130. Aufrichtige Erklärung, wies ihm ums Herz ist 1

1734.


Du unser auserwehltes Haupt,
An welches unsre Seele glaubt!
Laß uns in Deiner Nägel Maal
Erblikken die Genaden-Wahl,
Und durch der aufgespaltnen Seite Bahn
Führ unsre Seelen aus und durch und an.
Dis ist das wunder-volle Ding:
Erst dünkts für Kinder zu gering;
Und dann zerglaubt ein Mann sich dran,
Und stirbt wol, eh ers glauben kan,
Es sind die Sephiroth am gläsern Meer,
Es ist das Schibboleth vom kleinen Heer.
Solange eine Menschheit ist,
Solange Jesus bleibt der Christ,
[363]
So bleibet diß das A und O
Vom ganzen Evangelio,
Und daß dasselbige die Weisheit ist,
Das wißt ihr alle, die ihr Wahrheit wißt.
Mein Heiland! wär ich armes Kind,
Das sich um Deine Füsse windt,
Das Dich, du Seelen-Ehemann,
Nicht eine Stunde missen kan,
Und das Dich über sich und alles liebt,
In Deiner Sprache etwas mehr geübt.
Doch laß die Lippen trokken seyn,
Des Geistes Hauch darf nur hinein,
Der vor dem Thron der Majestät
In Donnern und Posaunen geht,
Und eine Kohle vom Altar gebraucht,
So rühren sich die Lippen, daß es raucht.
So zeug ich dann, wer hört mir zu?
Wer hat im Herzen keine Ruh?
Wer weiß, wie tief die Sünde frißt,
Und daß er nichts als Sünde ist,
Und weiß sich keinen Rath, wo ein noch aus,
Der höre zu! denn da wird etwas draus.
Wer aber von der Mutter her
Vielleicht noch unbescholten wär,
Und wüßte kaum was Fleisch und Blut,
Was Geitz sey oder hoher Muth,
Und sich in allem selber helfen kan,
Der ist ein blinder und ein tauber Mann.
Ein heiliger und reiner Geist,
Und was man einen Heilgen heißt,
Sind vor dem Herrn der Creatur,
Und vor dem Meister der Natur
Von keinem andern Zeuge, als ein Blat
Das auch sein Wesen von dem Schöpfer hat.
[364]
Auch ist ein Rath der Ewigkeit
Viel älter als die graue Zeit,
Und wer den Rathschluß meistern will,
Muß Satan seyn, sonst schweigt er still:
Ein Töpfer macht aus einem allerley,
Und das ists, was er machet, daß es sey.
Das Leben ist von oben her,
Der Tod ist auch nicht ohngefehr,
Darzu verdammet das Gericht,
Das Herze Gottes aber nicht.
Wer Gottes Wesen weiß, weiß Seinen Tod,
Wers Herze kennt, der ist aus aller Noth.
Wir sehen wol die Geister nicht,
Die erst die Sünde angericht't;
Doch sehe sich nur jedermann,
Der bey sich selbst ist, selber an.
Wenn keine Sünde in der Menschheit wär,
Wo hätten ich und er die Sünde her?
Wie weislich ist der Rath bestellt,
Der Rath der Wächter aller Welt,
Das meiste ist nicht offenbar,
Und was man weiß, ist Sonnen-klar,
Die Thorheit fragt den Herrn: Was machest du:
Die Weisheit glaubt und denkt: Du Liebe Du!
Gelobet sey das Lebens-Buch
Vor dem verhüllt in Mosis Tuch,
Mit sieben Siegeln zugemacht,
Bis man das Lamm herzugebracht,
Das Lamm, den Welt-bekanten Sünder-Freund,
Der selbstgewachsnen Tugend ihren Feind.
Das Wort, das an das Creutz gemahlt,
Im Blut-Rubinen-Feuer strahlt,
Das heißt: Hier hängt Immanuel!
(Das Gegenbild des Hazazel,)
[365]
Darüber stutzt und fluchet die Natur,
Und Gott betheuert es mit einem Schwur.
So wahr ich lebe! spricht der Mann,
Der nichts als Amen sagen kan,
Und der unfehlbar Wort und That
Im Augenblik beysammen hat,
Und was Er will, das läßt Er sich nicht reun;
Mein Sohn, mein Sohn soll Hoherpriester seyn!
Er kommt, der Sohn, Er sagts uns an,
Wies mit dem Priester-Amt gethan:
Der Vater hat den Erben lieb;
Und dazu kommt ein neuer Trieb,
Daß ich den ew'gen Rath und Recht erfüll,
