Hunger mit dem Fleische ihres Kameraden zu stillen, und einer unter ihnen tat den Vorschlag, ökonomisch dabei zu verfahren und sich indessen mit den Waden zu begnügen; man billigte seinen Rat und rüstete sich zur Ausführung. Sie fielen insgesamt plötzlich über ihn her, hielten ihn fest, und einer schritt zur Operation. Kaum hatten sie ihn angegriffen, als er auffuhr. – »Was soll das?« fragte er verwundert. – »Halt still, oder du kömmst um dein Leben!« war die Antwort, wobei ihm der Exekutor, um ihn zu schrecken, das Messer an die Kehle setzte. – »Lieben Kinder!« sagte Düc, der seine Fassung nur auf einige Augenblicke verloren hatte, »habt ihr auf einmal so viele Lust zum [215] Spaßen bekommen?« – So wand er sich los, was ihm bei so schwachen Gegnern ungemein leicht wurde, und stellte sich mit seinem eignen Messer unter possierlichen Gebärden zur Gegenwehr. Seine Feinde hungerte im Ernst, weswegen sie am Spaßen keinen Geschmack fanden, sondern ihn überwältigten, daß ihm also nichts übrigblieb als – kapitulieren.

»Sagt mir nur«, fing er an, »warum? was? wie?« und dergleichen mehr! »Erstlich, was wollt ihr!« – »Deine Waden!« schrie man, setzte sogleich dasWarum und statt des Schlusses eine abermalige Drohung mit Lebensgefahr hinzu. –

»Meine Waden! Wenn's weiter nichts ist! – Warum habt ihr nun nicht das Vertrauen zu euerm Kameraden und sagt so etwas geradeheraus? Lieber hättet ihr den dummen Streich begangen, mir beide Waden abgesäbelt und mich auf Lebenszeit gelähmt; ich will euch einen viel vernünftigern Rat geben. Meine Hinterbacken sind ein viel größerer und herrlicherer Bissen, von dem ihr euch lange ohne meinen Schaden nähren könnt; nur das bedinge ich mir aus, daß ich den Vorgriff habe; denn eigentlich ist es doch mein Eigentum. Wohlan! Ich will euch bewirten, so kostbar als kein König traktiert. Schneide zu, Mann!« –

In dem Augenblicke wollte er sich in die zur Operation bequeme Lage versetzen, der Vorschneider machte sein Instrument zum Schnitte fertig – pump! gab ihm Düc einen fühlbaren Stoß mit dem Fuße ins Gesicht, daß er rücklings niederstürzte, schrie aus vollem Halse: »Schiffe! Schiffe!« – Die ihm den Oberleib hielten, sahen sich nach einer Sache, die sie so sehnlich wünschten, begierig um, ließen darüber ihre Hände erschlaffen, er sprang auf, rennte nach dem Ufer zu, gerade ins Wasser hinein, so tief er konnte, und entwischte glücklich in eine nahe Felsenkluft an der linken Seite der Insel, wo er sich vor der Wut seiner Gefährten verbarg.

Was hatte er aber nun gewonnen? – Sein Zustand war itzt [216] [219]unendlich trostloser; den Tag über schlief er, und des Nachts schlich er herum, die Magazine seiner Gefährten zu plündern und die Salzquelle zu berauben. – O Himmel! Wenn doch nur vier oder fünf Menschen auf einem Flecke dieser Erdkugel zusammen leben könnten, ohne zu streiten und zu kriegen! Hier sitzt ein Trupp von sechs Personen auf einem öden Stücke Fels in der dürftigsten Verfassung, ohne alle die gewöhnlichen Reize der Leidenschaft und der Habsucht, und doch ist schon innerlicher Krieg! Da sie nicht um Geld und Länder kämpfen können, so kämpfen sie um ihre – Waden; schon vertreibt eins das andre, schon will eins das andere verhungern lassen! – Und der Krieg war gewiß äußerst ernsthaft; denn nicht viel fehlte, so rieb er beide Parteien auf; auch starb wirklich einer von Dücs Feinden in wenig Tagen. Wer sollte es vermuten? Das Schiff, das von seiner Bahn unendlich weit weggetrieben worden war und sie so lange ihrem traurigen Schicksale hatte überlassen müssen, kam auf seinem Rückwege – in der Absicht, die Zurückgelaßnen aufzusuchen, oder durch einen günstigen Zufall – wieder nach dieser Insel zu. Ohne daß man erwarten konnte, noch jemanden lebendig anzutreffen, schickte man ein Boot dahin ab, welches außer unserm Düc nur noch einen am Leben fand; diese beiden wurden itzt, da sich einer so gut als der andre füttern konnte und keiner etwas zum voraus hatte, wieder herzensgute Freunde und Düc, dessen Munterkeit in der letzten einsamen Periode einen großen Stoß erlitten hatte, wieder der vorige Düc, sobald sein Bauch und seine Waden wieder rekrutiert waren. Er tat die Reise nach Ostindien noch zu verschiedenen Malen, gelangte zu einigem Vermögen, fing einen eignen Handel an und handelte sich reich.

