[1] Der Fischerssohn, der Rappe und der Schimmel.

In einem großen Walde lag ein großer See, daran wohnte ein Fischer mit seiner Frau. Gott hatte ihnen fünf Söhne geschenkt, einer schöner als der andere. Jeden Tag, sobald der Morgen anbrach, zog der Fischer zu dem See und warf seine Netze aus und Abends zog er sie ein und stets hatte er sie voll guter, schöner Fische. Es war als ob ein besonderer Segen auf seiner Arbeit ruhe; der schien von einem kleinen grauen Männchen herzukommen, welches sich jeden Tag an dem See sehen ließ und in dem Kahne und an den Netzen herumsprang, als ob es den Fischen locke.

Als die Söhne größer wurden, mußten sie mit auf den Fischfang ausziehen und das ging der Reihe nach, jeden Tag ein andrer; die übrigen vier trugen derweil die Fische in die Stadt und verkauften sie um ein schön Stück Geld. Der Jüngste, welcher eben zwanzig Jahre alt war, zog auch eines Tages wieder mit zum See, aber das graue Männchen ließ sich an dem Morgen nicht blicken und Abends war kein Fisch im Netz. Schon wollten die Beiden heimgehn, da kam es daher gesprungen und frug: ›Nun ihr Leutchen, ihr Leutchen, wie geht es heut?‹ ›Schlecht, sehr schlecht,‹ sprach der Fischer, ›wir haben nicht einen Fisch gefangen.‹ ›Fischer, willst du mir dort deinen jüngsten Sohn verkaufen?‹ ›Um keinen Preis verkaufe ich mein eigen Fleisch und Blut‹ [1] rief der Mann. ›Ich fülle dir deinen Nachen mit purem gelbem Gold, so daß du ein reicher Mann bist auf ewige Zeit‹ sprach das Männchen, ›thust du es aber nicht, dann hast du keinen Vorsput mehr und hast gestern deinen letzten Fisch gefangen.‹ Da fing der Fischer doch an sich die Sache zu überlegen und sprach: ›Ja wenn ich wüßte, wo er bleibt und wie es ihm geht.‹ ›Es geschieht ihm gar nichts zu Leide, er hat mir nur zu folgen und zwei Pferde zu füttern, einen Schimmel und einen Rappen. Uebrigens mag er spazieren gehn oder reiten und kann thun was er will, darf dich auch alle drei Monate besuchen.‹ ›Dann bin ich es zufrieden‹ sprach der Fischer, ›wenn nur mein Sohn will.‹ Der war aber ein herzensguter Mensch und sagte: ›Vater, da ich euch glücklich machen kann, so gehe ich mit dem grauen Männchen.‹ Der Fischer nahm Abschied von ihm und dem Männchen; als er wieder zu seinem Nachen kam, da glänzten ihm helle Haufen Gold entgegen, so daß er ein steinreicher Mann war.

Der Jüngling folgte dem Männchen, welches ihn immer weiter im Walde führte bis in ein schönes Schloß. Dort zeigte es ihm alle Zimmer und die waren so prächtig, daß es nicht zu sagen ist. In einem derselben stand eine Menge von Büchern: ›die darfst du alle lesen,‹ sprach das Männchen, ›nur das eine dort in der Ecke nicht, es wäre dein Unglück.‹ Zuletzt führte es ihn in den Stall, da standen zwei Pferde, ein Schimmel und ein Rappe: ›Diese hast du zu füttern,‹ sprach das Männchen, ›und das ist deine einzige Arbeit. Den Schimmel darfst du nie reiten; du mußt ihm alle Tage zwei Maas Wein geben, viel gutes Brod, [2] ihn hart striegeln und sauber putzen, denn ich halte große Stücke auf ihn. Der Rappe bekommt Hafer und Heu und Wasser; auf ihm darfst du nach Hause und in den Wald reiten, so viel du willst. Alle Arbeit muß aber bei Tage gethan sein und du darfst nie mit Licht in den Stall gehn. Thust du das treu und fleißig und befolgst nie die Rathschläge deiner Mutter, dann hast du es gut und dein Glück ist gemacht.‹

Der Jüngling versprach es und hielt auch sein Wort. Wenn er mit seiner Arbeit fertig war, las er in den Büchern und lernte viele Dinge, die nicht grade jeder weiß. Aber es hatte doch eine eigene Bewandtniß mit dem Schloß und es ging dort nicht mit rechten Dingen zu. Gewöhnlich sah er nur das Männchen, welches jeden Tag kam und ihn oft wegen seines Fleißes lobte und ermunterte nur so fort zu fahren, es werde sein Glück sein. Wenn er aber oft Abends im Garten saß und so über allerhand nachdachte, dann sah er zwei Gestalten herumwebern, von denen er nicht recht zu sagen wußte, was sie eigentlich waren. Die eine schien groß und wie ein Riese und war doch keiner, die andre schien kleiner und wie ein Weib, aber sie war doch keins. Die fuhren da herum, erschienen und verschwanden und er konnte weiter nichts bemerken, als daß die zweite immer betrübt und zu weinen schien. Er zerbrach sich oft den Kopf über sie, wurde aber darum kein Haarbreit klüger als er gewesen war.

