[285] Grünus Kravalle.

Der König von Eiland hatte einen Sohn der hieß Jakob, der war nicht zum Besten gerathen. Tag und Nacht saß er im Wirthshaus und spielte Karten und verspielte Alles, was er um und an hatte. Als dieß verloren war, bestahl er seines Vaters Schatzkammer, die Kleiderkammer, die Wäschkammer, kurz Alles was ihm unter die Finger kam, war hin, so daß die königliche Familie in Noth gerieth. Der König wurde dessen zuletzt müde und sperrte ihn ein, da spielte er mit sich selbst, seine rechte Hand gegen seine linke. Zuletzt ließ man ihn jedoch wieder los, nahm ihm die Karten und der König verbot, daß jemand ferner mit ihm spiele und wer es thue, werde hingerichtet.

Traurig darüber, daß er nicht mehr spielen konnte, ging der Prinz eines Tages in den Wald, da kam ein Jägersmann im grünen Rock daher und frug ihn, was ihm fehle? Der Prinz klagte ihm seine Noth und der Jäger sprach: ›Wagt Niemand mit dir zu spielen, dann wage ich es, nur müssen wir vorher über Gewinn und Verlust einig sein.‹ ›Das versteht sich von selbst, ich bin mit Allem zufrieden‹ sprach der Prinz. ›Gut also, wenn ich verliere‹ fuhr der Jäger fort, ›dann gebe ich dir jedes Mal zwei Pferde mit goldnen Sätteln, verlierst du aber, dann bist du [286] mein.‹ ›Das ist ein Wort‹ rief der Prinz voller Freuden, ›jetzt sage mir nur noch, wie du heißest.‹ ›Ich heiße Grünus Kravalle und hier sind die Karten.‹ Da setzten sich die Beiden nieder und spielten und fluchten dazu und der Jäger ließ den Prinzen stets gewinnen, so daß dieser Abends die beiden Gäule heimführte. Der König machte große Augen, als er ihn kommen sah, verwies ihm sein Spiel jedoch nicht allzu scharf, denn die goldnen Sättel waren viel werth und Geld konnte der König sehr gut gebrauchen.

Am zweiten Tage war der Prinz schon frühzeitig im Walde und der Grünus Kravalle ließ nicht lange auf sich warten. Dießmal hatte der Prinz aber kein Glück; er gewann wohl einmal, dafür verspielte er aber zwölfmal und die Summe der ganzen Rechnung war, daß er dem Jäger zu eigen fiel. ›Ich könnte dich zwar jetzt sogleich mit mir wegschleppen,‹ sagte der Jäger, ›doch will ich Gnade für Recht ergehen lassen. Ich gebe dir Jahr und Tag Zeit, mich zu suchen; findest du mich, dann bist du frei, findest du mich nicht, dann bist du mein und ich hole dich zur festen Stunde, denn ich weiß immer, wo du bist.‹ Damit verschwand der Jäger und der Prinz sah nun wohl ein, mit wem er zu thun hatte. Da war nun nichts zu machen, als den Jäger zu suchen. Der Prinz wanderte in den Wald hinaus; manche Woche und manchen Tag war er also dahingezogen, da kam er eines Tages in einen dichten Wald und tief, tief im Walde an ein Einsiedlerhäuschen. Er trat hinein, da hob der Einsiedler sein Haupt und sprach: ›Guten Tag, Prinz Jack von Eiland.‹ Ei woher kennt ihr mich denn? fragte der Prinz und der Einsiedel antwortete: [287] ›Ich kenne alle Menschen in der Welt.‹ Da freute sich der Prinz von Herzen und fragte schnell: ›Dann kennt ihr auch den Jäger Grünus Kravalle und wißt mir zu sagen, wo ich ihn finde.‹ Der Einsiedel besann sich lange, dann sprach er: ›Einen solchen Namen gibt es nicht in der Welt. Ihr müsset andere Leute darüber fragen, welche klüger sind, als ich.‹ Da nahm der Prinz gar traurig Abschied von dem Einsiedel und setzte seinen Stab weiter.