Da er Reichtum bekam, so war für einen Menschen von Dücs Zusammensetzung nichts natürlicher als der Gedanke, ihn mit einem Mitgeschöpfe zu teilen, das ihm durch ihre Gemeinschaft [219] den Genuß desselben erhöhte, das heißt in gewöhnlichem Teutsch – sich eine Frau zu suchen, und da der Geruch des Reichtums sehr bald Mitesser herbeilockt, sobald man nur die mindeste Miene macht, dergleichen zu verlangen, so war er ohne Schwierigkeit verlobt, verheiratet und in der gehörigen Ordnung Mann und Vater; allein die Prüfungen seiner guten Laune waren noch nicht vorüber; denn der Himmel gab ihm eine weise Frau – eine Frau, die mit tausend guten Eigenschaften geschmückt war, die jeden andern Mann überglücklich hätten machen können und unter welchen eine einzige und die vorzüglichste Dücs Unglück war: Sie hatte geradesoviel Verstand als ihr Mann Witz und beinahe soviel Ernsthaftigkeit als ihr Mann Aufgeräumtheit. Durch welche Bezauberung der gute Knabe dazu kam, daß er gerade eine Frau wählte, die dem ersten Anscheine nach für ihn gar nichts Anziehendes hätte haben sollen, die so völlig sein Antipode war, daß noch nie zwei so ungleichartige Dinge zusammen gepaart worden sind – und wie er bei völliger Freiheit, ohne gezwungne Rücksicht auf Geld, ohne Verblendung von Schönheit eine solche mißhellige Wahl tun konnte, das weiß allein der Himmel, der Herzen und Hände auf dieser Erde miteinander vereinigt; ich meines Orts kann nach meinem schriftstellerischen Gewissen weiter nichts mit Gewißheit berichten, als daß er auf das Kommando des Pfarrs den Ring mit ihr wechselte und daß sie ihm zu gehöriger Zeit einen Sohn lieferte, der Andreas getauft wurde und eine so verkehrte, wunderseltsame Kreatur war, als man von einer Zusammensetzung aus so widerstreitenden Elementen erwarten konnte.

