[423] Das Unglaubliche.

Es war ein Edelmann, der fuhr nicht anders, als mit vier Pferden aus und that dabei so stolz, als ob er der König oder gar der Kaiser von Deutschland wär. Das ärgerte einen Bauern, welcher neben dem Edelhof wohnte und sechs Pferde hatte. Als der Edelmann es ihm zu bunt machte, spannte er seine Sechs an seinen großen Heuwagen und fuhr stets hinter dem Edelmann drein, zwei Knechte vorn, er in der Mitte und vier Knechte hinter ihm. Das erste Mal that der Edelmann, als bemerke er das nicht, das zweite Mal warf er dem Bauern nur einen giftigen Blick zu, das dritte Mal rief er, wenn das noch einmal geschehe, dann .... Was er weiter sagte konnte kein Mensch verstehn, denn sobald der Edelmann anfing zu sprechen, gab der Bauer den Knechten ein Zeichen und sie knallten mit ihren Peitschen, als ob das wilde Heer heranführe. Am folgenden Morgen verklagte der Edelmann ihn beim Richter. Der setzte seine Brille auf und schlug alle seine Bücher auf, aber ein solcher Fall stand nicht darin. Endlich entschied er also: ›Wer von euch Beiden eine Lüge erfindet, die so groß ist, daß der Andre sie nicht glauben kann, der darf mit allen seinen Pferden ausfahren, der Andre muß zu Hause bleiben.‹

[424] Da rieb sich der Edelmann die Hände und dachte, jetzt sei der Bauer verloren, denn der sei keinesfalls so pfiffig wie er. Er zog ein Restchen Brod aus seiner Jagdtasche, hub an zu lügen und sprach: ›Gestern haben meine Tagelöhner bis neun Uhr Abends Korn gedroschen, das habe ich säen lassen; es war um elf Uhr reif, um zwei Uhr gemahlen und hier ist das Brod davon.‹ ›Das glaube ich gern,‹ sprach der Bauer. ›Ich habe gestern Abend Eicheln gelesen und gesäet, die hatten heute Morgen schon gekeimt; da habe ich mir aus ihrem Holz eine Leiter gemacht, die legte ich an den Himmel an und stieg hinauf. Der Erste, dem ich da begegnete, denkt Herr Edelmann, das war euer Großvater, der saß als Säuhirt hinter der Thüre.‹ ›Das ist gelogen‹ schrie der Edelmann zornig; der Richter aber sprach: ›Und darum sollt ihr mit euren Pferden daheim bleiben, der Bauer aber darf mit Sechsen ausfahren.‹

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TextGrid Repository (2012). Wolf, Johann Wilhelm. Märchen. Deutsche Hausmärchen. Das Unglaubliche. Das Unglaubliche. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AA8E-A