Schon wieder war er eine gute Zeit lang also herum gezogen und hatte überall nach dem Grünus Kravalle gefragt, aber keiner wußte ihm etwas von demselben zu sagen. Da gerieth er eines Tages wiederum in einen dichten, tiefen Wald und kam darin an ein Einsiedelshäuschen. Er öffnete die Thür, da saß in dem Häuschen ein ganz mißwachsener alter Mann mit einem so großen Buckel, daß er den Kopf ganz nahe an der Erde trug, der grüßte den Prinzen: ›Guten Tag, Prinz Jack von Eiland!‹ ›Ei woher kennt ihr mich denn?‹ fragte der Prinz und der Alte erwiederte: ›Ich kenne alle Menschen in der Welt.‹ ›Ei dann kennt ihr gewiß auch den Grünus Kravalle, und wißt mir zu sagen, wo er wohnt,‹ sprach der Prinz. Der Einsiedel besann sich und besann sich, dann sprach er: ›Einen solchen Namen gibt es meines Wissens nicht in der Welt, aber warte hier bis zwölf Uhr, mein Sohn, dann kommen die lieben Englein und bringen mir Speise, weil ich zu alt und schwach bin, mir selber Speise zu verschaffen; die wissen es wohl eher als ich.‹ Der Prinz setzte sich zu dem Einsiedel, der ihm manche guten Lehren gab, denn [288] es war ein gar frommer Mann. Um zwölf Uhr sprang die Thür des Häuschens auf, da kamen die Englein, eine große Schaar und brachten dem Einsiedel die himmlische Speise. Eins hielt ihm den Kopf, das andre den Teller, das dritte gab ihm das Essen in den Mund, das vierte ließ ihn trinken, das fünfte wusch ihm den Mund ab und so hatte jedes sein Amt bei ihm. Als er fertig gegessen hatte, bat der Prinz die Englein: ›Könnt ihr mir nicht sagen, wo der Jäger Grünus Kravalle wohnt.‹ ›Das ist der Gottseibeiuns,‹ riefen die Engel allzumal. ›Tausend Stunden von hier im Walde wohnt ein Einsiedler, der weiß es, wenn du ihn fragen willst.‹

Der Weg war zwar weit, aber Prinz Jack hatte nun mehr Muth gewonnen und ging kräftig zu, bis er an des Einsiedels Häuschen kam. Er öffnete die Thür, da grüßte ihn der Einsiedel der auch ein uralter Mann war: ›Guten Tag, Prinz Jack von Eiland.‹ ›Ei woher kennt ihr mich denn?‹ fragte der Prinz. ›Ich kenne alle Menschen in der Welt‹ antwortete der Einsiedel. ›Dann kennt ihr auch den Jäger Grünus Kravalle,‹ sprach der Prinz, ›und könnt mir sagen, wo er wohnt.‹ ›Das kann ich dir sagen lieber Sohn‹ antwortete der Einsiedel. ›Gehe den Weg hinter meiner Klause gerade fort, nicht rechts und nicht links, dann wirst du an ein großes rundes Schloß mit hohen Mauern kommen, welches kein Thor und keine Thür hat. Warte da bis um zwölf Uhr Mittags, dann öffnet sich die Mauer und zwei weißgekleidete Damen treten heraus, dann mußt du schnell hinein schlüpfen und sogleich nach dem Grünus Kravalle fragen. [289] Du darfst dich beileibe nicht aufhalten und mußt wohl sorgen, vor drei Uhr wieder heraus zu sein, sonst geht es dir schlimm.‹