Düc hatte im Grunde nicht mehr Verstand, als man braucht, um Witz haben zu können; er war daher häufigen Übereilungen im Urteilen ausgesetzt, und seine Schlüsse waren oft so unzusammenhängend, daß jeder, der auch niemals [220] [223]nach barbara celarent geschlossen hatte, ihre Unrichtigkeit sehr deutlich fühlte; da der Gang seiner Ideen überhaupt nur sprungweise geschah, oft mit so weiten, meilenlangen Schritten, daß Leute, deren Kopf höchstens nur in einem stillen, sittsamen Trabe fortschritt, den armen Düc mit seinen weiten Gedankensprüngen bona fide für verrückt hielten, so war nichts leichter, als ihn mitten in seinem Hüpfen und Herumtummeln aus dem Sattel zu heben, wenn man mit gesetztem, kaltem Verstande auf ihn losging; ohne daß er bei einem solchen Sturze eigentlich aus der Fassung geriet, trieb ihn seine Lebhaftigkeit meistenteils so hastig wieder fort, daß er oft schon vom neuen stürzte, wenn er kaum aufgestanden war. Dabei hatte er das Unglück, daß er nie zürnen konnte; seine gute Laune und seine natürliche Gutherzigkeit ließen ihn gar nichts Schmerzhaftes dabei empfinden, unrecht zu behalten, und sein Gegner genoß seinen Triumph, ohne daß Düc es merkte, daß man über ihn triumphierte; kurz, er war vortrefflich zum Angriffe, aber ungemein schlecht zur Verteidigung. Eine so friedfertige Eigenliebe, so vielfältige Übereilungen, Bocksprünge und so wenige Verteidigungskunst – welche Einladungen für eine Frau, die Verstand hat, ihren Verstand fühlt, dabei Eitelkeit genug besitzt, ihn andre fühlen zu lassen, und zu viel Stolz, um es nicht mit Schwert und Feuer zu ahnden, wenn jemand mehr Verstand haben will als sie! Welche Anlockungen, ihren guten Mann mit ihrem Verstande so wacker zu quälen, daß er um sein eignes bißchen darüber kommen möchte! – Sie mochte wohl mehrenteils die Sachen besser einsehen, reiflicher überlegen, richtiger beurteilen und also wohl in den meisten Fällen recht haben; aber es ist doch eine wahre Grausamkeit, immer recht zu behalten und dem andern gar niemals das süße Vergnügen zu gewähren, daß er die Wahrheit gefunden hat. Von einer solchen Verfeinerung war ihre Menschenliebe weit entfernt; ohne ihrem [223] Manne unhöflich oder hitzig zu begegnen, schwatzte sie ihn mit der besten Art so danieder, daß er allemal das Unrecht auf seiner Seite hatte, ohne daß ihm Unrecht geschehen zu sein schien. Was mußte erfolgen? – Er fühlte in der Länge eine starke Unbehaglichkeit in ihrer Gegenwart und besonders in ihrem Gespräche; er konnte sie nicht hassen – denn sie beleidigte ihn nie durch Grobheit oder Ungestüm –, aber er konnte sie auch nicht lieben, er hätte denn gar kein Fünkchen Eigenliebe haben müssen; die Neigung, sich zu belustigen, war bei ihm die herrschende, bei seiner Frau wurde sie nicht sonderlich befriedigt; die natürliche Folge war also, daß er Örter und Gesellschaften suchte, wo sie besser befriedigt werden konnte.

Gleichwohl riß ihn diese Partie, ob es schon die einzige und natürlichste war, die er fassen konnte, in einen Wirbel von Zerstreuungen, Lustbarkeiten und Ergötzlichkeiten hin, die ihn allmählich von der Aufmerksamkeit auf seine Geschäfte ganz abzogen, die seinen Aufwand vergrößerten, indem sie die Quellen seiner Einnahme verringerten, ihn unfähig machten, neue aufzusuchen, und die alten denen preisgaben, denen er seine Angelegenheiten zu besorgen überließ. Sein Leben war eine Reihe von Lustreisen, von Picknicks und andern gesellschaftlichen Partien; keine Koterie, kein Kränzchen, kein Klub, wovon er nicht ein Mitglied war! Er wußte sich das harte Schicksal, eine Frau mit zu vielem Verstande zu haben, so leicht, so erträglich zu machen, daß er sie zuletzt Monate lang nicht zu sehen bekam, und ließ ihr ungestört die Freude, das Ansehn ihrer Einsichten unter ihren Domestiken zu behaupten und das ganze Jahr hindurch im ganzen Hause recht zu haben. Beide Teile waren zufrieden und vergnügt, die Glückseligkeit ihrer Ehe nahm mit jedem Tage zu, nachdem sie hinter das Geheimnis gekommen waren, sich so trefflich ineinander zu schicken, und das Glück [224] dauerte ungehindert fort – bis die verdammten Freudenstörer, die Gläubiger, auf den unseligen Einfall gerieten, ihm ihr Verlangen nach Befriedigung gerichtlich melden zu lassen. Der Streich traf ihn unvorbereitet, der Bankerutt ließ ihm nicht mehr übrig, als nötig war, um mit der äußersten Sparsamkeit und einer noch größern Genügsamkeit hinzuleben. Die Widerwärtigkeit war ihm zwar itzt empfindlicher als jemals eine, allein sein Schmerz setzte sich bald wieder, und er fühlte nichts so stark, als daß er den ganzen Tag zu Hause bleiben und mit seiner Frau in einer Stube Tag und Nacht leben mußte, die ihn dann mit ihrem Verstande und besonders mit vernünftigen Vorstellungen, wie er's hätte machen müssen, wenn er nicht hätte bankerutt werden wollen, so unbarmherzig quälte, daß er es sehr oft beklagte, daß seine Frau nicht auch zum Konkurse gezogen worden war. – Ich werde noch einmal bankerutt machen und mit meiner Frau bezahlen; sie ist so verständig, daß sie alle meine Gläubiger mit ihrem Verstande ums Leben bringen kann – auf diesen Schlag waren die Einfälle, womit er sich für seine Martern an ihr rächte.