Nachdem ein Vierteljahr herum war, bat der Jüngling das Männchen um Urlaub, er wolle einmal seine Aeltern wiedersehn. Das Männchen bewilligte es ihm gern, nur rieth es ihm abermals, [3] den Rathschlägen seiner Mutter kein Gehör zu geben. Der Jüngling ritt auf seinem Rappen weg und stand ehe er sich's versah am See. Als er aber nach seines Vaters Haus suchte, war davon nichts mehr zu sehn und an seiner Stelle stand ein prächtiges Schloß. Man kann sich denken mit welcher Freude seine Aeltern ihn empfingen. Seine Brüder waren alle verheirathet und reiche Kaufleute in großen Städten. Das hielt ihm seine Mutter vor und sprach: ›Diese sind versorgt, du weißt aber noch nicht, was du hast; du mußt jetzt bald an deine Zukunft denken. Nachdem er ihr aber erst erzählt hatte, wie Alles im Schlosse war und zuging, da ließ sie ihm keine Ruhe mehr und sagte: Sei kein Thor und überzeuge dich von Allem. Das graue Männchen mißgönnt dir dein Glück. Ich an deiner Stelle müßte vor Allem wissen, was in dem Buche steht, eher könnte ich die Nacht kein Auge zuthun und schmeckte mir weder Essen noch Trinken. Das graue Männchen erfährt ja nichts davon, du mußt es nur recht heimlich thun.‹ Also redete sie ihm so viel und so lange zu, bis er ihr versprach, er wolle das Buch lesen und ihr, wenn er wiederkomme sagen, was darin stehe.

Nach einigen Tagen nahm er Abschied von seinen Aeltern und ritt wieder nach dem Schloß zurück. Dort besiegte er wohl Anfangs die Versuchung nach dem Buche zu greifen; nach und nach aber, als sie immer wiederkehrte meinte er, es sei ihm ja nur verboten, darin zu lesen, sehen könne er es immer. Als er es eine Zeitlang gesehen und immer wieder gesehen hatte, meinte er, ein wenig könne er immerhin darin lesen, aber als er einmal [4] am Lesen war, da ruhte er nicht, bis er es ganz ausgelesen hatte. Jetzt wußte er wohl, daß der Schimmel eine verwünschte Prinzessin und der Riese ihr Vater sei, daß das Schloß ihr gehöre und sie jede Nacht Menschengestalt annähmen, auch wußte er, wie sie erlöst werden konnten, aber im selben Augenblick stand auch das graue Männchen vor ihm und fragte zornig: ›Was hast du gemacht?‹ Läugnen half da nicht, das Männchen faßte ihn beim Kragen und warf ihn vor die Thür des Schlosses, indem es sprach: ›Hättest du nur ein Jahr lang meinen Rathschlägen gefolgt, dann warst du glücklich auf Lebenszeit, jetzt magst du die Säue hüten. Das hast du davon‹ und da flog das Thor hinter ihm zu.

Da stand er nun im wilden Walde und ganz mutterseelenallein. Er faßte aber bald Muth, dachte, es sei ja nicht Alles verloren und er wisse doch, wie er die Prinzessin erlösen könne, schnitt sich einen Stock und arbeitete sich durch das Gebüsch. Viele Tage ging er also weiter und nährte sich von Wurzeln und Kräutern. Endlich wurde es lichter und er kam an ein Dorf. Da frug er die Bauern, ob es keinen Dienst für ihn gebe? ›Ja wohl,‹ sprach einer von ihnen, ›wenn du mir die Säue hüten willst, dann kannst du bei mir ankommen.‹ Das war allerdings hart und besonders jetzt, nachdem er es lange Zeit so gut gehabt hatte, aber was wollte er machen? Er wurde mit dem Bauern um einen geringen Lohn einig, bekam ein Eckchen neben dem Schweinestall als Schlafstelle und trieb am folgenden Morgen mit seinen Schweinen aus. Wie er nun so auf dem Felde saß und über sein [5] Schicksal nachdachte, rauschte es gewaltig über ihm in der Luft und da flog der Vogel Greif daher und ließ sich in der Ferne auf einen Berg nieder. Er rieb sich vergnügt die Hände und lachte so recht froh in sich hinein, denn von dem Vogel Greif hatte er in dem Buche gelesen. Als der Vogel am folgenden Tage wieder kam und desselben Weges flog, erzählte er Abends dem Bauern davon. ›Ich kenne ihn nur allzuwohl,‹ sprach der Bauer, ›er hat mir mehr als ein Schwein gefressen, darum nimm dich nur in Acht, daß du dem Berge nicht zu nahe kommst.‹ ›Ei was, mir holt er kein Schwein‹ rief der Jüngling ›und jetzt treibe ich geraden Wegs nach dem Berge hin.‹ ›Das magst du thun,‹ sprach der Bauer, ›fehlt aber am Abend ein Schwein, dann bekommst du Prügel und ich jage dich weg.‹