Der Prinz versprach voller Freuden Alles, dankte dem Einsiedel für seinen Rath und eilte weiter, bis er an das große Schloß kam. Das war zirkelrund und hatte himmelhohe Mauern von mächtigen Steinen. Er ging herum, aber da war kein Eingang zu sehen. Gegen zwölf Uhr endlich öffnete sich die Mauer und zwei schöne weiße Jungfrauen traten heraus und gingen in den Wald. Sobald sie weg waren, schlüpfte der Prinz durch dieselbe Oeffnung in das Schloß. Da ging er von Zimmer zu Zimmer und eins war immer schöner als das andere und dabei hielt er sich gar lange auf. Endlich frug er nach dem Grünus Kravalle. Da kam dieser sogleich in seinem grünen Jägerrock heran und sprach: ›Das war dein Glück, heute ist der letzte Tag, den du noch frei hattest und morgen hätte ich dich geholt.‹ ›Jetzt gib mir meine Handschrift, damit ich fort kann,‹ sprach der Prinz, doch Grünus Kravalle sagte: ›Das hat ja noch Zeit, ich will dir vorerst meinen Garten im Schloß zeigen und noch vieles andre, was du dein Lebetage nicht wieder siehst.‹ Da ließ der Prinz sich verleiten und der Jäger führte ihn rechts und links herum und schwatzte ihm allerhand vor, bis es plötzlich drei Uhr schlug. ›Gib mir schnell meine Handschrift!‹ rief der Prinz und Grünus Kravalle gab sie ihm lachend und sprach: ›Da ist sie aber übereile dich nicht, denn jetzt bist du doch mein.‹ Da packte er ihn und schleppte ihn fort in den Eiskeller, wo der arme Prinz [290] täglich nur ein Stückchen Brodkruste bekam und die war noch dazu ganz trocken.

Da hatte Jack von Eiland wohl Ursache zu weinen, denn es ist nichts ärger, als wenn man nach langem Schaffen und vieler Noth meint, etwas errungen zu haben und dennoch mit leeren Händen dasteht. Doch hatte der Prinz bei all seinem Unglück noch Glück, ohne daß er es Anfangs ahnte. Als der Jäger ihn nämlich fortschleifte zu dem Eiskeller, da kamen gerade die beiden schönen, weißen Jungfrauen daher das waren dem Grünus Kravalle seine Töchter. Die Jüngste, welche die schönste war, hatte Mitleid mit dem armen Prinzen, weil er so sehr schön war und dabei so sehr unglücklich, denn sie wußte von ihrem Vater, daß er also verlockt und gefangen werden sollte. Sie schlich sich eines Tages an das Fensterloch zu dem Eiskeller, da sah sie, wie der Prinz sein Brod in ein wenig Eiswasser erweichte und es so mit rechtem Heishunger verschlang. Das that ihr tief im Herzen weh und sie ging noch in derselben Nacht zur Küche, holte sich eine ganze Schürze voll guter Sachen, die vom Mittagessen übrig waren und trug sie dem Prinzen in seinen Eiskeller. Ach wie war er ihr dafür so dankbar! Er küßte ihre beiden Hände und war ganz außer sich vor Freude. Das rührte sie so sehr, daß sie ihm von da an jede Nacht Speise zutrug und die harten Brodkrusten mit sich nahm. Jedesmal blieb sie ein wenig länger bei ihm und ließ sich von ihm erzählen und jedesmal gefiel er ihr besser und sie ihm. Da sprach sie einmal: ›Höre, ich habe dich so lieb, daß ich ohne dich nicht mehr leben kann; wenn du mein[291] Gemahl werden willst, dann entfliehe ich mit dir, denn ich habe meinen Vater gar nicht lieb und dich mehr als die ganze Welt.‹ Da glaubte der Prinz, der ganze Himmel ginge vor ihm auf, so groß war sein Glück. Er warf sich vor ihr auf die Kniee und sprach: ›Diesen Wunsch trage ich ja schon so lange heimlich in meinem Herzen und habe Nacht und Tag Kummer und schweres Leid gehabt, weil ich dachte, das könne nie geschehen. Ich verspreche dir nie eine andere Frau zu lieben und dir treu zu sein in Noth und Tod.‹ Jetzt wurde ihnen jede Minute in dem Schloß zu einer Ewigkeit und schon in der folgenden Nacht entflohen Beide. Sie verwandelte sich in eine Rabe, ihn in einen Tauber und so flogen sie durch das Kellerloch und über den Wald hinweg; das war eine Freude.

