[305] Als er sich einbildete / daß ihm wegen seiner Schönheit nichts abzuschlagen sey

Galanter Livio, dein unvergleichlich Wesen
Läst nach dem Augen-Schein viel angenehmes lesen,
Die Welt sieht / es ist wahr, das recht mit Wunder an,
Was die so gütige Natur an dir gethan.
Wen solte nicht der Glantz von deiner Schönheit blenden?
Die Nymphen müssen dir sogleich ihr Jawort senden,
Dein Strahl macht alle Welt bezaubernd und verliebt,
Dieweil es weit und breit nicht deines gleichens gibt.
Man solte dich mit recht in Delphis Tempel setzen,
Denn da verehrt man auch die stumm- und schönen Götzen.
Jedoch ein geiler Leib schickt sich nicht wohl darein,
Dieweil ein Götzen-Bild muß fromm und züchtig seyn.
Dein gantzer Mensch ist in der Lust der Welt ersoffen,
Die Schönheit hat den Leib, die Seele nicht, betroffen,
[306]
Daher man täglich dich mit Körben tragen sieht,
Weil das, was Tugend liebt, vor deinen Schimmer flieht.
Die blosse Schönheit muß nicht gleich die Frauen rühren,
Weil wir gar offt Gewürm in schönsten Aepfeln spühren.
Es nimmt dich jede gleich, denckst du, mit Jauchzen an;
Nein! Chloris, welche dich nicht um sich leiden kan,
Wird nun und nimmermehr von deinen Blicken brennen,
Du magst gleich tausendmahl den Tag vorüber rennen.
Sie heist dich, daß du nicht darffst da vergebens stehn,
Nach deiner Herberge und alten Schlupfloch gehn
Wo du als Hahn in Korb gedenckst allein zu steigen,
Ob sich gleich heimlich mit viel Neben-Buhler zeigen,
Diß schadt der Liebe nicht, es löscht doch deine Brunst,
Dein Absehn geht ohndiß auf nichts als geile Gunst.
Drum kanst du, rath ich dir, dein Bündel weiter tragen,
Mein zartes Ohr hört nicht auf unverschämtes Klagen.
Man wirfft die Perle nicht in Schweine-Trog hinein;
Denn was ich lieben soll muß tugendhafftig seyn.
[307]
Wo sich die Schönheit pflegt nicht mit Verstand zu gatten,
Da greifft man überhaupt nach Wind und leeren Schatten.
Du bist dem Käfer gleich, der, wie man täglich sieht
Von einem Blumen-Beet bald zu dem andern zieht.
Dergleichen Buhlern weist man insgemein die Thüren,
Dein schön seyn wird mich nicht so, wie du denckst, verführen;
Ja sähst du, Livio, so schön, als Paris, aus,
Und liebtst nicht tugendhafft, so stieß ich dich hinaus.

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TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Versuch in gebundener Schreib-Art. Schertz- und Satyrische Gedichte. Als er sich einbildete. Als er sich einbildete. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B2D4-B