108. Auf seinen Sohn, Johann Ernst, und den theuren Knaben-Aeltesten, Matthäus Linner, in Herrnhut

1732.


Der Heiland ist ja noch bey Seinem Volk daheim:
Wir haben in der Zeit von deinen Wallfahrts-Tagen
Vier Hütten eingelegt (vier Wohnungen von Läim.)
Johann Ernsts kleiner Schutt ist noch nicht weggetragen. 1
Diß hatte mir ein Freund zur Nachricht mitgetheilt,
Als ich vor kurzer Zeit auf Herrnhut zugeeilt.
Ich trat in diesen Ort, der Christi Liebes-Ziel
Und ein Behältnis ist von vielen Gnaden-Zundern.
Ich hemme meinen Trieb, denn was beschreibt ein Kiel,
Von unerkanter Kraft, von unsichtbaren Wundern?
Gnug! daß die Kinderschaft den Vater kennt und küßt,
Der noch so wenigen recht offenbaret ist.
Mein Sohn wird zu dem Rest der Brüderschaft gebracht.
So mancherley Geschäft verhindert anzuzeigen,
Wie sanft er ausgeschnaubt, wie lieblich er gelacht,
Als seines Vaters Gott ihm rief hinauf zu steigen;
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Wie sein Geschwister selbst, das kaum zu lallen pflegt,
Zu seinem letzten Dienst die Zunge 2 munter regt.
Johann Ernst geht dahin, und niemand singt ihm aus,
Darüber wolten sich verschiedene bewegen:
Allein es wartete ein Schiksal auf mein Haus,
Ein meiner Kinder Baar schon sonst gegönnter Segen.
(Ein Märtrer, den der Herr aus Band und Fesseln rükt,
Mein theurer Nitschmann ward mit Friedrichen 3 beschikt.)
Gedacht ichs, lieber Sohn, als mein erfreuter Sinn
Dich in das grünende Behältnis eingeschoben:
Es käm in kurzer Zeit ein junger Held dahin,
Dir sey darauf dein Lied, mir Thränen aufgehoben,
Gedacht ich das von Dir, du Gnaden-voller Geist,
Der seiner Hütten Band so eilende zerreißt?
Wär ich der Neuerung ein wenig zugethan,
Und bliebe nicht so gern bey alten guten Sitten;
[306]
So gäb ich diesesmal gewiß die Frage an:
Warum der Linner schon aus seinem Ort geschritten?
Doch Herr, es kehrte sich Dein Eingeweide um,

Joh. 11.

Wenn ich so untreu wär, und fragte dich: Warum:
Mein Alles, hast Du mich, so nim auch diesen Theil
Von meinem (Herr Du weißsts!) Dir zugestorbnen Herzen,
Die Creatur wars nicht, um die ich eine Weil
Mit Deiner Seele rang, (nicht ohne allen Schmerzen,)
Ihr Kinder, Linner stirbt! Erkennt ihr eure Noth,
Der Gott Eliä lebt. 4 Was red ich? Wer ist todt:

Fußnoten

1 Das war ungefehr die Erzehlung, welche uns auf der Rük-Reise zu Budißin entgegen kam.

2 Als der selge Johann Ernst Miene machte zu sterben, weinete die ältere Tochter; Ihr Bruder aber von vier und ein halb Jahr fragte sie: Was weinest du? Sie antwortete; Daß mein Bruder stirbt. Da sagte er: Er stirbet ja nicht, ob man schon so spricht, sein Elend stirbt nur. Und als das Kind den Tag vor seinem Ende viel ausstand, ging die kleinste Tochter von anderthalb Jahren um die Wiege herum, und sang ganz anmuthig und vernehmlich: Stilles Lämmlein, frommes Schäflein, anders kans nicht seyn auf Erden, morgen wird es besser werden

3 Die Gedächtnis-Predigt des seligen Melchior Nitschmann, welcher im Kerker zu Schildberg an eben der Krankheit, daran dieser verschieden ist, eingeschlafen war, (eine Krankheit, welche ihm die vor fünf Jahren erlittene Marter zuwege gebracht) und das Begängnis Graf Christian Friedrichs, wurde zugleich gehalten.

4 Das war unsre Loosung an dem Tage seines seligen Ablebens, welches der 30ste Junii war, zu welchem er etliche Tage zuvor sich in das vorjährige Loosungs- Büchlein mit folgenden Worten eingeschrieben: Mein ganzes Herze, mein ganzer Sinn ist auf Jesum gerichtet. Und ist merkwürdig, daß der Ort Hiob 7, 2. gleich daneben gedrukt stehet.

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Teutsche Gedichte. 108. Auf seinen Sohn, Johann Ernst, und den theuren Knaben-Aeltesten. 108. Auf seinen Sohn, Johann Ernst, und den theuren Knaben-Aeltesten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B5C3-8