Als der Morgen schon anfing über die Berge zu klettern da schaute die Rabe sich um und rief: ›Ach da kommt meine Schwester und eilt uns nach!‹ Sie ließen sich rasch nieder und die Jungfrau verwandelte ihn in einen Rosenstock und sich selber in die Rose darauf. Da kam ein großer, großer Sperber geflogen, das war die älteste Schwester, welche Grünus Kravalle ihnen nachgeschickt hatte um sie einzufangen und zurückzubringen; der schaute sich um, setzte sich auf den Rosenstock und roch an die Rose. Dann erhob er sich und flog wieder zurück zum Schloß. Da stand der Jäger schon und fragte: ›Nun hast du sie gefunden?‹ ›Nein‹ antwortete sie, ›ich fand nur einen Rosenstock mit einer Rose daran.‹ ›Hatte die Rose ihren natürlichen Geruch?‹ fragte er weiter und sie sprach: ›Nein sie roch nicht.‹ ›Ei, Dummes, [292] warum hast du sie nicht mitgebracht,‹ schalt er, ›der Rosenstock wäre wohl von selbst nachgekommen.‹ Da ging er zu seiner Frau, die verwandelte sich in einen Weih und flog aus und ihnen nach.

Unterdessen waren die Beiden weiter gezogen, sie als Rabe und er als Tauber. Plötzlich schaute sie sich um und rief: ›Ach da kommt meine Mutter und eilt uns nach!‹ Schnell verwandelte sie sich in einen Felsen und ihn in einen Steinklipper. Indem kam der Weih heran, ließ sich nieder und frug ihn: ›Hast du nicht einen Jüngling und ein Mädchen vorbei rennen sehn?‹ Er sprach: ›Ich stehe um fünf Uhr Morgens auf, da gilt's tüchtig zu schaffen. Das geht klipp, klipp den ganzen Tag und da werden einem die Arme so müde, daß man meint, sie fielen einem grade ab,‹ und er klopfte und hämmerte fleißig drauf los. Sie fragte wieder: ›Davon spreche ich ja nicht, hast du nicht einen Jüngling und ein Mädchen vorbei rennen sehn?‹ ›Ach der Verdienst ist gering, oft sechs Batzen, oft mehr, aber auch schon weniger,‹ antwortete er. Da wurde das Weib ungeduldig und flog zurück zu dem Schloß. ›Hast du sie nicht gefunden?‹ fragte Grünus Kravalle. ›Ich fand nur einen Steinklipper an einem Felsen, der war taub, oder nicht recht bei Sinnen,‹ sprach sie. ›Ei, Dummes,‹ schalt er, ›warum hast du nicht ein Felsbröcklein mitgenommen, der Steinklipper wär schon nachgekommen.‹ Da verwandelte er sich in einen Adler und flog ihnen selbst nach.

Die Beiden hatten sich unterdessen in ihrem Fluge so geeilt, daß sie außerhalb des Waldes gekommen waren, und weiter als der Wald reichte, hatte Grünus Kravalle keine Macht. Da saßen [293] sie ins Gras und freuten sich ihrer Rettung. Als Grünus Kravalle herankam und sah, daß sie ihm entwischt waren, sprach er: ›Das hat so sein sollen, aber komm her, mein Töchterlein, ich gebe dir noch ein Andenken mit, dessen wirst du in der Folge sehr bedürfen.‹ Und er schenkte der Jungfrau drei Nüsse, wenn sie in Noth sei, solle sie eine nach der andern aufklopfen.