Not und Mangel sind zween so harte und so mächtige Gegner, daß die gute Laune und ihre Sekundantin, die Philosophie, selten den Kampf mit ihr aushalten und noch niemals Meister vom Schlachtfelde geworden sind; jene beiden Feinde der menschlichen Zufriedenheit besitzen eine besondre Kunst, diese letzten so allmählich und unbemerkt von unsrer Partie abzuziehn, daß wir uns von ihrer Hülfe verlassen sehn, ohne zu wissen, wo sie hingekommen sind. Bei dem armen Düc wurden die lustigen Einfälle täglich seltner; das Gefühl seiner mehr als eingeschränkten Glücksumstände, die Eingezogenheit, zu welcher sie ihn zwangen, die Einförmigkeit seiner Lebensart und der ernste Ton des Umgangs mit seiner Frau, die traurige Langeweile, die bei einem so lebhaften [225] Charakter unausbleiblich sein mußte, da seine innre und äußre Geschäftigkeit auf einmal in die stärkste Ebbe geriet, der unbefriedigte Hang zum Vergnügen und zu Zerstreuungen, der gänzliche Mangel an Erwartung einer günstigern Verfassung und – was noch schlimmer als alles war – die gänzliche Unfähigkeit, neue Wege zu neuen Erwartungen sich zu öffnen, in welche ihn die bisherige Bequemlichkeit und die gehäuften Ergötzlichkeiten eingewiegt hatten – alle diese schweren Lasten drückten auf die Nerven seines Kopfs und seiner Leidenschaften so stark, daß sie ganz erschlafften: Er war ein toter Mann, weil seine Leidenschaften tot waren. Es ist unstreitig die schrecklichste, obgleich vielleicht von wenigen nur bemerkte Lage, in welche das Schicksal einen Menschen hinabstoßen kann, wenn seine äußre Verfassung sich mit seinem Gemütszustande vereinigt, eine völlige Anarchie unter seinen Leidenschaften hervorzubringen, wenn unsre Begierden und Wünsche so ganz am Ende ihrer Wirksamkeit sind, daß wir auf der einen Seite uns scheuen, einen herrschend werden zu lassen, weil uns wahrscheinlicherweise alle Mittel genommen sind, einen zu erreichen, und auf der andern uns fürchten, einen Plan zu machen, weil wir uns zu bequem, kraftlos und untätig fühlen, Hindernisse und Schwierigkeiten zu übersteigen; gern kehren wir alsdann den Blick von allem Glücke weg, das durch Aussinnung und Ausführung eines Plans möglich wäre, um nur nicht zu gleich an Hindernisse und Bemühungen erinnert zu werden, wovon uns der Gedanke schon erschreckt. Wir werden gute, ehrliche, vegetierende Wesen, die den gewöhnlichen Zirkel der körperlichen Bedürfnisse durchlaufen, ohne mit einem Gedanken oder einer Handlung zu verraten, daß wir mehr können als essen, trinken, schlafen. Ein solcher Seelentod ist nur im äußersten Glücke und im äußersten Unglücke möglich und am empfindlichsten, wenn wir zu ihm übergehen; in der [226] Folge macht uns zwar die Gewohnheit verträglich mit ihm, allein für ein Geschöpf von Dücs Lebhaftigkeit bleibt ungleich länger eine gewisse Unbehaglichkeit dabei übrig. Der Fall seiner Leidenschaften zog notwendig den Fall seines Witzes nach sich, der von jenen lebte, und das schlimmste dabei war, daß der Verstand seiner Frau wuchs, wie sein Witz abnahm. Die eingeschränkte Lebensart, die sie gegenwärtig führten, war für sie nichts Neues, weil sie beständig die ihrige gewesen war; sie vermißte keine Ergötzlichkeiten, kein Vergnügen, weil sie nie eins genossen hatte, und fühlte die Beschwerlichkeit der Sparsamkeit und des verminderten Aufwandes weniger hart als ihr Mann, weil sie auch im Glücke beinahe geizig, wenigstens äußerst haushältrisch gewesen war; sie hatte also im Grunde keinen sonderlichen Zusatz von Unglück, sondern sogar eine Vermehrung ihrer Glückseligkeit erhalten – denn ihrem Ehrgeize und ihrem Verstande ward nun erst die Laufbahn recht geöffnet, da Düc beständig zu Hause bei ihr bleiben und das Ziel abgeben mußte, nach welchem ihr Verstand schoß, und mit jedem Gewinst, den er erlangte, ihrem Ehrgeize schmeichelte, und das Gewinnen wurde ihr um soviel weniger schwer, weil der arme Düc, wie schon gesagt worden ist, ein herumschleichendes, niedergedrücktes Ding ohne Witz und Laune und folglich ohne Widerstehungskraft, zum Tun ungeschickt und nur zum Leiden und zur Geduld fähig war.

