Das Amthaus

Es war nicht das alte Amthaus mehr, und obgleich es Wilhelm schon manchmal besucht hatte, seit er sein Weib daraus heimgeführt, so konnte er sich doch nie ohne Schmerz in die veränderte Umgebung finden. Das stattliche alte Wohnhaus, mit seinem weiten Flur und den künstlich verschnörkelten Verzierungen über Portal und Fenstern, war nicht mehr da; nicht mehr der Sitz unter der Linde und der hübsche Blumengarten, [49] aus dem der Weg in den grasigen Baumgarten, an den Fluß führte. Der gereiste Sohn hatte das alte Haus abgebrochen und eine neue stattliche Brauerei mit Wohngelaß errichtet. Um das Haus hörte man nun das Klopfen der Küfer, das Getöse der Brauknechte. Die Linde hatte der alte Herr noch gerettet, aber der Sitz war weg, es lagen nur Faßdauben und Arbeitsgerät darunter; der Grasgarten, dessen Obstbäume für abgängig erklärt worden waren, war in einen Hopfengarten umgewandelt; die alte trauliche Laube war zerfallen und diente nur noch zur Aufbewahrung von Hacken, Rechen und Gießkannen, und zu dem neuerbauten Gartenhause mit grünem Ziegeldach konnten die Freunde des alten Hauses kein Herz fassen.

Den alten Herrn traf Wilhelm hinter dem Hause auf der Bank des kleinen Gemüsegärtchens, das allein so ziemlich noch seine frühere Gestalt bewahrt hatte. Er war sehr gealtert und sah gar müde aus; ein herzliches Lächeln aber flog über sein Gesicht, als er den werten Gast begrüßte. »Du freust mich, so oft du kommst,« rief er ihm entgegen, »dein Gesicht ist noch aus der guten alten Zeit. Wenn ich dich sehe, so meine ich allemal, meine Alte müsse nachkommen.« – »Wie geht's, Papa?« – »Schlecht, schlecht, das heißt mit mir, bin ein alter Mann, tauge zu nichts mehr; wollte, ich wäre bei meiner Alten.« – »Aber Sie haben gewiß nicht zu klagen über Ihre Kinder?« – »Behüte, nein, tät' mich versündigen, wenn ich's wollt', respektieren mich und versorgen mich; aber sie brauchen mich nicht, und da sitzt's, Wilhelm, da sitzt's. Die Frau Söhnerin, Respekt vor ihr, sie ist eine fleißige Frau und eine gescheite, und mein Karl darf's weder hören noch fühlen, daß das Anwesen da mit ihrem Geld gebaut ist; aber die ausländischen Bräuche, Junge, und das fremdländische Geschwätz, das bringt mich noch unter den Boden. Und die Freunde, die ins Haus kommen, sind Geschäftsfreunde, und der Tisch ist gedeckt für Geschäftsleute, und am Sonntag fahren die jungen Leute hinaus, statt daß da sonst mein Haus offen war für gute Freunde. Ich will nicht klagen, aber ich bin ein alter Mann und tauge nichts mehr.« – [50] »Wenn Sie vielleicht länger im Besitz des Hauses und im Amt geblieben wären?« – »Ging nicht mehr. Habe zwar im Frieden gehaust mit der Frau Pfarrerin nach meiner Alten Tod und Rikchens Wegzug; aber du weißt ja, ich habe lieber vergnügte Gesichter als blanke Taler gesehen und war wohl gar zu sorglos. Da stand ich denn vor meinen Kindern als schlechter Haushalter, und das hat mich daniedergeschlagen für immer. Dann kam der Karl heim mit der neuen Weisheit und der jungen reichen Braut, so dacht' ich, ist das beste, du ziehst dich zurück. Will nicht klagen, aber 's ist nicht das alte Leben mehr.«

»Wir haben hier keine bleibende Statt, aber die zukünftige suchen wir,« sagte Wilhelm mit sanftem Ernst. – »Hast recht, Junge, und das ist der Fleck, wo ich noch viel zu lernen habe; habe darum auch verstehen lernen, warum der Herr mich alten Storren noch so allein dastehen läßt. Will's Gott, so ist's noch [51] nicht zu spät ... Wie geht's Rikchen; warum kommt sie nicht mit dir?« – »Sie ist gar zu geschäftig, sie findet keine Zeit,« sagte Wilhelm etwas verlegen. – »Keine Zeit für ihren alten Vater; so ist's seit acht Jahren. Weiß Gott, wo das Mädchen das wuhlige Wesen her hat; meine Alte war doch auch fleißig wie wenige, aber es ward auch andern noch wohl daneben und ihr selbst mit. Ich glaube, wir haben selbst gar zu viel Wert auf des Mädchens frühe Häuslichkeit gelegt, besonders ich, weil mir die Mine allezeit zu überschwenglich war.« – »Wie geht es Minna?« fragte Wilhelm fast schüchtern. – »Ach, da frag mich lieber gar nicht! Ich höre meist nur von ihnen, wenn sie in Geldverlegenheiten sind, das ist freilich, leider Gottes, oft genug, daneben wenig Frieden und wenig Liebe. Ja, Wilhelm, dazumal hatte der Alte recht gehabt. Nun, geschehen ist geschehen!«

»Eduard und Emma, die sind mir ein Labsal, so oft ich an sie denke; der Leichtfuß hat Glück gehabt, daß er ein so liebes Weib gefunden, wenn sie auch nicht viel hat. Da kann man sehen, was es ist um ein Gericht Kraut mit Liebe; das ist ein Haus, in dem die Sonne nicht untergeht.«

Da kam eben Karl, der neue Herr des Gutes, herbei, um den Schwager zu begrüßen. Wilhelm verbrachte den Abend und die Nacht in der alten Heimat so viel fröhlicher Herzen, aber daheim fühlte er sich nicht mehr hier. Die Visitenstube der Frau Schwägerin war so schön aufgeputzt, so ungebraucht und so wenig einladend wie die seiner Frau daheim, nur daß hier ein großer Reichtum von Silbergeschirr zur Schau stand; desto mehr Spuren rücksichtslosen Gebrauchs zeigten die andern Räume. – Er flüchtete sich in die Zimmer des alten Herrn, da stand noch das gute alte zusammengesessene Sofa mit Kattunüberzug und der runde eichene Tisch, der je nach Bedürfnis ins Unendliche verlängert werden konnte; er dachte der alten Tage, wo sie in lustigem Pfänderspiel darum gesessen waren, und ein anmutiges Gesichtchen, das ihm einst das lieblichste auf Erden geschienen, blickte wieder zu ihm herüber aus den braunen aufgelösten Locken. Es war vorüber, und er faßte sich ein männlich Herz und dachte des Segens der Gegenwart.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Wildermuth, Ottilie. Erzählungen. Aus dem Frauenleben. Morgen, Mittag und Abend. Das Amthaus [1]. Das Amthaus [1]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A7A7-8