Nun zogen die zwei Lieben fröhlich weiter, bis sie in das Königreich Eiland kamen. An der Grenze des Reiches stand eine Mühle, da sprach sie: ›Du mußt mich hier als Prinz abholen, weiter darf ich nicht mit dir gehen und hier erwarte ich dich. Küsse aber Niemanden, sonst vergissest du mich und bringst mich in großes Unglück.‹ Der Prinz versprach es ihr, nahm Abschied und gelobte ihr, sie noch vor Abend abzuholen.

Als er in die Nähe des Schlosses kam, lief ihm sein alter treuer Pudel entgegen, sprang an ihm empor und leckte ihn am Munde; da war alles Vergangene aus seinem Sinn verschwunden, seine Gefangenschaft und seine Rettung und er dachte der schönen Jungfrau gar nicht mehr. Das war wohl sehr undankbar, meint ihr, aber es war ihm ja angethan und ohne das hätte er sie gewiß nicht vergessen. Die Freude, welche im Schlosse über seine Rückkehr herrschte, ist gar nicht zu beschreiben. Es wurden sogleich große Feste veranstaltet und da gerade eine sehr schöne Prinzessin am Hofe zu Besuch war, welcher der Prinz nicht übel gefiel, so konnte der König ihn leicht bereden, das Fest mit einer Hochzeit zu krönen und zu beschließen.

Die Jungfrau hatte also vergebens gewartet, daß ihr Bräutigam [294] sie an der Mühle abhole. Als es gegen Abend ging, trat sie in die Mühle und fragte, ob sie wohl Dienst haben könne. ›Was kannst du denn?‹ fragte der Müller. ›Spinnen und nähen‹ antwortete sie und da eben eine Magd fortgegangen war, so nahm sie der Müller an. Jeden Tag fuhren die Mühlbursche Mehl in des Königs Schloß und wenn sie heimkamen, erzählten sie, was in der Stadt vor sich ging. Also erfuhr die Jungfrau, wie der Prinz eine andere Braut habe, wie er in Freude lebe und in drei Tagen zu heirathen gedenke. In dieser großen Noth öffnete sie eine der drei Nüsse, welche sie von ihrem Vater bekommen hatte, da war ein prächtiges silbernes Kleid drin, das zog sie an und ging zur Stadt und vor das Schloß, wo sie auf und ab spazierte. Die Braut schaute just zum Fenster hinaus und als sie das Kleid sah, sprach sie zu ihren Dienerinnen: ›Geht schnell hinunter und fragt das Mädchen, ob ihr das Kleid feil sei, ich will es theuer bezahlen.‹ Als die Dienerinnen zu der Jungfrau kamen und sie fragten, antwortete sie: ›Geld und Gut will ich nicht, aber wenn ich eine Nacht in der Kammer des Prinzen schlafen kann, gebe ich das Kleid her.‹ Das gefiel der Braut nicht, doch ersann sie bald einen Ausweg, denn das Kleid hätte sie um Alles nicht fahren lassen. Sie mischte dem Prinzen einen Schlaftrunk in seinen Wein, davon schlief er so fest, daß ihn ein Kanonenschuß nicht hätte aufwecken können. Als nun die arme verlassene Jungfrau in der Kammer war, wo er lag, da weinte und klagte sie die ganze Nacht: ›Hast du denn ganz vergessen, wie ich dich aus dem Eiskeller erlöst habe und wie du mich als eine Rose [295] an deinem Herzen getragen hast und wie du als Steinklipper mit dem schweren Hammer auf mein Herz geschlagen hast, und wie ich in der Mühle auf dich warte und weißt nicht, daß ich um dich mit meinen armen Fingern den groben Hanf spinne, daß das Blut herunter lauft. Ach wie groß ist doch die Falschheit in dieser Welt!‹ So jammerte sie fort und fort, bis zum hellen Morgen, aber der Prinz hörte nicht ein Wort davon. Um so besser hatten es die Schildwachen gehört, welche vor der Thür standen und das arme Mädchen dauerte sie so sehr, daß sie ihr gern geholfen hätten, nur wußten sie nicht wie? Sie glaubten nicht anders, als der Prinz habe Alles gehört und gar keine Acht darauf gegeben, darum faßten sie einen wahren Haß gegen ihn.