In dieser rühmlichen Tugend der Gelassenheit und Geduld brachte er es so ärgerlich weit, daß er sich von seiner Frau wie ein Kind gebieten, verweisen, strafen und lehren ließ; sein Herz war eine Wand, wo das bißchen Tünche von Witz und Leidenschaft heruntergewaschen war und der Grund, seine natürliche Gutherzigkeit, bloß und frei dalag, welche bekanntermaßen wider fremde Gewalttätigkeit ein schlechter Schutz ist. Zum Glück geriet seine Frau auf den [227] Einfall, aufs Land zu ziehn und mit Hülfe eines aufgenommnen kleinen Kapitals eine förmliche Bauerwirtschaft anzufangen, die ihr anfangs nicht übel vonstatten ging; sie mußte sich auf diese Weise in die Sorgen der Ökonomie zerstreuen, ohne daß ihr viel Zeit übrigblieb, ihren Mann mit ihrem Verstande zu quälen; Düc, so sauer es ihm fiel, mußte seinerseits ein Gleiches tun, und seine Wohnung ward allmählich der wahrhafte Aufenthalt eines unabhängigen Philosophen, der die möglich wenigsten Bedürfnisse und fast gar keine Wünsche hat als fruchtbares Wetter und Gesundheit, der nicht zufrieden – weil sich dies vermutlich auf unserm Planeten nie völlig sein läßt –, aber auch nicht unzufrieden ist, ohne starke angenehme oder unangenehme Empfindungen in einem gemäßigten Mittelzustande dahinwandelt, nüchtern lebt, ohne zu fühlen, daß es Notwendigkeit ist, wenig ißt, gut verdaut, gut schläft – kurz, so sehr Tier ist, als es der Mensch sein kann, das heißt, sich sein Futter verschafft, es genießt und sich um kein Haarbreit Gegenwärtiges oder Zukünftiges weiter bekümmert als um den Fleck, wo er eins von beiden tut, und an keinen Menschen denkt als an sich, seine Frau und Kinder.