›Frisch gewagt ist halb gewonnen‹ sprach der Jüngling, als er am folgenden Morgen die Heerde austrieb und fuhr auf den Berg zu, denn auch von dem Berge stand in dem Buche geschrieben. Gegen Mittag kam der Vogel Greif herangeflogen wie eine große dunkle Wolke. Als er nahe bei dem Berge die Schweineheerde erblickte, schoß er nieder und packte eins mit seinen großen grausigen Klauen, aber der Jüngling hatte nicht vergessen, was er weiter in dem Buch gelesen hatte; er riß ihm schnell drei Federn aus, steckte zwei hinter die Ohren und nahm eine in den Mund: da war er so stark und konnte fliegen trotz dem Vogel Greif. Jetzt riß er ihm das Schwein weg, griff ihn am Halse und drückte ihm die Kehle, bis der mächtige Vogel todt dahin sank. Alsdann schnitt er ihm mit seinem Messer den Leib auf [6] und holte ein großes weißes Ei daraus: damit konnte er die Prinzessin erlösen. Heisa, jetzt war er wieder oben und hätte mit keinem König und Kaiser getauscht. Jubelnd und singend trieb er seine Heerde heim. Der Bauer erstaunte, daß er schon so frühe zurückkam, aber ehe er noch fragen konnte, was die Ursache davon sei, erhob sich der Jüngling durch die Kraft der Greifenfedern in die Luft und der Bauer hatte das Nachgucken.

Er flog aber hoch, hoch empor und schaute sich um bis er das Schloß erblickte; in der Nähe desselben ließ er sich auf einem Baume nieder und wartete den Abend ab. Dann flog er auf einen hohen Lindenbaum, welcher in dem Garten stand und worunter er die beiden Gestalten jeden Abend hatte sitzen sehen. In den Aesten verborgen hielt er sich ganz still. Als er eine Weile da gesessen hatte, öffnete sich die Stallthür: zuerst schlupfte das graue Männchen heraus, dann kam die weinende Frauengestalt und zuletzt die Riesengestalt. Das Männchen lief ins Schloß, die beiden andern aber kamen auf den Lindenbaum zu und setzten sich unter ihm nieder. Ach wie klopfte ihm jetzt das Herz! Er griff leise in den Sack, faßte das Ei, zielte gut und patsch! flog es gegen des Riesen Stirn. Zugleich aber that es einen Donnerschlag, als breche das ganze Schloß zusammen, so daß der Jüngling sich an den Aesten der Linde halten mußte und die Augen zudrückte. Als er wieder aufschaute, waren die beiden Gestalten verschwunden und stand da ein König mit goldner Krone auf dem Haupte und eine Prinzessin so wunderschön, daß es ihres Gleichen nicht mehr gibt. Aus dem Schloß kamen die Hofherrn und Diener [7] gerannt, alle begrüßten und küßten sich und war da eine Freude sonder Gleichen. Der König wandte sich aber um und rief dem Jüngling, er möge niedersteigen und als er das gethan, legte er des Jünglings Hand und die der Prinzessin zusammen und sprach: ›Du hast es um uns verdient, daß du mein Sohn wirst; wahre dir dein gutes Herz, dann wird das Glück dich auch bewahren.‹ Also wurde der Fischerssohn zu einem königlichen Prinzen; wer weiß, was aus dir noch Alles werden kann? – Wo ist denn das graue Männchen geblieben? Das hatte der alte Taglöhner Hans vergessen, als er mir's erzählte, kommst du nach Jugenheim, so frage ihn, es wird ihm wieder eingefallen sein.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Wolf, Johann Wilhelm. Märchen. Deutsche Hausmärchen. Der Fischerssohn, der Rappe und der Schimmel. Der Fischerssohn, der Rappe und der Schimmel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AA88-5