Und für der Menschen Leben sterben will.
Die Worte sind unleugbar da;
Die That war denen Worten nah:
Die Probe, ob es Wahrheit ist,
Was man im Buch geschrieben liest,
Da spricht der grosse Gnaden-Bundes-Mann,
Daß sie ein jeder selber machen kan.
Man macht sie dann auf solche Art,
Daß sich im Herzen offenbart,
Ob Jesus Christus, Gottes Lamm,
Wahrhaftig starb am Creutzes-Stamm.
Die Art der Probe theilt sich überaus,
Die Probe aber lauft auf eins hinaus.
Wenn einer in dem Glanz des Lichts
Sich sieht, und sieht, er tauge nichts,
Und geht und greifft die Sache an,
Und thut nicht, was er sonst gethan, 2
Und müht sich selber viel und mancherley,
Der lernet nie, was ein Erlöser sey.
[366]
Wenn aber ein verlornes Kind
Vom Tod erwacht, sich krümmt und windt,
Und sieht das Böse böse an,
Und glaubet, daß es sonst nichts kan,
Verzagt an sich, es geht ihm aber nah;
Kaum sieht sichs um, so steht der Heiland da.
Wie geht dirs? O es geht nicht gut!
Ich liege hie in meinem Blut.
Da spricht der Seelen-Freund: Mein Sohn!
Nim hin die Absolution,
Und sieh mich an, und glaub, und stehe auf,
Und freue dich, und zieh dich an, und lauf.
Die Seele krigt den neuen Geist,
Sie glaubt und thut, was Jesus heißt,
Sie sieht das Lamm mit Augen an,
Die kein Erfahrnes leugnen kan;
Steht auf, bekommt ein unsichtbar Gewand,
Und ist auf einmal mit dem Lamm bekant.
Die Schaam, die Beugung und die Kraft,
Die machen gleichsam Schwesterschaft,
Und schliessen sich ins Herze ein,
Und wollen nicht getrennet seyn;
Da geht kein guter Wille mehr zurük,
Denn ihre Arbeit ist ein ewigs Glük.
Erst heißt der Freund die Seele ruhn,
Dann essen, und darnach was thun;
Da steiffet sie die Glaubens-Kraft
Zu einer treuen Ritterschaft;
Sie thut, und wenn sie dann ihr Werk gethan,
Denkt sie gemeiniglich nicht weiter dran.
Und würde sie ja irgendwo
Der eignen Gnaden-Arbeit froh,
So kommt die heilge Schaam herbey
Und zeiget ihr so mancherley,
[367]
Daß sie Gott dankt, wenn sie sich selbst vergißt,
Und denkt an nichts, als daß ein Heiland ist.
Und allenthalben steht der Sinn
Der Gläubigen zur Gnade hin,
Und sinnet, wie er Nacht und Tag
Dem Bräutigam gefallen mag,
Der ihn von dem Verderben los gemacht,
Und sichtbarlich zu Kron und Thron gebracht.
Herr Jesu! wenn der Zeugen Heer
Nicht eine Donner-Wolke wär,
So könte man es noch verstehn,
Daß viele sie nicht hörn und sehn.
Doch, was ists endlich Wunder? denn es sind
Die Menschen von Natur getäubt und blind.
Darum befiehlt uns Jesus nun
Der Blinden Augen aufzuthun;
Und wenn wir rufen, ist Er da,
Und ruft dem Tauben: Hephathah!
So wird das Evangelium gehört,
So wird das Auge auf das Lamm gekehrt.
Da bin ich auch, Dein Unterthan,
Und melde meine Gaben an,
Die Du mir Armen mitgetheilt;
Seitdem Dein Pfeil mein Herz ereilt.
Nun säh ich gern ein gutes Theil der Welt
Gerettet und zur Rechten hingestellt.
Wenn mich der Haus-Herr Boten schikt;
So halt ich mich für höchst-beglükt.
O! unser allgemeines Haupt
Gib, daß man meiner Botschaft glaubt;
Mein Rufen dring in Herz und Ohren ein,
Und wenn ich auf Dich weise: So erschein.

Fußnoten

1 Gedrukt zu Tübingen, am Thomas-Tage.

2 Er bessert sich wirklich.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Teutsche Gedichte. 130. Aufrichtige Erklärung, wies ihm ums Herz ist. 130. Aufrichtige Erklärung, wies ihm ums Herz ist. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B684-E