So leidlich und fast behaglich ihm auch dieses stille dörfische Leben durch die Länge der Zeit wurde, so fand sich doch in der Länge seine Frau, obgleich die Wahl desselben ihr eigner Einfall gewesen war, ungleich schwerer in die damit verknüpften Beschwerlichkeiten der Wirtschaft, wovon sie freilich einen größern Teil zu tragen bekam als der Mann, und wurde völlig überzeugt, daß das Landleben nur im Theokrit und Geßner beneidenswürdig und bei einem reichlichen Einkommen reizend ist und daß auf niemandem so sehr der Fluch des Mannes liegt als auf dem armen Landmann; ihre Verdrossenheit nahm also beinahe in dem Maße zu, wie ihres Mannes Philosophie, Gelassenheit, Unempfindlichkeit, [228] Erstorbenheit des Herzens – oder wie man es nennen will – mit jedem Tage wuchs. Er hatte es glücklicherweise ohne sein Verschulden zu einer solchen Windstille unter seinen Leidenschaften gebracht, daß ein alter Überrock, den er täglich trug, aller seiner Gebrechen, Risse und ausgebesserten Löcher ungeachtet, beinahe das einzige Gut der Erde war, das seine Neigung fesselte, das er wirklich liebte, wovon folgende Anekdote einen Beweis gibt.

Er bekam plötzlich Nachricht, daß ein reicher Vetter von ihm in Holland gestorben sei, der ihn zum Universalerben eingesetzt habe; die Nachricht war gerichtlich und so bestätigt und zuverlässig, als sie es sein konnte. Wir sind nun einmal insgesamt solche Thermometer des Glücks, daß es uns viele Affektation oder Mühe kostet, wenn wir nur scheinen wollen, es nicht zu sein, und da Düc keinen Beruf oder Ursache fand, diese Mühe anzuwenden, so gestand er ganz ungeheuchelt in Reden und Betragen, daß ihm dieser Zufall willkommen war, wiewohl er seinerseits nicht halb soviel Freude darüber empfand als seine Frau, die in der Minute nach Holland in eigner Person geflogen wäre, wenn ihr der Himmel sogleich hätte Federn wollen wachsen lassen; mit Mühe ließ sie sich bereden, die vorläufigen Umstände bis zur Auszahlung durch einen sichern Bevollmächtigten berichtigen zu lassen, wozu ihr ein Prediger seinen Bruder vorschlug, der in Amsterdam in Diensten der Admiralität stand. Indessen konnte sie vor Ungeduld den Anfang ihres veränderten Glücks nicht erwarten; ihr Verstand, der sonst bei den gemeinsten Vorfällen sich hervorzutun pflegte, erlag unter dieser günstigen Aussicht, da sie hingegen auf ihren Mann keine andre Wirkung tat, als daß sie seinen Witz wieder ein wenig aufweckte und ihm täglich ein paar muntre Einfälle mehr eingab. Sie lag ihm unaufhörlich an, Geld auf eine nach allem Anschein unstreitige Erbschaft aufzunehmen, in die Stadt zu [229] ziehen, eine bequeme Wohnung zu mieten, für sich und ihre Familie gute Kleider, gute Möbeln anzuschaffen – mit einem Worte, alles auf einen Fuß zu setzen, wie es nach dem zu erwartenden Vermögen eingerichtet werden konnte. Er widerstund ihr aus allen Kräften und mit vielen sehr vernünftigen Gründen; doch sie wußte beständig ungleich vernünftigere für ihre Meinung aufzutreiben, bis endlich die Stärke ihrer Vorstellungen oder vielmehr die Indolenz des Mannes und ihre Macht über ihn alle mögliche Widersprüche besiegten; sie fanden Kredit, und der Plan der Frau wurde ausgeführt, so gut es Kredit und Borgen erlaubten; Düc schenkte seinen geliebten Überrock einem armen Nachbar und trennte sich mit so vieler Wehmut von ihm als von seinem getreusten Freunde.

Alles war in Ordnung und erwartete ihre Ankunft in der Stadt – welch ein Donnerschlag! Plötzlich erwies sich's, daß die Erbschaft nicht diesem Düc, sondern seinem jüngern Bruder zugehörte und daß dieser schon persönlich an Ort und Stelle war, die Verlassenschaft seines Vetters zu heben. Seine Frau war, trotz alles ihres Verstandes, untröstlich über ihre betrogne Erwartung; sie schrie laut bei der ersten Nachricht davon und ging ohne Essen und Trinken wie eine Blödsinnige tagelang herum. – »Siehst du?« sprach ihr Mann mit gelaßnem Tone, »ich habe dir's wohl gesagt, daß du mich um meinen alten Überrock bringen würdest.«

