1943.

Mel. Verliebter in die sündersch.


1.

Wie arm ist doch ein menschlich herz, sein innres raus zu geben! man drükt sich aus in freud und schmerz, nur fehlt dem wort das leben; so hat der hörer alles halb, und der sein herz bezeuget, wird seines mißverstandes halb beym sprechen nur gebeuget.

2.

So geht mirs, wenn ich der Gemein, der Einen güldnen leuchte, mein adern, mark, bis aufs gebein, und ganze seele beichte; so fehlts sein tage nicht an lust, sich völlig auszuschütten: ich bin mir aber nie bewußt, daß ich das ziel erschritten.

3.

Ein admirabler vortheil ist seit einger zeit vorhanden, seitdem das Lämmlein Jesus Christ im stuhle aufgestanden, und sich mit seinem rothen strich der heerde präsentiret; ich meine, den empfangnen stich, der unser heil vollführet:

4.

Seitdem ist herz und mund geschmiert, die ohren sind bestrichen, die sachen werden kaum berührt, so werden sie geglichen; und ehe eines sünders mund das wort beschliessen können, so fühlt des andern her zens-grund das draus entstandne brennen.

5.

Ich bin nun itzo einge zeit von unserm creuzes-volke durch berg und thäler abgescheidt, im dienst der zeugen-wolke; sonst wußt ich etwa, was ich that, allein seitdem sein leiden mein denken übermeistert hat, kan ich nichts unterscheiden.

6.

Ich bin vergnügt, und weiß doch nicht mit wahrheit zu behaupten, ob ich was oder nichts verricht: die füsse die bestaubten und die was abgematt'te hütt gibt wol ein attestatum von einem starken zeugen-schritt, von thaten ists kein datum.

7.

Doch was bedarf ich auszuführn, ob ich was thu und mache, die kirche hat doch offne thürn zu aller ihrer [1855] sache. Und wenn es scheint, als wär es nichts, was ihre glieder machen, so machen sie im gang des lichts doch immer ganze sachen.

8.

Ich kan euch sagen, theure schaar des hochverdienten hirten! was uns bisher ganz lieblich war, und unser streiter-gürten, auf dieser kirchen-conferenz geschicht mit blut-genusse, und sonsten mit indifferenz, als nur beym wunden-kusse.

9.

Wir haben manche seligkeit bey allen schwierigkeiten; die mehr als tausend arbeits-leut, die unsern plan bestreiten, und die nur das gedächtniß so specificiren könte, die machen uns gebeugt und froh, so viel die zeit vergönnte.

10.

Wir krigten eine lection, wir wärn der kirchen-wunder ein wenig zu gewohnet schon, sie wärn zu nasser zunder, sie solten mehr und inniger auf unsre herzen fallen, da soll kein wiedersinniger gedanke seyn bey allen.

11.

Nun dann, ihr wunden meines Herrn! soll man bey euren blikken noch etwas nahe oder fern sich ins gemüthe drükken; so helft mir selber, ich verliers, wenn ich es kaum empfangen: ich weiß doch was! beblutet mirs, so wird es eher fangen.

12.

Herr Jesu Christ! die nägel-maal, die durchgegrabne seite, die helfen deinem volk der wahl durch länge und durch breite, durch tieffe und durch höhe hin. Denselbigen zu ehren will ich die wunder meinem sinn ein wenig mehr verklären.

13.

Nun gehn wir, ach! wir gehn nicht gern, wir wärn daheime lieber; allein der gnade führungs-stern der weiset uns hinüber: so gehe denn mit deinem flehn, du häufflein seiner sünder! so weit mit, als wir werden gehn, dein' abgesandten kinder;

14.

Erbitte uns von deinem Herrn und unsern cameraden, daß wir nicht lange in der fern und in dem strome waden; daß wir das haupt-werk: der Gemein in stillen friedens-läuben zu zeigen, wo die wunden seyn, bald wieder gehn betreiben.

15.

Du aber, volk in seiner hut! das vor den nägel-löchern im element von seinem blut mit zwanzig tausend schächern zu schwimmen und zu baden hat, und sonst für nichts zu sorgen, sein leib und [1856] blut das mach dich satt, und wekk' dich alle morgen.

16.

Es führe dich in seinem schein, wenns zeit ist sich zu schuhen, es schläfre dich auch wieder ein, wenns zeit ist auszuruhen; es geh dir allerwegen nach; es werde dir sein glühen so zur natur und eignen sach, als wie das othen-ziehen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. 12. Anhang zum Herrnhuter Gesangbuch 1743. 1943. [Wie arm ist doch ein menschlich herz]. 1943. [Wie arm ist doch ein menschlich herz]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B6B1-8