Die Jungfrau war zu Tode betrübt, als sie des Morgens aus der Kammer mußte, ohne daß der Prinz sie gehört hatte. Sie ging in den Wald, da fiel ihr ein, daß sie noch zwei Nüsse habe und sie klopfte die zweite Nuß auf. Da kam ein Kleid von purem Gold heraus, das war noch viel, viel schöner, wie das erste und gar nicht mit ihm zu vergleichen. Sie zog es an und ging damit vor dem Schlosse auf und ab. Als die Braut aus ihrem Zimmer sah, wie das kostbare Kleid in der Sonne glänzte, sprach sie zu ihren Dienerinnen: ›Das Kleid muß ich haben, es mag kosten, was es will. Geht zu dem Mädchen und fragt es, wie viel es dafür fordert.‹ Die Dienerinnen kamen zu der Jungfrau und fragten sie; sie sprach: ›Um Geld und Gut ist mir das Kleid nicht feil, aber wenn ich eine Nacht in der Kammer des Prinzen schlafen kann, so gebe ich es her.‹ Die Braut war das [296] zufrieden und mischte Abends dem Prinzen wieder einen Schlaftrunk unter seinen Wein, der war so stark, daß ihn zehn Kanonenschüsse, die zugleich losgingen, nicht hätten aufwecken können. Als die verlassene Jungfrau wieder zu ihm in die Kammer kam, da klagte sie wiederum die ganze Nacht: ›Hast du denn ganz vergessen, wie ich dich aus dem Eiskeller erlöst habe und wie du mich als Rose an deinem Herzen getragen hast und wie du als Steinklipper mit dem schweren Hammer auf mein Herz geschlagen hast und wie ich in der Mühle auf dich warte. Ach und du weißt nicht, daß ich um dich mit meinen armen Fingern den groben Hanf spinne, daß das Blut herunterlauft. Ach wie groß ist doch die Falschheit in dieser Welt!‹ Also jammerte sie fort, bis die Sonne in die Kammer schaute, da mußte sie weg und der Prinz hatte kein Wort gehört. Die beiden Schildwachen hatten aber jedes Wort verstanden und ihr Mitleid mit dem armen Mädchen war so groß und ihr Zorn auf den Prinzen so arg, daß sie zu seinem Bette traten, ihm die kalten Spitzen ihrer Bajonette auf die Brust setzten und sprachen: ›Du mußt jetzt sterben, bereite dich zum Tode vor!‹ Der Prinz fragte erschrocken, warum sie ihn denn ermorden wollten, da er ihnen doch nichts gethan habe? Sie sprachen: ›Weil du ein so hartes Herz hast, daß du das arme Mädchen verrathen und betrogen hast, die Alles für dich hingegeben hat, und sie so jammern und klagen hören kannst, ohne dich über sie zu erbarmen.‹ Der Prinz sprach: ›Ich weiß von keinem Mädchen, habe keines betrogen und keines jammern hören.‹ Da sagten ihm die Schildwachen Alles, was die Jungfrau geklagt [297] hatte, aber weil sein Sinn durch den Kuß verdeckt war, verstand er sie nicht und sprach: ›Schenkt mir für heute das Leben. Ich habe so fest geschlafen, daß es kein natürlicher Schlaf gewesen sein kann. Morgen will ich aber wachen und das Mädchen selber sehen und hören.‹ Die Schildwachen erkannten nun auch, daß sich Alles so verhalten müsse und sprachen: ›Dann esset aber morgen Abend nichts und trinket nichts, was euch eure Braut reicht, denn diese muß dabei im Spiele sein.‹