Wirklich war seine Lage itzt ungleich trauriger als jemals: eine Menge Schulden, die er nicht bezahlen konnte, eine vernachlässigte Wirtschaft auf seinem Bauergütchen, das zum großen Glücke keinen Käufer noch gefunden hatte, der Spott des Publikums, vielleicht auch die Schadenfreude einiger Neidischen – wahrhaftig eine Menge Widrigkeiten, den standhaftesten Mut niederzudrücken! Allein Düc war mit dem Unglücke vertraut und wurde von seinen Pfeilen nur gestreift, [230] wenn sich seine Frau beinahe verblutete; er meldete seinem Bruder, von dem er seit seiner Auswanderung aus seiner Mutter Hause nichts gehört hatte, seine Umstände und überließ es seiner eignen Güte und Liebe, was er tun wollte, sie zu verbessern. Der Bruder übernahm die Schulden, die Dücs Frau wegen ihrer bessern Einrichtung gemacht hatte, und bezog bei seiner Rückkunft aus Holland das Quartier, das sie hatte bewohnen wollen, gab eine kleine Summe her, ihre Wirtschaft auf bessern Fuß wieder zu setzen, und versprach, Dücs Kindern beizustehen, soviel sein Vermögen erlaubte, und den unerwachsnen männlichen Teil etwas lernen zu lassen oder den weiblichen auszustatten. »Bruder«, sprach Düc, »wenn du noch etwas für mich tun willst, so kaufe dem Manne, dem ich meinen Überrock geschenkt habe, ein neues Kleid und schaffe mir meinen Überrock wieder!«

Ruhig lebte er noch einige Zeit auf seinem Bauergütchen und starb, ehe er seinen Überrock ganz zerrissen hatte.

Fußnoten

1 Und in Ewigkeit, bald mehr, bald weniger, in der Religion und den Wissenschaften, Künsten und Handwerkern geschehen wird, auch dies ist eine Folge der menschlichen Natur. Anmerk. des Herausgeb.

2 Diese Erklärung ist wenigstens nicht schlechter ausgedacht als die von den beiden Nachtstühlen, die noch in Rom gezeigt werden und nach der eh-maligen wunderlichen Meinung gebraucht worden sind, die Männlichkeit der Päpste zu untersuchen, und itzt jedermann für redende Sinnbilder der Demut hält, wodurch man die Heiligen Väter bei ihrer Krönung an ihre menschlichen Bedürfnisse erinnern wollte.

3 Doch mit Vorbehaltung des dominii directi, wie unsre Juristen sich ausdrücken würden.

4 Sueton im Aug.

5 Hier irrt sich die Gräfin: Seine bösen Launen waren allem Anschein nach allemal Wirkungen eines innerlichen Sturms, den der Stolz in ihm erregt hatte.

6 »Wie eine attische Jungfrau, die die heiligen Körbe der Ceres trägt« – und nicht gern wider den jungfräulichen Anstand etwas verschütten möchte.

7 So sonderbar auch die Vorstellung des unsterblichen Euphrosinopatorius ist, so ist sie, deucht mich, doch sehr passend, wenn ich nicht aus Vorurteil für ihn so denke.

8 Dies sagte er im Jahr 1766.

9 Manche sagen: Sie können wohl, aber sie wollen nicht. – Ebendieses Unvermögen zu wollen ist die vorzüglichste Ursache, warum sie nicht können. Wenn Neigung und Leidenschaft mit einer solchen Stärke wirken, daß die Seele nicht anders wollen kann, als sie muß – welches jedem Menschen mit seiner Lieblingsleidenschaft widerfährt –, so geschieht dies wider sein Wissen und Willen; er muß also wollen, wie er soll, und kann nicht wollen, wie er will.

10 Man darf wohl nicht erinnern, daß dies alles bloß im metaphorischen Verstande gesagt ist.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Wezel, Johann Karl. Erzählungen. Satirische Erzählungen. Zweites Bändchen. Johannes Düc, der Lustige, oder Schicksale eines Mannes. Johannes Düc, der Lustige, oder Schicksale eines Mannes. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A539-0