Die Jungfrau war aber in heller Verzweiflung, als sie nun ihre dritte und letzte Nuß öffnete und klagte dem Wald und den Felsen und den stummen Thieren ihr Leid, daß es zum Erbarmen war. In der Nuß steckte aber das allerschönste der drei Kleider, das war aus lauter Diamanten gemacht. Sie zog es an und ging damit vor dem Schlosse auf und ab. Die Braut des Prinzen sah sie nicht sobald, als sie ihre Dienerinnen zu ihr sandte und ihr sagen ließ, ob sie für das Kleid eine Nacht in der Kammer des Prinzen schlafen wolle? ›Das will ich,‹ sprach die Jungfrau und konnte ihre Thränen kaum zurückhalten, als sie sah, wie die Braut hohnlachend am Fenster stand. Abends als die Braut dem Prinzen den Schlaftrunk reichte, ließ er ihn am Kinn herunterlaufen und nahm nicht einen Tropfen davon, das Essen rührte er nicht an und ging früh in seine Kammer, sprach, er sei krank. Als die Jungfrau in das Zimmer geführt wurde, lag er in seinem Bette und that als schliefe er. Da begann sie zu jammern und zu klagen: ›Hast du denn ganz vergessen, wie ich dich aus dem Eiskeller erlöst habe?‹ Er wandte sich um und sah sie erstaunt an doch er [298] konnte sich ihrer nicht erinnern. ›Gib mir Wasser, ich habe Durst,‹ sprach er, ›und sage mir aus welchem Eiskeller.‹ Da schenkte sie ihm Wasser ein und warf die Schalen einer Nuß in das Glas, die schmolzen alsbald. Als er trank, da wich es wie ein Nebel von seinen Sinnen und er gab ihr die Hand und rief: ›Ach das war bei dem Grünus Kravalle!‹ ›Da war es,‹ sprach sie, ›und hast du denn ganz vergessen, wie du mich als Rose an deinem Herzen getragen hast?‹ ›Als Rose an meinem Herzen?‹ fragte er. ›Gib mir Wasser, ich vergehe vor Durst.‹ Da schenkte sie ihm wieder ein Glas ein und warf die Schalen der zweiten Nuß dazu, die waren sogleich geschmolzen. Als er getrunken hatte, wurde es plötzlich wie ganz klar vor seinen Augen und er küßte sie und rief: ›Ach das war, wie deine Schwester uns verfolgte!‹ ›Da war es,‹ sprach sie, ›und hast du ganz vergessen, wie du als Steinklipper mit dem schweren Hammer auf mein Herz geschlagen hast? Aber das hat mir nicht so weh gethan, als daß du mir untreu bist und mich verlassen in der Mühle sitzen lässest. Die Mühle geht wohl tippe tappe Nacht und Tag, das thut mir jedesmal auf mein Herz einen Schlag.‹ ›Was sprichst du von der Mühle?‹ fragte er. ›Aber gib mir zuvor ein Glas Wasser, ich sterbe vor Durst.‹ Da schenkte sie ihm das dritte Glas ein und warf die Schalen der dritten Nuß hinein. Sogleich wußte er wieder Alles. Er rief: ›Du bist meine liebe Braut!‹ und umarmte sie und bat sie um Verzeihung für alles Leid, welches er an ihr verschuldet hatte, aber sie sprach: ›Die Freude, daß ich dich wieder habe, ist viel [299] größer als mein Leid war und hätte es auch hundert Jahre gedauert.‹ Jetzt führte er sie zu seinen Aeltern und erzählte ihnen Alles. Da bekam die andere Braut den Abschied und konnte gehn, die Jungfrau wurde aber am folgenden Tage schon mit dem Prinzen vermählt und ich hätte wohl mit auf der Hochzeit sein mögen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Wolf, Johann Wilhelm. Märchen. Deutsche Hausmärchen. Grünus Kravalle. Grünus Kravalle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AA8D-C